Interaktionen von Fußballfans Martin Winands Interaktionen von Fußballfans Das Spiel am Rande des Spiels Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Hans-Joachim Plewig und Prof. Dr. Andreas Zick Martin Winands Universität Bielefeld Institut für interdisziplinäre Kon(cid:192) ikt- und Gewaltforschung (IKG) Deutschland Zgl.: Lüneburg, Universität, Dissertation, 2014 ISBN 978-3-658-09079-1 ISBN 978-3-658-09080-7 (eBook) DOI 10.1007/978-3-658-09080-7 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbi- bliogra(cid:191) e; detaillierte bibliogra(cid:191) sche Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden 2015 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikrover(cid:191) lmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa- tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer Fachmedien Wiesbaden ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media (www.springer.com) Meinen Eltern Cilly und Kurt Geleitwort 7 Geleitwort Gibt es etwas Schöneres, als in der Kurve zu stehen und die eigene Mannschaft anzu- feuern? Für viele Menschen ist das eine triviale Frage, weil sie sich dort mit vielen anderen zusammenfinden und Woche für Woche neue Inszenierungen und Choreographien darbie- ten. Das ist ein unglaubliches Spektakel, ein Theater von hohem Inszenierungsgrad, zumin- dest in den Profiligen, mehr und mehr aber auch bei den Amateuren. Die Kurve ist ein Machtfaktor im Fußball geworden, der unseres Erachtens auch ein ökonomischer Faktor ist, weil zumindest ein Bundeligaspiel ohne „Choreo“ kein gutes Spiel mehr ist. In allen Stadien der Profiliga sind zig Kameras auf die Kurve gerichtet, weil die Fanaktivitäten einen Großteil des gesamten Spiels ausmachen. Bei aller Kritik, wenn es um den Einsatz von Pyrotechnik, um menschenfeindliche Slogans oder politische Aktionen geht, ist die Frage, was passieren würde, wenn die Fans sich nicht mehr inszenieren, längst geklärt. Sie zeigen, was geschieht, wenn sie kollektiv schweigen, wie etwa bei der bekannten, bundesweiten Aktion „12:12“ im Winter 2012. Fangruppen in den Kurven sind eine Hausmacht geworden, und der Fußball hängt inzwischen nicht unerheblich von ihnen ab. Als ein Gegenstand der Sozialwissenschaften ist das hochinteressante Phänomen der In- szenierungen, Darstellungen und des Identitätsmanagements in den Kurven und auf den Rängen der Fußballstadien bislang allerdings noch nicht hervorgetreten. Gewiss fehlt es an einer fundierten Fanforschung. Zwar liegen einige zuverlässige Studien zur Fankultur vor, jedoch dominieren veraltete Fantypologien und wenig differenzierte Berichte, wenn es um wichtige Fragen zum Verständnis von Fanhandlungen geht. Wie organisieren sich die Grup- pen unter den Bedingungen der öffentlichen, durch viele Konflikte geprägten Interaktion in den Stadien? Wie wird die Interaktion der höchst unterschiedlichen Gruppen gestaltet? Wel- che Bedeutung haben die spannungsreichen Konfliktfelder zwischen den diversen Fangrup- pen in den Kurven und auf den Rängen sowie den Sicherheitsakteuren? Diese Fragen sind wissenschaftlich bedeutsam, weil ihre Beantwortung etwas lehrt über die Organisation von Kommunikation und Interaktion in öffentlichen Großveranstaltungen und dabei Spannungen insbesondere auf der Ebene verschiedener Gruppen zu beachten sind. Genau zu diesen und damit verbundenen Fragen präsentiert Martin Winands mit dem vorlie- genden Band eine hochgradig detaillierte Beobachtung von Fans, die in weiten Teilen eine neue Vermessung solcher Spannungen ermöglicht. Dabei geht es weniger um Identitäten 8 Geleitwort und Kulturen als um Handlungen, die diese markieren, ihnen eine Gestalt geben. Martin Wi- nands wählt einen