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Metzler Autoren Lexikon: Deutschsprachige Dichter und Schriftsteller vom Mittelalter bis zur Gegenwart PDF

853 Pages·2004·134.788 MB·German
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~ J.B.METZlER METZLER AUTOREN LEXIKON Deutschsprachige Dichter und Schriftsteller vom Mittelalter bis zur Gegenwart Dritte, aktualisierte und erweiterte Auflage Herausgegeben von Bernd Lutz und Benedikt ]eßing Verlag J. B. Metzler Stuttgart · Weimar Inhaltsverzeichnis Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Vorwort V Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in Autoren A-Z 1-836 der Deutschen Nationalbibliografie; Weiterführende Bibliographie 837 detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über >http:// dnb.ddb.de< abrufbar. Verzeichnis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter 839 Artikelregister 843 ISBN 978-3-476-02013-0 ISBN 978-3-476-03478-6 (eBook) DOI 10.1007/978-3-476-03478-6 Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheber rechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfaltigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © 2004 Springer-Verlag GmbH Deutschland Ursprünglich erschienen bei J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH in Stuttgart 2004 www.metzlerverlag.de [email protected] Vorwort Als dieses Buch erstmals 1986 erschien, eroberte es nommen. Zum anderen, damit sicherlich zusam rasch innerhalb und außerhalb der Universitäten menhängend, gibt es heute eine Vielzahl von be einen großen Leserkreis. In den zahlreichen Rezen merkenswert sicheren jungen Autorinnen und sionen wurden die Intensität der Darstellung, die Autoren, die es verdient hätten, aufgenommen zu Klarheit der Sprache und das leidenschaftliche werden. Eine ganz Große, ein ganz Großer ist, so Engagement für die im Laufe der Geschichte oft scheint es uns, nicht darunter, so daß man gut vertrackte Sache der Literatur hervorgehoben. beraten ist, noch ein wenig zuzuwarten, bis sich Herausgeber und Autorinnen fühlten sich von die Spreu vom Weizen getrennt hat. Auflage zu Auflage dieser öffentlichen Einschät Den heutigen wirtschaftlichen Umständen ent zung verpflichtet. Sie wollten deutlich machen, sprechend ging es bei der dritten Auflage nicht daß Literatur nicht geschrieben worden ist und ohne Einsparungen ab. Zum großen Bedauern von geschrieben wird, um einen bestimmten literatur Herausgebern und Autorinnen mußte auf Ab historischen >Stellenwert< auszufüllen und wissen bildungen der behandelten Autoren verzichtet schaftlichen Ordnungskriterien zu genügen. Diese werden. Die fälligen Lizenzgebühren für die Bild sind zwar zur propädeutischen Orientierung uner rechte hätten jeden kalkulatorischen Rahmen ge läßlich, stellen aber keineswegs das literarische sprengt. Um die Lesbarkeit zu erhöhen und um Leben selbst dar, dem sich der Autor in seiner Zeit den Seitenumfang nicht noch weiter aufzublähen, ausgesetzt sieht, dem er seine Lebendigkeit, seine wurde der Satz zweispaltig angeordnet. Das Buch Originalität, seinen Einspruch verdankt. Eine ist damit handlicher und entgegenkommender hohe, kontinuierlich verkaufte Auflage des »Metz ausgefallen. ler Autoren Lexikons<< ist das Ergebnis dieser stili Zu danken ist alldenjenigen Geistern, die beim stischen Mühe. Zustandekommen der insgesamt aufwendigen Gelegentlich ist bemängelt worden, daß viele Neuauflage geholfen haben. Zuerst den Autorln Autorinnen und Autoren >fehlen<. Die deutsche nen, die ihre »alten<< Artikel einer kritischen Literaturgeschichte kennt etwa 3000 >dichtende< Durchsicht unterworfen haben oder mit viel Elan Autoren, die Vielzahl der wichtigen, aufregenden