Aus dem Programm Huber: Psychologie Lehrbuch Wissenschaftlicher Beirat: Prof. Dr. Dieter Frey, Kiel Prof. Dr. Kurt Pawlik, Hamburg Prof. Dr. Meinrad Perrez, Freiburg (Schweiz) Prof. Dr. Hans Spada, Freiburg i. Br. Hans Spada (Herausgeber) Lehrbuch Allgemeine Psychologie Zweite, korrigierte Auflage Verlag Hans Huber Bern · Göttingen · Toronto · Seattle Das Umschlagbild stammt von Gustav Klimt. Es handelt sich um eine Werkvorlage zum Stocletfries, «Mittlerer Teil des Lebensbaumes», 1905/09. Das Bild befindet sich im Besitz des Österreichischen Museums für ange- wandte Kunst, Wien (MAK, Inv.Nr.Mal 226). Reproduktion mit Genehmigung des MAK. Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Lehrbuch allgemeine Psychologie / Hans Spada (Hrsg.). - 2., korrigierte Aufl. - Bern ; Göttingen ; Toronto ; Seattle : Huber, 1992 (Huber-Psychologie-Lehrbuch) ISBN 3-456-82302-9 NE: Spada, Hans [Hrsg.] 2., korrigierte Auflage 1992 0 1990 Verlag Hans Huber, Bern Herstellung: Satzatelier Paul Stegmann, Bern Druck: Kösel, Kempten Printed in Germany 403 Kapitel 7: Emotionen KLAUS SCHNEIDER, Bochum Die erste Fassung dieses Kapitels wurde im letz- ten Jahr meiner Tätigkeit im Fachbereich Psy- chologie der Philipps-Universität Marburg ge- schrieben. Viele meiner Marburger und auch einige auswärtige Kollegen gaben mir wertvolle Hinweise für Verbesserungen. Ihnen, wie auch dem Herausgeber und seinem Mitarbeiter Herrn ERNST, sowie Frau Dr. CZESCHLIK, Herrn Prof. Dr. HECKHAUSEN, Herrn Prof. Dr. SCHMALT und Herrn PD Dr. SCHMIDT- ATZERT, danke ich für die vielen Hinweise und Verbesserungsvorschläge. 404 Kapitel 7: Emotionen Inhaltsverzeichnis Gegenstand der Emotionspsychologie 405 Der emotionale Ausdruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 Funktion von Emotionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 Die kommunikative Funktion des Aus- drucks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 Emotionen als Erlebnistatbestände und Die Universalität des Ausdrucks . . . . . . . . . . 424 ihre Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 Der mimische Ausdruck basaler Emo- tionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 Emotionen und periphere körperliche Veränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 Neurobiologie emotionaler Reaktions- Die Spezifität physiologischer Reak- systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 tionsmuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 Emotionen und menschliches Handeln 434 Kognitive Bewertungen und körperliche Erregung als Grundlagen emotionalen Situative Auslöser emotionaler Reak- Erlebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 tionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 Situationsbewertung und Emotionen . . . . 437 Emotionen und Gedächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . 439 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 Gegenstand der Emotionspsychologie 405 und breit ist kein Büfettwagen zu sehen oder zu 1. Gegenstand der Emotions- hören - der Reisende erlebt ein schwaches Ge- psychologie fühl von Verärgerung und Enttäuschung, da mit einem leichten Druck in der Magenregion Gefühle als Erlebnissachverhalte stellten für einhergeht. Auch dieses Gefühl erlebt die han- die Bewußtseinspsychologie um die Jahrhun- delnde Person als Ich-nahen inneren Zustand, dertwende eine nur schwer faßbare Klasse