Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg J M OSEF ATUZ Süleyman der Prächtige (Soliman) Originalbeitrag erschienen in: Kurt Fassmann (Hrsg.) : Die Großen der Weltgeschichte. Zürich: Kindler, Bd 4 (1973), S. [961]-977 SÜLEYMAN I. DER PRÄCHTIGE (wegen der bedeutenden innenpolitischen Leistungen seiner Epoche auch »der Gesetzgebende« genannt, dessen Name in europäischen Quellen und in der historischen Literatur häufig entstellt als SOLIMAN wiedergegeben wird), zehnter Sultan des osmanischen Reichs, wurde um 1494 vermutlich in Trapezunt als Sohn des späteren Sultans Selim I. und dessen Frau Hafsa geboren. Bis zu seinem 15. Lebensjahr wurde er in Trapezunt erzogen, wo sein Vater als Provinzstatthalter residierte. 1509 wurde Süleyman zum Statthalter von Kaffa (heute Feodosija) und 1513 von Magnesia (heute Manisa) ernannt; nach dem Tod seines Vaters, der 1512 bis 1520 regiert hatte, bestieg er am 1. Oktober 1520 den Osmanenthron. Unter seiner Herrschaft wurde das Reich zur europäischen Großmacht und hat seine größte geographische Ausdehnung nahezu erreicht. 1521 wurde Belgrad erobert, 1522 fiel Rhodos. 1523 ernannte Süleyman seinen Günstling Ibrahim zum Großwesir, einen überaus fähigen Politiker, der — bis er 1536 in Ungnade fiel und hingerichtet wurde — die Geschicke des Reichs lenkte. Am 28. August 1526 gelang der Sieg über König Ludwig von Ungarn, 1529 wurde Wien erfolglos belagert. Nach dem Scheitern der Friedens- verhandlungen folgte 1532 ein neuer Feldzug gegen Österreich, Güns (Köszeg) wurde erobert und 1533 ein Waffenstillstand ausgehandelt. 1534 trat der Korsar Hayreddin Barbarossa als Admiral in osmanische Dienste. 1534-35 wurde ein Feldzug gegen Persien unternommen und Bagdad und vorübergehend auch Täbris erobert. 1536 wurde die erste »Kapitulation« mit Frank- reich geschlossen und 1540 gelang mit dem Sieg in der Seeschlacht bei Preveza dei entscheidende Schlag gegen Venedig, das seine Besitzungen in der Ägäis, auf der Peloponnes und in Dalmatien aufgeben mußte. 1541 begannen die Kämpfe in Ungarn von neuem; Süleymans Truppen nahmen die Hauptstadt Ofen ohne Widerstand ein; erst 1547 wurde wieder ein Waffenstillstand erreicht, während nun in Persien der Krieg ausbrach, der 1555 init dem Frieden von Amasya beendet werden konnte. Unterdessen waren seit 1551 wieder Kämpfe gegen Österreich im Gange, die sich zunächst bis 1562 hinzogen und 1566 erneut ausbrachen. Süleyman, der an dem Feldzug teilnahm, starb während der Belagerung von Szigetvär am 7. September 1566 eines natürlichen Todes. Josef Matuz SÜLEYMAN DER PRÄCHTIGE (SOLIMAN) »Alle Menschen sind sich darüber einig, daß ein sanftes Lamm einem wilden Löwen gefolgt ist.« Mit diesen Worten charakterisierte Paulus Joviusl-, ein zeitgenössischer Historiker, den jungen Sultan Süleyman I., im Gegensatz zu seinem Vater, Selim I., dem die Geschichts- schreibung später den Beinamen Yavuz, das heißt »der Gestrenge«, beifügte. 2 Das »sanfte Lamm« sollte bei allen späteren Historikern als eine der größten Sultansgestal- ten, wenn nicht gar als der bedeutendste der osmanischen Sultane gelten. Diese opinio com- munis wird nicht nur von den osmanischen Historiographen der späteren Jahrhunderte ver- kündet, die mit einer Nostalgie auf die — wie sie empfanden — glanzvolle Zeit Süleymans zu- rückblickten, sie wird auch von den modernen türkischen Historikern geteilt. Die modernen und modernsten europäischen Osmanisten akzeptierten diese Ansicht ebenfalls restlos. Stellvertretend für die anderen soll hier Hans Joachim Kißling, einer der leitenden deutschen Osmanisten, stehen, der Sultan Süleyman als »den größten aller Osmanenherrscher« bezeichnet. 