PARRHESIE VOM SOMMERSEMESTER 2014 BIS ZUM WINTERSEMESTER 2015/16 FAND AM INSTITUT FÜR KULTURWISSENSCHAFT DER HUMBOLDT-UNIVERSITÄT ZU BERLIN EIN PROJEKTTUTORIUM ZUR KRITISCHEN ANALYSE DER GEGENWART MIT DEN SCHRIFTEN MICHEL FOUCAULTS STATT. DER LETZTE TEIL BEFASSTE SICH UNTER DEM TITEL ‚WER ERSCHAFFT MEIN SELBST?‘ MIT FOUCAULTS SPÄTWERK ZUR ANTIKEN SELBSTS- ORGE, DER ‚EPIMELEIA HEAUTOU‘, BEI WELCHER DER PRAXIS DES WAHR-SPRECHENS DER PARRHESIE - - EINE BESONDERE ROLLE ZUKOMMT. IM VORDERGRUND STAND DIE FRAGE, OB DIESE BESCHÄFTIGUNG MIT EINEM BÜNDEL ANTIKER SELBSTPRAKTIKEN ALS WIDERLAGER GEGENÜBER NEOLIBERALER SUBJEKTIVIERUNG BRAUCHBAR IST. DIE VORLIEGENDE KLEINE SAMMLUNG VON ARTIKELN ENTSTAMMT DIESEM GEMEINSAM VON EI- NER GRUPPE STUDIERENDER DURCHGEFÜHRTEN UNTERSUCHUNGS- VORHABEN. ANSTATT MIT EINER DEFINITIVEN ANTWORT AUF DIESE FRAGESTELLUNG AUFWARTEN ZU KÖNNEN - WOMIT WOHL AUCH NIE- MAND ERNSTHAFT GERECHNET HAT – SIND DIESE ARTIKEL BEISPIELE FÜR DIE VON MICHEL FOUCAULT EINGEFORDERTE ARBEIT DER RAST- LOSEN PROBLEMATISIERUNG UND RE-PROBLEMATISIERUNG DESSEN, WAS WIR DENKEN UND TUN, DER KRITISCHEN ONTOLOGIE UNSERER SELBST. EIN MOMENT DER WAHRHEIT VON DANIEL KIRCHNER Eines Abends lief ich mit einer Freundin durch ei- Hoodies zu einem möglichst niedrigen Preis zu nen Markt mit Ständen die hauptsächlich nachhal- kaufen. Warum sollte ich es für 90 Euro kaufen, tige Produkte aus fairem Handel anboten. Es gab wenn ich fast das gleiche für nur 30 Euro bekom- viel zu sehen: Bücher, Pflanzen, Kunstgegenstände, me? Doch nein! Wir Konsumenten bekommen in Kleidung, Schmuck. Die Produkte waren so faszi- konventionellen Läden die Produkte nur so bil- nierend, das fast jeder Stand es schaffte, mich zum lig, weil der günstige Preis sich auf Mensch und Stehenbleiben zu bringen, um ihn genauer unter Natur negativ auswirkt. Sei es durch miserable die Lupe zu nehmen. In einer dieser Stände sag- Arbeitsumstände, Kinderarbeit, Krankheits- te mir ein ausgesprochen bunter Hoodie sehr zu. auslöser, Umweltverschmutzung, etc. Eigentlich Dazu muss gesagt sein, dass ich nicht gerade ein müssen doch eben solche Missstände gleich ne- Musterkonsument der westlichen Gesellschaft bin. ben den Preisschildern stehen, wenn die Produk- Ich kaufe Produkte, wenn ich sie wirklich brauche tion des Objekts solche humane Kosten verur- oder wenn sie mir, wie in diesem sehr seltenen Fall, sacht. Ich stelle es mir wie mit den Tabakwaren wahnsinnig gefallen. Mein Blick wanderte etwas vor, wo auch den Menschen vor die Nase gehal- tiefer zum Preisschild. 90 Euro! Ich sah schon in ten wird, was alles so schlecht ist am Konsum meinem geistigen Auge, wie meine Geldbörse da- von Tabak. Wäre es nicht klasse, wenn man so- vonlief. „90 Euro…für einen einzigen Hoodie?! Ha- was auch beim Kauf auf nicht-nachhaltigen und ben die ‘ne Macke?“ Ich schenkte dem Stand keine nicht-fair-trade Produkten sehen könnte? Wir weitere Beachtung und ging weiter. Es fehlten nicht sehen doch immer in Reportagen und Dokumen- viele Schritte, bis ich eine Art Selbstreflexion mei- tationen, wie viel Schlechtes es auf der Welt gibt, ner Reaktion durchfuhr. Ich sagte mir: „Moment doch beim Kauf sehen wir das nicht. Wenn man mal! Dieser Hoodie ist nicht zu teuer. Hier gibt es sich vorstellt, dass dieser 90 Euro-Hoodie eigent- keine großen Markennamen oder hochklassige lich das Normale und Richtige sein sollte, dann Modeprodukte. Dieser Hoodie wurde unter fairen müsste man sich doch irgendwie von allen ande- Marktumständen zu einem fairen Preis angeboten. ren Hoodie Verkäufer betrogen fühlen. Immerhin Kann es sein, dass die konventionellen Hoodies von verheimlichen sie uns die anderen Kosten, die die Primark & Co eigentlich zu billig sind?