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Text, Geschichte und Subjektivität in Hölderlins Dichtung: »Uneßbarer Schrift gleich« PDF

261 Pages·1985·75.181 MB·German
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Studien zur Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft 27 Herausgegeben von Eberhard Lammert, Klaus Reichert, Karlheinz Stierle und Jurij Striedter, mitbegrtindet von Peter Szondi Rainer Nagele Text, Geschichte und Subjektivitat in Holderlins Dichtung: >>UneBbarer Schrift gleich<< J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung Stuttgart Studien zur Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft Band 27 CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Nagele, Rainer: Texte, Geschichte und Subjektivitat in Holderlins Dichtung: »Unessbarer Schrift gleich« I Rainer Nagele. - Stuttgart : Metzler, 1985. (Studien zur allgemeinen und vergleichenden Literaturwissenschaft ; Bd. 27) ISBN 978-3-476-00572-4 ISBN 978-3-476-03207-2 (eBook) DOI 10.1007/978-3-476-03207-2 NE:GT © Springer-Verlag GmbH Deutschland 1985 Urspriinglich erschienen bei J. B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH in Stuttgart 1985 Inhalt Vorwort ................................................... . 5 Peter Szondi: Text, Geschichte und das kritische Subjekt . . . . . . . . . . . 5 Die Einsetzung des Zeichens: Brod und Wein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 1. Die Schrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2. Weingott und Abendmahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 3. Die eleusinischen Mysterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 4. Zeichen und Intersubjektivitat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 5. Der verstellte Eros . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 6. Das Lyrische als Verschwinden von Prlisenz . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 7. Die Nacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 8. Das Drlingen des Zeichens: der deutende Gott . . . . . . . . . . . . . . . 69 9. Verschiebung, Metapher, Elegie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 10. Die tragische Konstellation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 11. Subjekt und Geschichte des Wortes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 12. »Worte wie Blumen«: die verbltimte Rede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 13. Die Ordnung der Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 14. Der erschtitterte Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 15. Die humoristische Konstellation: Trauer und Allegorie . . . . . . . . 107 16. Geschichtliche Konstellation und Zeichenstruktur . . . . . . . . . . . . 110 17 . Fort/Da . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 7 Das Subjekt der Vaterllindischen Geslinge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 1. Vaterllindische Geslinge und Nachtgeslinge . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 2. Pindar: Vatertext und lyrisches Ich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 3. Der feste Buchstabe und die Deutung des Einen . . . . . . . . . . . . . 131 4. Der Dichter und sein Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 5. Das gezeitigte Subjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 6. Der Dichter in der Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 7. Geschichtliche Erkenntnis und poetische Prophetie . . . . . . . . . . . 155 8. Ahnung und Ahndung: Gesetz und Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 9. Die Ahnung der Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 10. Ahnung und Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 11. Rousseau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 12. Wie wenn am Feiertage... .. . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . .. . . . .. .. 