ebook img

Laß von dir hören, deine Anna PDF

260 Pages·2006·0.82 MB·German
Save to my drive
Quick download
Download
Most books are stored in the elastic cloud where traffic is expensive. For this reason, we have a limit on daily download.

Preview Laß von dir hören, deine Anna

Jean Little Laß von dir hören, deine Anna scanned by ab corrected by zw Mitte der 30er Jahre verließ Annas Familie Deutschland. Trotz aller Probleme hat sich Anna inzwischen in Kanada eingelebt. Seit sie eine Brille trägt und eine Klasse für Sehbehinderte besucht, holt sie im Unterricht enorm auf. Doch der geplante Wechsel auf die normale Schule macht ihr Angst. Da dringen immer schlimmere Nachrichten aus Europa nach Kanada und Annas Bruder Rudi meldet sich freiwillig bei der Marine. Erblindet kehrt er zurück und allein die scheinbar so schwache Anna fühlt, wie verzweifelt er ist. Sie beginnt für Rudi zu kämpfen… ISBN: 3-570-27008-4 Original: Listen for the Singing Aus dem Englischen von Cornelia Krutz-Arnold Verlag: OMNIBUS Erscheinungsjahr: 2001 Umschlaggestaltung: Arnhild Johne Umschlagkonzeption: Klaus Renner Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!! Autor Die kanadische Kinderbuchautorin Jean Little wurde 1932 in Taiwan geboren, wo ihre Eltern als Missionsärzte tätig waren. Nach ihrer Schul- und Universitätszeit in Toronto arbeitete sie als Lehrerin für geistig und körperlich behinderte Kinder, bevor sie sich 1962 ganz auf das Schreiben von Kinderbüchern verlegte. Mit »Alles Liebe, deine Anna« kam sie auf die Auswahlliste des Deutschen Jugendliteraturpreises. Von Jean Little ist bei OMNIBUS erschienen: Alles Liebe, deine Anna (20006) Lass von dir hören, deine Anna (20265) Für Ellen S. Rudin, meine Lektorin, und für Ellen, meine Freundin Ich habe nie das Moor gesehn Und war noch nie am Strand. Doch kenne ich das Heidekraut, Sehe das Meer, den Sand. Ich sprach mit Gott noch nie ein Wort, War im Himmel noch nie zu Gast. Und weiß doch die Lage von diesem Ort, Der auf keine Landkarte passt. 4 1 Als Anna wach wurde, hörte sie jemanden aus dem Bad kommen und durch den Flur gehen. »Bist du’s, Papa?«, fragte sie. Sie hätte gar nicht zu fragen brauchen. Selbst im Halbschlaf erkannte sie seinen Schritt. »Ja. Schlaf wieder ein, Kind. Entschuldige, dass ich dich gestört habe.« »Ich war sowieso schon wach.« Das war keine richtige Lüge, nur ein höfliches Flunkern. »Wieso bist du so früh auf?« Diesmal gab er keine Antwort. Während sie in ihrem Alkoven lag, der mit Vorhängen abgetrennten Nische, die ihr als Schlafzimmer diente, hörte Anna ihn wieder die Treppe hinuntergehen. Sie kuschelte sich zurecht, um wieder einzuschlafen. Dann ging ihr jedoch auf, dass sich ihr jetzt möglicherweise die Gelegenheit bot, auf die sie gewartet hatte: ihren Vater allein für sich zu haben. Solange sie sich zurückerinnern konnte, war sie immer zu ihm gegangen, wenn sie Probleme hatte, die sie allein nicht bewältigen konnte. Sie hatten eine so enge Beziehung, dass er sie oft schon verstand, bevor sie mit ihren Erklärungen richtig angefangen hatte. Und wenn sich ihr je ein Problem gestellt hatte, dann jetzt, mit dem bevorstehenden Schulbeginn am Dienstag. Vielleicht konnte Papa ihr etwas von dem Schrecken nehmen oder sie ein wenig mutiger machen. Aber selbst wenn ihm das nicht möglich war, wäre es schon eine Hilfe, einfach mit ihm darüber zu reden. Bei ihm konnte sie sich darauf verlassen, dass er sie 5 auch dann ernst nahm, wenn andere sich über sie lustig machen würden. Aber konnte sie wirklich noch auf ihn zählen? Hatte Papa sich in letzter Zeit nicht verändert? Wie lange war es her, seit er sich zuletzt die Zeit genommen hatte, ihr so zuzuhören wie jemandem, der ihm etwas ganz Besonderes bedeutete? »Papas Liebling«, pflegte ihr großer Bruder Rudi sie zu nennen. Er hatte sie auch mit anderen Bezeichnungen geneckt und verspottet – Awkward