“ Jetzt könn- Natur und andere Menschen zahlen müssen. Ei- te man denken, dass ich vielleicht eine Macke habe. nige könnte jetzt von mir sagen, dass ich ein Spin- Wie kann ein Produkt zu billig sein? Ich muss das ner bin, der mehr Geld ausgeben möchte. Doch genauer erklären. Natürlich wusste ich wie jeder von diesem Augenblick an, als ich dem Stand mit andere, dass es diese Hoodies gab, die in Ländern den 90 Euro-Hoodie den Rücken zukehrte, traf produziert wurden, in denen die Menschen für ihre mich die Wahrheit wie ein Geistesblitz. Von nun Arbeit schamlos ausgebeutet werden. Doch wie je- an würde ich nicht mehr sagen: „Die Hoodies in der andere habe ich auch als guter homo oecono- konventionellen Läden sind billig.“ Sondern: „Die micus (Wirtschaftsmensch) das Bestreben, meine Hoodies in konventionellen Läden sind zu billig.“ HANS SCHUHMACHER: S.6 Die Gefahr im Gewöhnlichen MAURICE PREISSLER: Ethischer Konsum und die kynische Parrhesie S. 12 ALEXANDRA LEMPP: S.20 Michel Foucualts kynische Parrhesie und die Suffragettenbewegung ZAINAB NOBOWATI: Der nackte Protest: Über eine feministische Parrhesie in Ägypten S. 24 HANNAH GLAUNER: S.30 Gedanken über Kunst und Wahrheit D I E G E FA H R I M G E W Ö H N L I C H E N EIN FOUCAULDIANISCHER BLICK AUF DAS STANFORD PRISON EXPERIMENT UND STANLEY MILGRAMS GEHORSAMS-EXPERIMENTE E THICAL TURN - WIESO DENN DAS? geschrieben und sich mit der antiken Selbstsorge befasst hat – immer wieder hat er klar gestellt, worum es bei seinen Un- Die Diskussion um Michel Foucaults ‚ethical turn‘ tersuchungen eigentlich ging: zu Beginn der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts ist bis heute nicht abgeschlossen. Wieso fand der Autor von „DAS UMFASSENDE THEMA MEINER AR- ‚Überwachen und Strafen‘ plötzlich ein Bündel von antiken BEIT IST […] NICHT DIE MACHT, SONDERN Selbstpraktiken so wichtig, dass seine letzten zwei Monogra- DAS SUBJEKT.“ (FOUCAULT 2007: 81) phien und seine Vorlesungen von 1981 bis zu seinem Tod hauptsächlich diese thematisieren? Warum befasste er sich Die Kapitel über die ‚gelehrigen Körper‘ (Foucault 1994: 173 plötzlich mit der Antike, wo er doch zuvor überwiegend oder ff.) und das Kapitel mit der Überschrift ‚Der Panoptismus‘ sogar ausschließlich Machtformen der Moderne seziert, de- (Foucault 1994: 251 ff.) in ‚Überwachen und Strafen‘, sie kön- maskiert, attackiert hatte? Wer im frühen 21. Jahrhundert nen so gelesen werden, dass die Subjekte als quasi-passive Re- die allgegenwärtige und proliferierende Überwachung, pro- zeptoren von Machttechnologien erscheinen, deren Produkte blematische Entwicklungen unter dem Etikett der Sicherheit, und deren letztendlich voll verformbare Verfügungs-Masse. Zwang zu geschlechtlichen Identitäten und Performanzen ‚Die Ordnung des Diskurses‘ kann so gelesen werden, dass kritisiert, entnimmt einen Teil des eigenen Instrumentariums die am Diskurs Partizipierenden als von diesem ferngesteu- Michel Foucaults Waffenschmiede, Werkzeugmacher-Werk- ert erscheinen, quasi als Zahnräder einer Diskurs-Maschine, statt und Alchemielabor, wissentlich oder unwissentlich. Frei- sich rational und frei wähnend. Foucault ist hier und da so lich sind hiermit nur einige wenige Phänomene der Jetztzeit