Klaus-Georg Wey Umweltpolitik in Deutschland Klaus-Georg Wey Umweltpolitik in Deutschland Kurze Geschichte des Umweltschutzes in Deutschland seit 1900 Westdeutscher Verlag CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Wey, Klaus-Georg: Umweltpolitik in Deutschland: kurze Geschichte d. Umweltschutzes in Deutschland seit 19001 Klaus-Georg Wey. - Opladen: Westdeutscher Verlag, 1982. ISBN-13: 978-3-531-11578-8 e-ISBN-13: 978-3-322-87729-1 DOl: 10.1007/978-3-322-87729-1 © 1982 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen Umschlaggestaltung: Horst Dieter BiirIde, Darmstadt Satz: Lengericher Handelsdruckerei, Lengerich/Westf. AIle Rechte vorbehalten. Auch die fotomechanische Vervielfaltigung des Werkes (Fotokopie, Mikrokopie) oder von Teilen daraus bedarf der vor herigen Zustimmung des Veri ages. ISBN-13: 978-3-531-11578-8 Inhalt 1. Einfuhrung .......... . 9 1.1 Grundfragen einer Geschichte der Umweltpoli- tik ......... . 9 1.1.1 Begriindung einer Geschichte der Umweltpolitik 9 1.1.2 Grundsatzliche Uberlegungen: der Begriff "Um- welt" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 10 1.1.3 Umweltschutzkonzepte: okologisches und techni- sches Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 14 1.1.4 Methodische Probleme der Untersuchung ...... 16 1.2 Das Verhaltnis von Natur und Gesellschaft ..... 17 1.2.1 Das Konzept der bkologie . . . . . . . . . . . . . . .. 17 1.2.2 Historische Phasen des menschlichen Gebrauchs der Umwelt ......................... 20 1.2.3 Erste Umweltschutzmagnahmen im 19. Jahrhun- dert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2. Die Umweltpolitik bis 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 33 2.1 Die Wasserreinhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 33 2.1.1 Die Entwicklung des Wasserrechts . . . . . . . . . .. 33 2.1.1.1 Die Abwasserreinigung urn die Jahrhundertwende. 33 2.1.1.2 Bemuhungen urn ein Reichswassergesetz . . . . 37 2.1.1.3 Das preugische Wasserrecht ............ 46 2.1.2 Die Praxis des Gewasserschutzes ............ 64 2.1.2.1 M~nahmen des Reiches ................. 64 2.1.2.2 Die Arbeit der preugischen Landesanstalt fur Was- serhygiene .......................... 66 2.1.2.3 Abwasserreinigung durch Kommunalverbande: Em- scher-und Wuppergenossenschaft ........... 77 2.1.2.4 Probleme der Gewasserreinhaltung in den dreigiger Jahren ............................. 101 2.2 Die Entwicklung des Immissionsschutzes 105 2.2.1 Schwierigkeiten in der Problemerkenntnis 105 5 2.2.2 Rechtslage und praktischer Immissionsschutz vor dem Ersten Weltkrieg ................... 108 2.2.3 Die Problemlage wahrend der zwanziger Jahre . .. 114 2.2.4 Die Tatigkeit der preuBischen Landesanstalt in der Lufthygiene ......................... 122 2.3 Die Naturschutz- und Landschaftspflegemaanah- men .............................. 128 2.3.1 Die urspriingliche Ideologie des Narurschutzes . .. 128 2.3.2 Naturschutz im politischen Kraftefeld vor dem Ersten Weltkrieg ...................... 131 2.3.3 Stillstand oder F ortschri tt in den zwanziger J ahren? 13 5 2.3.4 Der scheinbare Endsieg im Naturschutz: Das Reichs- naturschutzgesetz ..................... 147 3. Die Entwicklung der Umweltpolitik in der Bundesrepublik seit 1945 ................................. 152 3.1 Phasen und Grundstrukturen .............. 152 3.2 Die Entwicklung der umweltprogrammatischen Diskussion ..................... 156 3.2.1 Die Parteien ......................... 156 3.2.2 Verbande: BDI, DGB und Naturschiitzer ...... 165 3.2.3 Die Biirgerinitiativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 171 3.3 Die Bemiihungen urn Schutz des Wassers, der Luft, der Natur und der Landschaft ............. 