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Religion und Moral: Entkoppelt oder Verknüpft? PDF

234 Pages·2001·5.59 MB·German
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Religion und Moral Veröffentlichungen der Sektion "Religionssoziologie" der Deutschen Gesellschaft für Soziologie Band 6 Gert Pickel/Michael Krüggeler (Hrsg.) Religion und Moral Entkoppelt oder Verknüpft? Leske + Budrich, Opladen 2001 Gedruckt auf säurefreiem und altersbeständigem Papier. Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ein Tite1datensatz für die Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich ISBN 978-3-8100-3163-1 ISBN 978-3-322-94944-8 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-94944-8 © 2001 Leske + Budrich, Opladen Das Werk einschließlich aUer seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikro verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Inhalt Michael Krüggeler/Gert Pickel Einleitung - Religion und Moral......................................................... 7 Theoretische Implikationen Armin Nassehi Religion und Moral. Zur Säkularisierung der Moral und der Moralisierung der Religion in der modemen Gesellschaft................. 21 Gertrud Nunner-Winkler Metaphysische Liaison zwischen Religion und Moral? Ein Kommentar zu Armin Nassehi...................................................... 39 Christoph Lienkamp Religion und Moral-Zur Möglichkeit eines Rekurses auf Unbedingtheit bei N. Luhmann, J. Derrida und B. Waldenfels ........... 51 Hartmann Tyrell Polemogene Moral: Religionssoziologische Anmerkungen zu Gut und Böse................................................................ ...................... 65 Empirische Befunde Gert Pickel Moralische Vorstellungen und seine religiöse Fundierung im europäischen Vergleich................................................. ................ 105 6 Peter Voll Integration durch Differenz -Religion, Werte und Lebensstile in der Schweiz ................................................................. 135 Katharina Liebsch Moralische Distinktion. Zur theoretischen Konzeptualisierung einer religiös begründeten Moralisierung . .... ...... ....... ......................... 169 Michael Krüggeler/Markus Büker/Alfred Dubachl Walter Eigel/Thomas Englberger/Susanne Friemel Solidarität und Religion - Solidaritätsgruppen in der Deutschschweiz .................. ......................................................... 189 Roswitha PiochiKlaus Hartmann Gerechtigkeit und Religion in Deutschland und den Niederlanden....................................................................................... 213 Autorenverzeichnis............. ................. ...... .................................... ..... 231 Einleitung - Religion und Moral Michael Krüggeler/ Gert Pickel "Werte sind ... gefährlich." Hans Saner1 1. Einleitende Worte zum Thema Der jüdische LiteraturwissenschaftIer George Steiner vertritt in seinen Le bens-Erinnerungen die These, dass der in der Geschichte Europas virulente Antisemitismus auf die israelitische Erfindung eines Gottes zurückgeht, der gerade aufgrund seiner Unsichtbarkeit eine strenge Observanz der von ihm erlassenen Moral verfolgen kann: "Für Mose brennen Gottes Gegenwart und sein Gebot, weIche identisch sind, aus dem Busch heraus. Die einzige Selbst enthüllung ist die einer Tautologie (die für sich selbst eine geschlossene Fi gur ist): es ist das 'Ich Bin/Ich Bin' aus Ex 3,14. Paradoxerweise ist jedoch der Abstand zu einem bildlosen, undenkbaren, unsagbaren Gott auch der einer unerträglichen Nähe. Ungesehen sieht Er alles, Er züchtigt bis ins dritte Glied und darüber hinaus. Kann es ein strengeres Oberservieren, eine stren gere Observanz geben, eine, die den animistischen, ikonischen, pluralisti schen Impulsen der menschlichen Natur, den tröstenden Formen, in denen wir die Geschichten unseres Seins erzählen, fremder wäre? Die moralischen Gebote, die aus dem sinaitischen und prophetischen Monotheismus hervor gehen, kennen keine Kompromisse" (Steiner 1999: 79f.). Wir finden nach Steiners Interpretation - und diese ließe sich religionsgeschichtlich durchaus verifizieren - im jüdischen Monotheismus also die denkbar engste Verb in- In einem Interview mit der Zeitschrift "Aufbruch. Zeitung fiir Religion und Gesellschaft" (Nummer 101, Jahrgang 14, März 2001) bezieht sich der Basler Philosoph Hans Saner auf den "Wertefanatismus und Werteabsolutismus" des Nationalsozialismus und