3 Diese Einschätzung Süleymans ist nicht verwunderlich, wenn wir bedenken, daß das Reich der Osmanen gerade während der Herrschaftszeit dieses Sultans seinen höchsten Glanz und auch — im großen und ganzen — seine größte geographische Ausdehnung erreichte. Der Staatsapparat, einschließlich der Armee, war stark und funktionsfähig: größere Schlappen brauchten weder auf dem Gebiet der Außenpolitik noch der Innenpolitik eingesteckt zu werden. Auch das Wirtschaftsleben verlief damaligen Maßstäben entsprechend zufrieden- stellend. Nun stellt sich die Frage, welche Rolle die Persönlichkeit Süleymans dabei spielte, daß das Osmanenreich diese Blüte erreichen konnte, und was eigentlich anderen Faktoren zuzu- schreiben ist. Um Süleymans persönlichen Beitrag zu dieser Entwicklung besser herauszuar- beiten, erscheint es angebracht, einiges über den Staat der Osmanen um die Zeit seiner Thron- besteigung zu sagen. Schon damals war das Reich der osmanischen4Türken eines der größten Staatswesen auf der Erde. Es erstreckte sich von Armenien bis gegen Belgrad und von der ukrainischen Steppe — sie gehörte zum Herrschaftsbereich des Vasallenkhanats der Krim — bis zum fernen Ägypten. Auch hinsichtlich der Zahl der Bewohner stand das riesenhafte Land der Osmanen anderen volkreiaen Staaten keineswegs nach. 5 Das Wirtschaftsleben florierte. Die Grundlage der osmanischen Ökonomie bildete das präbendale Feudalsystem: der Boden, das Hauptproduktionsmittel, gehörte dem Staat, wurde aber größtenteils in kleineren oder größeren Stücken an Pfründeninhaber 6 zur Nutz- nießung übertragen, die dafür hauptsächlich Militärdienst zu leisten hatten. Die Lage der Bauern war im Vergleich mit ihren europäischen Schicksalsgenossen keineswegs nachteilig. Sie hatten fest umrissene Abgaben und Steuern an die Präbendare und an den Fiskus zu leisten. Auch die nichtmuslimischen Untertanen konnten sich kaum über ihr Schicksal be- 962 JOSEF MATUZ klagen : sie durften ihren Konfessionen anhängen und hatten lediglich als Ersatz für den Kriegsdienst, der nur den Muslimen zukam, eine zusätzliche, aber nicht erdrückende Steuer zu entrichten.7 Der Staat war stark zentralisiert. Bis auf die wenigen Vasallenstaaten, die über eine mehr oder weniger große innere Selbstbestimmung und über eine begrenzte außenpolitische Handlungsfreiheit verfügten8, war das Reich fast durchwegs nach einem einheitlichen Muster organisiert. Es war in ziemlich einheitliche Großprovinzen (Wilajet), Provinzen (San- dschak), Kadi-Bezirke und Finanzkreise eingeteilt. Auch die Ernennung der Staatsbeamten und religiösen Würdenträger — der zentralen sowie der örtlichen — oblag der Zentralver- waltung. Ebenso wurde die Verleihung von Pfründen, ausgenommen die kleinsten der Kleinpfründen8, im Osmanenstaat zentral geregelt. Oberflächlich informierte und voreingenommene Europäer meinen häufig, der Osmanen- staat sei eigentlich eine große barbarische Horde gewesen, in dem die Untertanen der grau- samen und zügellosen Willkür der Oberschicht ausgeliefert waren. Dem war nicht so : die rechtsstaatlichen Normen standen im Osmanenreich zur uns interessierenden Zeit viel höher als in einem beliebigen anderen Staat Europas. Es existierte eine feste gesetzliche Ordnung", deren Einhaltung die Pflicht aller — auch des Sultans — war. Die Staatsspitze war schon im eigenen Interesse bestrebt, den Untertanen, die die Produktion betrieben und damit letzten Endes die Hauptquelle von Macht und Blüte des Osmanenreichs darstellten, erträgliche Arbeits- und Lebensverhältnisse zu