gelesen worden und wird auch heute noch verschiedentlich genannt, welche – um eine beliebte mittelalterliche Metapher so gelesen: als sich unablässig wiederholender Analytiker ‚der zu gebrauchen – auf Foucaults Schulter stehend verhältnis- Macht‘, die triumphiert, schon immer triumphiert hat und bis mäßig leicht in den Blick zu nehmen sind. Die Landschaft ans Ende der Zeiten triumphieren wird. Foucaults Hinweis, ist nicht mehr die gleiche, und dennoch war er schon dort. dass Widerstand überall dort ist, wo Macht ausgeübt wird, Doch anstatt uns die Welt zu erklären, hat er uns immer wie- degradiert diesen dann quasi zum Tentakel ‚der Macht‘ selbst, der vorgeführt, wie wir uns selbst die Instrumente anfertigen gleichzeitig deren Verschleierung und Verfeinerung dienend. können, die uns dann zeigen, was wir beobachten und ver- Schlussendlich kann auf Unterschiede getrost verzichtet wer- stehen wollen. Dem berühmten Theologen des 13. Jahrhun- den, die anderenfalls womöglich signifikant wären: ist denn derts, Guibert de Tournai, hatte man rühmend nachgesagt, der Vorstandsvorsitzende einer global operierenden Bank dass totum scibile scibit – alles, was gewusst werden kann, das ‚der Macht‘ nicht ebenso unterworfen wie die Bäuerin im glo- wusste er. Wir verdanken es nicht zuletzt Michel Foucault, balen Süden, die den letalen Folgen eines Privatisierungspro- dass wir verstehen, warum das im 13. Jahrhundert wahr sein gramms ausgesetzt ist, das besagte Bank finanziert? konnte, warum es nicht mehr wahr sein kann, und warum es unfoucauldianisch ist, Foucault so zu lesen, wie Guibert de Bei näherem Hinsehen erweist es sich allerdings, dass bei- Tournai im Mittelalter gelesen wurde. spielsweise die Disziplin in ihren unterschiedlichen Erschei- nungsformen, die Überwachung, die im Diskurs wirksamen Foucault, der vermutlich der Aussage widersprochen hät- und ihn stützenden Regeln und Mechanismen nicht zuletzt, te, dass derselbe Michel Foucault ‚Überwachen und Strafen‘ wenn nicht gar vorrangig auf Prozesse der Selbstformung ab- 6 zielen, welche die Subjekte mit und an sich selbst vollziehen. eigene Felder mit Namen wie Parlament und Gericht, die wie Ein Vexierbild, das uns so lange täuscht, bis wir richtig hin- alle anderen Felder die genannten drei Parameter aufweisen. sehen: Es ist nicht die Passivität des Subjekts gegenüber ‚der Macht‘, die Foucault uns zeigt, sondern es sind die Aktivitäten Ein Charakteristikum der Moderne besteht darin, dass ver- der Subjekte innerhalb von vielfältigen und vielschichtigen gleichsweise viele Subjekte sich sowohl im Verlauf eines Tages Machtbeziehungen. wie auch im Verlauf ihres Lebens auf mehreren oder sogar vielen dieser Felder aufhalten, dass sie jeweils sämtlichen An- Das Subjekt existiert nicht, es existieren einzig Subjekte in forderungen gerecht werden müssen, sowie dass im Grunde historischen Kontexten. Historische Untersuchungen ma- alles, was sie tun und sagen, sich in Aufzeichnungen nieder- chen sichtbar, wer in welchem historischen Kontext welchen schlägt, die mit ihrer Identität verbunden sind und bleiben, Zwängen unterworfen, welchem Wahrheitsregime ausgesetzt, der sie unterworfen sind. Auf diese Weise ist dafür gesorgt, zu welcher Selbstformung angehalten und aufgefordert ist. dass sie ihre Selbstpraktiken unter hohem Konformitäts- und Mehr noch, historische Untersuchungen zeigen den oftmals Leistungsdruck zur Anwendung bringen, um diesem gerecht keineswegs gradlinigen Weg