Christine Lubkoll / Manuel Illi / Anna Hampel (Hg.) Politische Literatur Begriffe, Debatten, Aktualität ABHANDLUNGEN ZUR LITERATURWISSENSCHAFT Abhandlungen zur Literaturwissenschaft Christine Lubkoll / Manuel Illi / Anna Hampel (Hg.) Politische Literatur Begriffe, Debatten, Aktualität Mit 24 Abbildungen J. B. Metzler Verlag Die Herausgeber Christine Lubkoll ist Professorin für Neuere deutsche Literaturwissenschaft (mit historischem Schwerpunkt) an der Universität Erlangen-Nürnberg. Manuel Illi, Dr., war Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Neuere deutsche Literaturwissenschaft (mit historischem Schwerpunkt) der Universität Erlangen-Nürnberg und arbeitet seit Kurzem in der freien Wirtschaft. Anna Hampel arbeitet am Lehrstuhl für Neuere deutsche Literaturwissenschaft (mit historischem Schwerpunkt) der Universität Erlangen-Nürnberg. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-476-04772-4 ISBN 978-3-476-04773-1 (eBook) Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. J. B. Metzler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature www.metzlerverlag.de [email protected] Einbandgestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart Satz: Dörlemann Satz, Lemförde J. B. Metzler, Stuttgart © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature, 2018 Inhalt Christine Lubkoll, Manuel Illi, Anna Hampel Politische Literatur. Begriffe, Debatten, Aktualität. Einleitung . . . . . . . . . . . . . 1 1. Poetik und theoretische Reflexionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Frieder von Ammon Die andere ästhetische Erziehung. Der Zuchtspiegel für die politischen Vampyrs und die Entstehung einer ›reflektierten‹ politischen Dichtung . . . . 13 Harald Neumeyer Über die (Un-)Versöhnbarkeit von Poesie und Politik. Robert Eduard Prutz’ Die politische Poesie der Deutschen (1843) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Ingrid Gilcher-Holtey, Wolfgang Braungart Eingreifendes Denken: Bertolt Brecht in der DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Sandra Fluhrer Metamorphosen der Intensität. Oskar Negt und Alexander Kluge lesen Carl Schmitts Begriff des Politischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 Ivana Perica Politische Literatur und Politik der Literatur, Revolution und Evolution. Schnittstellen von politischer Theorie und kritischer Literatur- wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 Thomas Ernst Zensur – Skandal – Engagement – Subversion – Netzliteratur. Begriffe der politischen Literatur in der Netzwerkgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 2. Positionierungen im Feld des Politischen und Referenzbezüge . . . . . . . 129 Immanuel Nover »Ich kann jetzt noch nicht sagen, was ich thun will.« Zum Politischen des Handlungsaufschubs – mit einem Fokus auf Friedrich Schillers Wallenstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Peter Sprengel Berlin-Bilder nach der Märzrevolution. Cottas Morgenblatt und Kellers Lyrik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 VI Inhalt Urte Stobbe Politische Lesarten und Wertungsroutinen im Zusammenhang mit Adel. Fontanes Stechlin revisited . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Simela Delianidou Erich Kästners neusachlicher Roman Fabian. Die Geschichte eines Moralisten (1931) als ›(wirtschafts-)politische Literatur‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Paul Michael Lützeler Menschenrecht als Exilthema. Hermann Brochs Werk im Kontext . . . . . . . . 199 Doren Wohlleben Friedenspoetik. Perspektiven einer literaturwissenschaftlichen Friedens- forschung der Moderne am Beispiel von Hermann Brochs Vergil- Erzählungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Timo Sestu »Gegenwart, das ist das Vergangene«. Zum Verhältnis von Kunst und Politik in Peter Weiss’ Stücken Trotzki im Exil und Hölderlin sowie in der Ästhetik des Widerstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 Gerhard Fischer Zur politischen Ästhetik einer Holocaust-Literatur. W. G. Sebalds Prosabuch Austerlitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 Anna Seidel »Kapitulation ist alles und