Stadtforschung aktuell 87 Jörg Bogumil Kommunale Entscheidungsprozesse im Wandel Theoretische und empirische Analysen Jörg Bogumil (Hrsg.) Kommunale Entscheidungsprozesse im Wandel Stadtforschung aktuell Band 87 Herausgegeben von: Hellmut Wollmann Jörg Bogumil (Hrsg.) Kommunale Entscheidungsprozesse im Wandel Theoretische und empirische Analysen Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2002 Die Deutsche Bibliothek-CIP-Einheitsaufnahme ISBN 978-3-8100-3425-0 ISBN 978-3-663-10499-5 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-10499-5 © 2002 Springer Fachmedien Wiesbaden Ursprünglich erschienen bei Leske + Budrich, Opladen 2002 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikro verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Inhalt lörg Bogumil Kommunale Entscheidungsprozesse im Wandel-Stationen der politik- und kommunalwissenschaftlichen Debatte...................................... 7 Kapitell: Haushaltskonsolidierung, Verwaltungsmodernisierung und strategische Steuerung Lars Holtkamp Kommunale Haushaltspolitik in den 90er Jahre- Der Wandel von polity, politics und policy .................................................. 55 Gerhard Banner Modernisierung: in Zukunft Tagesgeschäft der Führung ............................ 75 Scott Gissendanner Die Bedeutung des Bürgermeisters für die strategische Entscheidungsfähigkeit deutscher Großstädte .............................................. 91 Michael Haus!Hubert Heinelt Modernisierungstrends in lokaler Politik und Verwaltung aus der Sicht leitender Kommunalbediensteter. Eine vergleichende Analyse ......... 111 Kapitel2: Repräsentative Demokratie Norbert Kersting Die Zukunft der Parteien in der Lokalpolitik ............................................... 139 Klaus Schulenburg Die Reform der nordrhein-westfälischen Kreisordnung aus Sicht der Kreistagsmitglieder ................................................................................ 163 6 Inhalt Kapitel3: Direkte Demokratie Uwe Andersen/Rainer Bovermann/David H. Gehne Die Uraufführung-Analyse der ersten Direktwahl der Bürgermeister in Nordrhein-Westfalen 1999 ......................................... 183 Jürgen Maier Einstellungen zur Direktwahl des (Ober-)Bürgermeisters: Ergebnisse einer Befragung von kommunalen Eliten und Bürgern in Thüringen ................................................................................................ 203 Volker Mittendarf/Frank Rehmet Bürgerbegehren und Bürgerentscheide: Wirkungsaspekte auf kommunale Willensbildungs- und Entscheidungsvorbereitungsprozesse in Deutschland und der Schweiz ................................................................. 219 Hellmut Wollmann Direkte Demokratie in den ostdeutschen Kommunen - Regelung, Praxis und Auswirkungen auf Kommunalpolitik und kommunales Entscheidungssystem ............................................................. 239 Kapitel4: Kooperative Demokratie Anna Geis Neue Konflikte durch kooperative Politikformen: Das Mediationsverfahren und das Regionale Dialogforum zur zukünftigen Entwicklung des Frankfurter Flughafens ........................... 267 Uwe Altrock Büroflächenpolitik in Berlin 1981-99-Kreative nachholende Modernisierung oder Rückfall in autoritäre Muster? ................................... 285 Autorenverzeichnis .................................................................................... 