180 13. Vollendetes: Der Rhein und Friedensfeier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 14. Fragmentierung: Die Dberarbeitungen von Patmos und Brod und Wein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 »zu sehen Ubten die Augen sich und zu lesen die Sylbe der Schriften, Manche sind von Menschen geschrieben. Die andem schrieb die Natur« (HOlderlin, StA II, 689/90) »in dem weiBen Schweigen, das den Beginn der Erdrunde ankilndigte, lemte er den immer anderen Bauplan der Maschine lesen, die er war aufhorte zu sein anders wieder war mit jedem Blick Griff Schritt, und daB er ihn dachte iinderte schrieb mit der Handschrift seiner Arbeiten und dem Tode« (Heiner MUller, Herakles 2) Vorwort Es gibt lesbare und unlesbare Schriften. Befremdlich scheint es, von einer uneBbaren Schrift zu sprechen. Es nimmt nichts vom Befremden, wenn man darauf hinweist, daB ein Zeitgenosse Holderlins eine Geschichte in der Tat so abschlieBt, daB er seinen Helden eine Schrift verschlingen laBt. Von diesem Michael Kohlhaas heiBt es ja, er sei einer der entsetzlichsten Men schen seiner Zeit gewesen. Das Befremden konnte zum Entsetzen werden, liest man, was hier als Dberschrift und Haupt-Titel dem Text vorangeht, im Text, in den HOlderlin es eingeschrieben hat: und des Taufers Sein Haupt stlirzt und das goldene, lag uneBbarer und unverwelklicher Schrift gleich Sichtbar auf trokener Schlissel. (StA II, 185) Die Rede ist also vom abgeschlagenen Haupt des Johannes des Taufers in der letzten Bearbeitungsphase des Patmos-Gedichts. Mag sein, daB das abgeschlagene Haupt des franzosischen Konigs, an dem die revolutionaren Geister in Deutschland sich schieden, mit eingeschrieben ist in diese Schrift. Bliebe das Gleichnis, wie noch in der friiheren Bearbeitung, bei der unver welklichen Schrift, ware es leichter lesbar, wohl auch genieBbarer als Gleich nis des lebendigen, unverwelklichen Geistes im toten Buchstaben der Schrift. Man konnte dann behaglich nach altem Brauch HOlderlin weiter zitieren: »Was bleibet aber, stiften die Dichter« (StA II, 189). Was bleibet aber? Die Schriften der Dichter, wenn die Umstande der Dberlieferung ihnen gUnstig sind. Aber das meint HOlderlin doch nicht, hore ich sagen; was er meint, ist doch der Sinnjenseits der Schrift. Wenn das es ist, was die Dichter stiften, haben sie ein zweifelhaftes Gut hinterlassen. Denn der Sinn scheint gerade, was fehlt, zumindest, was nicht einfach da ist. Es gabe sonst nicht so viele Schriften Uber die Dichter und Uber HOlderlin im besonderen. Und jede meint, den Sinn zu fassen, den die anderen nicht zu fassen kriegten. Und dem soll also eine neue Schrift hinzugefiigt werden? Es ware unredlich, behaupten zu wollen, die folgenden Seiten hatten kei nen Teil am Haschen nach Sinn. Die Versuchung dazu, die Suche danach laBt sich nicht verleugnen. Und <loch ist die Hauptfrage anders gerichtet. Nicht: was ist der Sinn? sondern: wie konstituiert Sinn sich im Schreiben und Lesen? Und auch: was fallt dabei ab? Was entzieht sich oder bleibt Ubrig als uneBbarer, unintegrierbarer Rest? Nicht Interpretation steht also im Vor dergrund, sondern die Frage nach dem, was zur Interpretation treibt, sie 2 Vorwort ermoglicht und sich ihr entzieht. Dies freilich impliziert selbst wieder Inter pretation. Es ist der hermeneutische Zirkel auf einem anderen Schauplatz. Schon die Wahl der Schriften, an denen die Arbeit des Sinns und Nicht Sinns nachgezeichnet wird, setzt Sinn-Arbeit und Interpretation voraus; die se aber wiederum eine historische Konstellation, in der gerade diese Lektiire dieser Texte einem lesenden und schreibenden Subjekt sich aufdrangt. So mochte das erste einleitende Kapitel mehr als eine personliche Hom mage an einen Literaturkritiker und Lehrer der Literaturwissenschaft sein, von dem ich gewissermaBen lesen gelernt habe. So sehr in mancher Hinsicht die folgenden Kapitel von der Schreibweise Peter Szondis sich entfernen und andere Schriften sich einmischen, hat Szondi doch die Konstellation vorge zeichnet, in der und aus der ein Weiterschreiben dieser Art erst moglich wurde. DaB er in einer Zeit - und es ist offenbar in der deutschen Literatur wissenschaft weithin noch dieselbe Zeit -, wo Geschichte und Textimma nenz feindlich einander entgegengestellt wurden, darauf bestand, daB Geschichtlichkeit und genaueste Lektiire, ja Versenktsein in den Text, einan der unverbriichlich, wenn auch konfliktgeladen, bedingen, und daB er Modelle solcher Lektiire vorgestellt hat, gibt ihm seine unvergleichliche Stel lung in der deutschsprachigen Literaturwissenschaft. Dem mochte auch die vorliegende Holderlinlektiire folgen. Indem sie folgt, wiederholt sie nicht einfach ein Lektiiremodell, sondern schreibt es in anderen Konstellationen weiter. Der Dbergang zu den Texten HOlderlins ist nicht einfach einer von Sekun dar- zur Primarliteratur. Es ist eine Dichtung, die die Hierarchie von Pri mar- und Sekundartext in dem MaBe in Frage stellt, als sie sich selbst als Interpretation und Pflege bestehender Buchstaben und Schriften versteht, und dies auf eine Weise, die den >Orginaltext< (die von Menschen und der