neue Artikel geschrieben haben, Andreas B. Kil Sachbuchautoren nicht eingerechnet. Das Konzept cher, der bereitwillig einige Artikel aus dem von einer erzählenden Vergegenwärtigung von schein ihm herausgegebenen »Metzler Lexikon der bar Zurückliegendem, literaturgeschichtlich >Weg deutsch-jüdischen Literatur<< beigesteuert hat, gesargtem< oder bloß >Historischem< hätte unter Claudia Herrn, der in Bochum die Redaktion der dem Diktat der Vollständigkeit nur verlieren kön neuen Artikel anvertraut war, Heinz Ludwig Ar nen und zu einem vielbändigen Lexikonmonstrum nold und Christiaue Freudenstein, die in einigen geführt, das alles und nichts zeigt. Zudem: Lexika Fällen für bibliographische und textliche Ergän dieser Art von schemataler Langeweile gibt es auf zungen gesorgt haben, Sabine Kubisch, die in dem Buchmarkt zur Genüge. Verzeichnete die Stuttgart energisch und umsichtig die zahllosen erste Auflage 340 Autoren, so steigerte die zweite Korrekturen übertragen hat, schließlich Ute auf 440 und die hier vorliegende dritte Auflage auf Hechtfischer vom Verlag J. B. Metzler, die die Pro 550 Autorinnen und Autoren. jektleitung inne hatte. Auch die dritte Auflage, gemeinsam mit Be nedikt Jeßing (Ruhr-Universität Bochum) betrie Stuttgart/Bochum, Bernd Lutz/ ben, kannte natürlich die Qual der Wahl. Sie ver im Juli 2004 Benedikt Jeßing zeichnet wenige Ergänzungen im Bereich zurück liegender Literaturepochen und legt den deutli chen Schwerpunkt auf die Gegenwartsliteratur. Sie ist bei dieser Absicht auf eine Tatsache gestoßen, die in zweifacher Hinsicht bemerkenswert ist. Ein mal hat die Informationsdichte, in der heute lite rarisches Leben abgebildet wird, erstaunlich zuge- Abraham a Saneta Clara Abraham a Saneta Clara stehliehe Verbindung von Ernst und Komik, von tiefer Frömmigkeit, gezielter Satire und >>barocker<< Geb. 2. 7. 1644 in Kreenheinstetten Sprachgewalt; dem intendierten moralischen und bei Meßkirch; gest. 1. 12. 1709 in Wien geistlichen Nutzen dienten auch die zahlreichen Zitate kirchlicher und antiker Autoren, die Ge Johann Wolfgang Goethe behielt recht, als er dichteinlagen und die eingeflochtenen exempla Friedrich Schiller einen Band mit Schriften von A. rischen Geschichten und Wundererzählungen zusandte und dazu bemerkte, sie würden ihn >>ge ( >> Predigtmärlein <<). wiß gleich zu der Kapuzinerpredigt begeistern<< Seine bekanntesten Schriften entstanden aus (5. 10. 1798). Denn Schiller fand hier das Material, aktuellem Anlaß, der Pestepidemie von 1679 und das er brauchte, um den Auftritt des Kapuziners in der Belagerung Wiens durch die Türken 1683: Wallensteins Lager mit Leben zu erfüllen, und er Mercks Wienn (1680), eine Verbindung von Pest übernahm charakteristische Merkmale von A.s bericht, Predigt und Totentanz (>>Es sey gleich volkstümlichem Predigtstil, die Wortspiele, die morgen oder heut I Sterben müssen alle Leuth<<); Reihungen, die lateinisch-deutsche Mischsprache, Lösch Wienn (1680), eine Aufforderung an die die Verbindung von drastischem Ton und höhe Wiener, die Seelen ihrer durch die Pest hinge rem Anliegen. So setzte er >>Pater Abraham<<, die rafften Angehörigen durch Gebet und Opfer aus sem >>prächtige(n) Original<<, mit all seiner >>Toll dem Fegefeuer zu erlösen; und Auf! I auf! Ihr heit<< und >>Gescheidigkeit<< ein Denkmal, das Christen, ein Aufruf zum Kampf wider den Türk nachhaltiger wirkte als das wesentlich komplexere kischen Bluet-Egel (1683). Darüber hinaus belebte Werk des Predigers. A. die traditionelle Ständesatire und die Narren A., eigentlich Hans Ulrich Megerle, Gastwirts literatur (z. B. Wunderlicher Traum Von einem sohn, war nach dem Besuch der Lateinschule in grossen Narren-Nest, 1703 ), pflegte den Marienkult Meßkirch, des Jesuitengymnasiums in Ingolstadt und sorgte für erbauliche Unterweisung mit Hilfe und des Benediktinergymnasiums in Salzburg von Ars moriendi (Sterbekunst) und moralisieren 1662 in den Orden der Reformierten Augustiner der Emblematik (Huy! und Pfuy! Der Welt, 1707). Barfüßer eingetreten. Das Noviziat absolvierte er Seine Erfahrungen als Prediger flossen in die gro im Kloster Mariabrunn bei Wien, und von da an ßen Handbücher, Exempel- und Predigtsammlun stand Wien im Mittelpunkt seines Wirkens, wenn gen ein: Reimb dich Oder Ich liß dich (1684), er auch gelegentlich Aufgaben an anderen Orten Grammatica Religiosa (1691) und als herausra wahrnehmen mußte (so war er von 1670 bis 1672 gendstes Beispiel dieser Werkgruppe Judas Der Wallfahrtsprediger im Kloster Taxa bei Augsburg Ertz-Schelm (4 Teile, 1686-95) - kein epischer und von 1686 bis 1689 Prior im Grazer Kloster Versuch, sondern eine Art Predigthandbuch, das seines Ordens). Nach der Priesterweihe (1668) und die Lebensgeschichte des Judas als formalen Rah seiner Ernennung zum Kaiserlichen Prediger men benutzt und jede Station, jedes Laster zum (1677)-Kaiser Ferdinand II. hatte dem Orden die Anlaß einer warnenden Predigt nimmt, die es Seelsorge an der kaiserlichen Hotkirche übertragen nicht verfehlt, die >>sittliche Lehrs-Puncten<< auf -machte er >>Karriere<< in seinem Orden, dem er in anschauliche Weise zu illustrieren. hohen seelsorgerischen und administrativen Funk Der Beifall, den man seit Klassik und Roman tionen diente, zeitweise auch als Vorsteher der tik A.s >>Witz für Gestalten und Wörter, seinem deutsch-böhmischen Ordensprovinz. humoristischen Dramatisieren<< spendet (Jean Vor allem jedoch verstand er sich als Prediger, Paul), darf freilich nicht darüber hinwegtäuschen, und sein Werk ist untrennbar mit dieser Funktion daß es sich für den Prediger nur um Mittel zum verbunden. Das gilt auch für die Schriften, die Zweck handelt, um Elemente einer im Dienst der formal eigene Wege gehen und mit den üblichen >>allzeit florierenden I regierenden I victorisirenden Iiteraturwissenschaftlichen Gattungskriterien nur Catholischen Kirchen<< zielstrebig eingesetzten schwer zu erfassen sind. Drucke seiner Predigten überredungskunst. erschienen von 1673 an, als er >>Vor der gesambten Literatur: Eybl, Franz M.: Abraham a Saneta Clara. Kayserl. Hoffstatt<< eine Lobpredigt auf Markgraf Tübingen 1992; Abraham a Saneta Clara. Ausstellungs Leopold von Österreich hielt (Astriacus Austriacus katalog. Karlsruhe 1982. Himmelreichischer Oesterreicher). Sein Publikum Volker Meid erreichte und faszinierte er durch eine unwider- Achternbusch 2 Achternbusch, Herbert Bildes können wir heute, zur Zeit europäischer >>Milchseen<< und >>Butterberge<<, kaum noch nach Geh. 23. 11. 1938 in München empfinden. Die Dinge sind uns tatsächlich so weit über den Kopf gewachsen, daß für unsere Zeit die Was an A. auffällt, ist seine Verwandtschaft mit dem Eulenspiegelsehen entsprechenden Absurditä Eulenspiegel. In seinem Theaterstück Gust (1984) ten andere Bilder erfordern. Man erkennt aber im bittet die sterbende Ehefrau Gust um ein >>süßes folgenden Beispiel von A. immer noch das Prinzip Wort<<, und Gust, der Nebenerwerbsimker, stam des grotesken Milchzubers, in dem absurde Har melt vor sich hin: >>Honig<<. Das war auch die monie entsteht: >>Ursprünglich war ich ein ge Antwort Eulenspiegels auf dieselbe Bitte der an lernter Flugzeugmaurer. Für 25 Mark in der seinem Sterbelager sitzenden Mutter. Es sind aber Stunde habe ich mit Kelle und Wasserwaage Mau nun nicht nur die Kalauer, von denen Eulenspiegel ern in Flugzeugen hochgewgen. Wie es keinen und Achternbusch ausgiebig