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Medizinisches Seminar: Neue Folge PDF

454 Pages·1928·14.642 MB·German
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MEDIZINISCHES SEMINAR HERAUSGEGEBEN YOM WISSENSCHAFTLICHEN AUSSCHUSSE DES WIENER MEDIZINISCHEN DOKTORENKOLLEGIUMS NEUE FOLGE WIEN VERLAG VON JULIUS SPRINGER 1928 ISBN-13: 978-3-7091-5286-7 e-ISBN-13: 978-3-7091-5434-2 DOl: 10.1007/978-3-7091-5434-2 ALLE RECHTE, INSBESONDERE DAS DER UBERSETZUNG INFREMDESPRACHE~VORBEHALTEN SOFTCOVER REPRlNT OF THE HARDCOVER 1ST EDITION 1928 Vorwort Der vorliegende neue Band des "Medizinischen Seminars" enthiUt den groBten Teil der in den Seminarabenden der Jahre 1925 bis 1927 besprochenen Fragen; er bildet eine Ergll.nzung des so beifallig aufgenommenen ersten Bandes, dies um so mehr, als wir bemiiht waren, fiir die Seminarabende der letzten Jahre jene Themen auszuwahlen, die im ersten Bande unberiick sichtigt geblieben sind. Wir geben uns der Erwartung hin, daB der Erfolg und Beifall seitens der Kollegenschaft auch diesmal unsere Bemiihungen lohnen wird. Auch diesmal sei den Referenten fiir ihre Hilfsbereitschaft herzlich gedankt; ebenso jenen Kollegen, die &ich redaktionell um das Erscheinen des zweiten Bandes bemiiht haben. Beziiglich des Registers sei noch bemerkt, daB am Schlusse des zweiten Bandes ein alphabetisches Register iiber den ersten und den zweiten Band aufgenommen ist, so daB der Besitzer des zweiten Bandes darin auch gleich die im ersten Bande behandelten Themen findet. Wien, im April 1928. I., Franz-Jo sephs-Kai 65 Der wissenschaftliche Ausschufl des Wiener medizinischen Doktorenkollegiums Albuminurie Wie ist die EiweiBausscheidung vom versicherungsarztlichen Stand punkte aus zu beurteilen? Die Untersuchung auf EiweiB ist fiir arztliche Beurteilung des Ver sicherungsrisikos ebenso wichtig wie die auf Zucker. Es spielen iibrigens schon die Angaben iiber das Urinlassen als solches eine groBe Rolle. Die Nykturie, das Nachtharnen, kommt besonders bei chronischer Nephritis, Prostata erkrankungen, natiirlich auch beim Diabetes vor. Aber auch bei nervosen Personen. Ein besonders niedriges spezifisches Gewicht des Hames ist, wenn nicht gerade kurz zuvor getrunken wurde, verdachtig und spricht fiir mangelnde Konzentrationsfahigkeit der Niere. Hier komme ich auf die Funktions priifung der Niere zu sprechen. Ihre einfache und dabei eigentlich auf schluBreichste Form ist der leicht durchzufiihrende Wasserversuch. Bei alteren Leuten und solchen mit etwas erhohtem Blutdruck kann er fUr die Einschatzung des Risikos von Bedeutung sein, er wird auch bei groBen Versicherungssummen von RiickversicherungsgeseIlschaften ver langt. Man gibt auf niichternen Magen morgens zirka 1500 Kubikzentimeter Wasser oder diinnen Tee zu trinken und laBt dann in einstiindigen Pausen den Urin auffangen. Das spezifische Gewicht fant beim Normalen rasch auf zirka 1004, nach vier Stunden ist iiber 800/0 der zugefiihrten Wasser menge bereits wieder (normalerweise) ausgeschieden. Dies nennt man den Verdiinnungsversuch. Nun schlieBt sich daran der sogenannte Kon zentrationsversuch, es wird jetzt von Mittag bis Abend, bei nur trockener Nahrungszufuhr, aIle zwei Stunden der Urin gesammelt. Bei normalen Individuen steigt das spezifische Gewicht rasch bis auf zirka 1030. Bei Leuten mit