Jürgen Müller Konzepte der Funktionentheorie Reelle und komplexe Analysis einer Variablen Konzepte der Funktionentheorie Jürgen Müller Konzepte der Funktionentheorie Reelle und komplexe Analysis einer Variablen JürgenMüller FachbereichIV,Mathematik UniversitätTrier Trier,Deutschland ISBN978-3-662-56259-8 ISBN978-3-662-56260-4(eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-56260-4 DieDeutscheNationalbibliothekverzeichnetdiesePublikationinderDeutschenNationalbibliografie;detaillierte bibliografischeDatensindimInternetüberhttp://dnb.d-nb.deabrufbar. SpringerSpektrum ©Springer-VerlagGmbHDeutschland,einTeilvonSpringerNature2018 DasWerkeinschließlichallerseinerTeileisturheberrechtlichgeschützt.JedeVerwertung,dienichtausdrücklich vomUrheberrechtsgesetzzugelassenist,bedarfdervorherigenZustimmungdesVerlags.Dasgiltinsbesondere fürVervielfältigungen,Bearbeitungen,Übersetzungen,MikroverfilmungenunddieEinspeicherungundVerar- beitunginelektronischenSystemen. DieWiedergabevonGebrauchsnamen,Handelsnamen,Warenbezeichnungenusw.indiesemWerkberechtigt auchohnebesondereKennzeichnungnichtzuderAnnahme,dasssolcheNamenimSinnederWarenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. DerVerlag,dieAutorenunddieHerausgebergehendavonaus,dassdieAngabenundInformationenindiesem WerkzumZeitpunktderVeröffentlichungvollständigundkorrektsind.WederderVerlag,nochdieAutorenoder dieHerausgeberübernehmen,ausdrücklichoderimplizit,GewährfürdenInhaltdesWerkes,etwaigeFehler oderÄußerungen.DerVerlagbleibtimHinblickaufgeografischeZuordnungenundGebietsbezeichnungenin veröffentlichtenKartenundInstitutionsadressenneutral. VerantwortlichimVerlag:IrisRuhmann GedrucktaufsäurefreiemundchlorfreigebleichtemPapier SpringerSpektrumisteinImprintdereingetragenenGesellschaftSpringer-VerlagGmbH,DEundisteinTeil vonSpringerNature. DieAnschriftderGesellschaftist:HeidelbergerPlatz3,14197Berlin,Germany Vorwort Die Funktionentheorie als die Theorie differenzierbarer Funktionen einer komplexen VariablenzähltzudenfaszinierendstenGebietenderMathematik.DerÜbergangvonder reellenindiekomplexeAnalysiserweistsichalseinSchrittineinemathematischeWelt, in der man eine Vielzahl von Zusammenhängen zu erkennen vermag, die in der reellen verborgenbleiben. Studierende lernen die Funktionentheorie typischerweise im Anschluss an die reelle Analysis mehrerer Variablen kennen. In diesem Lehrbuch wird ein direkter Weg von der reellen Analysis einer Variablen in die Funktionentheorie aufgezeigt. Dabei werden bereitsklassischeThemenderreellenAnalysiswiedieDifferenzial-undIntegralrechnung einer Variablen weitgehend aus komplexer Sicht dargestellt. Den einzelnen Kapiteln angehängtekurzeAbschnitteüberdortangesprocheneKonzeptegebenAusblickeauchauf diehöherdimensionaleAnalysis.AufdieseWeisewirdeinEindruckvonderenuniverseller BedeutungfürdiegesamteMathematikvermittelt. DieAusarbeitung istinsichgeschlossen, dasheißt,eswerden imGrunde genommen keineVorkenntnissevorausgesetzt.AllerdingssolltemaneinegewisseErfahrungimUm- gangmitGrundbegriffenderMathematikmitbringen.WesentlichesZielistdiekompakte DarstellungklassischerErgebnissedereindimensionalenreellenundkomplexenAnalysis, aber auch weitergehender Ergebnisse der Funktionentheorie wie dem Riemannschen Abbildungssatz, den Sätzen von Montel und Picard und den Rungesätzen. Aufbauend auf dem großen Satz von Montel und dem äußerst effizienten Zalcman-Lemma wird dabeiaucheineEinführungindiespannendeTheoriedesdynamischenVerhaltensganzer Funktionengegeben. NatürlichkommtmanimHinblickaufweitergehendeAnwendungenderAnalysisohne mehrdimensionaleTheorienichtaus.KenntnisseetwaüberpartielleDifferenzialgleichun- genoderIntegralsätzesindfürvieleAnwendungenquasizwingend.Allerdingsbinichder