305 Jörg Bogumil Kommunale Entscheidungsprozesse im Wandel - Stationen der politik-und kommunal wissenschaftlichen Debatte 1. Einleitung Die Thematisierung kommunaler Entscheidungsprozesse hat in der lokalen Politikforschung in Deutschland eine große Tradition (vgl. z.B. Grauban 1970; Fürst 1975; Derlien u.a. 1976; Kevenhörster 1977; Ellwein/Zoll 1982; Banner 1982, Gabriel 1983, 1989; GabrieVVoigt 1994). Sie konzentriert sich in der Regel auf den kommunalen Entscheidungsprozess im engeren Sinne, also auf das Zusammenspiel der kommunalen Entscheidungsträger im lokalen politisch-administrativen System (Rat, Verwaltung, Bürgermeister). Vor al lem das Verhältnis zwischen Kommunalvertretung und Verwaltung, also die Frage der politischen Verwaltungsführung, stand dabei lange Zeit im Vorder grund des Interesses.1 Dagegen stehen andere Verfahren zur Untersuchung kommunaler Machtstrukturen, wie die Durchführung von Reputationsstudien und Positionsstudien, neben der Analyse von Entscheidungsprozessen die an deren beiden klassischen Untersuchungsansätze der amerikanischen commu nity-power-Forschung, in Deutschland nicht im Mittelpunkt der lokalen Poli tikforschung. 2 Die normative Einschätzung des Verhältnisses zwischen Politik und Verwaltung ist vom zugrundeliegenden Verständnis kommunaler Selbstverwaltung abhängig. Diese Diskussion, ob also die kommunale Ebene als ein autonomes politisches Gebilde oder als eine vom Staat getrennte kommunale Selbstverwaltung anzusehen ist, wird, schon seit dem Vormärz kontrovers gefilhrt. Sie ist durch das Grundgesetz und die Kommu nalverfassungen der Länder nicht eindeutig entschieden worden. "Kommunalpolitik" hat also stets in einem nie ganz geklärten Spannungsverhältnis zum Begriff der "kommunalen Selbstverwaltung" gestanden, der das institutionelle Gesamtsystem der Gemeinde im Gegensatz zum politischen System des Staates dem Bereich der Ver waltung zuordnet (Grauhan 1970: 69). 2 Eine der wenigen Studien, die alle drei Ansätze am Beispiel einer deutschen Stadt miteinander verbindet, ist die von Ellwein/Zoll zur Untersuchung der Machtstruktur in Wertheim, einer Gemeinde mit ca. 20.000 Einwohnern, die zudem zu zwei Zeit räumen erfolgte (1968 und 1980, vgl. EilweintZoll 1981). Generell fragt die commu nity-power-Forschung jetmch mehr nach der Machtverteilung in der Gemeinde insge samt und nach dem Einfuss lokaler Interessengruppen und vernachlässigt die Be deutung organisatorischerund verfassungsstruktureller Fragen (Derlien u.a. 1976: 3). 8 Jörg Bogumil Betrachtet man die vorliegenden empirischen Untersuchungen kommu naler Entscheidungsprozesse (zu den Selektivitäten kommunaler Entschei dungsprozesse vgl. Fürst 1975)3, so kristallisieren sich vor allem zwei For schungsbereiche heraus: Wer ist an Entscheidungsprozessen beteiligt, welche Interessen haben die Akteure, wo werden die Entscheidungen gefällt und wer kann sich durchsetzen? Dabei wird zwischen verschiedenen Phasen des Entscheidungsprozesses unterschieden, also vor allem zwischen der Initiative, der Vorauswahl von Beschlussalternativen und der formellen Beschlussfassung, sowie zwischen unterschiedlichen Machtpotentialen (formelle Weisungsbefugnis, Informationskapazitäten, Mobilisierung von politischer Unterstützung). Welche Faktoren sind für bestimmte Führungsstrukturen verantwortlich? Welchen Einfluss haben die verschiedenen Kommunalverfassungen auf die kommunalen Entscheidungsprozesse und Politikergebnisse? Der erste Typ von Fragestellungen, also der Bereich der politics, steht zu nächst im Vordergrund des kommunalwissenschaftlichen Interesses Ende der 60er Jahre, auch wenn die Frage des Zusammenhanges zwischen Kommunal verfassung (polity) und Entscheidungsprozessen (politics) immer schon mit diskutiert wird. Bis in die 80er Jahre hinein ist die Debatte vor allem demo kratietheoretisch ausgerichtet. Mit Verweise auf die Vormachtstellung der Verwaltung wird darüber nachgedacht, was zu tun sei, damit die Vertretungs körperschaft nicht nur Ratifizierungsorgan von Verwaltungsvorlagen bleibt. Ein Meilenstein in dieser Debatte ist bis heute die Diskussionen verschiedener Modelle politischer Verwaltungsführung (vgl. 2.1). Die politische Führung soll gestärkt und in die Lage versetzt werden, die Steuerung der Inhalte, Ver fahren und Stile der Verwaltungstätigkeit vorzunehmen. Eckpunkte dieser Diskussion sind die von Grauhan herausgearbeitete Tendenz zur zentralisier ten Verwaltungsführung (exekutive Führerschaft) und das von Banner für die norddeutsche Verfassung skizzierte VorentscheideTkonzept (vgl. 