beginnender chronischer Nephritis ist sowohl die Dilution als auch die Konzentration des Urins unvollkommen, die Kurve der spezifi schen Gewichtszahlen mehr ausgeglichen. Bettruhe ist bei diesem Versuche wohl wiinschenswert. Was die anzuwendenden EiweiBproben anlangt, so sind iiberempfind liche Proben wie die Sulfosalizylsaureprobe und die Spieglersche Sublimat probe fiir unsere Zwecke nicht brauchbar. Wir halten uns an die drei klassischen EiweiBproben: Die Essigsaureferrozyankaliumprobe, die Sal petersaureprobe (Hellersche) und die Kochprobe. Es empfiehlt sich, diese drei Proben nebeneinander auszufiihren. Was die Essigsaureferrozyankaliumprobe anlangt, so muB darauf ge achtet werden, daB die Ansauerung durch die Essigsaure nicht zu schwach Seminar, Neue F olge 1 2 Albuminurie ist, da ja sonst nicht Ferrozyanwasserstoffsaure entstehen kann, die ja mit dem EiweiB die bekannte, sich niederschlagende, weil im Wasser unlosliche Verbindung eingeht. Bei der Hellerschen Salpetersaureprobe tritt der bei "Oberschichtung mit Urin sich bildende EiweiBring oft nicht sofort, sondem erst nach einer Minute auf. Wenn der Urin viel Hamsaure enthlHt, so kann auch ein Ring auftreten. Dieser ist nicht so scharf und liegt nicht scharf an der Salpetersaureringgrenze, sondern mehr in der Urinschichte. Er verschwindet iibrigens bei leichter Erwarmung. Auch nach Arzneimitteln (Kopaiva, Terpentin) entsteht ein ahnlicher, der sich nach Alkoholzusatz auflost. Diese beiden Proben geben bei Anwesenheit des Bence-Jonesschen Korpers (Myelom) ein positives Resultat, auch deshalb ist die dritte, die Kochprobe, erforderlich. Bei der Kochprobe muB der Urin schwach sauere Reaktion haben, ein UbermaB von Saure lii-Bt Azidalbuminat entstehen, das beim Kochen nur schlecht ausgefallt wird. Der Bence-Jonessche Korper fallt bei der Koch probe schon bei zirka 500 aus, :urn dann bei weiterer Erhitzung wieder zu verschwinden. Natiirlich muB auch die extrarenale Albuminurie, die Albuminuria spuria, in Betracht gezogen werden. Vor allem bei Frauen, wo das Vaginal sekret (mikroskopisch leicht nachweisbar) haufig Albuminurie vortauschen kann. Bei Mannern Prostatasekret und vor allem Sperma. DaB Albuminurien nicht immer einen pathologischen Zustand darstellen, wurde eigentlich schon durch die beriihmten Untersuchungen Leubes an Soldaten nach "Obungsmarschen dargetan. Nach jeder ahnlichen, besonders sportmaBig betriebenen "Oberanstrengung kann man oft EiweiB im Urin nachweisen, nach schweren Uberanstrengungen haben manche Autoren in fast 1000/0 der Falle EiweiB gefunden. Diese Art von Albuminurie nach schwerer Uberanstrengung kann man wohl mit Recht als physiologisch bezeichnen. Aber auch andere Arten von Albuminurie wurden beobachtet, deren Bedeutung als Zeichen einer echten Nierenaffektion zweifelhaft erschien. Englische Autoren beobachteten solche EiweiBausscheidungen offensicht lich gutartigen Charakters, besonders bei alteren Kindem und in den Pubertatsjahren. Schon diesen Autoren ist der zyklische Charakter dieser Albuminurien aufgefallen. Am Morgen ist der Urin eiweiBfrei, nach dem Aufstehen nimmt der EiweiBgehalt rasch zu, urn am Nachmittag wieder abzunehmen. Man sprach dann auch von orthotischer oder orthostatischer Albuminurie. Wenn auch einige Autoren (Senator) den ganz harmlosen Charakter dieser Affektion