wir alle müssen kapitulieren«. Tocotronics Manifest zur Re-Politisierung in Pop II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 Christine Lubkoll Flucht und Vertreibung als Fokus politischer Reflexion. Neue Bestimmungen von ›Exilliteratur‹ in der Gegenwart (Ulrike Draesner, Jenny Erpenbeck, Abbas Khider) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 3. Ästhetische Verfahren und Schreibweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 Günter Oesterle Das Andersartige/Einzigartige literarischer Politik. Stille Nachhaltigkeit und taktvolle satirische Frechheit in der Romantik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 Kerstin Wilhelms Revolution als Szenario. Modelle des Politischen am Beispiel von Georg Büchners Dantons Tod (1835) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 Till Dembeck Expressionistische Lyrik als Kulturpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 Mareike Gronich ›Wahrnehmen statt Meinen‹. Zur politischen Dimension narrativer Strukturen am Beispiel von Wolfgang Koeppens Das Treibhaus . . . . . . . . . . . 367 Inhalt VII Dirk Niefanger Erzählen als Zumutung. Ein Unding der Liebe (1981) von Ludwig Fels . . . . . 385 Christine Abbt Sokratische oder restaurative Ironie? Zur unterschiedlichen politischen Absicht ironischer Varianten (am Beispiel von »Tristesse Royale« in Der gelbe Bleistift von Christian Kracht) . . . . . . . . . . . . . 401 Agnes Bidmon Streng vertraulich! Dokufiktionales Erzählen als Schreibweise des Politischen in der Literatur der Gegenwart anhand von Ilija Trojanows Macht und Widerstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 Anna Hampel Das Politische be-sprechen. Zur politischen Gegenwartsliteratur am Beispiel von Senthuran Varatharajahs Vor der Zunahme der Zeichen . . . . . . . 441 Maren Conrad Unmögliche Aktualitäten. Zur politischen Dimension der Warnutopie als Zukunftsvision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 Politische Literatur. Begriffe, Debatten, Aktualität 1 Politische Literatur. Begriffe, Debatten, Aktualität Einleitung Christine Lubkoll, Manuel Illi, Anna Hampel Noch bis vor wenigen Jahren wurde in der Wahrnehmung der Feuilletons die deutschsprachige Literatur seit den 1990er Jahren als weitgehend unpolitisch ein- geschätzt. So beklagte etwa Frank Schirrmacher in der FAZ vom 18. März 2011 »die völlige Entpolitisierung von Literatur und literarischem Leben« und meinte zugleich, »eine große Nachfrage nach einer neuen politischen Literatur in diesem Land« zu beobachten: »In den siebziger und achtziger Jahren war die Literatur, waren die Schriftsteller in hohem Maße politisch engagiert. Dann wurde das Engagement wohlfeil und starb ab. Nun bietet unsere Gegenwart Gründe zuhauf, um das Politische poetisch wiederzuge- winnen.«1 Demgegenüber polemisierte etwa Harald Martenstein in der ZEIT vom 3. November 2015 gegen jedwede nostalgische Heraufbeschwörung oder ein Remake der politi- schen Literatur: »Sie fragen nach der engagierten Literatur? Ob es die wieder in stärkerem Maße geben sollte? Da frage ich zurück: Wozu soll das gut sein? Was soll das bewirken? Vorbilder, nach denen andere Menschen sich in größerer Zahl eventuell richten, arbeiten heut- zutage fürs Fernsehen, fürs Kino oder im Musikbusiness. Wer engagierte Literatur schreibt, ist ein eitler Fratz, der sich überschätzt. Der will sich vor den Spiegel stellen, sich selbstverliebt übers Haar streichen und sagen: ›Schaut her, ein engagierter Autor. Je suis Sartre.‹«2 Dass diese Diagnose für die letzten Jahre nicht mehr zutreffend ist, zeigt sich an der Hochkonjunktur politischer Inhalte (Jenny Erpenbeck, Abbas Khider, Robert Me- nasse, Sasha Marianna Salzmann, Eugen Ruge), poetologischer Reflexionen (Ulrike Draesner, Kathrin Röggla, Ilija Trojanow) und medial inszeniertem politischem En- gagement (Juli Zeh, Navid Kermani) in der gegenwärtigen Literaturlandschaft. Auch in der literaturwissenschaftlichen Forschung intensiviert sich die Beschäftigung mit diesen Phänomenen, was sich etwa in dem 2016 erschienenen Band von Jürgen 1 Schirrmacher, Frank: Literatur und Politik. Eine Stimme fehlt. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung Online (18.3.2011), http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/themen/literatur-und- politik-eine-stimme-fehlt-1613223.html (17.9.2018). 2 Martenstein, Harald: Über engagierte Literatur. In: ZEITmagazin 42 (3.11.2015), https:// www.zeit.de/zeit-magazin/2015/42/harald-martenstein-literatur-engagement (17.9.2018). Hervorh. im Original. 2 Christine Lubkoll, Manuel Illi, Anna Hampel Brokoff, Ursula Geitner und Kerstin Stüssel3 sowie in der von Stephan Neuhaus und Immanuel Nover im Mai 2017 abegehaltenen Koblenzer Tagung »Das Politische in der Literatur der Gegenwart« widerspiegelt.4 Im literaturwissenschaftlichen Diskurs – nicht erst der letzten Jahre – lassen sich jedoch zwei grundsätzliche Problemkonstellationen, den Bereich ›Politik und Lite- ratur‹ betreffend, identifizieren: Erstens hat ein »beträchtlicher Teil der Forschung«, wie etwa Nikolaus Wegmann feststellt, »aus emphatischer Nähe zum Gegenstand sich gleichfalls in die jeweiligen Arenen der Auseinandersetzung hineinziehen las- sen.«5 Beispielsweise waren nicht wenige Untersuchungen der 1960er/1970er Jah- re – in Ost- wie Westdeutschland gleichermaßen – nicht nur politisch tendenziös gefärbt, sondern transportierten auch in ihrer Begrifflichkeit einen problematischen Dogmatismus. Ausnahmen stellten jene Ansätze dar, die um eine distanzierte Be- obachterposition bemüht waren und gleichzeitig die Schwierigkeiten einer neu- tralen Methodik reflektierten.6 Zweitens erscheinen viele literaturwissenschaftliche Begriffe und Termini (z. B. ›engagierte Literatur‹7, ›Tendenzliteratur‹8, ›eingreifendes Denken‹9) bis in den gegenwärtigen Gebrauch hinein unscharf, sind sie doch in ih- ren impliziten Setzungen eng mit ihrem jeweiligen historischen Entstehungskontext verschränkt und können ohne diesen nicht verstanden bzw. eingeordnet werden. Eine Thematisierung dieser ›theoretischen Getränktheit‹ bleibt oft aus oder führt bisher zu keinem Konsens.10 Die jüngsten Publikationen zeichnen sich demgegenüber durch eine produktive Pluralität und Offenheit aus. Dabei werden zur Erschließung des weiten Feldes der 3 Vgl. Brokoff, Jürgen/Geitner, Ursula/Stüssel, Kerstin (Hg.): Engagement. Konzepte von Ge- genwart und Gegenwartsliteratur. Göttingen 2016. 4 Neuhaus, Stefan/Nover, Immanuel: 18.–20.5.2017 – Tagung – Das Politische in der Litera- tur der Gegenwart (28.2.2017), https://www.uni-koblenz-landau.de/de/koblenz/fb2/inst- germanistik/aktuelles/politisches-2017 (14.9.2018). 5 Wegmann, Nikolaus: Politische Dichtung. In: Müller, Jan Dirk (Hg.): Reallexikon der deut- schen Literaturwissenschaft. Bd. 3. Berlin/New York 2003, S. 120–123, hier S. 122. 6 Vgl. etwa Hinderer, Walter (Hg.): Geschichte der politischen Lyrik in Deutschland. Würzburg 1978; Janz, Marlies: Vom Engagement absoluter Poesie. Zur Lyrik und Ästhetik Paul Celans. Frankfurt a. M. 1976. 7 Vgl. dazu grundlegend das Konzept der ›littérature engagée‹ nach Jean-Paul Sartre: Sartre, Jean-Paul: Was ist Literatur? [1948]. In: Ders.: Gesammelte Werke in Einzelausgaben. Begr. von Traugott König. Hg. von Vincent von Wroblewsky. Bd. 3. Hg. von Traugott König. Reinbek bei Hamburg 2006. 8 Vgl. etwa Heine, Heinrich: Vorrede zu Atta Troll. Ein Sommernachtstraum. In: Ders.: His- torisch-Kritische Gesamtausgabe der Werke. Hg. von Manfred Windfuhr. Bd. 4. Atta Troll. Ein Sommernachtstraum. Deutschland. Ein Wintermärchen. Hamburg 1985, S. 9–12; vgl. ferner das Gedicht ›Die Tendenz‹. In: Ders.: Historisch-Kritische Gesamtausgabe der Werke. Hg. von Manfred Windfuhr. Bd. 2. Neue Gedichte. Hamburg 1983, S. 119–120. 9 Vgl. Brecht, Bertolt: Über eingreifendes Denken. In: Ders.: Gesammelte Werke. Bd. 20. Schriften zur Politik und Gesellschaft (1919–1956). Hg. von Elisabeth Hauptmann. Frank- furt a. M. 1967, S. 158–178. 10 Vgl. die selbstkritische und treffende Diskussion der Herausgeber im Vorwort des Bandes von Neuhaus, Stefan/Selbmann, Rolf/Unger, Thorsten: Engagierte Literatur zwischen den Weltkriegen. Ein Vorgespräch. In: Dies. (Hg.): Engagierte Literatur zwischen den Weltkrie- gen. Würzburg 2002, S. 9–18.