meint weiter bezüglich Werte: "In der Verabsolutierung produzieren sie Mythen und lähmen das kriti sche Denken." (SeiteI2) 8 Michael KrüggeleriGert Pickel dung von Religion und Moral in der Form nahezu einer Identität von Gott und Gebot, die ihrerseits im Dekalog eine differenzierte Einheit von kultisch religiösen und ethischen Gesetzen spiegelt. In der Tradition des jüdisch-christlichen Europa hat sich aber auch, Jahr tausende später, unter, wie der folgende Text des Philosophen Ottfried Höffe vermerkt, dem Einfluss ebenfalls der griechischen Antike, eine Loslösung der Moral aus jeglicher religiöser Fundierung entfaltet: "In modemen Gesell schaften - und der Blick auf Aristoteles zeigt, dass die Modeme gewisserma ßen schon in der Antike beginnt - verlieren beide Instanzen, Tradition und Religion, an legitimatorischer Kraft. So gut wie jede Bedeutung verlieren sie zwar nur in Staaten mit aggressiver Intoleranz, unter freiheitlichen Rahmen bedingungen behalten sie hingegen in teils abgeschwächter, teils veränderter ('säkularisierter') Form ein Gewicht. Gemäss der ersten Maxime der Aufklä rung, jener Maxime, der auch Kritiker der Aufklärung kaum ihre Zustim mung versagen, dem Selberdenken, will aber jeder die Legitimation für sich nachvollziehen können, und zwar unabhängig davon, ob er sich zum Chris tentum oder zum Judentum, zum Islam, zu einer anderen Religion oder aber dem Atheismus bekennt. Aus dieser Maxime resultiert unmittelbar kein sub stantieller, wohl aber ein legitimationstheoretischer Zerfall der beiden Instan zen. Selbst wenn die Inhalte ihr Gewicht behalten, haben sie es nicht, weil sie der Tradition oder der Religion entstammen, sondern weil man sie im Selbst denken als gültig anerkennt" (Höffe 1996: 16f.). Autonomie der Moral und der Ethik sind nicht nur Maximen der Aufklärung, sie stellen vielmehr auch eine Art common sense im sowohl alltäglichen wie im legitimatorisch reflexiven Umgang mit Moral in den modemen westlichen Gesellschaften dar. In der Perspektive vor allem der älteren Soziologie der Klassiker, für die auch in den Beiträgen dieses Buches als besonderer Exponent immer wieder Emile Durkheim zu stehen kommt, werden diese beiden Pole eines (Nicht-) Zusammenhangs von Religion und Moral in einer eher entwicklungsge schichtlichen Perspektive gewürdigt: Für vormoderne, traditionale Gesell schaften besteht die Annahme einer Integration durch den gleichursprüngli chen Zusammenhang von Religion und Moral (siehe Durkheim). Die auf die Gesellschaft bezogenen, von den Einzelnen zu befolgenden, Werte haben eine religiöse Grundlage und die wesentliche Form von Religion besteht darin, derartige Werte zu legitimieren. Religion repräsentiert die gesellschaft liche Ordnung und die Moral repräsentiert jene Werte, mit denen die Einzel nen in diese Ordnung eingegliedert werden. Demgegenüber steht das Bild der modemen Gesellschaft wesentlich als Verlust einer legitimationstheoretischen Grundlegung von Moral durch Reli gion: Wenn das Ganze der modemen Gesellschaft als eine Ausdifferenzie rung und Verselbständigung verschiedener Lebensbereiche diagnostiziert Einleitung 9 wird -und als deren Teilaspekt eine Loslösung der Moral von der Religion -, stellt sich die Frage nach einer formulierbaren Einheit dieses Ganzen vor dem Hintergrund des Eindrucks drohender Desintegration. Es wäre also nur allzu verständlich, wenn die soziologische Vorstellung unmittelbarer sozialer "Integration" einen ihrer Gründe findet im Eindruck der Krisenerfahrung der Soziologie im Blick auf die Modemisierung der Gesellschaft. Auch wenn es nach neueren Erkenntnissen zutreffend ist, dass es "keine funktionierende menschliche Gesellschaft ohne ein Ordnungssys tem" gibt (Neumann 1993: 11), wäre also die grundsätzliche Vorstellung einer religiösen Legitimierung der moralischen Durchsetzung dieses Ord nungssystems als eine Projektion aus der Modeme ins Traditionale - wobei diese Gegenüberstellung die Komplexität des sogenannten Traditionalen immer reduziert -zu werten. Formuliert man diese kritische Anmerkung positiv, dann erreicht man zugleich einen wichtigen Punkt des Konsenses der folgenden Beiträge: Der Zusammenhang von Religion und Moral ist nicht systematisch, von der je weils angezielten "Sache" her gegeben, die Verknüpfung von Religion ei nerseits und Moral andererseits muss vielmehr als historisch kontingent an gesehen werden. Und das bedeutet: Eine Verbindung von Religion und Moral ist grundsätzlich "auch heute noch" denkbar und möglich und sie war "frü her" keineswegs immer gegeben. 