Anna, Dummkopf, Gurkengesicht, Klein Doofie und stets und ständig Baby, weil sie die Jüngste war. Diese gehässigen Namen hatten sie gekränkt und gedemütigt und manchmal hatte sie sich tatsächlich so unbeholfen und dumm gefühlt, wie es Rudi von ihr behauptete. Aber »Papas Liebling« hatte ihr nie etwas ausgemacht. Jedes Mal, wenn er sie so bezeichnete, hatte sie innerlich gelächelt, denn sie wusste, dass es stimmte. Jedenfalls hatte es früher einmal gestimmt. Und jetzt …? Es stimmt immer noch, hielt sie sich energisch vor. Papa macht sich im Augenblick nur solche Sorgen wegen der neuesten Nachrichten. Ich sollte schnell nach unten laufen, bevor der Zeitungsjunge kommt! Noch bevor sie sich aufsetzte, langte sie nach ihrer Brille und setzte sie auf. Ihre Umgebung, die zuvor verschwommen und unwirklich gewesen war, bekam im Handumdrehen schärfere Konturen, als sie die Welt durch die dicken Gläser betrachtete. Mit einem Mal konnte sie die rosa Streifen auf der verblassten Tapete ausmachen, die bunten Vierecke in ihrer Flickendecke, den Küchenstuhl, auf den sie ihr Buch aus der Leihbücherei gelegt hatte, mit den aufgeschlagenen Seiten nach unten. Nicht ganz so deutlich konnte sie die Kommode am 6 Fußende ihres Betts ausmachen und den hohen schmalen Schrank, der in die Ecke gezwängt war. In ihm hingen ihre Kleider. Obwohl sie schon seit fast fünf Jahren eine Brille trug, staunte sie immer noch darüber, wie sie vorher zurechtgekommen war. Jetzt begann jeder Tag damit, dass sie ihre Brille aufsetzte, und abgesehen vom Putzen der Gläser nahm sie sie erst ab, wenn sie abends im Bett lag. Sogar beim Schlafen hatte sie die Brille immer in bequemer Reichweite. Aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um über ihre Augen nachzudenken! Sie stieg aus dem Bett und tastete nach ihren Hausschuhen. Aber dann hörte sie etwas und sie hielt inne und lauschte. Bitte mach, dass ich es mir nur eingebildet habe, betete sie. Bitte, lass es nicht das … Ihr Gebet wurde nicht erhört. Sie hörte es erneut, das unverkennbare, nur allzu bekannte Knacken. Atmosphärisches Rauschen! Papa hatte dieses widerliche Radio angestellt. Es war zu spät, um jetzt noch mit ihm zu reden. Anna kletterte wieder ins Bett. Sie boxte sich ihr Kissen zurecht, bis es eine geeignete Form hatte, um sich dagegenlehnen zu können. Dann zog sie die Decke über die Knie, saß da und starrte mit bösem Blick ins Leere. Nein, sie bedachte ihren Vater mit bösen Blicken, auch wenn er sie nicht sehen konnte. Sie konnte ihn sehen! Auch ohne dass sie bei ihm im Zimmer war, wusste sie ganz genau, was er tat und wie er dabei aussah. Das musste sie schon eine Million Mal gesehen haben. Er saß im schäbigen, durchgesessenen Lehnstuhl, den Kopf ganz nah zum Kurzwellenradio hingebeugt, das er sich vor über 7 einem Jahr gekauft hatte. Sein Gesicht war allem und jedem entrückt, während er den neuesten Rundfunkmeldungen lauschte. An jenem Abend, als er das Radio nach Hause gebracht hatte, waren sie alle zutiefst erstaunt gewesen. Papa, der sonst nur dann etwas für sich kaufte, wenn Mama ihn dazu zwang! Und das Radio war zudem noch teuer gewesen, obwohl er es gebraucht gekauft hatte. Fritz hatte es angestarrt und war mit der Frage herausgeplatzt: »Ist die Wirtschaftskrise vorbei?« Alle verstanden, wieso er das fragte. Schon seit Jahren herrschten schwere Zeiten. Es gab immer genug zu essen, aber nur selten konnte man sich noch einen Nachschlag nehmen. Es gab keinerlei Extras, für niemanden; dazu reichte das Geld nicht. Wie sehr hatte Anna in dem Jahr, als sie zehn war, um eine Eaton-Beauty-Puppe zu Weihnachten gebettelt! Bis Mama sie scharf zurechtgewiesen hatte, sie solle endlich aufhören, Papa mit solchen Bitten zu quälen – er könne es sich nicht leisten, ihren Wunsch zu erfüllen. Und dann stand Papa an jenem Abend mit dem großen, glänzenden Radio da! »Nein, die Wirtschaftskrise ist nicht vorbei. Noch nicht«, hatte ihr Vater gesagt und für sein neues Besitztum einen Ehrenplatz freigeräumt. »Aber es wird bald so weit sein.