173 3.3.1 Schutz der Gewasser durch ein einheitliches Was- serrecht ........................... . 173 3.3.2 Immissionsschutz in Nordrhein-Westfalen und im Bund ......................... . 181 3.3.3 Landespflege: Fortsetzung der Traditionen .... . 194 3.4 Die umweltpolitische Wende ............. . 201 3.4.1 Intensivierung der politischen Zieldiskussion ... . 201 3.4.2 Die legislativen Prozesse ............ . 207 3.4.3 Das "Vollzugsdefizit" .................. . 214 3.4.4 Kernenergie - Kernfrage der Umweltpolitik? 220 4. Zusammenfassung: Lange gute Tradition und die Zukunft der Umweltpolitik .......................... . 230 Anmerkungen ............................. .. . 234 Quellen und Literatur . . . . . . . . . . ................ . 251 6 Wenn sich die gegenwartigen Entwicklungstrends fortsetzen, wird die Welt im Jahre 2000 noch uberbevolkerter, verschmutzter, okologisch noch weniger sta bil und fur Storungen anfalliger sein als die Welt, in der wir heute leben. Ein starker Bevolkerungsdruck, ein starker Druck auf Ressourcen und Umwelt las sen sich deutlich voraussehen. Trotz eines groBeren materiellen Outputs wer den die Menschen auf der Welt in vieler Hinsicht armer sein, als sie es heute sind. (Global 2000, Bericht an den Prasidenten, 1980) Der Zustand in der Bundesrepublik Deutschland ist zum Teil besorgniserre gend, obwohl hier zum Beispiel Naturschutz und Landschaftspflege, Luft-und Wasserreinhaltung, Abfallbeseitigung und Larmbekampfung sowie Reinhaltung von Lebensmitteln teilweise auf langer, guter Tradition beruhen. (Umweltprogramm der Bundesregierung, 1971) Nach AbschluB der zehn Jahre der "Feuerwehrgesetze" konnen wir uns jetzt endlich der Sache zuwenden, der wir uns immer zuwenden wollten, namlich der Frage: Wie bekommen wir das okologische Gleichgewicht zuriick, wie verhindern wir den weiteren sinnlosen Landschaftsverbrauch, wie schaffen wir es, daB diese Landschaft nicht weiter zubetoniert wird? (Staarssekrerar Hartkopf, Bundesinnenministerium, in einem Interview mit "Bild der Wissenschaft", 1980) 7 1. Einfiihrung 1.1. Gruntifragen einer Geschichte tier U IIIIVeitpoJitik 1.1.1. Begriindung einer Geschichte der Umweltpolitik "Ein groBer Teil der heutigen Umweltschaden ist entstanden", so zitierte Georg Picht 1972 aus einem Gutachten fiir das Bundesinnen ministerium, "obwohl es langst Gesetze und Verordnungen gab, mit denen sie hatten verhindert werden konnen ... Die Ursachen fUr das Versagen dieser Kontrollmechanismen sind nicht weniger komplexer Natur als die Ursachen der Umweltschaden selbst ... (Deswegen) ist die wissenschaftliche Erforschung der Durchfiihrung des Umwelt schutzes ein bisher vemachlassigter, aber wesentlicher Tell der Um welt-Forschung und der wissenschaftlichen Politikberatung."l Was Picht fiir die gegenwartsbezogenen Sozialwissenschaften feststellte, gibt uneingeschrankt auch fiir die historische Sozialwissenschaft Geschichte: Historische Werke iiber die Umweltschutzbemiihungen wurden, wenn iiberhaupt, iiberwiegend von Nicht-Historikem verfaBt, oft von Personen, die in der einen oder anderen Form selbst intensiv in die Bemiihungen urn einen besseren Umweltschutz eingeschaltet waren. Dabei liegen die Vorteile einer intensiven Ausemandersetzung mit der Geschichte der Umweltschutzpolitik auf der Hand. Wie alles historische Fragen ermoglicht uns das Fragen nach Ursprung, Art, Erfolgen, Widerstiinden und Scheitem von Umweltschutzpolitik eine genauere Bestimmung unseres heutigen Standortes. Wie entstanden die Probleme, mit denen wir heute kiimpfen, die uns bedrohen und viele unter uns iingstigen? Konnte man nicht friiher erwas gegen die Bedro hung und Geflihrdung der Umwelt tun, wenn ja, wodurch ist es verhin dert worden? Solche Fragen mogen uns erkennen lassen, wie und welche friiheren Entscheidungen unsere heutige Umwelt mitbestim men und pragen. 