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Nostalgie. Wann sind wir wirklich Zuhause? PDF

71 Pages·2021·5.035 MB·German
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BARBARA CASSIN NOSTALGIE WANN SIND WIR WIRKLICH ZUHAUSE? Aus dem Französischen von Christine Pries Suhrkamp Titel der Originalausgabe: La nostalgie. Quand donc est-on chez sor? © Autrement, Paris, 2013. ; INHALT ÜBER KORSISCHE GASTFREUNDSCHAFT .... 9 Eine Insel, nicht zuhause Zuhause . ...0.000000000004 II Nostalgte, ein Schweizer Wort .. ..00000000000000 18 D ; C“ i ODYSSEUS UND DER TAG DER HEIMKEHR ... 25 A * Universitatsbiblcthek &* } Das verwurzelte Bett ...0000000000000000000000 27 z Berlin_ m7 / SteSrb lichkeit ......0..0000000000000000 2 7 —— Die Wiedererkennung ........000004000-4 32 Verwurzelung im wörtlichen Sinne ....... 41 Schaufel und Ruder . ..000000000000K0r 46 Die Zeit steht kopf: Halte die Nacht an .... 46 Wo ist (das) Anderswo? .....000000000004 48 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Zweifache Nostalgie ......0.00000004400 54 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet AENEAS: VON DER NOSTALGIE ZUM EXIL ... 59 über http:/dnb.d-nb.de abrufbar. | Seine Heimat auf dem Rücken mitnehmen . ... 61 Erste Aufl Nostalgie im Hinblick auf die Zukunft: irste Auflage 2021 . . © dieser Ausgabe Suhrkamp Verlag Berlin 2021 Wl€éer durChgehen und verbinden ....... 61 Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vor- Zurück zum AUSgang5punkt ........... 67 trags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, ; Die Spracl;g des Anderen 5prgc]je;z _________ 70 auch einzelner Teile, Zu Latinern machen? .....000000000004 70 Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, »Inbegriffene Andersartigkeit«: Wir sind alle Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmi- . gung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektroni- ' Exilanten ...000000000 00r 75 scher Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Satz: Satz-Offizin Himmer GmbH, Waldbüttelbrunn Druck: Pustet, Regensburg Printed in Germany ISBN 978-3-518-58770-6 ARENDT: WENN SPRACHE ZUR HEIMAT WIRD 8ı Sprache und VOlR »00 83 Identitätszuschreibung: Politisches Prädikat, | n kein Wesen e 83 »Mit einem Fuß in cine111' unfi mit dex.n a?fierer1 m„<?mcir‘n 2 anderen Land zu stehen, ist ein großer Glücksfall für mich, Philosophie, Politik und Muttersprache: denn so bin ich frei.« El'findutlg3f€i€htufil und Klischee ........ 88 ı Rene Descartes, Briefa n Christina von Schweden, Juli 1648 Heideggers Nostalgie und Arendts Nostalgie .....00000000000 000 95 Die schwankende Vieldeutigkeit der Welt ...... 102 Über exilierte Sprachen und die deutsche Sprache 200000 102 Das Paradigma des Übersetzens ......... 106 Exilanten als Avantgarde der Condition humaine ı0000000 113 Schwimmende Wurzeln ........0..0.000 116 Anmerkungen . .00000000 121 NamenregIister ‚.00 I41 ÜBER KORSISCHE GASTFREUNDSCHAFT »Sie ist wiedergefunden. Was? Die Ewigkeit. Es ist das Meer, verbunden Mit der Sonne in eins.« Arthur Rimbaud Eine Insel, nicht zuhause zuhause Man könnte meinen, ich käme nach Hause zurück, aber es ist nicht mein Zuhause. Vielleicht weil ich kein Zuhau- se habe bzw., genauer gesagt, weil ich dort, wo ich nicht zuhause bin, am stärksten das Gefühl habe, zuhause, so et- was wie zuhause zu sein. Wann sind wir wirklich zuhause? Ich verlasse das Flugzeug, hole das Auto aus der Gara- ge am Flughafen, man sagt mir, wo der altertümliche weiße Peugeot steht, der immer noch eine Pariser Num- mer hat und sich fährt wie ein Lastwagen. Im Sommer nehme ich gerne die Straße an der Lagune, vorbei an Früchten und Gemüsen, dicken Zitronen, Cantaloupe- und Wassermelonen, Aprikosen, es gibt schon Feigen, Ochsenherztomaten, blasslila marmorierte Auberginen, kleine, gedrungene Zucchini. Die Tunnel, Kreisverkeh- re und Bremsschwellen, dann die Kurven, eine nach der anderen. Sie fahren sich wie von selbst, meine Hände und vielleicht auch das Lenkrad haben sie verinnerlicht, ohne dass ich besonders darauf achten müsste. Neben den Abgasen wehen die Jahreszeiten den Duft der Mac- chia-Büsche herüber (»dieser Hauch von Kiefer, diese leichte Andeutung von Beifuß...