2.2). Ab Anfang der 80er Jahre mehren sich jedoch die Stimmen die - vor al lem mit dem Effizienzargument - Kritik an der norddeutsche Ratsverfassung 3 Fürst hat schon früh auf die Selektivitäten kommunaler Entscheidungsprozesse be züglich der Informationsverarbeitung und der Interessenwahrnehmung hingewiesen. Er nennt hier u.a. das Eigenleben der Verwaltung, Ressortegoismus, eine Überforde rung der administrativen Kapazitäten zur Informationsverarbeitung, ungleiche Orga nisations- und Konfliktfahigkeit bei der Interessenformulierung externer Akteure so wie ungleiche Durchsetzungsflihigkeit von Interessen im Verlauf des Entscheidungs prozesses (Fürst 1975: 28lf.). Verbesserungen müßten in die Richtung gehen, dass der Entscheidungsprozess für eine Reduzierung von Anforderungen an administrative Leistungen sorgt, dass stärker Kooperationen mit andP-ren Gebietskörperschaften und Ressorts durchgeführt werden und dass es zu einer gl;3ichmäßigen Verteilung der In teressen im Planungs-und Entscheidungsprozess komr 1t. Kommunale Entscheidungsprozesse im Wandel 9 üben und damit einen Zusammenhang zwischen polity und policy herstellen. Die Vor- und Nachteile unterschiedlicher Kommunalverfassungen geraten nun verstärkt in den Blick. Dabei wird zunächst auf die in Städten der nord deutschen Verfassung (vor allem NRW) stärkere Verflechtung zwischen Po litik und Verwaltung aufmerksam gemacht (vgl. 3.1) und dann unter Hinweis auf die negativen Folgen von Parteipolitisierung eine Stärkung der Verwal tung gegenüber der Politik nach dem Vorbild der süddeutschen Rat-Bürger meisterverfassung eingefordert (vgl. 3.2). Die dadurch aufflammende Debatte um den Zusammenhang zwischen kommunalem Entscheidungssystem und Kommunalverfassung (vgl. 3.3). trägt mit dazu bei, dass sich in den 90er Jah ren die Kommunalverfassungen in Richtung auf die süddeutsche Verfassung bewegen. Damit wird die bisherige Typologisierung von Kommunalverfas sungen hinfällig und die Diskussion um neue Vorschläge beginnt (vgl. 3.4). In Kapitel 4 erfolgt dann eine Zusammenfassung der wesentlichen Erklärungs faktoren kommunaler Entscheidungsprozesse. Die aktuelle Diskussion gegen Ende der 90er Jahre zeichnet sich nun da durch aus, dass man sich nach einer etwas ruhigeren Phase bezüglich der Thematisierung kommunaler Entscheidungsprozesse - sicherlich auch bedingt durch neue Themenfelder wie die Transformationsforschung oder die Europa forschung- zunehmend der in den 90er Jahren erfolgten und noch laufenden Modernisierung lokaler Politik und den dadurch hervorgerufenen Verände rungen kommunaler Entscheidungsprozesse zuwendet. Zu den Modernisie rungsmaßnahmen zählen: die Verwaltungsmodernisierung durch Public Managementelemente, insbesondere in der deutschen Form des Neuen Steuerungsmodells, die flächendeckenden Änderungen der Kommunalverfassungen in Richtung auf das süddeutsche Modell, die ,,Renaissance" der Bürgerbeteiligung und die Entdeckung des bürgerschaftliehen Engagements, die durch höhere föderale Ebenen ausgelösten Liberalisierungs- und Privatisierungsbestrebungen im Bereich kommunaler Daseinsvorsorge (Energie, Wasser, Abfall, ÖPNV) sowie Ansätze eines E-Governments oder einer E-Democracy. Für alle Modernisierungsimpulse ist festzuhalten, dass deren Wirkungen em pirisch noch vielfach unerforscht sind. Bei den letzten beiden sind die Wir kungen zudem meist noch gar nicht erfassbar. Mit diesem Sammelband wird versucht, neuere empirische Erkenntnisse zu den ersten drei Modernisie rungsimpulsen zu bündeln und zur Diskussion zu stellen (vgl. 5.1, zum vier ten Modernisierungsstrang vgl. Libbe u.a. 2002; Bogumil/Holtkamp 2002, zum E-Government vgl. Lenk 2002). Dabei kristalliert sich heraus, dass im Gegensatz zu früheren Diskussionen die normativen Bewertungskriterien (demokratische Legitimation, effiziente und effektive Problemlösungen) nun meistens zusammenhängend diskutiert werden und auch die Tendenz zu-
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