9 Vertieft man sich ein wenig in die Geschichte der Umweltschutzbe miihungen, so kann man sehr bald feststellen, daB die friiheren mensch lichen Gesellschaften ebenso wie unsere unmittelbaren V orfahren bereits mit lihnlichen Umweltproblemen konfrontiert wurden wie wir, aber aufgrund ihrer konkreten Lage die Bedeutung dieser Probleme vollig anders einschlitzten, ja einschlitzen muBten. Warum sahen Men schen friiherer Zeiten Umweltprobleme anders, warum setzten sie sich iiber diese groBtenteils bedenkenlos hinweg, warum konnen wir uns diese Sichtweise heute nicht mehr leisten? Warum konnten sich diejeni gen nicht durchsetzen, die, lihnlich wie viele von uns heute, die Umwelt schonen und erhalten wollten? Eine einigermaBen zufriedenstellende Antwort auf diese Fragen ermoglicht es vielleicht, die Probleme der Umweltpolitik in unserem Staat und Gesellschaft in Zukunft kritischer zu sehen; kritischer insofern, als wir abschlitzen lemen, wieviel vergeb liche Arbeit und Initiative oft aufzubringen, wieviel Widerstand zu iiberwinden sein wird, aber auch welche Erfolge moglich sind und an welchen Stellen intensiver als bisher das Bemiihen um eine lebensfahige und lebenswerte Umwelt einsetzen muB. Dies ist insbesondere auch deswegen notig, weil die Sorge um die Umwelt bei vielen von uns die herkommlichen Formen demokratischer Verfahrensweisen fragwiirdig gemacht hat: Die Frage, ob unsere politischen Institutionen iiberhaupt in der Lage sind, angemessen die gegenwlirtigen Probleme zu losen oder iiberhaupt nur angemessen auf sie zu reagieren, haben viele bereits mit einem Nein beantwortet und alternative' Formen politischer Aktion gesucht. Vielleicht mag auch hier ein Blick in die Vergangenheit dem einen oder anderen Zuversicht geben oder neue Wege weisen. 1.1.2. Grunclsiitzliche Ubedegungen: cler Begriff "Um welt" Nicht nur die Notwendigkeit einer Geschichte des Umweltschutzes erscheint begriindungsbediirftig. Erkllirt werden miissen auch die Oberlegungen, die zur IdentifIzierung und ErschlieBung des Materials und der Art der Fragen und der Darstellung gefiihrt haben. Gerade weil in der gegenwartigen Situation eine solche Darstellung dem Verdacht der Ideologisierung ausgesetzt ist und kaum "sine ira et studio" gelei stet werden kann, ist eine Offenlegung der V oriiberlegungen unerliiB lich. 10 1. Zuniichst ist zu bedenken, daB die Begriffe "Umwelt" und "Um welt(schutz)politik" historisch sehr neu sind. Umweltpolitik - verstan den als Gesamtheit alIer MaBnahmen, die eine gesunde, menschenwiir dige Umwelt sichern, die Naturgrundlagen vor nachteiligen Eingriffen schiitzen und die Folgen schadlicher Eingriffe beseitigen,2 setzte erst das Wissen von den komplexen Wechselwirkungsprozessen in der Umwelt voraus. Bevor die Wissenschaft hierfiir die Voraussetzungen geschaffen hatte, fehlte ein BewuBtsein davon, daB verschiedenste, anscheinend nicht miteinander verbundene menschliche Tiitigkeiten sich gegenseitig verstiirkende nachteilige Wirkungen fur die Umwelt herbeifiihren konnen. DaB RuB- und Rauchemissionen durch indu strielle Tiitigkeit und das gleichzeitige Zuriickdriingen der Baumvege tation in Ballungsgebieten miteinander verstiirkte Verminderung der Luftqualitiit bewirkten, muBte erst auf einer sehr hohen Stufe geistiger Arbeit erkannt und dann fur andere nachvollziehbar gemacht werden. Dieses Wissen, daB sich heute fur uns im Begriff der Okologie und der Umwelt konzentriert darbietet, war in friiheren Zeiten nicht vorhan den; deswegen besaBen die Menschen