Überzeugung,dassdieimRahmenderFunktionentheorievermitteltenKonzepteaucheine gewisse Brückenfunktion zur höherdimensionalen Analysis haben und damit auch einen erstenSchrittindieseRichtungdarstellen.Gegebenenfallseröffnetsichsoangesichtsder Tatsache, dass manche Curricula – etwa im Falle von Lehramtsstudiengängen – kaum weitergehendeAnalysisvorsehen,eineinteressanteAlternative.Darüberhinauskanndie V VI Vorwort Einbindung einzelner Teile der Funktionentheorie in einer vergleichsweise frühen Phase desStudiumsdasVerständnisfürdiemehrdimensionaleAnalysisdurchausfördern. DieerstendreiKapiteldesBuchesentsprechenthematischimWesentlichendem,was einführende Analysisvorlesungen enthalten, wobei die Darstellung von vorne herein der Zielsetzung angepasst ist. Der integrierte Ansatz spiegelt sich etwa im Schrankensatz, dervergleichsweisefrühzeitigenEinführunganalytischerFunktionenundderDiskussion umdieExistenzvonStammfunktionen wider–allesamtThemen,dieaucheinvertieftes VerständnisderreellenAnalysisfördern. Kap.4markiertdenEinstiegindieFunktionentheorie.DabeistehenzunächstFunktio- nenaufKreisenundaufKreisscheibenimMittelpunkt.DieCauchyscheIntegralformelfür KreiseführtunmittelbarzuerstenklassischenResultatenwiederAnalytizitätholomorpher Funktionen, dem Satz von Liouville und dem Maximumprinzip. Anschließend wird eine rudimentäre Fourierreihentheorie als Fundament für die Ausarbeitung der Theorie isolierterSingularitätengenutzt. Kap.5startetmitweiterenKonzeptenderTopologie,ummitdemCauchytheoremzen- traleAussagenzumglobalenVerhaltenholomorpherFunktionenformulierenzukönnen. DieVerschmelzungmitderlokalenTheorieisolierterSingularitätenimResiduensatzzählt ohne Zweifel zu den Glanzlichtern der Funktionentheorie und ermöglicht eine Vielzahl interessanter Anwendungen. Bei den im Weiteren formulierten Konsequenzen wie dem SatzvonRouché,demUmkehrsatzunddemSatzvonHurwitzstehenwiedereherlokale AspekteimVordergrund. Im sechsten Kapitel werden weitergehende Themen der Funktionentheorie wie der RiemannscheAbbildungssatz,dieSätzevonPicardunddieDynamikganzerFunktionen behandelt.DaswesentlichetheoretischeFundamentbildendabeidieNormalitätssätzevon Montel. Ein erklärtes Ziel liegt in der in sich geschlossenen Ausarbeitung dieses Funda- ments.IneinemerstenSchrittwirdder(kleine)NormalitätssatzvonMontelfürFamilien holomorpher Funktionen hergeleitet, der unter Verwendung der Cauchyschen Unglei- chung unmittelbar aus dem Satz von Arzelà-Ascoli folgt. Daher startet das Kapitel mit gleichgradig stetigen Familien und damit zusammenhängenden Kompaktheitsaussagen. Als Zugang zum großen Satz von Montel wird dann der Weg über das Zalcman-Lemma gewählt.VorbereitenddazuwirdeinpassenderSchrankensatzfürsphärischeAbleitungen hergeleitet. WeitgehendunabhängigvomvorhergehendenKapitelwirdimletztenTeildasCauchy- theorem im Rahmen der Rungetheorie aufgegriffen, um verschiedene Ergebnisse über gleichmäßige und lokal gleichmäßige Approximation holomorpher Funktionen durch rationale Funktionen beziehungsweise Polynome zu beweisen. Anwendung findet der Rungesatz für polynomiale Approximation unter anderem im ersten Teil des letzten Abschnitts. Dort wird ein Eindruck davon vermittelt, wie kompliziert die Verhältnisse typischerweisewerden,wennesumdasRandverhaltenholomorpherFunktionengeht. Die Kap.1 bis 5 sind in weiten Teilen aufeinander aufbauend, so dass hier die Reihenfolgemehroderwenigervorgegebenist.DerbisdahindargestellteStoffentspricht imWesentlichendem,waseineeinführendeFunktionentheorietypischerweiseleistet.Die Vorwort VII restlichen Teile lassen eine gewisse Flexibilität beim Durcharbeiten zu. Tendenziell ist dabei die Darstellung straffer als in den ersten. Wie bereits angedeutet, sind die Kap.6 und 7 weitgehend unabhängig voneinander (lediglich Grundzüge der Topologie und der metrische Raum H.