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Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Band 1: A-Bib PDF

805 Pages·1992·99.622 MB·German
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Historisches Wörterbuch der Rhetorik Historisches Wörterbuch der Rhetorik Herausgegeben von Gert Ueding Mitbegründet von Walter Jens In Verbindung mit Wilfried Barner, Joachim Dyck, Hans H. Eggebrecht, Ekkehard Eggs, Manfred Fuhrmann, Walter Haug, Konrad Hoffmann, Josef Kopperschmidt, Friedrich Wilhelm Korff, Egidius Schmalzriedt, Konrad Vollmann Unter Mitwirkung von mehr als 300 Fachgelehrten Max Niemeyer Verlag Tübingen Historisches Wörterbuch der Rhetorik Herausgegeben von Gert Ueding Redaktion: Gregor Kalivoda Franz-Hubert Robling Band 1: A-Bib Max Niemeyer Verlag Tübingen 1992 Wissenschaftliche Mitarbeiter des Herausgebers: Bernd Steinbrink (bis 1987) Berthold Brohm (bis 1991) Peter Weit (seit 1985) Heike Mayer (seit 1991) Mitarbeiter der Redaktion: Ulrich Brand Markus Fauser Björn Hambsch Jens König Thomas Stephan Anschrift der Redaktion: Historisches Wörterbuch der Rhetorik Wilhelmstraße 50 D-7400 Tübingen Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Historisches Wörterbuch der Rhetorik / hrsg. von Gert Ueding. Mitbegr. von Walter Jens in Verbindung mit Wilfried Barner ... Unter Mitwirkung von mehr als 300 Fachgelehrten. - Tübingen: Niemeyer. NE: Ueding, Gert [Hrsg.] Bd. 1. A-Bib. -1992 ISBN 3-484-68100-4 (Gesamtwerk) ISBN 3-484-68101-2 (Band 1) 5 4 3 2 © Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1992 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Satz und Druck: Guide-Druck GmbH, Tübingen. Bindearbeiten: Heinr. Koch, Tübingen. Vorwort Α. Forschungsstand zungen gegenwärtiger Fachforschung haben es anderer- seits bisher verhindert, ihre Ergebnisse zu sammeln, ein- I. Das <Historische Wörterbuch der Rhetorik> doku- heitlich darzustellen und somit die wissenschaftliche Tä- mentiert die Rhetorik als das neben der Philosophie tigkeit auf die Vervollkommnung der begrifflichen wichtigste, differenzierteste und wirkungsmächtigste Grundlagen, Theorien oder Theorieansätze zu konzen- Bildungssystem der europäischen Kulturgeschichte. Es trieren. Die wenigen älteren Vorläufer oder zeitgenössi- erfaßt die theoretischen Entwürfe, Kategorien und Be- schen Vorarbeiten können ein enzyklopädisches Grund- griffe der Rhetorik und ihrer interdisziplinären Verflech- lagenwerk nicht ersetzen, das der Rhetorikforschung die tungen seit der Antike, wie sie von der internationalen Prinzipien, Kategorien und Begriffe geschichtlich zu ent- Rhetorikforschung aufgenommen, weitergeführt und falten, die Beziehungen zwischen ihnen aufzuweisen und mit neuen, wissenschaftlichen Fragestellungen und Me- auf den Gesamtzusammenhang hin durch die neuesten thoden sowie unter veränderter praktischer Perspektive internationalen Forschungsergebnisse zu ergänzen hät- zu neuen Konzeptionen ausgearbeitet wurden. Erst seit te. Mitte der sechziger Jahre begann die deutsche Rhetorik- II. Das Desiderat ist seit langem bekannt, und es gibt forschung Anschluß an die internationale Entwicklung auch einige Versuche, dem Mangel wenigstens notdürf- zu gewinnen, deren hoher Standard vor allem durch tig abzuhelfen. Besonders folgenreich im Positiven wie amerikanische Wissenschaftler bestimmt war, die sich Negativen war HEINRICH LAUSBERGS <Handbuch der lite- freilich oftmals der Verbindung zu den historischen und rarischen Rhetorik> (Stuttgart 31990 - 1. Aufl. München systematischen Grundlagen ihres Faches nicht mehr voll- 1960 - 983 S.), das «einer Welt von Romanisten, Germa- ständig bewußt waren. Seither gibt es eine kaum noch nisten, Komparatisten usw. usw. die Augen über die übersehbare Fülle von Einzelforschungen zur Geschich- vergessene und mißachtete Rhetorik [...] öffnet und te der Rhetorik und ihrer Theorie und Praxis seit der nicht nur den Anfängern, sondern auch den in Lehre und Antike, zu ihrer grundlegenden Wirksamkeit in der ge- Forschung tätigen Philologen eine Art Prolegomena zu samten europäischen Bildungs- und Wissenschaftstradi- einer jeden künftigen Literaturkritik» gegeben hat tion, zu ihrem Einfluß auf die Analyseverfahren der (Klaus Dockhorn), sich aber im wesentlichen auf die modernen Textwissenschaften, der Homiletik und Fo- Darstellung der antiken Rhetorik beschränkte und ihr rensik und der Kommunikations- und Medienwissen- eine Einheitlichkeit unterstellte, die es nie gegeben hat schaften. Die «Ubiquität der Rhetorik» (H.-G. Gada- und die den Autor zu begrifflichen Interpolationen mer), ein Erbteil ihrer Geschichte, hat diese Renaissan- zwang, die der antiken Rhetorik fremd sind. Epochale ce ebenso begünstigt wie die Bedürfnisse einer sich zu- Differenzierungen werden zugunsten idealtypischer Be- nehmend versprachlichenden Gesellschaft, in welcher griffsdefinitionen vernachlässigt, «Beschränkung auf das Kommunikationsfähigkeit, Textproduktion und Text- Exemplarische», alleinige Ausrichtung auf die «Praxis analyse sowie die pragmatischen Aspekte der Redekunst der Textinterpretation» und bewußtes Ausklammern immer wichtiger geworden sind. Die Fachbibliographien der neuzeitlichen Verwandlungen und Grenzüberschrei- (Walter Jens: Rhetorik. In: Reallexikon der deutschen tungen der Rhetorik bestimmen die Aufgabe dieses ver- Literaturgeschichte. Hrsg. von P. Merker und W. dienstvollen Handbuchs, das, wie der Autor schreibt, Stammler. Band 3, Berlin, New York 21977, S. 432-456. nur einen «ersten Überblick über die Phänomene litera- - Robert Jamison und Joachim Dyck: Rhetorik-Topik- rischer langue» ermöglichen sollte. Lausberg war sich Argumentation. Bibliographie zur Redelehre und Rhe- also der Unzulänglichkeit seines Handbuchs wohl be- torikforschung im deutschsprachigen Raum 1945 -1979/ wußt und formulierte selber das Desiderat, «nicht nur 80, Stuttgart-Bad Cannstatt 1983 - und die regelmäßigen die Lehrsysteme, sondern auch die Detailphänomene bibliographischen Berichte des Jahrbuchs <Rhetorik> seit [...] in Doktrin und Praxis [zu] erfassen», eine Aufgabe, 1980) legen ein beeindruckendes Zeugnis rhetorischer die auch seiner Ansicht nach «nur in einer vielbändigen Forschungstätigkeit ab, dokumentieren aber auch zwei Darstellung zu bewältigen sein [würde]». besondere Schwierigkeiten. Noch engere Zielsetzungen verfolgen einige andere Einerseits haben die interdisziplinäre Anlage der Rhe- vergleichbare Werke, so etwa HENRI MORIERS diction- torik und ihre noch immer unzureichende institutionelle naire de Poétique et de Rhétorique) (Paris: Presses Uni- Verankerung im deutschen Wissenschaftsbetrieb zu ei- versitaires de France, 21975 -1. Aufl. 1961 -1210S.), das ner unkoordinierten Ausweitung der rhetorikspezifi- sich unter dem