Gebrauch machen, Treibstoff mehr gegeben hat, habe ich für Kon sondern es verbindet sie etwas im Kern ihrer tergankinder Führungen in Atomkraftwerken ge Haltung. Die deutschen Bauern wurden mit dem macht. Wenn ich sie was gefragt habe, dann haben Beginn der Neuzeit auf ihr Land festgenagelt wie sie hier an der Schulter die Finger gehoben. Ich der Grünewaldsehe Christus ans Kreuz: die mei habe ihnen erklärt, daß die Atomkraft den Men sten von ihnen ging bis ins 19. Jahrhundert in die schen die Arme erspart<< (Das letzte Loch, 1981). sog. >zweite Leibeigenschaft<. Wenn nun einer in Liest man Artikel und Bücher über A., dann einem Volk, das zu 95% aus Bauern besteht, kein fallen immer wieder dieselben Wörter: assoziativ, Bauer sein will und auch kein Handwerk lernt, Aufbegehren, bayrisch, chaotisch, dilettantisch, dann ist das schwierig. Till ist der bodenlose Bauer, eigensinnig, individuell, radikal, subjektiv, unge der seinen Acker verläßt, weil man von ihm nicht bärdig, utopisch, verwundet, wrnig. Zwei Begriffe mehr leben kann. Er zeigt uns, wie ein Neubau sind bisher nicht (oder ganz vereinzelt!) genannt einer städtischen, später bürgerlichen Gesellschaft worden. Sie haben auch mit Eulenspiegel zu tun: nicht gelingen kann, wenn die Bauernfrage, d. h. Realismus und Aufklärung. Man kann sagen, daß das Verhältnis der Menschen zu ihrem Land, das die Hauptlinie der >>Dialekt der Aufklärung<<, die ist also auch die Frage der nationalen Identität, Linie des Verstandes, der instrumentellen Vernunft nicht gelöst ist. So erscheint Eulenspiegel den im 20. Jahrhundert, dem Jahrhundert der Ver Städtern und den Herren, und man kann sagen, wüstungen, in ihrem Scheitern zu erkennen ist. daß das Mißlingen der deutschen Geschichte im Jetzt werden die vergessenen, liegengelassenen Ne 20. Jahrhundert Eulenspiegel bestätigt hat. Und benlinien interessant. Es gab eine >>Aufklärung vor nun kehrt in A., der von bayrischen Bauern ab der Aufklärung<< des 17. und 18. Jahrhunderts, der stammt, dieselbe Bodenlosigkeit wieder. Was ihn die Verengung auf das gerade Denkvermögen des im Kern mit Eulenspiegel verbindet, ist die Ab Menschen fremd war. Rabelais, Cervantes, Boccac surdität der Haltung: >>Du hast zwar keine Chance, cio, Shakespeare, um ein paar berühmte Namen zu aber nutze sie!<< (Die Atlantikschwimmer, 1978). nennen, hätten den Ursprungssatz der Vernunft Dies ist die Lebenslosung Eulenspiegels und mag aufklärung >>Ich denke, also bin ich<< vielleicht auch für A.s Lebens gelten, wenn man manches nicht verstanden und ihn für wenig realistisch, aus den Ich-Erzählungen für bare Münze nimmt. d. h. der Natur des Menschen gemäß gehalten. Von Bestimmt aber gilt sie für seine Arbeit. >>Wenn das dieser Aufklärung vor und neben der Aufklärung, schon Dummköpfe sind, denen meine Bücher ge die auf breiterer, aber ungeordneterer, unüber fallen, was müssen das erst für Dummköpfe sein, sichtlicherer Grundlage fußt, geht ein starker ko denen sie nicht gefallen<< (Revolten, 1982). Rückt mischer Impuls aus, der sich in Menschen wie A. man seine Bücher, Filme, Theaterstücke und Bil und seinen Lesern und Guckern wieder bemerkbar der in die Tradition der Eulenspiegelstreiche, so macht. Ihr Hauptprinzip heißt >>Aufklärung durch versteht man sie richtig. Eulenspiegel hat z. B. auf Vernebelung<< (Heiner Müller), d.h. sie würden dem Bremer Marktplatz Milch in einen großen das Gebot >>sapere aude!<< nie aussprechen, weil sie Bottich gießen lassen, also Milchmengen gesam der Wirkung direkter, linearer, verständiger Kom melt, mit denen eine mittelalterliche Bauerngesell munikation mißtrauten. Von diesem Prinzip leben schaft oder frühe Stadtbewohner auf keinen Fall auch A.s Arbeiten: >>Ich möchte aber Filme, die sinnvoll umgehen konnten. Die Absurdität dieses niemand versteht. Früher hat man einen Bachlauf 3 Achternbusch nicht verstanden, heute wird er begradigt, das der Bürokratie (Das Gespenst, 1983), der Ritter des versteht ein jeder.