interaktionstheoretischen Ansatz, den er aber zunächst zurückhaltend in die Beobachtungen, Analysen und Interpretationen dessen, was in den Kurven stattfindet, einfließen lässt. Das Buch führt die LeserInnen mit aller Akribie in ein Feld hinein, das nicht einfach zugäng- lich ist. Feldforschung kann aufregend sein. Häufig ist sie damit verbunden, in bislang unbe- kannte Welten einzutreten. Die Motive dafür sind unterschiedlich. Sie reichen von religiös- ökonomisch geprägten imperialen Interessen über nüchtern-distanzierte Beobachtungen bis hin zu von Sympathie getragenen Annäherungen. Unabhängig von den Absichten des For- schers sind die Folgen mit zu bedenken, die je nach anschließender Verwertung zum Tragen kommen können. Feldforschung ist doppelt brisant: wegen der Umstände des Eintauchens in eine andere Kultur und der Reaktion auf das Präsentierte. Feldforschung im Zusammenhang mit abweichendem Verhalten hat Tradition in der Kriminalsoziologie. H. S. Beckers Außen- seiter (1963) repräsentiert einen Höhepunkt der Auseinandersetzung zwischen „Angepass- ten“ und „Abweichlern“. Der Clou bestand darin, nicht mehr in gewohnter Tradition zwischen „den Anderen“ und „uns“ zu unterscheiden, sondern sich den subkulturellen Gruppen mit einer verstehenden Haltung zu nähern. In einer langen Vorlaufphase hat Martin Winands mit hohem Verantwortungsbewusstsein und nachlesbaren „Skrupeln“ überlegt, wie er dem von ihm gewählten Gegenstand wissen- schaftlich angemessen gerecht werden kann. Er stand vor dem Problem, dass es trotz aller zitierten Vorarbeiten und Erkenntnisse zur Feldforschung zu wenig Substantielles gab, auf das er sich hätte beziehen können. Dementsprechend gestaltete sich die empirische Phase als ein Abenteuer, im Eintauchen in die „Lebenswelt“ von Fußballfans ebenso wie im Hinblick auf theoretische Konsequenzen und methodische Herausforderungen. Dieses Abenteuer war wichtig für die Wissenschaft. Um im Bild des Theaters zu bleiben: Sein Vorgehen, seine Erkenntnisse eröffnen immer wieder neue Einblicke, wenn er uns En- semble, Haupt- und Nebenfiguren und Interaktionsrituale vorstellt. Er weiß, wovon er redet. Er hat die dabei herrschenden Machtverhältnisse miterlebt und zu spüren bekommen. Martin Winands legt – erstmals in der deutschen Fachdiskussion – eine überzeugende, er- kenntnisbringende sozialwissenschaftliche Interaktionsanalyse zur Fanforschung vor. Seine Untersuchung erschließt ein bislang nicht systematisch erfasstes Feld und leistet damit zu- gleich einen zentralen Beitrag zur aktuellen Diskussion zum Umgang mit Fußballfans. Geleitwort 9 Seine Feldforschung ermöglicht den Blick auf die Ensembles und Interaktionsordnungen. Er hat erstmals dazu Daten erarbeitet, die eine differenzierte theoriegeleitete Betrachtung er- lauben. Dabei hat er sich auf das Konzept von Erving Goffman gestützt. Seine Bezugnahme ist geprägt von erstaunlicher Detailtreue. Das theoretische Instrumentarium nach Goffman konnte er erweitern und vertiefen, sodass nicht nur die Fanforschung, sondern auch die For- schung zur Interaktionstheorie von der Analyse profitieren dürfte. Insbesondere arbeitet Mar- tin Winands die verschiedenen Ensembles unter Fußballfans heraus. Damit liegt eine dichte Beschreibung von Fangruppen vor, die jenseits der üblichen Typologien und Kategorien, welche von außen herangetragen werden, von innen verständlich werden. Seine Studie lässt die komplexen Interaktionsdynamiken in den Fanblöcken besser und ge- nauer verstehen. Dieses Verständnis führt zwangsläufig zu veränderten Wahrnehmungen. Das ist vor allem mit Blick auf die Dominanz-Interaktionen und Hierarchien in den Fanblö- cken eindrucksvoll und überzeugend. Wir