psy- der hier verknüpft ist mit der Empfindung ei- chischer Phänomene dar. Erst im 18. Jahrhun- ner peripheren körperlichen Veränderung. dert haben Philosophen überhaupt die Gefühle Gefühlserlebnisse sind also anscheinend einge- als eine ((besondere, fundamentale und gene- bettet in Tätigkeiten - die Wahrnehmung einer tisch frühe Klasse seelischer Funktionen» unverdorbenen Landschaft im ersten Beispiel. (KRUEGER, 1928, S.94) anerkannt. Wie lassen Das Ausschauhalten nach dem Büfettwagen sich aber Gefühle von anderen Erlebnissach- im zweiten -: sie stellen «Färbungen» der Tä- verhalten, von Empfindungen und Wahrneh- tigkeitserlebnisse (LIPPS, 1907) dar und kön- mungen, von Vorstellungen und von Gedan- nen daher auch nur im Zusammenhang mit ken abgrenzen? den den Tätigkeiten zugrundeliegenden Stre- Stehen wir uns einmal folgende Szene vor: Ein bungen oder Motivationen verstanden wer- Geschäftsreisender, mit dem Nachtzug aus ei- den. Unterbeblich ist es zunächst einmal, ob nem Ballungsgebiet kommend, öffnet am diese Tätigkeiten - dazu gehören auch Vorstel- Morgen die Vorhänge seines Zugabteils und lungs- und Phantasietätigkeit ohne erkenn- erblickt eine unzerstörte Flußlandschaft in der bare äußere Aktivität - von außen, wie im er- Morgensonne eines schönen Maitages. Er ist sten Beispiel, oder von innen, wie im zweiten erfreut über diesen Anblick: «Das ist schön - Beispiel, angeregt werden. SO sollte die Welt noch überall aussehen.» Der In Gefühlen manifestieren sich weiterhin wer- Anblick der Landschaft, das Urteil «das ist tende Stellungnahmen zu Sachverhalten in der schön» und die damit einhergehende Freude Umwelt und zu Zuständen in der Person wie darüber, daß es solche Landschaften noch gibt, auch zum guten oder schlechten Fortgang sind erlebnismäßig ineinander verwoben, nur einer Handlung (ARNOLD, 1960). So gehören perspektivisch lassen Sie sich als unterschiedli- Gefühle der Befriedigung beim Erreichen eines che Aspekte dieses Erlebens aufzeigen - und angestrebten Ziels und Gefühle der Enttäu- dies hat die ältere Bewußtseinspsychologie ge- schung und Verärgerung beim Verfehlen zu den leistet. Während sowohl die Wahrnehmung häufigsten emotionalen Reaktionen. In emo- der Landschaft selbst als auch die Bewertung tionalen Reaktionen werden offensichtlich un- eindeutig auf Sachverhalte in der Umwelt be- sere motivationalen Tendenzen oder Strebun- zogen sind, wird die Freude darüber, daß es so gen sichtbar, die häufig nicht unmittelbar er- etwas noch gibt, als Zustand der handelnden lebbar sind, sondern von uns selbst oder von Person, als «Ichqualität» (LIPPS, 1901) erfah- anderen angenommen werden, um Stabilität ren. Die schöne Landschaft wird außerhalb und Wandel im Verhalten von uns selbst und der Person wahrgenommen, die Freude wird anderen erklären zu können. Der berühmte als innerer, subjektiver Zustand erfahren, der Arzt und Naturforscher der Romantik C.G. eine Reaktion auf die Wahrnehmung ist oder - CARUS sprach von den Gefühlen als den «wun- was der Selbstbeobachtung besser entspricht - derbaren Mitteilungen des Unbewußten an das mit der Wahrnehmung einhergeht. Bewußte» (CARUS, 1846, zit. nach GROSSART, Wenig später schaut der Reisende schon zum 1931). Im Gefühl wird der handelnden Person dritten Mal aus der Abteiltür, um nach dem bewußt, was sie anstrebt und wieweit sie sich Büfettwagen Ausschau zu halten. Er möchte dem