« >>Es geht nicht mehr darum, Kulturbetriebs und der Traditionalisten auf sich. dieses bürgerliche Verbrecherturn zu beweisen, Aber es sichert ihm die Zuneigung der Künstler, sondern unverschämte Behauptungen in die Welt und zwar auch solcher, die gar nicht zueinander zu setzen. Die Literatur soll erfinden ... Die Erfah und zu ihm zu passen scheinen. Sie bemerken, daß rung soll springen, in Erfindungen springen.<< Ist hier einer die Wurzeln der Kunst, d.h. nicht es nicht immer noch überraschend, daß Kant in entfremdeter Produktivität offen hält, so daß man seinem berühmten Aufsatz >>Beantwortung der daran anknüpfen kann. Frage: Was ist Aufklärung?« ( 1783) als erstes Bei Zusammenhänge sind oft unterirdisch. Man spiel von Unmündigkeit die Abhängigkeit vom muß nicht bestreiten, daß A. mit den häufig ge Buch anführt? >>Es ist so bequem, unmündig zu nannten Kameraden im Geiste (Kar! Valentin, Os sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, kar Maria Graf, Charlie Chaplin, Buster Keaton, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Marx-Brothers, Jean Paul, auch mit Robert Walser Arzt, der für mich die Diät beurteilt, usw.: so und Pranz Kafka) offenkundig vieles verbindet, brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen.« wenn man auf andere, weniger offenkundige Be Natürlich meint Kant mit dem Buch das damals züge hinweist. Dazu gehört z. B. eine geheime beherrschende Buch, die Bibel. Aber das Verhältnis Verwandtschaft mit Robert Musil. Für ein deka der Leser zum Geschriebenen muß sich nicht da dentes Lebensgefühl, welches seine Zeit be durch ändern, daß an die Stelle der Bibel in stimmte, fand Musil folgendes Bild: >>Sätze wie zwischen alle möglichen Bücher oder auch Filme, dieser schmecken so schlecht wie Brot, auf das Fernsehen u. a. getreten sind. Auch Bücher wie die Parfüm ausgegossen wurde, so daß man jahrzehn von Kant, die in emanzipatorischem Interesse ver telang mit alledem nichts mehr zu tun haben faßt wurden, können sich gegen die Gewohnheit mag.« In A.s Film Der Depp (1982) wird folgendes unmündigen Lesens schlecht wehren. Aus diesem Gericht serviert: >>Das Sauerkraut mit dem Scho Scheitern zieht A. die Konsequenz, Bücher zu koladenherz«. Beide Bilder zeigen einen Weltekel, schreiben, die überhaupt keinen Verstand haben dessen deutscher komischer Archetyp Eulenspiegel und daher auch keinen >>für mich« haben können. ist, unterscheiden sich aber städtisch (Wien, bür Das Vertrauen auf den Unsinn (von Erfindung gerlich, ironisch) und ländlich (bayrischer Wald, und Erfahrung), Komik, will ein Hemmnis gegen bäuerlich, komisch). Mit diesem Abscheu gegen unmündiges Lesen sein, denn unsinnigen Sätzen die Außenwelt geht fast immer die Sehnsucht nach kann man nicht sklavisch-verständig folgen. »La einem anderen Menschen einher, der die Welt chen ist ein guter Ausgangspunkt für Denken.« genauso verabscheut: das ist Agathe für den Mann Wer an dem Begriff der Erfahrung festhält, ohne Eigenschaften und Susn in den Büchern A. s. kann kein Gegenaufklärer sein. Es kann sich dabei Um das Soziale, eigentlich Asoziale, das Kriegeri im Ursprung und Kern nur immer um die eigene sche in der Liebe möglichst gering zu halten, Erfahrung handeln. Auf die Einsicht der Bedro verkleidet sie sich als Inzest. Susn ist wie Agathe hung der Welt gründet sich Achternbuschs Rea die Schwester: >>Der Vater hat dir die Susn in den lismus. >>Ich bin der Erfinder der Individuellen Kopf gespuckt, sag ich da. Er hat einen Rausch Kunst, Erfinden kann man die leicht, aber durch gehabt, und in seinem Kater tröstete er sich mit setzen!