schaffen, und dies nicht nur durch die Regelung ihrer Abgabepflichten ; um sie vor den möglichen Übergriffen der örtlichen Machthaber zu schützen, wurde ihnen ein uneingeschränktes Beschwerderecht zugebilligt. Jeder Untertan konnte sich, wenn er seine Rechte verletzt fühlte, mit seinem Anliegen unmittelbar an den Reichs- rat, den »Großherrlichen Diwan«, wenden. An der Spitze des Staates stand der Sultan, oder wie er von den Europäern meistens genannt wurde, der »Großherr«. In der Zeit Süleymans verkörperte er den Staat nicht nur in ab- straktem Sinn, wie etwa später, als bereits der Verfall einsetzte und die tatsächliche Macht in den Händen sich ständig ablösender Persönlichkeiten oder Gruppierungen lag." Der Sultan behielt sich die letzten Entscheidungen vor, wie etwa Kriegserklärungen, Friedens- schlüsse, Ernennung und Absetzung der höchsten Würdenträger. Er unterlag dabei keines- wegs der Kontrolle anderer Institutionen, der »Großherrliche Diwan« hatte lediglich be- ratende Funktionen. Der Großwesir, der die Politik des Reichs bestimmte, mußte dies im Rahmen der vom Sultan gesteckten Direktiven tun. So war der Sultan in seiner Machtent- faltung viel uneingeschränkter als die konstitutionellen Monarchen moderner Zeiten. Und da er neben seinen politischen Kompetenzen auch über das Hauptproduktionsmittel, den Boden, verfügte, kann seine Machtfülle als despotisch bezeichnet werden, wobei es nicht angebracht wäre, diese Bezeichnung in pejorativem Sinn zu verstehen. Doch immerhin übte der Sultan seine Macht erheblich uneingeschränkter aus als die absoluten Herrscher Europas. Bedenkt man, daß sich der Staat der Osmanen in den zweieinhalb Jahrhunderten von seiner Gründung bis zur Herrschaftszeit Selims I. aus einem wenige Quadratkilometer umfassen- den »Mini«-Fürstentum zu einem Weltreich entwickelte, das sich auf drei Erdteile erstreckte, so fällt als erstes die ungeheure Expansivität dieses Staatswesens auf. Es wäre irrig, dies lediglich den Normen des islamischen Religionsgesetzes zuzuschreiben, wonach die Völker des Islams gehalten waren, die nichtmuslimischen Gebiete in islamisches Land umzuwan- »Süleyman der Prächtige«, Miniatur im Schemail-name (Das Buch der Eigenschaften). Topkapi Sarayi, Istanbul. H. 1563. »Süleyman der Prächtige«, »Süleyman empfängt eine ungarische Gesandtschaft«, Miniatur im Nigäri. Miniatur im Nüzhet ül-achbär de sefer-i Sigetvär des Topkapi Sarayi, Istanbul. Feridün Ahmed. Topkapi Sarayi, Istanbul. H. 1339, fol. 16 v. »Süleyman empfängt den Admiral Hayreddin Barbarossa«, »Überführung der Leiche Süleymans nach Istanbul, Miniatur von Ahi b. Emir Beg Schirväni zum anonymen unterwegs in Belgrad«, Miniatur im Hüner-name des Süleyman-name. Topkapi Sarayi, Istanbul. H. 1517. Seyyid Loqman. Topkapi Sarayi, Istanbul. H. 1524. 965 SÜLEYMAN DER PRÄCHTIGE (SOLIMAN) dein. Zu Kriegszügen war der Osmanenstaat wohl vor allem deshalb geneigt, weil die Pro- duktion der eigenen Untertanen nicht ausreichte, neben den Präbendaren und der Büro- kratie auch die riesige Berufsarmee angemessen zu versorgen. Es wäre töricht anzunehmen, daß das Leben im Osmanischen Reich zur Blütezeit in einer idyllischen Friedlichkeit und in ungetrübtem Einvernehmen der verschiedenen Schichten verlief, Unzufriedenheit sowie Revolten also erst für die Zeit des Verfalls charakteristisch ge- wesen wären. Neben den üblichen Thronstreitigkeiten, die bei Ableben eines Sultans von seinen Söhnen untereinander ausgetragen wurden und meistens die Ermordung der Unter- legenen und ihrer Nachkommenschaft durch den neuen Sultan mit sich führten, gab es wie- derholt