«, sagt der entflohene Gefangene in Asterix auf Korsika und springt ins Wasser'), den Geruch von Mimosen, Oleander, Feuer, Meer. Ich sehe das Gewerbegebiet wachsen, neue oder restaurier- te Häuser, kaum Veränderungen, sobald man die Stra- ße zum Cap erreicht hat. Ich komme nach Hause zu- rück wie ein Pferd in seinen Stall. IT Eine solche Erfahrung möchte ich zum Ausgangs- südfranzösischen Grafschaft Venaissin), es tatsächlich punkt nehmen: das Gefühl einer ununterdrückbaren »als« ihr Zuhause auf. Nostalgie in meinem Inneren, das ich jedes Mal empfin- Über Nostalgie wollte ich offenkundig nachdenken de, wenn ich nach Korsika »heimkehre«. Es ist ein star- bzw. nachsinnen, weil ich Homer liebe, Odysseus, die kes Gefühl und insofern merkwürdig, als meine Vor- griechische Sprache, das Mittelmeer. Aber auch, und das fahren nicht von dieser Insel kommen, ich nicht dort ist merkwürdiger, weil ich an Korsika hänge, am Hori- geboren bin und weder als Kind noch als Jugendliche zont eines Hauses, eines Dorfes und eines Caps auf ei- dort gelebt habe. Ich bin keine Korsin, ich wurde in Pa- ner anderen Insel, auf die ich zumindest insofern nicht ris geboren, wo ich wohne und arbeite, ich habe in einem gehöre, als ich dort nicht geboren wurde. Trotzdem ist bezaubernden, etwas dunklen Haus mitten in Paris mei- »Nostalgie« das Wort, das mir wie selbstverständlich in ne Kinder bekommen und aufgezogen, ich spreche das den Sinn kommt, wenn ich an Korsika denke. Aber ge- gestochene Französisch einer »pinsoute«, wie die Kor- nauso wie »Homer« ist »Nostalgie« nicht unbedingt das, sen Frauen vom Festland nennen: Wie kann es sein, dass wofür man sie hält. Ebenso wenig wie Homer der Dich- ich mich dort so zuhause fühle? Wie kommt es, dass ter ist, der ursprünglich und ganz allein die I/as und die Korsika mir so fehlt, wenn ich lange, immer allzu lang, Odyssee verfasst hat, wie wir sie kennen,? ist Nostalgie nicht dort bin? »Du kommst, um neue Energie zu tan- nicht bloß Heimweh und die Sehnsucht, nach Hause zu- ken«, höre ich häufig, wenn ich im Dorf bin, was für rückzukehren. Wie die Herkunft selbst ist dieses über- eine merkwürdige Ausdrucksweise: um welche Energie- wältigende und zugleich süße Gefühl eine bewusste Fik- ressource handelt es sich, was ist ihre Quelle? Ich bin tion, die immer wieder Hinweise darauf gibt, sie als die dort nicht zuhause und trotzdem bin ich zuhause. So wunderbare, menschliche und kulturbedingte Fiktion wie im Evangelium die Rede von jemandem ist, der »sich zu verstehen, die sie ist. Also als beste Weise, in Gestalt die Welt zunutze macht, als nutze er sie nicht« (1. Korin- einer durch die Erfahrung der Neuzeit verwandelten ther 7,31), empfinde ich Korsika »als« mein Zuhause, Odyssee in die Heimat zurückzukehren, und sei es gar auch wenn ich dort nicht zuhause bin. Weil ich dort kei- nicht die eigene? ne Wurzeln habe, fasst die Entwurzelte, die ich bin, die Wie Sprache ist Heimat »nichts, was einem gehört«. ich gerne bin und die ich zu bleiben hoffe (meine jüdi- Ich möchte eine sehr, ja viel zu persönliche Erfah- sche Mutter stammte über Triest und unter Fremdherr- rung zum Ausgangspunkt nehmen. schaft stehende Gebiete aus Ungarn, und die Familie Mein Mann ist an den Folgen einer langen und zu- meines Vaters, die ehedem Barbaresken-Korsaren gewe- gleich kurzen