« Die seit dem 18. Jahrhundert benutzten einer schönen Erfindung, einer Tochter aus seinem künstlerischen Formen, die alten Behälter der Er Samen!« (Die Alexanderschlacht, 1978). Der >>letz fahrung, können die lebendige, also zunächst in ten« ernsthaften >>Liebesgeschichte« Musils folgt dividuelle Erfahrung der Gegenwart auf keinen die letzte komische. So verstecken sich in A.s Werk, Fall mehr fassen: >>Wer eine spezielle literarische der insofern mitnichten der eigensinnige Eigen Form pflegt, mag er auch noch so ideologische brötler ist, als der er erscheint, Chiffren der deut Fassadenpflege betreiben, dient dem blockhaften sehen Geistesgeschichte. Das Inzestmotiv läßt sich politischen System. Jeder Roman ist eine totale bis zu Wieland zurückverfolgen. Er wiederbelebt politische Institution.« Die Grundform A.s ist der historisch vorhandene Protestenergie gegen die Assoziationsstrom, der aber als Naturform der Traumata des geschichtlich Gewordenen: >>Denn Phantasie, nicht als Kunst bezeichnet werden muß. das Individuum ist der Sinn der Geschichte und Sein Realismus besteht gerade darin, ein kunst ihr Ende zugleich.« loser Künstler zu sein. Dies zieht die Feindschaft Die Aufmerksamkeit, die den Filmen und Bü- Achternbusch 4 ehern A.s in den 1960er, 70er und teilweise 80er einem Programm oder einer Ideologie verpflichtet Jahren zuteil geworden ist, brichtinfolge der Kom ist. Und zu keiner Zeit kommt für A. eines in merzialisierung der Filmlandschaft und des kon Frage, das nicht den Widerstand in Sprache um servativen öffentlichen Klimas in den 90ern ab, setzt und in ihr aufzeigt: >>Sie ist, wenn sie da ist, obwohl A. unverdrossen weiter Filme produziert das Engagement selbst<<. (bisher knapp 30), Bücher schreibt und Bilder >>Ich gebrauche jetzt die besseren Wörter nicht malt. Allein im Jahr 2003 veröffentlichte A. vier mehr<<, beginnt die Titelerzählung des Bandes Bücher: Guten Morgen!, Schnekidus, Liebesbrief Schlechte Wörter (1976), die eine grimmig-melan und Mein Vater heißt Dionysos. 1993 zeigte die cholische Demonstration der poetischen Autono ARD eine Retrospektive seiner Filme, 1994 wird er mie, ein Plädoyer für die definierende Sprache ist in die Bayrische Akademie der Schönen Künste (>>Definieren<< grenzt an >>Unterhöhlen<<), für eine, aufgenommen. Der kleine Österreichische Verlag die den >>ausreichenden Devisen<< und allen Kon Bibliothek der Provinz hat inzwischen drei Bände ventionen apodiktisch entrissen wird. A. hat meh einer Gesamtausgabe A.s herausgebracht. rere poetologische Texte geschrieben. Einer davon, Meine Sprache und ich (1978), hat den Titel abge Werkausgabe: Gesamtausgabe. Bisher 3 Bände. Weitra geben für die Taschenbuchausgabe der gesammel 2000ff. Literatur: Elsaesser, Thomas: >> Tarnformen der Trauer: ten Erzählungen, 1978; darin findet sich auch Herbert Achternbuschs Das letzte Loch«. In: Lachen Der Querbalken, von Wolfgang Hildesheimer als über Hider-Auschwitz-Gelächter? Hg. von M. Frölich, Schlüsseltext der Literatur der Moderne interpre R. Loewy und H. Steinert. München 2003; Gass, Bar tiert. Diese Texte berichten alle erzählerisch, kei bara: Herbert Achternbusch. Fotografien aus 25 Jahren. neswegs theoretisierend, vom schwierigen Umgang Heidelberg 1999; Jausen, Peter W./Schütte, Wolfram mit der Sprache und mit der Welt, die sich in ihr (Hg.): Herbert Achternbusch. München/Wien 1984; spiegelt. Drews, Jörg (Hg.): Herbert Achternbusch, Materialien Ihr erstes Buch, den Roman Die größere Hoff band. Frankfurt a. M. 1982. nung (1948), begann A. zu schreiben, um darüber Rainer Stallmann zu berichten, >>wie es war<<. Sie hatte die Jahre des Kriegs und der Naziherrschaft in Wien verlebt und Aichinger, Ilse mußte als Halbjüdin (vor allem aber ihre jüdische Mutter) ständig mit der Deportation rechnen. Geb. 1. 