pragmatischen Aspekt der Definition und schen wissenschaftlichen Tätigkeit in alle diejenigen Dis- im Hinblick auf die Poetik mit einem sehr eingeschränk- ziplinen geführt, die sich mit Problemen sprachlicher ten Bereich der Rhetorik (Figurenlehre) befaßt, dane- Vermittlung und Interaktion beschäftigen und zur Rhe- ben einige Aspekte der Phonetik berücksichtigt. Histori- torik vor allem ihrer historischen, pädagogischen, sozio- sche Verweise beschränken sich auf Zitatbeispiele, die logischen, linguistischen oder psychologischen Dimen- zur Definition herangezogen werden, historische Be- sionen wegen in Bezug getreten sind. Die forschungsge- griffsinterpretationen fehlen. Alle wichtigen Grundla- schichtliche Kontur der Rhetorik geriet dadurch in die gen der Rhetorik wie Drei-Stil-Lehre, aptum-Theorie, Gefahr, undeutlich zu werden. Diese in der Wissen- natura-ars-Differenzierung fehlen, und systematische schaftsgeschichte der Rhetorik begründeten Vorausset- Beziehungen sucht man vergebens, denn selbst «jede V Vorwort Vorwort Figur wird eher als Person, denn als Spezies behandelt» lichkeit ist von Rhetorik so wenig wahrzunehmen, weil (Morier). Bei der Darstellung dominiert die linguistisch- sie schon allgegenwärtig ist.» Diese Allgegenwart wieder strukturalistische Perspektive, und auch die Verbesse- bewußt zu machen, indem sie als geschichtlicher Tatbe- rungen der zweiten Auflage betreffen, entsprechend der stand aufgenommen wird, ist die erste Aufgabe der Be- poetologischen Ausrichtung des Lexikons, nur das Be- griffsgeschichte, wie sie in diesem Wörterbuch prakti- griffsarsenal der Poetik und Metrik. Auch RICHARD ziert wird. Das seit 1971 erscheinende <Historische Wör- A. LANHAMS <Handlist of rhetorical Terms> (A guide for terbuch der Philosophie) hat für Herausgeber, Redak- students of English literature, Berkeley & Los Angeles tion und Autoren die Funktion des Modells und Pilot- 21969 - 1. Aufl. 1968 - 148 S.) ist nur als Hilfsbuch zum projekts zugleich angenommen. Begriffsgeschichte soll ersten Verständnis rhetorischer Termini brauchbar, es dabei nicht nur im Sinne kontinuierlich verfahrender, erhebt auch keinen grundlegenden Anspruch. LEE sammelnder Wissenschaft betrieben werden, sondern A. SONNINOS <Handbook to Sixteenth-Century Rhetorio auch als eigenständiges methodisches Instrument rheto- (London 1968, 278 S.) beschränkt sich auf das 16. Jahr- rischer Theoriebildung (vgl. Artikel <Begriffsgeschichte> hundert und englische Autoren, dabei wird vornehmlich im <Historischen Wörterbuch der Philosophie, Bd. 1). der elocutionelle Bereich der Rhetorik berücksichtigt. «Jeder Versuch, die Rhetorik in Theorie und Praxis zu erneuern, sollte sich, jedenfalls zunächst, am geschichtli- Nur noch als (nicht immer verläßliche) Quellensamm- chen Befund orientieren.» (Manfred Fuhrmann) Es geht lungen sind die beiden in lateinischer Sprache verfaßten also zuerst darum, die Bedeutungsgeschichte der theore- Lexika von JOHANN CHRISTIAN GOTTLIEB ERNESTI zu be- tischen Entwürfe, Ideen, Probleme und Sachen aufzu- trachten: <Lexicon technologiae Graecorum rhetoricae> klären, soweit sie eine rhetorisch-begriffliche Fassung (Leipzig 1795, 400 S.) und <Lexicon technologiae Lati- erhalten haben. Ebenso wichtig aber ist es, die Überlie- norum rhetoricae> (Leipzig 1797, 440S.). Eine nützliche ferung aus dem Schema vergangener Epochen