Ziel genähert hat oder davon abgekom- gerne einen Kaffee trinken; das Verlangen da- men ist; außerdem drückt sich in solchen Ge- nach hat sich plötzlich wieder bemerkbar ge- fühlserlebnissen eine wertende Stellungnahme macht und die Freude über die schöne Land- zu Sachverhalten in der Umwelt aus. In Gefüh- schaft aus dem Bewußtsein verdrängt. Weit 406 Kapitel 7: Emotionen len äußern sich damit die überdauernden Ver- Hintergrund von positiven und negativen haltens- und Wertungsdispositionen einer Per- Stimmungen durchaus möglich, sie werden son. Gefühle sind daher Bewußtseinsrepräsen- aber von diesen Stimmungen eingefärbt. Über tationen, «Abschattungen» (HUSSERL, 1913, eine gute Nachricht freut man sich auch dann, S. 77) von Motivationen oder, wie die Motiva- wenn man in einer gedrückten Stimmung ist; tionsforscher um die Jahrhundertwende zu sa- das Ausmaß der Freude ist aber sicherlich ver- gen vorzogen, von «Instinkten» (JAMES, 1891; schieden von der Freude, die man erlebt, wenn MCDOUGALL, 1908) oder «Trieben» (FREUD, man die gleiche Nachricht auf dem Hinter- 1915). Dabei wird nicht nur der Antrieb zu ei- grund einer gelösten und heiteren Stimmung ner Handlung erfahren, sondern auch die Be- empfängt. wertung des jeweiligen Zustands, der im Hin- Diese Bemerkungen mögen zunächst einmal blick auf die Zielsetzung erreicht worden ist, so- zur Kennzeichnung der Erlebnistatbestände wie diejenige der vorgefundenen und der durch Gefühle und Stimmungen genügen. Unter eigenes und fremdes Handeln veränderten Um- Emotionen verstehen wir dagegen handlungs- weltgegebenheiten (vgl. Kap. 8, Motivation). steuernde Zustände, die sich in Gefühlen aus- Eine Reihe von Emotionsforschern hat es für drücken mögen oder auch nicht - zumindest zweckmäßig erachtet, zwischen mehr reakti- können wir das bei anderen Säugetieren unter- ven «Erlebnistönungen», die mit der Wahr- halb der Ebene des Menschen und auch bei nehmung eines Sachverhaltes einhergehen, Kleinkindern nicht mit letzter Sicherheit sagen. und den Gefühlen im engeren Sinne als Be- Emotionen als handlungs- und verhaltens- wußtseinszeichen von Motivationsvorgängen wirksame Zustände sind also durch den Hin- zu unterscheiden (s. EWERT, 1965). Tatsächlich weis auf ihre jeweils spezifische Erlebnisweise gibt es aber fließende Übergänge zwischen nicht hinreichend beschrieben (s. PLUTCHIK, diesen Erlebnisweisen, zudem ist auch die Er- 1962). Neben der subjektiven Seite der Emotio- lebnistönung Ausdruck einer überdauernden nen, den Gefühlen und Stimmungen, hat man Wertungsdisposition der handelnden Person. seit den Anfängen der Emotionsforschung die Wir werden daher im folgenden alle zeitlich mit den emotionalen Erlebnissen einhergehen- begrenzten emotionalen Erlebnisweisen als den peripheren physiologischen Veränderun- Gefühle bezeichnen. gen (s. WUNDT, 1910) und auch die körper- Eine andere deskriptive Unterscheidung hat lichen emotionalen Ausdruckserscheinungen sich dagegen auch unter funktionalen Aspek- (DARWIN, 1872) zu erfassen gesucht: Im emo- ten als sinnvoll herausgestellt - es ist die Unter- tionalen Ausdruck teilen sich emotionale Zu- scheidung zwischen Gefühlen und Stimmun- stände Artgenossen und Gruppenmitgliedern gen (EWERT, 1965). Nehmen wir einmal an, un- mit; die begleitenden peripheren physiologi- ser Reisender befand sich in den letzten Tagen schen Vorgänge im Organismus wie z.B. die