11. 1921 in Wien Diese dokumentarische, historische, autobiogra phische Realität wird verwandelt in eine poetische. Ein >>zartes, vielgeliebtes Wunderkind<< war - Einmal dadurch, daß A. weder den Schauplatz so erinnert sich der Kritiker Joachim Kaiser noch noch die Verfolger und die Opfer benennt. Vor 1980 - A. für die Mitglieder der legendären allem aber durch eine kühne, expressive Bilder Gruppe 47, als sie (ab 1951) an deren Tagungen sprache, die nicht nur mit der damals zur Wahr teilzunehmen begann und 1952 für die Spiegel heitsfindung für unverzichtbar gehaltenen >>Kahl geschichte ihren Preis erhielt. Einer aus der schlag<<-Sprache nichts gemein hat, sondern auch Gruppe, der Lyriker und Hörspielautor Günter innerhalb von A.s übrigem Werk einzig dasteht. Eich, wurde A.s Mann. Von ihm, sagt sie nach Die Verwandlung überhöht oder schließt den rea seinem Tod, habe sie ein Engagement gelernt, das len Schrecken keineswegs aus, aber sie konfrontiert über das politische hinausging, >>ein Engagement ihn radikal mit einer durch ihn nicht einzuholen gegen das ganze Dasein überhaupt<<. >>Ich lasse mir den poetischen Gegenwelt In dieser Gegenwelt die Welt nicht bieten<<, hat sie ein andermal gesagt lebt eine Gruppe verfolgter Kinder und Halb und ihren Widerstand gegen politische Systeme, wüchsiger spielerisch und - buchstäblich! - spie Macht und Machtträger (>>die Gekaderten<<) im lend den Widerstand und die Verweigerung: Im mer schon verstanden >>nur als Teil eines größeren Kapitel >>Das große Spiel<< führen sie ein Theater Widerstandes, dem die Natur nicht natürlich er stück auf; sie spielen es so intensiv, daß ein >>Hä scheint, für den es den Satz >weil es so ist< nicht scher<< von der >>Geheimen Polizei<<, der die Kinder gibt<<. Der so umfassend und grundsätzlich defi abholen soll, seinen Auftrag vergißt und sich in das nierte Widerstand (A.s >>biologische Revolte, Anar Spiel einbeziehen läßt. Die fünfzehnjährige Ellen, chie<<) schließt ein Schreiben aus, das von einer die sich der Gruppe angeschlossen hat, obwohl sie vorgegebenen Welt und Wirklichkeit ausgeht und >>zwei falsche Großeltern zu wenig<< habe, kommt 5 Aichinger dabei zu der Erkenntnis, daß die »große Hoff Schöpfungsgeschichte neu (und humaner) begin nung<< - auf ein Ausreisevisum nämlich -zu wenig nen: »Wenn es zur Zeit der Sintflut geschneit und ist. >>Nur wer sich selbst das Visum gibt ... , (wird) nicht geregnet hätte, hätte Noah seine selbstsüch frei<<. Die »größere Hoffnung<< aber richtet sie - tige Arche nichts geholfen. Und das ist nur ein während sie von einer explodierenden Granate Beispiel«. Kleist, Moos, Fasane enthält Texte aus zerrissen wird - auf eine neue Welt des Friedens vier Jahrzehnten. An ihnen, vor allem aber an der und der Menschlichkeit. zu A.s siebzigstem Geburtstag 1991 erschienenen A.s einziger Roman, obwohl früh in seiner (mustergültig edierten) Taschenbuch-Ausgabe der Bedeutung erkannt (»die einzige Antwort von Werke in acht Bänden ist es nochmals zu über Rang, die unsere Literatur der jüngsten Vergan prüfen, wie die zu einer Klassikerin der deutschen genheit gegeben hat<< - Walter Jens), sei trotzdem Gegenwartsliteratur gewordene Autorin zugleich bis heute »ein Buch, das geduldig auf uns wartet<<, immer eine Avantgardistin geblieben ist, für die meint Peter Härtling; der Erfolg von A.s frühen die Zeitlosigkeit, in der ihr Schreiben angesiedelt Erzählungen habe