heraus- Vorarbeit ist auch der Schlüssel und das Register zum zubrechen und als Auftrag an die Gegenwart zu erken- Werk Quintilians: EDUARDUS BONNELLUS' (ebenfalls in nen, sie also für die gegenwärtige wissenschaftliche For- lateinischer Sprache verfaßtes) <Lexicon Quintilianeum> schung in der Rhetorik und allen anderen Disziplinen (Leipzig 1834,1042 S.). Es behandelt neben den rhetori- fruchtbar zu machen, die sich mit dem Menschen als schen Termini Quintilians Sprache überhaupt, weshalb einem Vernunft- und sprachbegabten Mängelwesen be- ihm auch eine umfangreiche Einführung «de Grammati- schäftigen. Die Definition einer Sache ist ebenso wie die ca Quintilianea» vorangestellt ist. Ein auf die rhetori- ihres Begriffs identisch mit seiner Geschichte, die freilich schen Begriffe konzentriertes Register zu Quintilians nicht abgeschlossen und fertig, sondern offen und für <Institutio oratoria> hat jüngst erst ECKART ZUNDEL mit Folgen bereit ist. Der historische Bezug erlaubt es zu- seiner <Clavis Quintilianea> vorgelegt (Darmstadt 1989, dem, wirkliche von scheinbaren Fortschritten in der rhe- 103 S.); der schmale, doch konzentrierte Band dient als torischen Theoriebildung zu unterscheiden und die nützliche Ergänzung zur neuübersetzten Ausgabe der Ideenplagiate oder verkappten rhetorischen Schwund- <Institutio> von Helmut Rahn (Darmstadt 1972-1975, 2 stufen in anderen Wissenschaften zu erkennen. Bde., 775 u. 869S.). Das Fehlen eines rhetorischen Sachwörterbuchs hat auch dazu geführt, daß alle poetologischen Lexika ebenso wie die größeren historischen Darstellungen der B. Interdisziplinäre Orientierung und Stichwort- Poetik (Bruno Markwardt, Armand Nivelle u.a.) zwar Auswahl immer wieder darauf verweisen, daß die Rhetorik die Poetik bis in die Neuzeit hinein geprägt und in fast allen I. Das Wörterbuch soll alle wirkungsgeschichtlich be- Bereichen detailliert ausgebildet hat, diese Einsicht aber deutsamen rhetorischen Kategorien und Begriffe auf- nicht fruchtbar machen können und die Rhetorik daher nehmen und daher nicht nur für die Rhetorik von größter faktisch unberücksichtigt bleibt. Ähnliches gilt für ande- Bedeutung sein, sondern auch ein wichtiges Grundla- re Bereiche der geisteswissenschaftlichen Grundlagen- genwerk für Wissenschaftler benachbarter Disziplinen forschung, etwa für die Hermeneutikdiskussion (Gada- darstellen. Durch die traditionell fächerübergreifende mer, Habermas, Apel u.a.). Konzeption der Rhetorik wird es zu einem Ausgangs- III. Die Erkenntnis, daß «sich der rhetorische und der punkt interdisziplinärer Arbeit werden, wenn die histori- hermeneutische Aspekt der menschlichen Sprachlich- schen Verbindungslinien in das allgemeine Forschungs- keit auf vollkommene Weise [durchdringen]» (H.- bewußtsein getreten sind. Neben den überlieferten rhe- G. Gadamer), kann erst wirksam werden, wenn die Rhe- torischen Sachbereichen (wie forensische und politische torikforschung den Einsatz ihrer Methoden in der gan- Rede, Homiletik, Topik, Literatur, Gebrauchstexte zen ihnen zukommenden historischen und systemati- oder Alltagsrede) wären auch alle Forschungsrichtungen schen Differenziertheit ermöglicht. Nur am Rande sei zu nennen, die sich mit der persuasiven Kommunikation darauf verwiesen, daß die Lage in anderen rhetorisch beschäftigen, eine pädagogische oder didaktische Di- bedeutsamen Forschungsbereichen (Ästhetik, Homile- mension haben (Problem der Wissenschaftssprachen!) tik, Sozial- und Geschichtswissenschaften, Psychoanaly- und, wie Philosophie und Pädagogik, durch die Aufnah- se, Forensik, Kunst- und Musikwissenschaften) zum Teil me der Rhetorik und die dauernde Auseinandersetzung noch sehr viel unbefriedigender ist, weil in ihnen die mit ihr geprägt wurden oder zeitweise gar in ihr aufgin- Vergewisserung der begrifflichen Grundlagen der Rhe- gen. Wenn die Rhetorik schon als Fach selber einen der torik und ihr Einbezug in die eigene Systematik vielfach heute dringend und von vielen Seiten geforderten inter- über Anfänge nicht hinausgediehen ist. Einen wichtigen disziplinären geisteswissenschaftlichen Arbeitsbereiche Grund dafür hat HANS BLUMENBERG genannt: «Rhetorik darstellt, so soll das <Historische Wörterbuch der Rheto- ist deshalb eine 'Kunst', weil sie ein Inbegriff von rik> nicht nur die rhetorische Einzelforschung konzen- Schwierigkeiten mit der Wirklichkeit ist und Wirklich- trieren, sondern als ein Projekt, das Wissenschaftler aller keit in unserer Tradition primär als 'Natur' vorverstan- Disziplinen anspricht, in denen rhetorische Tradition den war. In einer hochgradig artifiziellen Umweltwirk- wirksam geworden ist, Forschungsergebnisse sammeln VI Vorwort Vorwort und systematisieren und darüber hinaus die Fachgrenzen nicht <Cicero>, aber <Ciceronianismus>. Desweiteren er- für alle Fragen von rhetorischer Bedeutung durchlässig scheinen Begriffe aus anderen Disziplinen, die von Wir- machen, um auf diese Weise auch forschungsinitiierend kung und Einflußnahme der Rhetorik zeugen; Begriffe zu wirken. Das Wörterbuch wird damit an der Entwick- aus Nachbardisziplinen, die sich aus der Rhetorik ent- lung und Durchsetzung eines historisch angemessenen, wickelt haben (wie Pädagogik, Kommunikationswissen- dem methodischen Standard gegenwärtiger Wissen- schaft, Geschichts- oder Literaturwissenschaft) oder die schaft entsprechenden und mit den Bedürfnissen der aus einem gemeinsamen Interesse und gemeinsamen modernen Gesellschaft vermittelten Rhetorikverständ- Forschungsfeldern heraus von rhetorischer Bedeutung nisses entscheidend beteiligt sein. sind (wie Philosophie oder Jurisprudenz); sowie Begriffe Die Auswirkungen eines derart weitgespannten For- aus allen Künsten und Wissenschaften, die in ihnen, schungsunternehmens betreffen nicht nur den Wissen- obwohl rhetorischer Herkunft oder sachlich aus der Rhe- schaftsbereich, sondern ebenso den Ausbildungsbereich torik abgeleitet, zur eigenen Theoriebildung herangezo- (Unterricht an Schulen, Erwachsenenbildung). Das gen und oftmals nur umbenannt oder umdefiniert wor- Wörterbuch wird auch rein praxisbezogenen Unterneh- den sind (z.B. Begriffe aus der Musiktheorie, der Kom- mungen, von der juristischen Rednerschulung bis zum munikationswissenschaft, Linguistik oder Semiotik). Manager- und Funktionärstraining von Interessenver- Das Wörterbuch dokumentiert in erster Linie die euro- bänden, die wissenschaftlichen Grundlagen für alle For- päische Rhetorik, doch werden, wo nötig und möglich, men sprachlicher, wirkungsintentionaler Kommunika- auch außereuropäische Entwicklungen berücksichtigt, tion zur Verfügung stellen. So kann es auch einen wichti- vor allem wenn sie sich, wie im amerikanischen Kultur- gen Beitrag dazu leisten, daß die unheilvolle Diskrepanz kreis, aus