vor Antritt seiner Reise in einem etwas trübse- Zunahme des Herzschlages und der Atmungs- ligen Zustand. Da sich in seinem Leben in der frequenz dienen offensichtlich, wie CANNON letzten Zeit keine bedeutsamen Veränderun- schon 1929 darlegte, der Vorbereitung des Or- gen eingestellt hatten, führte er diesen selbst ganismus auf schnelles Handeln. auf das kalte, unfreundliche und nasse Wetter, Emotionale Zustände sind in viel stärkerem das für die Jahreszeit ganz untypisch war, zu- Maße als kognitive Prozesse mit peripheren rück. An diesem Morgen, in einem D-Zug- körperlichen Vorgängen verknüpft. Ihre spezi- Abteil der Deutschen Bundesbahn, bessert fische Erlebnisweise und auch die Wirksam- sich seine Stimmung: Nachdem der Reisende keit, die sie im Verhalten entfalten, sind sicher- die schöne Landschaft gesehen hat und seinen lich zu einem Teil Folge dieser engen Anbin- Kaffee schließlich doch noch bekam, sieht er dung an körperliche Vorgänge, an vegetative die Welt wieder in einem rosigeren Licht. und motorische Prozesse. Stimmungen stellen so etwas wie den Hinter- Emotionen stellen damit explikative Kon- grund des Bewußtseinsgeschehens dar, sie fär- strukte oder erschlossene Wirkgrößen dar, de- ben alles Erleben. Qualitativ verschiedene Ge- nen eine verhaltensregulierende Wirkung zuge- fühle, auch entgegengesetzte, sind auf dem sprochen wird. Sie manifestieren sich in einer Funktion von Emotionen 407 Reaktionstrias: (1) in den subjektiven Erleb- mit die «großen Lehrmeister» im Leben dar: nisweisen, den Gefühlen also, über die eine er- Sie erinnern uns ständig daran, daß unser be- wachsene normale Person in der Regel im Ver- scheidenes Wissen um die Welt und um uns balreport Auskunft geben kann; (2) in moto- selbst offensichtlich nicht ausreicht, um die rischen Verhaltensweisen, speziell im Aus- notwendigen Anpassungen an die Gegebenhei- drucksverhalten, und (3) in begleitenden phy- ten der dinglichen und sozialen Umwelt sicher- siologischen Veränderungen, die auf Erregun- zustellen - trotz eines anscheinend unbeirrba- gen des autonomen Nervensystems (ANS) be- ren Glaubens an eine rationale Verhaltenssteu- ruhen. Alle drei Reaktionssysteme sind nur erung beim Menschen von der Antike bis zu den mäßig miteinander korreliert (ERIKSEN, 1958; modernen Entscheidungs- und Handlungs- EYSENCK, 1975; LANG, 1979). Das kann nicht theoretikern. verwundern, da sowohl der emotionale Aus- Wie ist es nun zu dieser Steuerungsfunktion der druck als auch die physiologischen Verände- Emotionen gekommen, wie ist das Wissen (In- rungen jeweils eigenen Gesetzmäßigkeiten un- formation) über förderliche und schädliche terliegen. Ausdruck ist auch oder an erster Umweltsachverhalte und Handlungsfolgen, Stelle Mitteilung: Wir lernen aber schon in das sich in den Emotionen offenbart, in den Or- jungen Jahren, unseren Gefühlsaudruck zu ganismus gelangt? Offensichtlich bringen ja kontrollieren, und halten uns dabei an Sitten schon Neugeborene zumindest die primitiven und Konventionen. Die physiologischen Ver- Formen des Lust- und Unlusterlebens mit auf änderungen schließlich, die man an der Ober- die Welt und regulieren damit ihr Verhalten fläche des Körpers messen kann, stellen inte- und über den Emotionsausdruck auch das ihrer grale Größen verschiedener geregelter Vor- nächsten Bezugspersonen. Antwort auf eine gänge dar, die primär innerorganismischen solche