bestritten, hat doch die vielseitige Erfahrung ihn im groBen und ganzen anerkannt. Jehle hat eine viel beachtete Er klarung gegeben, indem er auf die so haufige lordotische Haltung der Wirbelsaule solcher Adoleszenten hinwies und die durch die so erzeugte Zerrung der Vena renalis verursachte Nierenstauung als Ursache der Albuminurie ansprach. Er konnte auch durch entsprechende Stellungs anderungen Albuminurie hohen Grades erzeugen, die nach Aufgeben dieser Zwangsstellung prompt wieder schwand. Wenn ich nun in Anlehnung an Hymans v. d. Bergh meinen Stand punkt fiir die Aufnahme festlegen will, so wiirde ich das ungefahr so tun: Anaphylaxie 3 Der Albuminurie darf nicht eine Infektionskrankheit unmittelbar voraus· gegangen sein. Der AntragsteHer darf nicht als Kind an Scharlachnephritis gelitten haben. Herz, BlutgefaBe, Fundus oculi miissen normal sein; vor aHem der Blut- druck nicht hoch. Das spezifische Gewicht nicht unter 1015. Der EiweiBgehalt darf nicht hoch sein, hochstens 0,5%0' 1m Sedimente diirfen fast keine granulierten Zylinder vork{)mmen. Vor aHem auch nur vereinzelte rote Blutkorperchen. Unter diesen Bedingungen wiirde ich die Annahme mit Zuschlag zur Pramie empfehlen. Aber nicht fiir langer als 20 Jahre. Czyhlarz Anapbylaxie Welche Krankheitsbilder des Siiuglingsalters werden auf Anaphylaxie zuriickgefiihrt und welche Therapie kornrnt dabei in Betracht? Das pathologische Geschehen im anaphylaktischen Schock wurde in den letzten J ahren genau analysiert. Dabei wurde festgesteHt, daB es sich fast ausschlieBlich urn Kontraktionen der glatten Muskulatur und urn Veranderungen an den Kapillaren handelt. Vor aHem findet sich eine An haufung von Blut in den Abdominalorganen und der Leber, wodurch das Herz ungeniigend mit Blut versorgt wird und der Blutdruck sinkt. E. P. Pick und ich haben seinerzeit diese Veranderungen darauf zuriickgefiihrt, daB im Schock Kontraktionszustande in den feinsten Verzweigungen der ab fiihrenden Lebervenen, also im Bereiche der Vena hepatica einsetzen, die den Abstrom von Blut drosseln und dadurch die Kapillaren der Leber und sekundar des ganzen Portalgebietes erweitern. Unsere Auffassung iiber diesen Mechanismus wurde zwar nicht widerspruchslos hingenommen, das Auffinden von Muskelwiilsten in der Vena hepatica, wie sie sonst nicht beobachtet werden, durch amerikanische Anatomen diirfte diese Streit frage in unseremSinne entschieden haben. Ganz ahnlich liegen die Verhaltnisse in der Lunge, wo es ebenfaHs im Schock zu Hyperamie durch Venenkontrak tionen kommt, die meistens von gieichzeitig einsetzenden Kontraktionen der Bronchialmuskulatur begleitet werden. Ahnliche Kontraktionen der Venen in der Haut geben AniaB zu Urtikaria. Bei allen diesen Vorgangen, sei es in der Leber, in der Lunge oder in der Haut, kommt es wahrend dieser Stauring in den Kapillaren zu Austritt von Wasser aus der GefaB bahn, wodurch diese Vorgange ihre besondere physiologische Bedeutung erhalten. Der Streit, ob diese venose Hyperamie, insbesondere in der Leber, durch GefaBkrampfe zustande kommt, wie wir behaupten, oder durch aktive Erweiterung der Kapillaren, wie dies besonders Dale vertritt, liatte kein besonderes praktisches Interesse, wenn wir nicht auch nachgewiesen hatten, wodurch, von der Anaphylaxie abgesehen, diese VeneIisperren in Betrieb gesetzt und