des Heraufkommens – um es zu werden, zumal eine ganze Reihe von Spielfeldern eigens mit Nietzsche zu sagen – der Wahrheitsregime, der Macht- für diejenigen existieren, denen dies misslingt. Diese tragen prozeduren, der Selbsttechniken und Selbstpraktiken. Wie ist Namen wie Psychiatrie und Gefängnis. Nichtsdestoweniger deren Verhältnis zueinander? Michel Foucault hat es einmal insistiert Michel Foucault darauf, dass die Ebene der Selbst- folgendermaßen auf den Punkt gebracht: praktiken irreduzibel ist gegenüber derjenigen der Verdikti- onsmodi und derjenigen der Gouvernementalität. „Die Gliederung zwischen den Veridiktionsmodi, den Tech- niken der Gouvernementalität und den Selbstpraktiken ist im Das heißt zum einen, dass es möglich und notwendig ist, Grunde das, was ich immer zu beschreiben versucht habe. Selbstpraktiken als nicht determiniert von den anderen Ebe- […] die Präsentation solcher Untersuchungen als Versuch, nen zu betrachten, dabei jedoch dem hohen Druck Rechnung das Wissen auf die Macht zu reduzieren, um innerhalb von zu tragen, den die anderen beiden Ebenen ausüben, sowie die Strukturen, in denen das Subjekt keinen Platz hat, aus dem signifikanten Unterschiede herauszuarbeiten, die in dieser Wissen die Maske der Macht zu machen, [kann] nur eine Hinsicht zwischen Subjekten bestehen. Stichworte wären hier reine und schlichte Karikatur sein […]. Im Gegensatz dazu wirkmächtige Markierungen wie ‚Geschlecht‘, ‚Hautfarbe‘, geht es um die Analyse komplexer Beziehungen zwischen drei ‚Herkunft‘ und so fort, die ihre Wirkmächtigkeit bekanntlich Ebenen, die sich nicht aufeinander reduzieren lassen, die sich nicht einbüßen, wenn ihre diskursive Genese nachgewiesen nicht ineinander auflösen, sondern deren Beziehungen fürei- wird. Die markierten Subjekte müssen sich, namentlich wenn nander konstitutiv sind.“ (Foucault 2012: 23) die Markierung sie einschränkt, benachteiligt und Angriffen aussetzt, nicht nur auf allen Spielfeldern, die sie betreten, der Markierung stellen, sondern auch in den Beziehungen, die ALLES NUR EIN SPIEL ... sie zu sich selbst und anderen unterhalten. Die Nicht-Deter- miniertheit von Selbstpraktiken bedeutet eben nicht, den so Denken wir uns einen historischen Zeitpunkt als Spielfeld. Markierten unter dem Etikett der ‚Eigenverantwortung‘ eine Unterteilen wir es in Felder, von denen einige Namen haben Anpassungsleistung abzuverlangen – sie bedeutet vielmehr wie Familie, Schule, Arbeitsstätte, Klinik, Beratungsstelle, die Anforderung, Anleitungen zu Selbstpraktiken kritischen Kirche, Discothek und so fort. Jedes dieser Felder hat drei Untersuchungen zu unterziehen. Ebenen. Auf der ersten setzen Parameter fest, wer auf wel- che Weise sprechen kann und muss, um die Wahrheit des Es heißt zum anderen, dass die Beschäftigung mit Selbstprak- Gesagten in Anspruch nehmen zu können. Auf der zweiten tiken mehr Aufmerksamkeit verdient, als ihr gemeinhin zu- legen Parameter fest, wer sich wie verhalten und handeln kommt. Michel Foucault sagt uns, dass die Beziehungen, die kann und muss, um erwünschte Resultate zu erzielen und wir zu uns selbst und zu anderen unterhalten, fundamental, unerwünschte zu vermeiden. Auf der dritten legen Parameter tragend und wesentlich sind für das, was sich auf den Ebenen fest, wer welche Performanzen, Formen der Affektkontrolle, der Veridiktionsmodi und der Gouvernementalität abspielt. Arbeits- und Lernformen, Reflexionsformen, Umgangsfor- men, Gesten und Haltungen