Krankheit gestorben, die in unserem dörf- sen waren, gehörten zu den Bankiers des Papstes in der lichen Zufluchtsort und in den Räumen des von uns I2 13 für uns hergerichteten Hauses gleichmütig hingenom- dort Wurzeln, tiefere Wurzeln, und sie heißen mich men wurde. Abgesehen vom Erbrecht und vom Preis willkommen. Da meine Eltern mir dankenswerterwei- für Zigaretten gehört das Privileg, zuhause begraben zu se keinen Grundbesitz hinterlassen haben, bin ich im werden, wenn die Departement-Verwaltung es gestat- Besitz eines Fleckens Erde, der mir ursprünglich nicht tet, zu den Sonderrechten des seltsamen, immer noch gehört hat, mir in keiner Weise gehört, auch wenn ich napoleonischen Gebiets namens Korsika. Mein Mann seine rechtmäßige Eigentümerin bin. Denn hier deutet ist in diesem Dorf und in diesem Haus auf einer das sich so etwas wie Wechselseitigkeit an. Im Französi- Dach, den Jachthafen und das Meer überragenden Ter- schen wird der Wirt oder Gastgeber, der jemanden will- rasse beerdigt worden. Wir haben eine Steintafel auf- kommen heißt, und der Gast, der willkommen gehei- gestellt, die Freunde mit ihrem Boot aus einer kleinen ßen wird, mit demselben Wort, höte, bezeichnet, und Bucht geholt und in die sie seinen Namen, sein Ge- diese Eingebung aus unvordenklichen Zeiten macht burts- und sein Sterbedatum eingraviert haben; man Zivilisation als solche aus. Natürlich darf man nicht vergessen, dass mit dem griechischen Wort für höte in kann sich auf eine Bank aus Treibholz setzen, die wir al- le gemeinsam gebaut haben. An seiner Seite liegt dort seinen beiden Bedeutungen, xenos, auch der »Fremde« in dem Flecken Erde, der einem - uns - gehört und gemeint ist, dem man vor allem Gastfreundschaft ge- doch auch nicht gehört, auch mein eigenes Grab, das währen muss, während das lateinische hostis auch den noch hohl klingt. »Feind« bezeichnet, Vertrauen, Misstrauen. Vom Meer An dem Tag, als er starb, der absehbar war, dessen aus sieht man oberhalb des Hauses den Turm, in dem Datum wir aber nicht kannten (»Er ist so müde, hören Seneca De Consolatione geschrieben haben soll. Ob Sie auf, ihn zu beobachten, lassen Sie ihn gehen«, hatte tot oder lebendig genießen wir hier die Gastfreund- die Ärztin an jenem Morgen zu mir gesagt), war sein schaft des Dorfes. Aber gleichzeitig genießen wir hier Grab nicht fertig. Es haben mich aber an jenem Tag die Gastfreundschaft der Welt, in einem wahrhaft grie- zwei Personen angerufen, um mir zu sagen, dass er in chischen Kosmos, der sich entlang jenes für Inseln so ihrem Familiengrab willkommen sei: »Auch dies ist kor- typischen Horizonts erstreckt: »Sie ist wiedergefunden. sische Gastfreundschaft.« Was? Die Ewigkeit. Es ist das Meer, verbunden mit der Wir sind hospites, Gäste. Immerhin bin ich Französin, Sonne in eins«, schrieb ein hellsichtiger Rimbaud (die- wie mein Personalausweis bestätigt, und Korsika liegt se Worte kamen mir als Danksagung für die Beileidsbe- in Frankreich, ich bin also schlicht und einfach in mei- kundungen all jener Bekannten und in manchen Fällen nem Heimatland zuhause. Trotzdem fühle ich mich Unbekannten in den Sinn, die gekommen waren, um dort nur zuhause, weil ich zu Gast bin. Andere haben an einem heißen Mittag im Juni den über die Straße hol- 14 I5 pernden Leichenwagen in Empfang zu nehmen). Die ren. Sie bestimmt und zieht einen an. Es ist so, als krüm- Realität einer Insel. Eine Insel ist auf spezifische Weise me die Zeit sich wie der Horizont und als komme man real. Vom Boot oder Flugzeug aus sieht man ihre Ufer, von einer langen Reise, einer Rundfahrt, einer Odyssee Und von einer Insel aus sieht man die Krümmung des zurück. Horizonts über dem Meer; wenn abends die Sonne un- Aber kehrt man wirklich dorthin zurück? Und bleibt tergeht, ist