wodurch sie geOffnet werden konnen. Venen sperren~ wie der Schock wirken gewisse noch recht kompliziert zusammengesetzte Bestand teile des EiweiBes, wie Pepton und das von Eppinger in den Geweben nach gewiesene Histamin, ferner hypotonische SalzlOsungen, offnend hyper- 1· 4 Anaphylaxie tonische Losungen und einige Diuretika. Wir haben auch eine nervose Versorgung der Sperren festgestellt: Der Vagus verschlieBt, wirkt also schockartig, der Sympatikus offnet. So haben wir eine Reihe therapeutischer Wege in der Hand, urn diese Zustande zu bekampfen. Am besten bewahren sich intrav enose Injektionen hypertonischer LosuJ:1gen, Kalk und Atropin, das meistens in I/z%iger Losung, mehrmals taglich zwei bis zehn Tropfen verwendet wird, unter gewissen Umstanden auch Adrenalin. Wir wollen hier alle jene Krankheitsbilder zusammenfassen, bei denen wir ahnliche pat hologische V organge an den Ka pillaren annehmen miissen, ohne zu entscheiden, ob sie durch EiweiBreinjektion oder durch ahnlich wirkende toxische Substanzen hervorgerufen wurden. Zur Anaphylaxie werden die Reaktionen nach Seruminjektionen gerechnet, die nach der zweiten Injektion friiher einsetzen und zumeist auch stiirmischer sind als nach der ersten Injektion. Meistens handelt es sich bei der Serumkrankheit, sei es nach der ersten oder wiederholten Injektion, urn Urtikaria, Odeme usw.; schwere Erscheinungen wurden nur nach den mit Recht verlassenen intravenosen Seruminjektionen beobachtet, die man als typischen Schock auffassen muB und bei denen die oben an gefiihrte Therapie gewiB am Platze ist. Zur Anaphylaxie rechnet man heute auch nach einem Vorschlag Doerrs und anderer die sogenannten Idiosynkrasien. Fiir uns Kinderarzte hat besonders das Krankheitsbild ein besonderes Interesse, das man als Kuhmilchidiosynkrasie bezeichnet und das gliicklicherweise zu den ganz graBen Seltenheiten gehort. Es gibt Kinder, die nach der ersten Zufuhr von Kuhmilch, ofters noch nach der ersten neuerlichen Zufuhr von Milch, wenn diese eine Zeitlang ausgesetzt worden ist, mit schweren, schock artigen, oft sehr bedrahlichen Erscheinungen antworten. Die Beurteilung dieses Krankheitsbildes wird dadurch erschwert, daB fast immer nach einem solchen Anfall auch Frauenmilch eine Zeitlang schlecht vertragen wird, so daB manche Autoren von einer Frauenmilchidiosynkrasie sprechen. Bedenken wir den Zusammenhang zwischen dem Zustandekommen schock artiger Zustande durch GefaBkrampfe mit dem vegetativen Nervensystem, ihre daraus resultierende Begiinstigung durch vagotonische Zustande, dann werden wir keinen Gegensatz zu unserer Auffassung darin erblicken, daB besonders Kinder nervoser Eltern, Neuropathen, ofters solche Er scheinungen aufweisen. Fiir den Anfall selbst bewahrt sich wieder Atropin; neuerliche Anfalle werden am besten vermieden, wenn man einige Wochen milchfrei ernahrt, da der Schutz des Organismus gegen enteral zugefiihrtes artfremdes EiweiB von Monat zu Monat besser wird. Hier sante auch die alimen tare In toxika tion besprochen werden, die sich in ihren Symptomen in manchen Punkten diesen Erkrankungen an schlieBt. Uber ihr Entstehen differieren die Ansichten. Fiir ihre Behandlung gilt cum grano salis das bisher Vorgebrachte, doch steht dabei die Er nahrungstherapie derart im Vordergrund, daB ein genaueres Eingehen auf dieses Krankheitsbild