dem europäischen Kontext ergeben haben. zwischen den Anforderungen einer immer komplizierter III. Dem unterschiedlichen Bedeutungsumfang und strukturierten und verwalteten Gesellschaft, deren Auf- historischen Gewicht entsprechend wurden drei Artikel- gaben zumeist nur mit sprachlichen Mitteln zu bewälti- typen entwickelt. gen sind, und einer zunehmenden Sprachlosigkeit und 1. Definitionsartikel·. Kurzartikel über Begriffe, die Kommunikationsunfähigkeit überwunden wird. aufgrund geringer historischer Differenzierung eine kon- II. Anders als die großen Wörterbücher der Philo- stante Bedeutung bewahrt haben oder nur in zeitlich eng sophie oder Theologie, kann sich das <Historische Wör- fixierten Grenzen auftraten, aber in der rhetorischen terbuch der Rhetorik> nur in sehr begrenztem Maße auf Terminologie eine signifikante Position einnehmen. lexikographische Vorarbeiten stützen. Die Inventarisie- Auch sie werden nach Herkunft, literarischem Vorkom- rung der Nomenklatur bereits vorhandener Nachschla- men und rhetorischer Funktion dokumentiert sowie in gewerke und Lehrbücher der Rhetorik (von Aristoteles, ihrer theoretischen Verortung und praktischen Anwen- Cicero und Quintilian über Fabricius, Gottsched oder dung exemplarisch belegt. Ernesti bis zu Lausberg und Morier) und ihrer Nachbar- 2. Sachartikel: Begriffsgeschichtliche Lexikonartikel bereiche (Poetik, Philosophie, Literaturwissenschaft, größeren Umfangs über die für die Begriffssprache der Theologie) hat zusammen mit der Auswertung der For- Rhetorik und der an sie angrenzenden Gebiete historisch schungsliteratur nach einem mehrjährigen Auswahlpro- oder aktuell bedeutungsvollen Termini, deren geschicht- zeß ein umfangreiches, etwa 1400 Stichwörter umfassen- liche Entwicklung und systematische Differenzierung ih- des Lemmataregister ergeben, das offen ist und ständig nen einen erhöhten Stellenwert zumißt. modifiziert und ergänzt wird. Es enthält sämtliche Stammbegriffe der rhetorischen Theoriebildung und alle 3. Forschungsartikel: Umfangreiche, enzyklopädisch Termini, die in der Geschichte der Rhetorik durchgängig angelegte Übersichtsartikel, die die zentralen Theorie- sind oder doch in einer Epoche Bedeutung gehabt ha- und Epochenprobleme der Rhetorik behandeln bezie- ben, auch wenn sie in keiner Beziehung mehr zum heuti- hungsweise sich Kategorien widmen, welche aufgrund gen Denken stehen; ihre Darstellung erscheint aus histo- ihrer Bedeutung, Aktualität oder multidisziplinären Be- rischer oder hermeneutischer Perspektive sinnvoll. Sehr stimmung eine herausragende Begriffsgeschichte vor- spezielle und nur in bestimmten Zusammenhängen auf- weisen (z.B. Argumentation, Ethos, Pathos, Meta- tauchende Begriffe werden in ihrem systematischen Zu- pher). Nach dem oftmals höchst unzureichenden Stand sammenhang erläutert, also etwa die unterschiedlichen der Forschung werden diese Artikel sich in der Regel Topoi in einem enzyklopädischen Artikel <Topik>. Über nicht damit begnügen können, Forschungsergebnisse zu- das Gesamtregister werden alle Stichworte zugänglich sammenzufassen, sondern eigenständige wissenschaftli- gemacht werden, auch wenn sie keinen Artikel zugewie- che Forschung benötigen und dokumentieren. sen erhielten oder unter einem Synonym erscheinen. In Der mangelhaften disziplinaren Repräsentation der manchen Fällen waren pragmatische Entscheidungen