2. Zentrale Forschungsfragen Wenn die Einsicht in die historische Kontingenz der Verknüpfung von Reli gion und Moral einen Punkt des Konsenses der Beiträge zu diesem Buch darstellt, so sind im Folgenden aber einige weitere, untereinander ihrerseits zusammenhängende Fragen zu benennen, in denen sich die Beiträge voneinander mehr oder weniger deutlich unterscheiden. Die erste dieser Fragen betrifft das bereits angesprochene Thema der Integration von Gesellschaft oder von Gesellschaften: Braucht es zur sozialen Integration insbesondere der modemen Gesellschaft Moral oder gar die Ausbreitung einer in der Religion begründete Moral? Angesichts des religiösen Pluralismus in der modemen (Welt-) Gesell schaft wird man ein einigendes soziales Band von Religion und Moral nur mehr schwer benennen können. Allerdings bleibt hier die Möglichkeit der "Zivilreligion" offen: Also alles das definitorisch mit dem Begriff der Religi on zu belegen ist, was nach soziologischer Analyse die Funktion einer Integ ration der Gesellschaft erfüllt. Oder es bleibt die Suche nach dem allen 10 Michael KrüggeleriGert Pickel (Welt-)Religionen gemeinsamen nonnativen Minimum, ein Projekt, das unter dem Titel "Weltethos" (Hans Küng) seit einiger Zeit von sich reden macht. Wenn aber schon rur vergangene Gesellschaften eine durchgehende Ein heit von Moral und Religion sich als fraglich erweist, um wie viel mehr wäre dann mit der Möglichkeit zu rechnen, dass es -angesichts der Verselbständi gung sämtlicher Lebensbereiche - geradezu als Ausweis der Modernität der modernen Gesellschaft gelten kann, dass diese Gesellschaft auf nonnative Mechanismen für eine Integration verzichten kann. Das heißt nicht, dass Moral und/oder Religion verschwunden wären, vielmehr wären ihre gegen wärtigen sozialen Funktionen und Leistungen im einzelnen zu benennen. Und zu benennen wären auch die alternativen - vennutlich strukturellen - Mecha nismen der Ordnungsstabilisierung, welche es der modernen Gesellschaft ennöglichen, gerade im Bereich von Kultur, Religion und Moral einen im mensen Pluralismus zu produzieren und - ohne desintegrative Konsequen zen?! -zuzulassen und dessen Gestaltungsmöglichkeit in die Verantwortung der Individuen und/oder verkleinerter sozialmoralischer Milieus abzuschie ben. Eine zweite Frage betrifft die Begründungsfähigkeit der Moral und damit den Horizont der traditionellen Säkularisierungsthese: Muss und kann Moral immer in Religion begründet sein oder ist das moderne Projekt einer Auto nomie der Moral nach wie vor anschlussfiihig? Hier lassen sich zumindest drei Positionen gegenwärtiger Ethik - als Reflexion der Moral - namhaft machen. Die eine Position hält nach wie vor fest an der autonomen Begrün dung der Moral, die mit einer - wie immer vernünftigen und/oder wissen schaftlichen Begründungsdimension - ausgestattet werden kann und die vor allem im Alltag der modernen Gesellschaft so und nicht anders praktiziert werde. Eine andere Position sieht Religion und Moral zumindest insofern in beträchtlicher Nähe zueinander, als beide auf eine transzendente Begrün dungsdimension verwiesen seien, die als Unbedingtes sich in der Immanenz als fonnulierungsfahig erweisen muss. Davon zu unterscheiden wäre noch eine weitere Position, für die das Programm der Aufklärung sich als geschei tert darstellt, so dass jede Moral, um ihres Verpflichtungscharakters willen, sich in einer positiven - und in diesem Sinn kontextabhängigen - Religion begründen lassen muss. Schließlich stellt sich eine dritte Frage dahingehend, wie die Soziologie und andere interessierte Wissenschaften mit der Einschätzung umgehen, dass der moralische Code gutlschlecht nicht seinerseits als gut gelten muss. Mora len schaffen Konflikte. Der vennutbare "Clash of Civilizations" (Samuel P. Huntington) ist nur das weit ausgreifende Beispiel für den konfliktiven Cha rakter von Moral, der, wenn sich die Religion zur Moral gesellt, sich noch als steigerungsfahig erweisen kann. Besonders vor diesem Hintergrund dürfte

Description:
Religion wurde seit jeher als eine zentrale Begründung moralischer Prinzipien gehandelt. Im Rahmen der fortschreitenden Modernisierung scheint diese Verbindung brüchig zu werden. Empirisch sind nicht nur immer wieder eine (Re-) Modernisierung der Religion, sondern auch erneute religiöse Fundierun
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