zu weit fiihren wiirde. Die Stellung des Asthmas, das heute allseits ebenfalls als allergische Reaktion aufgefaBt wird, ist im Kindesalter nicht wesentlich anders als beim Erwachsenen. Neben den Mitteln, die zum Kupieren des Anfalles Angina pectoris 5 verwendet werden und die durchaus identisch sind mit denMitteln, um die Sperren zu offnen, ist vielfach auch versucht worden, direkt atiologische Therapie zu treiben. Neben dem Versuch, durch Intrakutaninjektionen mit verschiedenen EiweiBarten die schadigende N oxe zu eruieren, ist be sonders die neue Auffassung von Storm van Leeuwen bekannt geworden, der das Asthma auf eine a1lergische Reaktion zuriickfiihrt, die durch Ein atmen von eiweiBhaltigem Staub, den er mit dem alten Ausdruck "Miasma" bezeichnet, entstehen soll. Wenn das Einatmen dieser Partikel verhindert wird, sollen die AnfaIle aufhoren. Dabei geniigt es, wenn wenigstens in der Nacht keine Miasmen eingeatmet werden. Dazu geniigt das Schlafen in Raumen, denen filtrierte Luft zugefiihrt wird. Die dritte groBe Gruppe allergischer Reaktionen betrifft die Raut. Urtikaria tritt entweder als typische Idiosynkrasie nach GenuB gewisser EiweiBarten auf oder ohne daB eine' Ursache erkannt werden kann. Bei Kleinkindern tritt Lichen urticatus (Strophulus) sehr haufig auf, die Ur sache ist oft eine bestimmte Speise, etwa Eier, Butter, ein bestimmtes Gemiise, eine Obstart usw, Da wir aber manchmal das Krankheitsbild auch bei reiner FrauenmiIchkost auftreten sehen, ist nicht auszuschIieBen, daB es· hie und da auch durch Einatmen entstehen kann. Dafiir spricht, daB jeder Milieuwechsel die Erkrankung heilt, die aber sofort wieder auf tritt, wenn das Kind in sein friiheres Milieu zuriickkommt. So verschwindet jeder Strophulus im Spital in kiirzester Zeit. In vielen Fallen geht dem Ausbruch ein banaler Infekt, Schnupfen usw., mit geringem Fieber voraus. Wieder sind die iiblichen Reilmittel durchaus identisch mit denen, die die Sperren offnen, und wieder handelt es sich meistens um neuropathische, also relativ vagotonische Kinder. So kann es uns nicht wundern, daB dieses Krankheitsbild bei der gleichen Gruppe von Individuen vorkommt, die auch an Asthma, Idiosynkrasien usw. erkranken, deren Zusammenfassung unter dem Namen der exsudativen Diathese ein unbestreitbares Ver dienst Czernys ist. Gerade die Exsudation ist eine direkte Folge der Stauungen im Kapillargebiete, die je nach Anlage besonders leicht aus gelost werden kann und je nach dem Angriffspunkt derNoxe in verschiedenen GefaBgebieten beobachtet witd. Mautner Angina pectoris Bietet die Altersstenokardie in bezu~ auf Verlauf und Therapie Beson derheiten? Das Bild der vollausgebildeten Anfalle entspricht dem der jiingeren Jahre, der furchtbare Schmerzanfall hindert jede Bewegung, zwingt den Kranken, unbeweglich stehen zu bleiben und geht mit einem ausgesprochenen Vernichtungsgefiihl einher. Wie bei jiingeren Kranken, sind es hauptsachlich drei Momente, we1che die Anfalle hervorrufen: Korperliche Anstrengung, psychische Emotionen und starkere Inanspruchnahme des Verdauungstraktes durch iippige oder schwerverdauliche MahIzeiten oder auch reichlicher Alkoholkonsum. Die Beachtung dieser Momente ermoglicht auch die Erkennung der im Senium besonders haufigen atypischen Formen. Von den atypischen Formen sieht man ofters die