Frage kann uns nur das Studium der Funktionen dienen. Emotionale Zustände ma- Stammesgeschichte des Menschen geben. chen sich hier zwar bemerkbar, ihre Wirkung wird aber häufig überlagert durch Verände- rungen, die Ausdruck innerorganismischer 2. Funktion von Emotionen Organisationsprozesse zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichtes im Organismus, der Ho- Verhaltenssysteme, für die man eine genetische möostase, sind. Basis annehmen darf, stellen Antworten der In den folgenden Abschnitten werden die drei Evolution auf die Erfordernisse des Überle- Komponenten emotionaler Reaktionen ein- bens und der Erhöhung der Fortpflanzungs- zeln behandelt, bevor wir die Bedeutung von chancen in der Entwicklung einer Art dar. Ein Emotionen im Handeln diskutieren. Zuvor grundlegendes Charakteristikum von Lebewe- werden wir aber der Frage nachgehen, welche sen - von den einfachsten einzelligen Formen Funktion Emotionen einschließlich der zuge- bis zum Menschen - ist ihre Gerichtetheit: hin hörigen physiologischen Veränderungen und zu positiven, die Lebenslage verbessernden Si- des emotionalen Ausdrucks im Handeln des tuationen und Sachverhalten, und weg von ne- Menschen haben. Die bereits angesprochene gativen Situationen und Sachverhalten, die Anbindung von Emotionen an die Verhaltens- den Status des Lebewesensverschlechtern. Da- und Wertungsdispositionen, die Strebungen mit werden Annäherung und Flucht (Vermei- von Lebewesen, macht verständlich, daß den dung) zu den grundlegenden Instrumenten des Emotionen in der Regel ein Handlungsantrieb Verhaltens, um lebenswichtige Ziele zu sichern zukommt. Darin offenbart sich u.a. ihrefunk- oder zu erlangen und schädliche Zustände zu tionale Bedeutung. Emotionen drängen uns beenden oder zu meiden (MAIER & SCHNEIRLA, Menschen - und vermutlich auch andere Lebe- 1935; SCHNEIRLA, 1959). wesen - etwas bestimmtes zu tun, anderes zu Will man also eine Antwort auf die Frage nach unterlassen, länger bei einer Sache zu bleiben, der Funktion von Emotionen finden, so muß eine andere früher abzubrechen, etwas zu wie- man zunächst einmal fragen, wie überhaupt si- derholen, was in der Vergangenheit positive chergestellt werden kann, daß Lebewesen, Gefühle hervorbrachte. Emotionen stellen da- auch ohne Einsicht in letzte Handlungsziele, Kapitel 7: Emotionen förderliche Situationen aufsuchen und schädi- auffällige Reize, auf die dann die emotionale gende meiden. Im tierlichen Verhalten haben Bewertung folgt (s. SCHERER, 1981). starre Kopplungen von Reizen und Reaktionen In dieser Auffassung der Funktion von Emo- im Nervensystem, die eine genetische Basis be- tionen scheint uns auch der heute noch beach- sitzen, eine relativ große Bedeutung. Die «In- tenswerte Kern der McDOUGALLschen Auffas- stinkthandlungen», wie sie von den Ethologen sung genetisch verankerter «Instinkte» beim im Verhalten von Tieren beschrieben werden Menschen zu liegen (MCDOUGALL, 1908): Da- (z.B. EIBL-EIBESFELDT, 1978; TINBERGEN, nach stellen die emotionalen Reaktionen im 1951), sind dadurch gekennzeichnet, daß bei Verhalten des Menschen die eigentlichen «In- entsprechender innerer «Gestimmtheit» und varianten» des instinktiven, d.h. des genetisch dem Vorhandensein eines «Auslösereizes» eine fundierten Verhaltens dar. Auslösende Reize relativ starre Bewegungsabfolge, die eigentli- und instrumentelle Verhaltensweisen sind che