˝/, wie im ersten Abschnitt von Kap.6 eingeführt, sind für beide relevant). An dieses Buchprojekt bin ich mit einer gewissen Blauäugigkeit herangegangen – wäre das nicht der Fall gewesen, so hätte ich wohl gar nicht begonnen. Dass aus dem Projekt tatsächlich ein Buch geworden ist, habe ich einer Reihe von Beteiligten zu verdanken.1 Zunächst danke ich Frau Ruhmann vom Springer-Verlag für ihre Flexibili- tät, mir ein ganz anderes Projekt zu ermöglichen, als sie eigentlich im Auge hatte, und gleichzeitigfürdiesehrangenehmeZusammenarbeit,wobeidieserDankgenausoanFrau Herrmann geht. Großer Dank gilt Professor Dr. Dr. h. c. Wolfgang Luh und Dr. Thierry Meyrath für ihre überaus wertvolle Hilfe auf dem Weg, das Konzept umzusetzen und das Manuskript in Form zu bringen. Wesentlich beigetragen zum zweiten Punkt hat auch Elke Gawronski, der ebenfalls mein besonderer Dank gilt. Schließlich danke ich der Arbeitsgruppe Analysis, unseren Doktorandinnen und Doktoranden sowie den StudierendenderMathematikanderUniversitätTrierfürdieangenehmeAtmosphäreund diestetssehranregendeZusammenarbeitübervieleJahre–undmeinerliebenFrauUlla fürihreUnterstützungbeialledem. Trier,imOktober2017 JürgenMüller 1SämtlicheGrafikensinderstelltmitMathematica11,Version11.0.1.0,derFirmaWolframResearch (WolframResearch,Inc.,100TradeCenterDrive,Champaign,IL61820-7237,USA). Inhaltsverzeichnis 1 Spielregeln:Mengen,Abbildungen,Zahlen...................................... 1 1.1 MengenundAbbildungen..................................................... 2 1.2 Monoide,GruppenundRinge................................................. 9 1.3 GeometrischeSummenformelundbinomischeFormel...................... 16 1.4 GeordneteKörperundreelleZahlen.......................................... 23 1.5 KomplexeZahlen .............................................................. 33 1.6 VondennatürlichenzudenreellenZahlen ................................... 36 Literatur............................................................................... 43 2 Basis:Grenzwerte,elementareFunktionenundmetrischeRäume........... 45 2.1 StetigkeitundGrenzwerte..................................................... 46 2.2 FolgenundReiheninK ....................................................... 58 2.3 CauchykriteriumundelementareFunktionen ................................ 69 2.4 MetrischeRäume............................................................... 86 2.5 KompakteRäume.............................................................. 97 2.6 FunktionenfolgenundFunktionenreihen ..................................... 103 2.7 KonzepteI:VollständigkeitundKompaktheit................................ 111 3 AbundAuf:DifferenzierenundIntegrieren..................................... 115 3.1 Differenzialrechnung........................................................... 115 3.2 HöhereAbleitungenundanalytischeFunktionen ............................ 132 3.3 Integralrechnung ............................................................... 145 3.4 UneigentlicheIntegrale........................................................ 158 3.5 Wegintegrale.................................................................... 165 3.6 KonzepteII:DifferenzierenundIntegrieren.................................. 173 Literatur............................................................................... 175 4 MagischeZirkel:KreisfunktionenundlokaleFunktionentheorie ............ 177 4.1 CauchyscheIntegralformelundAnwendungen .............................. 177 4.2 Fourier-undLaurent-Reihen .................................................. 188 4.3 IsolierteSingularitäten......................................................... 