empfehlen allen Konflikt-, Gruppen- und Fanfor- scherInnen der verschiedensten Disziplinen, diese Interaktionsanalyse als wertvollen, über das Thema des Fußballs hinausweisenden interdisziplinären Beitrag zu begreifen. Lüneburg und Bielefeld im November 2014 Prof. Dr. Hans-Joachim Plewig und Prof. Dr. Andreas Zick Inhaltsverzeichnis 11 Inhaltsverzeichnis A. EINFÜHRUNG UND STATUS QUO 13 I. Einleitung 13 1. PROBLEMAUFRISS 18 2. FORSCHUNGSSTAND 22 B. KONZEPTION DER UNTERSUCHUNG 29 3. METHODISCHE UND METHODOLOGISCHE ANLAGE 29 3.1. ETHNOGRAPHIE UND METHODENTRIANGULATION 29 3.1.1. Teilnehmende Beobachtung 34 3.1.2. Qualitatives Experteninterview 37 3.1.3. Gruppeninterview 40 3.2. DATENERHEBUNG UND DATENAUSWERTUNG 42 3.3. REICHWEITE DES MATERIALS UND REFLEXION DER METHODE 46 4. THEORETISCHE ANNÄHERUNGEN 50 4.1. EINORDNUNGEN 50 4.2. INTERAKTIONEN IN RAHMEN UND DIE ORDNUNG DER INTERAKTION 51 4.3. TRANSFORMATION DER WIRKLICHKEIT: MODULATION UND TÄUSCHUNG 55 4.4. DER PRIMÄRE RAHMEN DES FANBLOCKS 58 4.5. THEATERMETAPHORIK 60 C. EMPIRISCHE ANALYSEN 67 5. FELDEINSTIEG(E): EINTRITT IN DIE EMPIRIE 67 6. SYSTEMATISIERUNG EINES UNÜBERSICHTLICHEN UND DYNAMISCHEN FELDES 71 6.1. DIE STRUKTUR „AUF DEM BLOCK“ 71 6.1.1. Die Ultras als Zentrum der Kurve?! 77 6.1.2. Die Zuschauer in der Peripherie: Über die „anderen“ Fans 80 6.2. DIE DRAMATURGIE IN DEN FANKURVEN 81 6.2.1. Das Ensemble der Ultras 84 6.2.1.1. Stilmittel und Interaktionsrituale der Ultra-Ensembles 89 6.2.1.1.1. Ritualtheoretische Einordnung 91 6.2.1.1.2. Bengalische Feuer als Teil der Interaktionsrituale 94 6.2.1.1.3. Fahnen als Teil der Interaktionsrituale 98 12 Inhaltsverzeichnis 6.2.1.1.4. Trommeln als Teil der Interaktionsrituale 106 6.2.1.1.5. Die Orchestrierung der Stilmittel 108 6.2.1.2. Der Dirigent des Ensembles 109 6.2.1.2.1. Das gelingende Zusammenspiel zwischen Dirigent und Ensemble 118 6.2.1.2.2. Die Bedrohung des Vorführungsrahmens 124 7. INTERAKTIONSORDNUNGEN IM FUßBALLSTADION 128 7.1. DIE INTERAKTIONSORDNUNG ZWISCHEN DER PERIPHERIE UND DEM ULTRA-ENSEMBLE 128 7.1.1. Abgrenzungen zwischen der Peripherie und dem Ultra-Ensemble 130 7.1.1.1. Vereinnahmungsversuche des Ultra-Ensembles 134 7.1.1.2. Ablehnung des Ultra-Ensembles durch die Peripherie 139 7.1.1.3. Aufrechterhaltung des Dominanzanspruchs des Ultra-Ensembles 142 7.1.2. Ausbruch aus der Interaktionsordnung – Rebellionen im Fanblock? 147 7.2. DIE INTERAKTIONSORDNUNGEN IM ENSEMBLE-WETTBEWERB 151 7.2.1. Die Interaktionsordnung rivalisierender Ultra-Ensembles gegnerischer Vereine 152 7.2.1.1. Die Dramaturgie des Ensemble-Wettbewerbs 153 7.2.1.1.1. Der Prolog oder: Vor dem Spiel 156 7.2.1.1.2. Das Halbzeit-Spektakulum 166 7.2.1.1.3. Der Epilog oder: Nach dem Spiel 171 7.2.1.1.4. Während des Spiels: 90 Minuten 179 7.2.2. Die Interaktionsordnung rivalisierender Ultra-Ensembles eines Vereins 194 7.3. DIE INTERAKTIONSORDNUNG DER GESCHLECHTER ODER: GESCHLECHTERCHOREOGRAPHIEN 202 7.3.1. Der Fanblock als Ort martialischer Männlichkeit 203 7.3.2. Die Produktion von Männlichkeit in der Interaktion 204 7.3.2.1. Zaunsturm und Körperlichkeit 206 7.3.2.2. Scheinwettkampf und Körperlichkeit 208 7.3.2.3. Weibliche Sichtbarkeit und männliche Territorialarbeit 210 7.3.3. Ambivalenzen in der Interaktionsordnung 216 7.4. DIE INTERAKTIONSORDNUNG ZWISCHEN DEM SPIELFELD UND DEN RÄNGEN 219 7.4.1. „Tod und Hass dem …“ – Negative Interaktionsdynamiken 221 7.4.2. „89. Minute … und das Tor … und natürlich komplett am Durchdrehen“ – Positive Interaktionsdynamiken 231 D. REKAPITULATION UND DISKUSSION 235 8. ERGEBNISSE IM ÜBERBLICK 235 9. DISKUSSION UND FORSCHUNGSDESIDERATA 244 LITERATUR 257
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