auch keine Begriffe, die unseren heutigen Wahmehmungskonzepten entsprechen. Nur sehr begrenzt gibt der Begriff der Natur, der friiher in iihnlicher Weise fiir die Be zeichnung von Zusammenhiingen in der Umwelt verwendet wurde, das wieder, was wir heute als Einzelaspekte unter den Begriffen "Okolo gie" und "Umwelt" zusammenfassen. Dementsprechend ist in unserer weiteren Betrachtung die Verwendung der Begriffe Umwelt/Umwelt politik fiir Denken und Handeln der Menschen friiherer Zeiten zu niichst .fragwiirdig. Wenn wir diesen Begriff doch in der weiteren Darstellung verwenden, geschieht dies in der bewuBten Absicht, fur uns Heutige zur besseren Vergegenwiirtigung etwas zusammenzufas sen, was den Zeitgenossen damals als Zusammenhang nicht einsehbar sein konnte. Wenn wir also im folgenden sagen, daB in Deutschland fur plan miiBige UmweltschutzmaBnahmen recht giinstige rechtliche Vorausset zungen bestanden, so bedeutet dies, daB wir uns nicht in erster Linie mit tier Bedeutung von Rechten und Gesetzen befassen, die sie fUr die Zeitgenossen batte, sondem daB wir darauf achten, welche Bedeutung gesetzliche V orschriften aus tmSere1ll heNligen Verstiindnis heraus fUr die Okologie hatten. 11 2. Die westlichen Industriegesellschaften sind seit hundertfiinfzig Jahren von der Entfaltung der privatkapitalistischen Wirtschaftsord nung gepragt. Dabei herrschten zwei grundsatzliche Moglichkeiten der politischen Steuerung dieser Gesellschaften vor: autoritare oder liberal demokratische Regierungsformen. Deutschland hat in den vergange nen 80 Jahren beide Formen in unterschiedlichen Spielarten kennenge lernt. Gleichwohl gibt es eine beachtlich starke Kontinuitat verschiede ner Steuerungsfaktoren. Erstens inderte sich das Rechtssystem, soweit es den Umweltschutz angeht, kaum oder jedenfalls ohne starke Spriinge und Briiche. Zweitens haben sich Macht und EinfluBmoglichkeiten von Biirokratie und Verbinden nicht wesentlich verindert. Beides ist als Folge der Komplexitat des Gesellschaftssystems und seiner bestimmen den Wirtschaftsordnung anzusehen. Selbst wenn heute die demokratische Regierungsform in der Bundes republik gesichert scheint, kann nicht ohne Einschrinkungen gesagt werden, daB die Entscheidungen der Reprasentanten dieser Demokra tie immer unverzerrt die Interessen der Mehrheit der Bevolkerung widerspiegeln. Wie auch unter autoritaren Regierungen der Vergan genheit, sind die heutigen politischen Aktionsformen geeignet, a) die staatlichen Biirokratien und Spitzen und b) aktive Minoritaten (Indu strie-, aber auch andere Verbande, Gruppierungen, die Parteien insge samt und ihre Gremien) in den Erfolgschancen zu begiinstigen, c) durch KompromiBnotwendigkeiten "urspriingliche" Ziele der "Basis" auf dem Weg zur verbindlichen Zielfestlegung durch Gesetz und Verordnung zu verzerren. Hinzu kommt heute, daB oft nur kurz- oder mittelfristige Entscheidungen und MaBnahmen angestrebt werden, da aus Angst urn die Bewahrung der Machtposition und Entscheidungs funktion (z. B. Wiederwahl) langfristige Entscheidungsengagements abgelehnt werden. 3. Dariiber hinaus unterliegen UmweltschutzmaBnahmen, da weitge hend technologisch bedingt, in hervorragender Weise technologischen Problemlosungskriterien. Anders als politische Willensbildung in vorindustriellen Gesellschaften, die in erster Linie Machtfragen (oko nomisch, gesellschaftlich, kulturell) betraf, handelt es sich beim Um weltschutz zwar auch urn Machtfragen, aber urn solche, die eigentlich die wissenschaftlich-technische Abklarung voraussetzen. Daher verla gert sich die entscheidende Diskussion immer starker in die Studierzim mer und Konferenzraume der Wissenschaftler und Techniker. Nur 12