die Erde rund. Man weiß, dass mitten im man überhaupt jemals da? Wasser ein Küstenstrich liegt, der ein Innen von der gro- ßen Weite des Außen abgrenzt, und dass die Insel end- lich ist. Eine Insel ist par excellence eine Entität, eine Identität, ein Etwas, das einen Umriss hat, ezdos, sie tritt in Erscheinung wie eine Idee., In ihrer Begrenztheit und Endlichkeit ist die Insel eine Sichtweise der Welt. Eine Insel ist in den Kosmos eingebettet, kosmisch und kos- mologisch, mit dem Sternenhimmel über unseren Köp- fen und der unermesslichen Weite vor uns, empfäng- lich für unsere Blicke, In Griechenland, auf Korsika, erlebe ich ohne Unterbrechung den kosmos — die »Welt« der Griechen —, »Ordnung und Schönheit«, heißt es bei Baudelaire. An jeder Wegbiegung, in jeder Kurve, bei jedem Schritt fügt die Welt sich neu zusammen und or- ganisiert sich neu. Was das Auge sieht, wird unmittelbar Struktur, Harmonie breitet sich aus, man ist jedes Mal von neuem erstaunt. Zwischen Kosmologie und Kos- metik ordnet der unermessliche und begrenzte Hori- zont sich neu. Eine Insel ist ein Ort par excellence. Nostalgie im Hinblick auf eine Insel. Als Ort ist eine Insel zugleich ein ganz besonderer Ort, ein Ort, der zur Abreise einlädt: Auf einer Insel kann man nichts ande- res als aufbrechen, »O Tod, alter Kapitän«, so ebenfalls Baudelaire. Und man möchte, muss, auf sie zurückkeh- 17 16 tors aus Mühlhausen, Johannes bzw. Jean Hofer, der Nostalgie, ein Schweizer Wort ihm im Alter von 19 Jahren an der Universität Basel seine kurze medizinische Doktorarbeit widmete, um Das Wort »Nostalgie« klingt durch und durch grie- »Geschichten von jungen Menschen« zu schildern: den chisch, von nostos, »Heimkehr«, und algos, »Schmerz« Fall eines Baseler Studenten aus Bern, der dahinsiechte, oder »Leid«. Nostalgie ist der »Heimkehr-Schmerz« — so- aber schon vor der Ankunft in Bern auf dem Heimweg wohl das Leid, das einen befällt, wenn man fern von wieder gesund wurde, und den Fall einer ins Kranken- der Heimat ist, als auch die Mühen, die man auf sich haus eingelieferten Bauersfrau (»ich will heim, ich will nimmt, um nach Hause zurückzukehren. Die Odyssee, heim«*, Jammerte sie, während sie Arzneien und Nah- die gemeinsam mit der /las die griechische Sprache rung verweigerte), die genas, als sie nach Hause zurück- und Kultur begründet hat, ist das Epos, das ein blinder kehrte — an ihren Symptomen war deutlich erkennbar, Dichter, der wahrscheinlich nie existiert hat, »Homer«, woher ihre Beschwerden rührten.* verfasste, um die Peripetien der Heimkehr von Odys- Daraus wurde schnell ein militärisches Problem: Die seus, dem listenreichen Helden auf seinen zahllosen Schweizer desertierten, wenn sie den »Kuhreigen« auf Umwegen, zu besingen. Es handelt sich um nostalgi- den Almwiesen hörten — jenes »Lied«, wie Rousseau sche Dichtung par excellence. in seinem Wörterbuch der Musik schreibt, »das sie so sehr Trotzdem ist »Nostalgie« kein griechisches Wort, es liebten, daß man bey Lebensstrafe verbieten mußte, es kommt in der Odyssee nicht vor. Es ist kein griechisches, bey ihren Regimentern zu spielen, weil die, die es hör- sondern ein Schweizer, ein Deutschschweizer Wort. Ge- ten, entweder herzlich zu weinen anfiengen, oder da- nau genommen bezeichnet es eine Krankheit, die unter von liefen, oder gar starben; so sehr erregte dieses Lied diesem Namen erst im 17. Jahrhundert aktenkundig in ihnen das Verlangen ihr Vaterland wiederzusehen.