einüben kann und muss, um fähig und qualifiziert zu sein, die Wahrheit zu sagen, erfolg- UNFÄHIGKEIT reich zu handeln und sich korrekt zu verhalten. Große und komplexe diskursive Formationen überspannen das gesamte ZUM WIDERSTAND Spielfeld, sie haben eigene Felder mit Namen wie Universität (die freilich ebenso die genannten drei Ebenen aufweisen), sie beobachten und untersuchen es, sie formulieren Wahrheiten, DIE EXPERIMENTE VON STANLEY MILGRAM die sich auf die einzelnen Parameter der einzelnen Felder aus- UND PHILIP ZIMBARDO wirken. Übergeordnete Rahmensetzungen regeln Zugang zu, Verfügungsgewalt über und Ausschluss von Gütern und Leis- tungen jeder Art, sind ihrerseits Gegenstand zahlreicher Dis- kurse und verketten sich mit den Parametern der einzelnen Im Jahre 1971 fand unter der Leitung des Psychologen Philip Felder. Auch diese übergeordneten Rahmensetzungen haben Zimbardo das Stanford Prison Experiment statt. Nach weni- 7 gen Tagen brach er es ab. Dies begründet er so: „I terminated Performanz zu finden. Zimbardos eigene Interpretation läuft the experiment not only because of the escalating violence darauf hinaus, wie (auch und gerade in diesem Fall) ‚good and degradation by the guards against the prisoners that was people‘ von situativen Elementen dazu gebracht werden, ‚Bö- apparent when viewing the video tapes of their interactions, ses‘ zu tun. Er wendet sich scharf gegen ‚dispositionale‘ Inter- but also because I was made aware of the transformation that pretations- und Analyseraster, die das ‚Böse‘ im Inneren des I was undergoing personally […]. I had become a Prison Su- Subjekte verorten, (Zimbardo 2004: 23 ff.) womit er gegen ein perintendent […]. I began to talk, walk and act like a rigid gesellschaftlich-kulturelles Motiv antritt, das seine Proliferati- institutional authority figure more concerned about the se- on und Persistenz in der Moderne hauptsächlich der Psychia- curity of ‚my prison‘ than the needs of the young men ent- trie verdankt. (Foucault 2007(2): 156 ff.) rusted to my care as a psychological researcher. In a sense, I consider the extent to which I was transformed to be the most Die Ergebnisse beider Experimente laden zu Interpretationen profound measure of the power of the situation.“ (Zimbardo ein, die implizit oder gar explizit von der Passivität der Ver- 2004: 40) suchspersonen gegenüber dem Versuchsleiter bzw. der Ver- suchsanordnung ausgehen, also von der Passivität von Sub- Die Teilnehmer des Experiments, junge Männer, die sich auf jekten innerhalb institutioneller oder damit vergleichbarer eine Annonce beworben hatten und sämtlich eine Vorge- Rahmensetzungen. Derartige Erklärungsmuster weisen eine schichte ohne Vorfälle von Gewalt oder Kriminalität aufwie- signifikante Schwäche auf. Die Subjekte (die Versuchsperso- sen, erhielten keinerlei Einweisung in ihre Rolle als nen) erscheinen als passive Rezeptoren, deren Handeln eben diesen Status nicht mehr hat, sondern auf ein Reagieren redu- ‚GEFANGENER‘ ODER ‚WÄRTER‘, ziert wird. In Zimbardos Lesart seines eigenen Experiments suchen und finden die ‚Wärter‘ die ‚richtige‘ Performanz ihres Status zwar selbst, sind jedoch weiterhin passive Rezeptoren, die ihnen jeweils durch das Los zufiel.