abdominellen Anginen 6 Angina tonsillaris und die neuralgischen Formen mit vorwiegender Lokalisation des Schmerzes im Kiefer oder im Hinterhaupt. Bei der abdominellen Angina haben die Patienten oft das Gefiihl des Meteorismus, auf der Hohe des Anfalles imperativen Stuhldrang und wahrend des Stuhlabsetzens ein furchtbares Schwachegefiihl. Der in den Zeitungen so oft mitgeteilte Tod am Klosett ist in nicht wenigen Fallen durch eine abdominelle Angina herbeigefiihrt. - Der im Unterkiefer empfundene Schmerz treibt manche Kranke zum Zahnarzt, welcher in Unkenntnis der Stenokardie dem Patienten mitunter ein den Anfall auslosendes Mittel (z. B. Adrenalin) injiziert. Die Prognose ist wohl fiir jeden einzelnen Anfall ernst, denn er kann todlich enden, aber dennoch ist im allgemeinen. der Verlauf der erst im Alter entstandenen Stenokardie ein wesentlich giinstigerer als der in friiheren Lebensperioden zur Entwicklung gekommener Formen. Eine Dauer von zehn Jahren und dariiber ist bei der Altersstenokardie durchaus nicht un gewohnlich. Die Therapie entspricht der Behandlung in friiheren Lebens perioden. Bei der Darreichung von Theobromin kann man, urn Anorexie zu vermeiden, Chinin oder Nux vomica hinzu-fiigen. Nitroglyzerin in al koholischer Losung ist der Darreichung in Tabletten vorzuziehen. Giinstige Beeinflussung sieht man von Natrium nitrosum in Form subkutaner In jektionen (0,02 jeden zweiten Tag, 15 bis 20 Einspritzungen) oder von Nitroskleran (Dosierung wie beim Natrium nitrosum; es gibt ebenfalls Ampullen zu 0,02). Inhalationen von Amylnitrit, interner Gebrauch von Benzylum benzoicum (200/0 alkoholische Losung, dreimal taglich 20 Tropfen innerlich) helfen bisweilen. Massage des Riickens in Form des Tapotements laBt selten bei Behandlung des Anfalles in Stich. Fragen: Soll man zur Bekampfung der stenokardischen Erscheinungen Jodpraparate, Rhodan oder Atropin geben? Bilden die in der Nacht auf tretenden Wadenkrampfe bei alten Leuten ein Teilsymptom der Steno kardie? Hat sich die Anwendung der Diathermie bei Angina pectoris be wahrt? - Antworten: Die Jodpraparate werden besonders gerne in den Fallen gegeben, wo Verdacht auf Lues besteht; das Rhodan ersetzt das Jod nicht vollkommen und wird jetzt nicht mehr so gerne verordnet wie friiher; wenn bei Stenokardie gleichzeitig Bradykardie besteht, so verwende ich Atropin. Die Wadenkrampfe wahrend der Nacht gehoren nicht zur Stenokardie; die beim Gehen auftretenden sind Teilerscheinungen von intermittierendem Hinken. Bei allen Zustanden von GefaBkrampfen, also auch bei Angina pectoris, ist Diathermie von Nutzen. H. Schlesinger Angina tonsillaris Wie kann man am zweckmiHligsten eine Angina bei Kindem und Erwachsenen behandeln? In der heute zumeist iiblichen Behandlung der Angina tonsillaris, auch follicularis oder lacunaris genannt, werden vielfach Methoden aus alteren Epochen mitgeschleppt, die sich mit den neueren Anschauungen iiber Wesen und Pathologie dieser Erkrankung nicht tnehr recht verein baren lassen. Heute wird die Angina lacunaris als eine akute allgemeine Infektionskrankheit aufgefaBt, von der die tonsillare Erkrankung nur ein Symptom, gewissermaBen ein Enanthem darstellt. Das gilt zweifellos Angina tonsillaris 7 fur FaIle von tagelangem allgemeinen Unwohlsein (Abgeschlagenheit, Fieber, Schmerzen), dem erst am dritten