« »Wann?«, fragte Fritz. »Wenn der Krieg anfängt«, hatte Papa mit nüchterner Sachlichkeit geantwortet. Als wüsste er, dass kein Weg daran vorbeiführt, dachte Anna jetzt, und genau wie an jenem Abend durchzuckte sie ein Angstschauder. Aber bis jetzt herrschte immer noch die Wirtschaftskrise und Kanada war nicht im Krieg. In Europa allerdings wurde gekämpft. Seit vielen Monaten sah Anna Aufnahmen davon, wenn im Kino vor 8 den Filmen die Wochenschau lief. Dann wurde Adolf Hitler gezeigt, der mit kreischender Stimme vor tobenden Menschenmassen seine Rede hielt; deutsche Truppen im Paradeschritt, die Hand zu dem mittlerweile berühmten »Heil Hitler«-Gruß erhoben, und deutsche Streitkräfte, wie sie Grenzen überschritten und benachbarte Länder besetzten. Wenn sie im verdunkelten Kino saß und die flimmernden Schwarzweißaufnahmen betrachtete, empfand Anna keinerlei Gemeinsamkeit mit den Menschen, die sie auf der Leinwand sah. Dabei war sie erst vor fünf Jahren mit ihrer Familie von Deutschland nach Kanada gekommen. Nur undeutlich erinnerte sie sich an eine Zeit, in der Frankfurt ihr als die ganze Welt erschienen war und Deutsch als die Sprache, mit der sich alle Menschen verständigten. Jetzt war Toronto die wirkliche Welt und sie sprach, dachte und träumte auf Englisch. Die Hysterie der Deutschen, die von der Kamera für die Wochenschau eingefangen wurde, war ihr genauso rätselhaft wie dem übrigen Publikum. Papa behauptete, dass es sich um einen Wahnsinn handele, der den Frieden in der Welt bedrohe; Mama hingegen spottete über solche Prophezeiungen. Anna wusste nicht, was sie glauben sollte. Wenn Mama ins Kino ginge und sich das mit eigenen Augen ansähe, hätte sie vielleicht größere Befürchtungen. Aber immerhin, all das geschah jenseits eines gewaltigen Ozeans. Vorgestern waren die deutschen Soldaten in Polen einmarschiert. Im Augenblick hatte das für Anna nur die eine Bedeutung: In seiner Besorgnis dachte ihr Vater nicht daran, dass sie, seine Jüngste, sein Liebling, auf die Highschool kam – und sie stand bei dieser Aussicht Todesängste aus. Wie kann er das nur vergessen, dachte sie, und zum 9 ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie sich von ihrem Vater verraten. Dabei wette ich, dass er in Polen keine einzige Menschenseele kennt! Unten im Erdgeschoss schlug die Uhr zur vollen Stunde. Anna zählte die Schläge. Es war erst sechs! Papa musste verrückt geworden sein. Sie gähnte. Es war viel zu früh, um schon wach zu sein. Sie rutschte ein Stück nach unten, bis ihr Kopf auf dem Kissen ruhte. Da Papa keine Zeit hatte, würde sie jetzt doch noch ein bisschen weiterschlafen. Was war denn das? Hatte da jemand gerufen? »Klara! Klara, komm her!« Und dann, noch bevor Anna daraus schlau geworden war, hörte sie ihren Vater vom Fuß der Treppe heraufrufen. »Rudi! Anna, weck Rudi auf. Hol alle herbei. Schnell! Hast du gehört, Anna?« »Ja, Papa.« Anna machte einen Satz aus dem Bett, lief aber nicht los, um die anderen zu wecken. Stattdessen blieb sie auf dem Treppenabsatz stehen und schaute nach unten. Ihr Vater hatte nicht gewartet; er war wieder im Wohnzimmer. Ganz entfernt hörte sie eine langsame, gemessene Stimme. Nicht die von Papa. Eine britische Stimme. Ängstlich spitzte sie die Ohren, um die Worte zu verstehen. »… God bless you all and may He defend the right.« »Papa«, rief sie und lief zur Treppe, wollte zu ihrem Vater. »Was ist denn los? Was ist passiert?« Ihr Vater tauchte in der Tür auf, die vom Wohnzimmer auf den Flur führte. Anna, die inzwischen auf der dritten 10

See more

The list of books you might like

Most books are stored in the elastic cloud where traffic is expensive. For this reason, we have a limit on daily download.