202 IX X Inhaltsverzeichnis 4.4 KonzepteIII:ApproximationundReihenentwicklungen.................... 212 Literatur............................................................................... 214 5 Wunderwelten:GlobaleFunktionentheorie ..................................... 215 5.1 CauchytheoremundAnwendungen........................................... 215 5.2 ResiduensatzundAnwendungen.............................................. 228 5.3 AbbildungsverhaltenholomorpherFunktionen............................... 240 5.4 KonzepteIV:KerneundIntegraldarstellungen............................... 245 Literatur............................................................................... 247 6 Normalodernicht:KonformeAbbildungenundkomplexeDynamik........ 249 6.1 NormaleFamilienstetigerFunktionen........................................ 249 6.2 KonformeAbbildungenundRiemannscherAbbildungssatz ................ 259 6.3 SätzevonMontelundPicard.................................................. 267 6.4 KomplexeDynamik............................................................ 280 6.5 KonzepteV:KontraktionenundFixpunkte................................... 292 Literatur............................................................................... 294 7 Extras:RungetheorieundAnwendungen........................................ 295 7.1 Rungetheorie ................................................................... 295 7.2 Randverhalten.................................................................. 307 Literatur............................................................................... 314 Sachverzeichnis.......................................................................... 319 1 Spielregeln: Mengen, Abbildungen, Zahlen Mathematik ist einfach – oder genauer: zweifach. Im Grunde genommen befasst man sich mit lediglich zwei Arten von Objekten, nämlich Mengen und Abbildungen. Im ersten Abschnitt werden die entsprechenden Begriffe in einer eher informellen Weise eingeführt und einige grundlegende Eigenschaften bewiesen. Anschließend wird auf all- gemeineStrukturenderMathematikwieGruppen,RingeundKörpereingegangen,wobei zunächstarithmetischeAspekteimVordergrundstehen.Damitwerdengewissermaßendie Spielregelnfestgelegt.KlassischeFormelnwiediegeometrischeSummenformelunddie binomische Formel werden in einem vergleichsweise allgemeinem Rahmen formuliert. DieErweiterungumeineOrdnungsstrukturstelltdenÜbergangzurAnalysisdar,beider inersterLinieAbschätzungenundApproximationenimMittelpunktderUntersuchungen stehen. SuchtmaneinenminimalengeordnetenKörper,solandetmaninnatürlicherWeisebei den rationalen Zahlen. Um allerdings Analysis effizient betreiben zu können, bedarf es vorallemeinerweiterenStruktureigenschaft:derVollständigkeit.ErstdieVollständigkeit eines Raumes gewährleistet, dass vernünftige Grenzprozesse nicht im Sande verlaufen, sondern in (Grenz-)Werte münden. Die Suche nach vollständigen geordneten Körpern führt nicht nur in natürlicher Weise, sondern sogar zwingend zu den reellen Zahlen. Im letztenAbschnittwirdeinmöglicherkonstruktiverZugangzudenreellenZahlenskizziert. Im Vergleich viel unproblematischer als die Erweiterung der rationalen Zahlen zu den reellen erweist sich die Erweiterung der reellen Zahlen zu den komplexen. Man hat lediglich eine sinnvolle Multiplikation zweier Paare reeller Zahlen zu „erfinden“. Der Preis, den man dabei zahlt, ist der Verlust der Ordnungsstruktur. Auf der anderen Seite sinddieVorteilevielfältig,wiedieweiterenKapitelzeigenwerden. ©Springer-VerlagGmbHDeutschland,einTeilvonSpringerNature2018 1 J.Müller,KonzeptederFunktionentheorie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-56260-4_1