bis vierten Tag der Ausbruch der Tonsillenerkrankung folgt. Allerdings stehen dem gegenuber die gewiB ebenso zahlreichen FaIle, wo die Erkrankung streng lokal beginnt und ebenso lokal begrenzt ablauft unter geringfugigen Allgemeinerscheinungen. Gleich viel, wie immer auch die Anschauungen sich kl1l.ren mogen, ist es notwendig, daB neben der Lokalbehandlung auch die Allgemeinbehandlung Be achtung finde. Die Allgemeinbehandlung ist vor allem bei Kindern wichtig, die immer ungeeignete Objekte fur die Lokalbehandlung darstellen. Erste Forderung der Allgemeinbehandlung ist die Bettruhe, die auch bei relativ gutem Allgemeinbefinden unbedingt einzuhalten ist. Eine weitere seit jeher mit Erfolg geubte Form der Allgemeintherapie ist die Anwendung von Salizylpraparaten, die aber auch durch die bekannten Beziehungen der Angina zum akuten Gelenksrheumatismus ihre Berechtigung gewinnt. Von diesen Praparaten ist das bekannteste das Aspirin; daneben gibt es aber noch eine Reihe von ahnlichen Pr1l.paraten, die gerade bei der Angina sehr gute, ja vielleicht noch bessere Dienste leisten, wie das Salipyrin, Salophen u. a.; speziell das Salipyrin wird wegen seiner beruhigenden, leicht schlafmachenden Wirkung. geruhmt; es wird bei Erwachsenen in eingrammigen Dosen verabreicht. Bei allen diesen Medikamenten ist zu beachten, daB sie die Korpersafte und das Blut ansauern, zur Azidose fiihren, und viele von den ver:meintlichen Salizylvergiftungserscheinungen sind nichts anderes als S1l.urevergiftung durch Aspirinabusus. Es empfiehlt sich daher, die Saure dieser Praparate immer entweder durch gleichzeitige Verabreichung von Natrium bicarbonicum zu paralysieren - und neuere Versuche haben dargetan, daB auf diese Weise. das Salizyl in auBerordent lich hohen Dosen ohne Vergiftungsgefahr genommen werden kann - oder dem Salizylpraparat ein solches der basischen Antipyrinreihe, das ungefahr in demselben Sinne antipyretisch wirkt, beizufugen. Ich verschreibe daher immer das Aspirin zu 0,5 zusammen mit Pyramidon oder Phenazetin 0,3 und Natrium bicarbonicum 1,0. Bei sehr argen Schluckbeschwerden muB die rektale Zufuhr als Suppositorien versucht werden. Ein weiteres Mittel bei Anginen, das gerade in neuester Zeit wieder aus einer unverdienten Versenkung heraufgeholt worden ist, ist das Chinin, das sich bei der akuten Angina bewahrt; ich mochte es in Dosen zu 1,0 des salzsauren Salzes, zweitagig durch drei Wochenhindurch, empfehlen. Auch Atophan ist bei Angina nicht wertlos und sehr gut das Arcanol (= Atophan plus Azetylsalizylsaure); besonders empfehlenswert ist die Verbindung von Chinin und Salizyl als Quinisal. Neben all diesen Pr1l.paraten verwende ich nun schon seit fast zwei Jahrzehnten ein Praparat, das eigentlich eine Verbindung von allgemeiner mit Lokaltherapie darstellt, die Pyozyanase; sie wird direkt auf die erkrankte Schleimhautpartie, am besten mittels Sprays, aufgetragen; sie ist sonst fUr die Schleimhaut ganz indifferent, auch Verschlucken schadet nichts; sie kann auch auf die empfindliche Nasenschleimhaut unbeschadet angewendet werden. Bei der Anwendung der Pyozyanase ist nur zu be denken, daB bei der Angina nicht nur die beiden Gaumentonsillen, sondern in mehr minder heftiger Weise oft auch die anderen tonsillenartigen adenoiden

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