Janitscharenrevolten, die ausbrachen, wenn etwa den Janitscharen eine Entscheidung des Sultans mißfiel, oder wenn sie von einem neuen Sultan einfach ein Thronbesteigungsge- schenk erpressen wollten.12 Viel gefährlicher waren jedoch die Häretikerbewegungen, da sie breite Volksmassen er- faßten, die in der Produktion tätig waren, wodurch die Versorgung der oberen Schichten gefährdet wurde. In den Vorstellungen dieser häretischen Bewegungen mischten sich — ähn- lich den mittelalterlichen und frühneuzeitlichen europäischen Bauernunruhen — religiöse mit verschwommenen sozialrevolutionären Vorstellungen. Sie scheinen mir allerdings immer erst dann zum Ausbruch gekommen zu sein, wenn sich die soziale Lage der unteren Gesell- schaftsschichten irgendwie verschlechtert hatte. Besonders prekär für den Osmanenstaat wurde die Lage, als sich die Häretiker auf die Person des schiitischen Safawidenherrschers, Ismail I., ausrichteten, der 1501-24 in Persien herrschte. 13 Damals bestand die Gefahr, daß Mittel- und Ost-Kleinasien an Persien verlorengingen, aber der Militärmacht des osmani- schen Staates fiel es nicht schwer, die schlecht bewaffneten und organisierten Aufstände nie- derzuschlagen; auch der Safawidenschah konnte von Selim I. 1514 in der Schlacht von Tschaldyran (nordöstlich vom Van-See) in seine Grenzen gewiesen werden. Damit war die Häresie in Anatolien jedoch nicht endgültig gebannt; sie glühte fortan unter der Oberfläche weiter. So lagen die Dinge im Osmanischen Reich, als Süleyman 1520 mit sechsundzwanzig Jahren den Thron bestieg. Schon als Prinz hatte man ihn auf das schwierige Amt eines Sultans an- gemessen vorbereitet; wie seine Väter bekam er schon als Halbwüchsiger eine Sandschak- Statthalterschaft, um die Kunst des Regierens in der Praxis zu erlernen. Noch während der Herrschaftszeit seines Großvaters, Bayezid 11• 14, erhielt er den Sandschak von Kaffa.15 Nachdem Selim den Thron für sich erworben hatte, wurde Süleyman die Statthalterschaft von Magnesia (heute Manisa) zugewiesen, die er bis zum Tod des Vaters behielt. Als Statthalter lernte Süleyman nicht nur die Grundlagen der praktischen Regierungskunst, er wurde durch ausgedehnte Jagden — die Manöver der damaligen Zeiten — sowie durch die Leitung der Verteidigung europäischer Besitzungen des Osmanenstaats während der asia- tischen Kriegszüge des Vaters auch mit den Aufgaben eines Feldherrn vertraut gemacht. Natürlich lernte Süleyman noch vor seiner Bestellung zum Statthalter von Kaffa schreiben, die Grundlagen der islamischen Religion und genoß eine Einführung in die höhere Bildung der Zeit. Nach übereinstimmender Meinung der Quellen war er — im Gegensatz zu seinem jähzornigen und brutalen Vater — großmütig, bedacht und gerecht, was ihn allerdings nicht daran hinderte, die als solche erkannten Interessen des Staates, dem er als Sultan vorstehen sollte, und die der Religionsgemeinschaft der sunnitischen Muslime, die er als Kalif" leitete, mit rücksichtsloser Gewalt durchzusetzen, worauf ich noch zurückkommen möchte. 966 JOSEF MATUZ Der junge, brüderlose und deshalb ohne mörderische Machtkämpfe auf den Thron gelangte Sultan sah sich vor die gleichen Aufgaben gestellt, die schon seine Väter zu bewältigen hatten. Nach außen hin sollte er den Geltungsbereich des Osmanenstaates weiter ausdehnen und das bereits Erworbene diplomatisch oder mit Waffengewalt sichern. Im Innern des Reichs stand er vor der Aufgabe, die bestehenden Herrschaftsstrukturen zu perpetuieren, ihre Funktionsfähigkeit zu gewährleisten und wenn möglich zu verbessern, sowie gegen jegliche Gefährdung dieser Verhältnisse