« wurde. Wenn man dem Dictionnaire historique de la Die Ärzteschaft hat sich das Wort »Nostalgie« also langue francaise Glauben schenkt, wurde es genau Im zur Bezeichnung einer Krankheit unter Deutschschwei- Jahr 1678 von dem Arzt Jean-Jacques Harder zur Bezeich- zern ausgedacht, so wie man bei einem Hexenschuss nung des Heimwehs* erfunden, an dem die treuen von »Lumbalgie« oder etwa von »Neuralgie« spricht. — und teuren (»Kein Geld, keine Schweizer«) - Schwei- Ich lege darauf so viel Nachdruck, weil der Ursprung zer Söldner von Ludwig XIV. litten. Spätestens geprägt des Wortes mir sehr repräsentativ dafür zu sein scheint, wurde es im Jahr 1688 vom Sohn eines elsässischen Pas- was ein Ursprung im Sinne von Herkunft ist: Das Wort »Nostalgie«, das in der gesamten Odyssee mitschwingt, hat nichts Ursprüngliches, Originäres, mit einem Wort: * Im Original Deutsch, 18 19 »Griechisches«. Man hat es sich ausgedacht, es ist ein schen und Angelsächsischen vor (»geheilt, davongekom- historisches Gemisch (und da sein Ursprung eben gera- men sein, überleben« und »davonkommen, heilen, ver- de keine historische Tatsache ist, müsste man eigentlich pflegen«), das Sanskrit hat Wörter, die ne0maz entspre- »seinsgeschichtliches« Gemisch sagen, um einen Aus- chen: so wie »asate, »sich annähern, vereinigen«, der druck wiederaufzugreifen, den Heidegger geprägt hat). leichte Bedeutungsunterschied stellt kein entscheiden- Wie alle Ursprünge wird es rückwirkend einer Zweck- des Hindernis dar, es lässt sich möglicherweise mit #/m- oder Zielbestimmung unterworfen. Das belegt die Ty- sate vergleichen, »sich küssen, mit dem Mund berüh- pografie der Dissertatio de nostalgia mit ihren lateini- ren« — zwischen Heimkehr und Liebe besteht durchaus schen Großbuchstaben für DISSERTATIO MEDICA, ein Zusammenhang. ihren griechischen Großbuchstaben für das neu geschaf- Unter dem Stichwort »Nostalgie« untersucht dieses fene Wort NOZTAATIA und dem kleingeschriebenen Buch das Verhältnis von Heimat, Exil und Mutterspra- Zusatz in Frakturschrift: oder Heimweh*. Das Wort wä- che. Die Odyssee, die von Odysseus’ Bewährungsproben und seiner sich immer wieder verzögernden Heimkehr re beinahe zugunsten der philopatridomania (der »wahn- sinnigen Liebe zur Heimat«), die ebenfalls auf Harder erzählt, ist nostalgische Dichtung schlechthin. Das ach zurückgeht, der pothopatridalgia (des »Schmerzes, die so symbolische Zeichen, dass Odysseus endlich »zuhau- Heimat leidenschaftlich zu begehren«), die Zwinger ge- se« ist, in der Heimat, ist sein Bett, das in einem Oliven- prägt hat, und des Untertitels Heimsehnsucht*, der von baum wurzelt, den er mit eigenen Händen ausgehöhlt Haller hinzugefügt wurde, in den Hintergrund gedrängt und um den er sein Haus herumgebaut hat. Dieses Ge- worden... Aber nostos, »die Heimkehr«, hat sich durch- heimnis teilt er nur mit seiner Frau. Verwurzelung gesetzt. Wenn man den Chantraine® konsultiert, erfährt und Entwurzelung: Das ist Nostalgie. man ausnahmsweise recht wenig: x0stos leitet sich von Als er aus dem brennenden Troja flieht, nimmt Ae- neomar her, das »zurückkommen, umkehren« bedeutet, neas die Heimat auf seinem Rücken mit, seinen Vater Anchises und die Larengötter auf den Schultern. Er irrt und beruht auf einer Wurzel, deren aktive Bedeutung »davonkommen« lautet; anostos heißt, »dass nichts zu- von Ort zu Ort, bis die ihn mit ihrem Hass verfolgende rückkommt, kein Ertrag abgeworfen wird«, und Nestor Juno einwilligt, ihn das gründen zu lassen, was später ist der Name von »jemandem, der glücklich heimkehrt Rom werden wird, allerdings unter einer Bedingung: und sein Heer glücklich mit sich zurückbringt«; auf dass er das Griechische aufgibt und, wie es bei Vergil Neugriechisch bedeutet z0stzmos so viel wie »köstlich, heißt, »una ora«, in »einer Sprache« mit den Lateinern lieblich«. Die wahrscheinliche Bedeutung der Wurzel und wie sie spricht. Das Gründungsepos begründet in ist »glückliche Heimkehr, Heil«, sie kommt im Altdeut- diesem Fall auch die Sprache. 20 21

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