Natur geschriebene Schrift der Geschichte), je mehr sie sich ihm zu nahern versucht, desto mehr verriickt. Gleichzeitig inszeniert und thematisiert diese Dichtung die Arbeit des Sinns als Arbeit des Subjekts in der Geschichte, aber auch als Arbeit des Textes im Subjekt. Diese Arbeit ist gepragt von Gewalt, schliigt Wunden, hinterlaBt Narben. Das goldene Haupt, das der unverwelklichen Schrift gleicht, ist ein Abge schlagenes, das Gold Blutspur der Geschichte. Nicht anders das symbolische Gold der Kunst: auch es zeigt die Blutspur des Verlustes an. An der Stelle, wo das Wiinschen »verblutet ist«, duftet die Lilie »Golden Uber dem Bach uns auf« (Der Abschied, StA II, 27). Auch wo die Enthauptung unblutig als Metonymie sich verschleiert wie in Brod und Wein, wo das »sinnige Haupt« Gewinn und Verlust wagt, werden die Wunden der Negation lesbar auf eine Weise, die auch die Dialektik prekar erscheinen lassen. Im Schnittpunkt dieser Gewalt steht und fallt das Subjekt, Wunden schla gend und Wunden empfangend. Am meisten das, welches der Arbeit der Geschichte sich aussetzt, auch im scheinbar »unschuldigen« Geschaft der Dichtung als Subjekt »vaterlandischer Gesange«. Am Ende steht die buch- Vorwort 3 stabliche Ki:lpfung des eigenen Namens, die Roman Jakobson ingenii:ls an der Signatur von Scardanelli aufgedeckt hat (vgl. S. 149). Wozu das alles? Nur um das Gold abzukratzen und die blutigen Wunden der Schrift wie der Geschichte sichtbar zu machen? Das ware billige Arbeit. Es geht auch um das Gelungene und das Gliick, aber so, daB der Rest nicht vergessen wird. Vielleicht daB wir dann, im immer wieder neuen Durchar beiten, »den immer anderen Bauplan der Maschine«, die wir sind aufhi:lren zu sein und wieder sind, lesen lemen. Es gibt auch die Lust in der Arbeit. Und wenn hier von der uneBbaren Schrift die Rede ist, bleibt doch die Hoffnung, daB die folgende Schrift nicht ungenieBbar ist; daB das, was mit Lust geschrieben wurde, auch mit einiger Lust sich lesen laBt. Baltimore, im November 1982 R.N. 1. Kapitel Peter Szondi: Text, Geschichte und das kritische Subjekt Damm sucht der Gedanke Schutz bei Texten. Das ausgesparte Eigene entdeckt sich in ihnen. Aber sie sind nicht Eigenes: das in den Texten Entdeckte beweist nicht das Ausgesparte. (Adorno) Verlangt wird also eine Offenheit, eine Empfanglichkeit, die vom eigenen Ich absieht. (Szondi) Die im Gestus der negativen Dialektik Adomos konstatierte Verschreibung des Subjekts an den Text, von dem es schreibt, wird scheinbar von Szondi ihrer Dialektik entblOBt zum einfachen negativen Absehen »vom eigenen lch« (H, 290). [l] Jedoch der Satz, der sich als Motto zu Szondis hermeneu tischem Verfahren anzubieten scheint, spricht, so sehr er implizit das eigene Verfahren markiert, explizit von einem poetischen Text: vom fragmentari schen, unabschlieBbaren Ende eines Holderlin-Gedichtes (Wie wenn am Feiertage .. .). UnabschlieBbar ist dieser Text nach Szondi wegen der Inter vention <lessen, was bei Holderlin »der andere Pfeil« heiBt. Anders ist dieser Pfeil im Unterschied zu »Des Vaters Stral«, der sich in den Zeichen der Natur und Geschichte offenbart, und der - wiederum in HOlderlins Worten - von den Dichtem »ins Lied I Gehiillt« dem Volk gereicht werden soll. Um diese objektiven Zeichen auszulegen, im poetischen Text einzufassen, soll <las schreibende lch von sich absehen. Seine Intervention bringt den Text zum Scheitem. Die Obertragung dieser poetologischen Konstellation und Problematik auf die des kritischen Textes birgt freilich die Gefahr einer schlechten Psy chologisierung in sich. Anstatt sie nun aber einfach zur Seite zu schieben, treten wir in sie ein, in der Hoffnung, sie von innen aufzulOsen, indem wir bei dem be&innen, was in die Augen springt. Dementsprechend problema tisch sind die Kategorien, mit denen die Beschreibung der Texte beginnt. Zwei Qualitaten scheinen mir auffallend und merkwilrdig an Szondis kri tischem Verfahren: einerseits ein objektivierender, distanzierender Sprach gestus, der auf Genauigkeit, Nuancierung und Differenzierung besteht und damit verbunden eine beinahe pedantische Vermeidung alles Subjektiven, andererseits die spilrbare intensive Prasenz des schreibenden Subjekts in eben diesem Sprachgestus, der in jeder Wendung fast - wenn flir einmal ein groBes Wort erlaubt ist - das Ethos einer personlichen Berufung ausspricht. Von diesen zwei Seiten, die <loch auch als eine erscheinen, ist die erste

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