Instinkthandlung, ausgelöst wird. Solche dagegen zumeist variant, häufig gebunden an Instinkthandlungen sind Ausdruck der Phylo- die individuelle Lerngeschichte eines Lebewe- genese einer Art, stellen also Anpassungen der sens. Art an die Umwelt in dem langen Zeitraum Auch ohne Einsicht in biologische Imperative ihrer Entstehung dar. In der Stammesentwick- des Verhaltens sichern Emotionen damit über lung zu den Säugetieren hin, besonders zu den Lust-Unlust-Mechanismen und das dadurch Primaten, wurden solche starren Verknüpfun- ermöglichte Lernen, daß wichtige Verhaltens- gen von Reiz und Reaktion offensichtlich wie- ziele, die den Reproduktionserfolg und damit der aufgegeben. Hier ermöglichen Emotionen, die Weitergabe der Gene sicherstellen, ange- die zwischen Reiz und Reaktion auftreten und strebt und Situationen und Umstände, die ihn nur die grundsätzliche Richtung des Verhaltens gefährden, gemieden werden. anzeigen, eine größere Flexibilität im Verhal- Ihre funktionale Bedeutung erhalten Emotio- ten, das dann zusätzlich durch Lernen durch nen damit zunächst einmal durch ihre hand- Erfolg und Mißerfolg an sich verändernde Si- lungssteuernde Funktion in genetisch veran- tuationen angepaßt werden kann (HAMBURG, kerten Motivationssystemen, also solchen Sy- 1963; MCDOUGALL, 1908; SCHERER, 1981; stemen, die im Laufe der Stammesgeschichte 1984; vgl. auch Kap.6, Lernen). entstanden sind und die wir daher in der Regel Emotionen stellen genetisch verankerte Stel- mit anderen Säugetieren gemeinsam haben. lungnahmen zur Situation eines Lebewesens in Die Frage, wieviel solcher genetisch veranker- einer gegebenen Umwelt dar. Auch dadurch ter Motivationssysteme es gibt, denen grundle- kann sichergestellt werden, daß lebenswichtige gende (primäre) Emotionen zugeordnet wer- Ziele angestrebt und schädliche Umstände ge- den können, konnte bislang nicht definitiv be- mieden werden, und zwar mit größerer Flexibi- antwortet werden. MCDOUGALL (1928) zählt lität, als dies durch starre Reiz-Reaktionsver- 7 «Hauptinstinkte» des Menschen auf, zu de- bindungen ermöglicht würde. Durch emotio- nen als invariante Reaktion eine charakteristi- nale Reaktionen werden zunächst einmal nur sche Emotion gehört: (1) Der Fluchtinstinkt die grundsätzlichen Richtungen des Verhaltens mit der Emotion der Furcht; (2) die Abwehrmit festgelegt - weg oder hin zu einem Sachverhalt der Emotion des Ekels; (3) Neugier mit der -, die konkreten Verhaltensweisen können Emotion Staunen; (4) Kampfesinstinkt mit der dann in Abhängigkeit von der Situation und Emotion Zorn; (5) Selbstbehauptung mit dem auch in Abhängigkeit von der Erfahrung eines positiven Selbstgefühl; (6) Selbsterniedrigung Lebewesens in vergleichbaren Situationen, mit dem negativen Selbstgefühl und (7) Pflege- von seiner Lerngeschichte, ausgewählt wer- instinkt mit der Emotion der Fürsorglichkeit. den. Damit wird deutlich, daß emotionale Eine etwas andere Auflistung finden wir bei Reaktionen nicht losgelöst werden können SCOTT (1958, 1980), der sicherlich in stärkerem von anderen informationsaufnehmenden und Maße mit der Breite tierlichen Verhaltens ver- -verarbeitenden Prozessen im Organismus - traut war. SCOTT nennt 9 Klassen von Verhal- beginnend mit dem Aufmerken, der Hinwen- tensweisen, von denen er meint, daß sie im Tier- dung der Sinnesorgane auf neue oder sonstwie reich weit verbreitet sind und Antworten auf