(Zimbardo 2004: 39) in diesem Fall Rezeptoren der situativen Elemente, die sie Die ‚Wärter‘ trugen eine Uniform, eine verspiegelte Brille und quasi überwältigen. In seinen eigenen Worten: einen Schlagstock, die ‚Gefangenen‘ einen langen Kittel, der mit einer Identifikationsnummer bedruckt war. Was ihr Sta- „Please consider this Zimbardo homily that captures the es- tus jeweils bedeutete und wie dies umzusetzen war, mussten sence of the difference between dispositional and situational die Versuchspersonen dem entnehmen, was sie durch ihr Le- orientations: ‚While a few bad apples may spoil the barrel (fil- ben in der amerikanischen Gesellschaft über Strafgefangene, led with good fruit / people), a barrel filled with vinegar will deren Wärter und das Gefängnis gelernt hatten. always (Hervorhebung im Original) transform sweet cucum- bers into sour pickles – regardless of the best intentions, resili- Im Unterschied dazu hatte der Psychologe Stanley Milgram ence and genetic nature of those cucumbers.‘ So, does it make im Rahmen seiner Experimente gezielt Einfluss auf seine more sense to spend our resources on attempts to identify, Versuchspersonen genommen. Der ‚Lehrer‘, tatsächlich die isolate and destroy the few bad apples or to learn how vinegar jeweils einzige Versuchsperson, wurde angewiesen, einen für works so we can teach cucumbers how to avoid undesirable ihn nicht sichtbaren ‚Schüler‘ (den er für eine andere Ver- vinegar barrels?“ (Zimbardo 2004: 23) suchsperson hielt) mit Stromschlägen für falsche Antwor- ten auf Fragen zu bestrafen, deren Stärke sich steigerte. Im Zweifellos ist Zimbardos Homilie ein sinnvoller Appell. Sie Verlauf vom 18 Einzelexperimenten konnte Milgram nach- weist jedoch noch eine weitere Schwäche auf, nämlich ihren weisen, dass er die Wahrscheinlichkeit der Verabreichung ahistorischen Charakter. Milgrams und Zimbardos Experi- eines tödlichen Stromschlags auf 90% steigern oder auf 10% mente haben definitiv eine Aussagekraft, allerdings hinsicht- absenken konnte, indem er jeweils eine Variable seines Re- lich des historischen Kontextes, in dem sie stehen. Eine kurz zepts zum Erzielen von Gehorsam und Konformität manipu- gehaltene historische Verortung zeigt, dass sie als dezidiert lierte.(Zimbardo 2004: 27) Die Versuchspersonen beiderlei kritische Vorhaben zu denjenigen Phänomenen gehören, die Geschlechts, die unterschiedlichen sozialen Schichten ange- dem Übergang eines Regierungstyps zu einem anderen zuzu- hörten und unterschiedlich gebildet waren, konnten nahezu ordnen sind. alle mit Leichtigkeit dazu gebracht werden, zu foltern und zu töten. Milgram entwickelte und verwendete ein Programm aus zehn Prinzipien zur Beeinflussung der Versuchsperso- nen, das im Kern so simpel ist, dass es leicht verständlicher ‚IF YOU' RE GOING TO Sprache auf einer Buchseite wiedergegeben werden kann. (Zimbardo 2004: 28) SAN FRANCISCO …‘ Im Gegensatz zu Milgram beeinflusste Zimbardo seine Ver- suchspersonen ausschließlich durch situative Elemente. Tat- sächlich können Milgrams und Zimbardos Methoden ein- Stanford liegt etwa dreißig Meilen südlich von San Francis- ander direkt gegenüber gestellt werden: Während Milgram co, also quasi einer der inoffiziellen Hauptstädte der coun- Subjekte, deren Status innerhalb des Experiments ‚Lehrer‘ ter-culture in den USA der 60er und 70er Jahre. Diese Ära, war und blieb, dazu brachte, sich als Folterer und Henker zu in Frankreich und Deutschland verbunden mit der Jahreszahl betätigen, verlieh Zimbardo seinen ‚Wärtern‘ diesen Status 1968, wird nicht zu Unrecht bis heute mit regelrechten Auf- und überließ es ihnen selbst, die zu diesem Status passende 8
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