vorzugehen. Was die auswärtige Politik unter Süleyman betrifft, so richtete sich die Hauptrichtung der Expansion nun wieder gegen die »Giauren« in Europa, nachdem die Eroberungspolitik seines Vaters Selim vornehmlich auf muslimische Territorien — Syrien, Ägypten und das safawidische Persien — gezielt hatte. Der erste Schlag traf die Festung Belgrad, die den Vor- marsch ins Herz Ungarns und weiter nach Wien blockierte. Was dem Urgroßvater Süley- mans, dem Eroberer Konstantinopels, Mehmed II.", nicht gelungen war, erreichte die Armee des jungen Sultans — allerdings unter günstigeren Voraussetzungen. Zur Zeit Meh- meds II. besaß das Land, das zwar schon eine bedeutende Lokalmacht war, noch nicht die Ressourcen eines osmanischen Weltreichs. Und Süleyman hatte es auch nicht mehr mit der spätmittelalterlichen ungarischen Großmacht zu tun, sondern mit einem von feudaler Zersplitterung und dem furchterregenden Bauernaufstand des Georg Dözsam geschwächten Land mittlerer Größe. Belgrad war 1521 in die Hände der Türken gefallen ; im darauffolgenden Jahr kam Rhodos an die Reihe. Den Osmanen mußte die Insel, die von ihren Herren, den Johannitern, zu einer vorgeschobenen Bastion des christlichen Europa ausgebaut worden war, als »eine vorgehal- tene Pistole« erscheinen. Mit ihrer Eroberung war die osmanische Hegemonie im östlichen 19 Mittelmeer abgesichert. Nach diesem Erfolg ruhten — wenigstens nach außen hin — die Waffen vier volle Jahre, denn in dieser Zeit mußte sich die Abwehrkraft des Staates gegen innere Auflösungserscheinungen wenden. Syrien und Ägypten, vor nicht ganz einem Jahrzehnt dem Osmanenreich einverleibt und noch kaum integriert, versuchten sich nach und nach von der osmanischen Herrschaft zu befreien. Erst nach der »Pazifikation« dieser Gebiete konnte wieder daran gedacht werden, den Gegnern im Nordwesten des Reichs einen folgenschweren Schlag zu versetzen: Ungarn als unabhängiges Staatswesen verschwindet 1526, nach der Schlacht bei Mohäcs, für Jahr- hunderte von der Landkarte. Neben der schon angedeuteten inneren Schwächung dieses Landes trug auch die antiquierte Heeresorganisation erheblich dazu bei, und vor allem, daß es dem König, Ludwig 11• , nicht gelungen war, auswärtige Hilfe herbeizuschaffen; sein 20 Schwager, Karl V., war eben in eine Auseinandersetzung mit der antihabsburgischen Koalition verwickelt, der Liga von Cognac. Nach Mohäcs wurde Ungarn zweigeteilt. Der 21 Westteil gehörte nunmehr König Ferdinand I. von Österreich, dem Bruder Karls V.; der östliche Teil einem ebenfalls zum König gewählten ungarischen Magnaten, Johann Zäpolya, der die osmanische Suzerenität anerkannte. So wurde das Land türkisches Aufmarschge- 22 biet gegen die Habsburger, auch wenn dieser Aufmarsch nicht sofort erfolgte. Erst 1529 fühlten sich die Osmanen stark genug, einen Großangriff gegen Wien vorzutra- gen, dem aus militärischen Gründen jedoch kein Erfolg beschieden war. Aber auch die Habsburger waren nicht stark genug, sich des gesamten Ungarns zu bemächtigen. Dies alles ist für unsere Betrachtungen insofern wichtig, da sich angesichts des Gleichgewichts der Kräfte eine diplomatische Lösung anbot. Die Verhandlungen, die daraufhin zwischen den SÜLEYMAN DER PRÄCHTIGE (SOLIMAN) 967 Habsburgern und der Osmanischen Pforte ausgetragen wurden, scheiterten zwar, erlangten jedoch eine eminente Wichtigkeit für die künftige Behandlung des Osmanenstaats durch die europäischen Mächte. Denn während dieser Verhandlungen, die osmanischerseits vom Großwesir Ibrahim geführt werden, müssen die Habsburger erkennen, daß sie keinem Bar- barenhaufen, sondern