einer breiten Publikumsreso sein will, jedenfalls nicht die geringste Gemein nanz im Wege gestanden. Von Rezeption und Um samkeit aufweist mit Zeitferne. fang her bilden die Erzählungen tatsächlich das Darum war es zwar eine überraschung, hat Zentrum ihres Werks. Und manche davon sind aber durchaus seine Logik, daß A. Jahre später als Lesebuchklassiker geworden; von den früheren ne Kolumnistin für die Wiener Tageszeitung Der ben der Spiegelgeschichte vor allem Der Gefesselte, Standard tätig wurde. Seit Oktober 2000 erscheint Die geöffnete Order, Das Fenstertheater, von den von ihr jeden Freitag eine Kolumne: eine erste späteren Mein grüner Esel, Wo ich wohne oder Mein Serie unter dem Titel Journal des Verschwindens, Vater aus Stroh. Hingegen sind A.s Hörspiele (vier die anschließenden Folgen mit den Titeln Un davon gesammelt im Band Auckland, 1969) und glaubwürdige Reisen und Schattenspiele. - Die Ko die Dialoge und Szenen (Zu keiner Stunde, 1980) lumnen des ersten halben Jahres bilden den kaum zur Kenntnis genommen worden; in diesen Schwerpunkt des Bandes Film und Verhängnis. Textgattungen ist A.s Poetik des Schweigens ("Viel Blitzlichter auf ein Leben (2001). Zusammen mit leicht schreibe ich, weil ich keine bessere Möglich anderen, weniger an die cineastische Aktualität keit zu schweigen sehe<<), der Leerräume und der gebundenen Gelegenheitsarbeiten (im ersten Teil ständigen Verlegung der Grenzen der Realität von des neuen Buches) offenbaren die Film-Kolumnen Zeit und Raum besonders weit getrieben. eine Autorin mit dem genauen Bewußtsein dafür, In A.s literarischer Entwicklung seit Die grö daß sie für ein anderes Medium arbeitet und sich ßere Hoffnung ist eine sprachliche und gedankliche nicht ausschließlich an ihre bisherigen Leser wen Radikalisierung zwar unverkennbar, aber sie läßt det, sondern beispielsweise auch an solche, die wie zu keiner Zeit Teile ihres früheren Werks überholt sie selber passionierte und kenntnisreiche Kino erscheinen. Zu Recht verrät in dem 1978 erschie gänger sind. Wie A. die Gratwanderung zwischen nenen Gedichtband Verschenkter Rat keine chro einerneuen Zugänglichkeil und der unverwechsel nologische Anordnung die bis zu fünfundzwanzig bar A.schen sprachlichen und gedanklichen Ra Jahre auseinanderliegende Entstehungszeit der Ge dikalität meistert, das ist in den einzelnen Texten dichte. Der andere, der nicht durch überlieferung des Bandes Film und Verhängnis ebenso wie in den und Übereinkunft verstellte Blick auf die Realität seither wöchentlich publizierten Kolumnen jedes ist für die frühe wie die späte Lyrik kennzeichnend. mal von neuem staunens- und bewundernswert. Nachruf ist aus diesem freien Blick heraus ent Werkausgaben: Kurzschlüsse (Prosa). Wien 2001 (mit standen. Die Raum- und Zeitlosigkeit, in der die CD); Werke. Taschenbuchausgabe in acht Bänden. Hg. vier lakonischen Imperative gesprochen sind, ver von Richard Reichensperger. Frankfurt a. M. 1991. mag eine von allen Seiten (religiös, historisch, Literatur: Moser, Samuel (Hg.): Ilse Aichinger, Materia sozial und politisch) abgesicherte Weltordnung auf lien zu Leben und Werk. Frankfurt a. M. 32003; Herr den Kopf zu stellen und zu zertrümmern: >>Gib mann, Britta/Thums, Barbara (Hg.): »Was wir einsetzen mir den Mantel, Martin, I aber geh erst vom Sattel können, ist Nüchternheit«. Zum Werk Ilse Aichingers. I und laß dein Schwert, wo es ist, I gib mir den Würzburg 2001; Lindemann, Gisela: Ilse Aichinger. ganzen<<. Und der Prosatext Schnee (aus Kleist, München 1988. Heinz F. Schafroth Moos, Fasane, 1987) läßt in seinen letzten Zeilen und mittels eines verbindlichen Irrealis' die ganze

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