einer durchaus ebenbürtigen Macht gegenüberstehen. Ibrahim, der Günstling Süleymans, vom niedereren Höfling in die höchste Würde des Rei- ches erhoben, war nicht nur ehrgeizig, sondern intelligent und vielseitig gebildet. Der ge- 23 bürtige Grieche, der sich in mehreren Sprachen verständigen konnte und musikalisch wie dichterisch begabt war, beherrschte auch die Kunst der Diplomatie ausgezeichnet und wußte über die europäischen zwischenstaatlichen Beziehungen bis in die feinsten Einzelheiten Be- scheid. Nur nebenher soll bemerkt werden, daß der Sultan beim Empfang von Diplomaten — nicht nur den österreichischen — eine solche Prachtfülle zu entfalten pflegte, daß dies nahezu legendär wurde. Zweifellos war das nicht so sehr auf den persönlichen Hang des Sultans zum Prunk zurückzuführen, als vielmehr auf den Wunsch, seine und seines Staates Macht nach außen hin gebührend zu demonstrieren. Dieser Glanz und Prunk sowie die erlesene Be- kleidung des hochgewachsenen Sultans und seiner Höflinge sind der Anlaß, daß er in der europäischen Geschichtsschreibung in der Regel »der Prächtige« genannt wird. Als die Verhandlungen 1532 scheiterten, loderte der Krieg gegen Österreich wieder auf, brachte jedoch nur geringfügige Erfolge ; einzig die Festung Güns (Köszeg) in Westungarn konnte zur Kapitulation gezwungen werden. Kurz darauf ist dann doch der Waffenstillstand mit Österreich geschlossen worden, um so mehr, da sich an den anderen Fronten beunruhi- gende Entwicklungen anbahnten. Karl V. hatte inzwischen den genuesischen Seehelden Andrea Doria in Sold genommen, dem es 1532 gelang, auf der Morea, der antiken Pelo- ponnes, Eroberungen zu 'machen. Um ihm wirksamen Widerstand zu leisten, wurde der 24 Freibeuterhäuptling Hayreddin Barbarossa in osmanischen Dienst genommen: aus einem Korsaren, der den Seeweg für die Europäer im Westbecken des Mittelmeeres unsicher ge- macht hatte, war so der Admiral der osmanischen Flotte geworden. Er brachte Algerien 25 unter osmanische Botmäßigkeit. Aber nun wurde auch die Lage an der Ostgrenze beunruhigend. Nicht nur, weil seit 1526, als der Krieg mit Ungarn ausgetragen wurde, in Anatolien wiederholt Revolten verschiedener Größe der »Häretiker« aufgeflammt waren, sondern weil jetzt auch die Provinz Bitlis in Ost- anatolien an die Safawiden abfiel. Dem Großwesir Ibrahim gelang es zwar 1534, Täbris, 26 die damalige Hauptstadt Persiens, zu besetzen, doch konnte die Stadt nicht endgültig ge- halten werden. Neue osmanische Truppen, vom Sultan persönlich befehligt, nahmen hinge- gen den Safawiden den Irak mit der Hauptstadt Bagdad ab. Damals kam es auch zum Abschluß des ersten türkischen Freundschaftsvertrags mit Frankreich. Mit diesem Vertrag, in der europäischen historischen Literatur gewöhnlich Kapitulation" bezeichnet, verbündeten sich die beiden so verschiedenen Gegner der Habs- burger, ein Umstand, der die Beziehungen beider Mächte auch in den nächsten Jahrhunder- ten bestimmen sollte und nicht zuletzt dem französischen Handel mit dem Vorderen Orient zugute kam. Durch die Kapitulation wurde die Anerkennung des Osmanischen Reichs als europäische Macht endgültig vollzogen; der Abschluß des Vertrags mit Frankreich war die Krönung, aber auch das Ende der diplomatischen Laufbahn des Großwesirs Ibrahim. Denn der Sultan geriet inzwischen ganz unter den Einfluß seiner neuen Frau, Hurrem Sultan, die von den 968 JOSEF MATUZ Europäern wegen ihrer möglicherweise ostslawischen Abstammung Roxelane genannt wurde. Sie war gegen die Freundschaft, die Ibrahim mit dem Sultan verband, gegen seinen 28 Einfluß auf den Großherrn und seine ungemeine Machtfülle. Auf ihre Einflüsterung hin wurde der hochbegabte Politiker, der intime Freund des Sultans, der mit ihm täglich meh- rere Stunden verbracht und oft sein Nachtlager geteilt hatte, kurzerhand liquidiert. Das Expansionsstreben, das die osmanische Außenpolitik bestimmte, suchte indessen weitere Ziele. 1538 wurde der Jemen durch ein Flottenunternehmen erobert ; eine Expedition nach Indien, die sich gegen die Portugiesen richtete, brachte allerdings kein nachhaltiges Resultat, wie schon 1537 ein Überfall auf Süditalien. Aber drei Jahre später erlitt die Flotte Venedigs eine entscheidende Niederlage; es war zum Krieg gekommen, weil die Markusrepublik nicht durch die Franzosen von der ersten Stelle im Levantehandel verdrängt werden wollte. Durch den Friedensschluß verlor Venedig die Besitzungen auf der Peloponnes, in Dalmatien und auf den Ägäischen Inseln, dafür wurden ihm allerdings Handelsprivilegien zugestanden, die sich im wesentlichen an den Bestimmungen der Kapitulation mit Frankreich orientierten. Als Ferdinand von Habsburg nach dem Tod des Gegenkönigs Johann Zäpolya'anz Ungarn in Besitz nehmen wollte, nahmen die osmanischen Truppen den Kampf gegen die Habsbur- ger wieder auf. Ofen, die Hauptstadt Ungarns, wurde samt dem mittleren Teil des Donau- landes 1541 kurzerhand annektiert. Die Kämpfe ziehen sich bis 1547 hin — dann müssen sie 29 ein Ende finden, weil die Feindseligkeiten mit Persien wieder aufflammen. Im Frieden von Amasya (1555) wird Aserbeidschan an die Safawiden zurückgegeben, der Irak jedoch bleibt den Osmanen. Zur gleichen Zeit vollendet die osmanische Flotte unter dem Komman- do von Torgut ° die Eroberung der Barbareskenstaaten, also des Küstengebiets von Nord- 3 west-Afrika. - Damit war im wesentlichen der geographische Rahmen des Osmanenreiches 31 abgesteckt, wie er bis zum 19. Jahrhundert bestehen sollte. Süleymans letzter Feldzug, gegen den neuen Habsburgerherrscher, Kaiser Maximilian II., gerichtet, brachte lediglich die Er- oberung der starken Festung Szigetvär in Südwest-Ungarn. Dem Sultan war es nicht ver- 32 gönnt, diesen Triumph zu genießen, denn er starb drei Tage vor dem Fall der Burg. Sein Tod wurde vom damaligen Großwesir, Mehmed Sokollu, verheimlicht, damit die Truppen, die den schon seit nahezu einem halben Jahrhundert herrschenden Sultan abgöttisch ver- ehrten, die Belagerung nicht vorzeitig abbrächen. Das bedeutendste innenpolitische Ereignis, das die Regierungsjahre Süleymans kennzeichnet, ist die ausgedehnte gesetzgeberische Tätigkeit; in der türkischen Historiographie trägt Süleyman deshalb den schmückenden Beinamen Kanuni, »der Gesetzgebende«. Das große Gesetzbuch, das seinen Namen trägt, befaßt sich vor allem mit dem Landrecht, dem Finanz- recht und dem fiskalischen Recht, während die Bestimmungen über die Organisation der Zentralverwaltung und das Strafrecht im großen und ganzen schon im Gesetzbuch Meh- meds II. geregelt waren. Zugleich — und das halte ich für noch wichtiger — wurde auch das örtliche Gewohnheitsrecht, vor allem in Hinblick auf die Abgabeverpflichtungen, im Rah- men der Steuerkonskriptionen kodifiziert. Ein großangelegtes Kanalbau-Projekt sollte die Wasserversorgung der Hauptstadt gewährleisten. Die Errichtung zahlreicher religiöser Bauten — unter ihnen die großartige Süleymaniye-Moschee — bedarf hier keiner eingehende- ren Erörterung. Das tragische Ende des Großwesirs Ibrahim, der an vielen Reformen und Planungen maß- geblich beteiligt war, wurde bereits erwähnt. Die Hinrichtung eines zweiten Großwesirs, des
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