Rhetorik entsprechend, war die Suche nach geeigneten nötig, um den Zeitplan für das Erscheinen nicht zu Autoren ein aufwendiges, oftmals nur nach dem gefährden. So wurden einige Stichworte einem überge- <Schneeballprinzip> funktionierendes Verfahren. Um so ordneten Begriff subsumiert (z.B. <Aestimatio> unter erfreulicher, daß sich die Bereitschaft zur Mitarbeit dann <Kritik>), weil der Autor in der Schlußphase der Redak- als außerordentlich groß erwies und die Artikel in der tionsarbeit ausfiel und kein Ersatz mehr gefunden wer- Regel an fachlich glänzend ausgewiesene und internatio- den konnte. Bei wenigen anderen Artikeln wurden aus nal renommierte Autoren vergeben werden konnten, die demselben Grunde in einzelnen Fällen Lücken oder die jedem Thema ein eigenes theoretisches Profil und auch vereinfachende Konzentration auf eine historische eine individuelle Ausrichtung gaben. Einheitlichkeit Hauptlinie in Kauf genommen, weil die verbliebene Zeit wurde hier nur der Struktur, nicht dem Inhalt und Stil keine andere Kompensation mehr zuließ. Biographische nach angestrebt. Das Wörterbuch repräsentiert die Fülle Artikel sind nicht vorgesehen worden, wohl aber Dar- und Vielfalt rhetorischer Richtungen, wissenschaftlicher stellungen von Schulen und Richtungen, wenn sich ihre Methoden und Interessen, keinen Lehrbuch- oder Lexi- Bezeichnung an den Namen eines Theoretikers an- kon-Schematismus. Gehört es doch zu den wichtigen schließt, also nicht <Aristoteles>, aber <Aristotelismus>, Aufgaben der Rhetorik, die Wissenschaften wieder mit einer zunehmend kritischer werdenden Öffentlichkeit zu VII Vorwort Vorwort vermitteln. «Die Euphorie hinsichtlich der Beratung öf- kelverzeichnis, in dem auch die Begriffe aufgeführt sind, fentlichen Handelns durch Wissenschaft ist zwar etwas die keinen eigenen Artikel erhielten und unter einem abgeklungen, aber die Enttäuschungen an diesem Bünd- anderen (synonymen) Stichwort abgehandelt werden nis beruhen auf der fehlenden Einsicht, daß Gremien (z.B. Allusion —» Anspielung), so daß über dieses Ver- von Wissenschaftlern in Ermangelung abschließender zeichnis auch bei abweichender Artikelbezeichnung der Evidenz ihrer Erkenntnisse ihrerseits gar nicht anders gesuchte Begriff schnell zugänglich ist. Das das ganze verfahren können als die Institutionen, die sie zu beraten Werk abschließende Gesamtregister wird das Wörter- haben, nämlich rhetorisch, nämlich auf einen faktischen buch nach seiner Vollendung jedem auch noch so detail- consensus zielend, der nicht der consensus ihrer theoreti- lierten Zugriff öffnen. schen Normen sein kann.» (Hans Blumenberg) II. Der erste Plan zu einem <Historischen Wörterbuch der Rhetorik) entstand in der dauernden Auseinander- setzung mit dem Problem seines Fehlens und der großen C. Hinweise für den Gebrauch Belastung, die dadurch für Forschung und Lehre im Bereich der Rhetorik und ihrer Nachbardisziplinen stän- I. Die Lexikonartikel haben alle die gleiche Struktur, dig gegeben war. Zusammen mit Walter Jens, dem ich wenn auch die begriffsgeschichtliche Ableitung in den für seine tatkräftige Unterstützung, für Zuspruch und meisten Definitionsartikeln naturgemäß kürzer aus- Hilfe in der Gründungsphase herzlich danke, begannen fallen oder sich mit der Markierung des historischen wir am <Seminar für Allgemeine Rhetorik» in Tübingen Ursprungs begnügen konnte. Trotz der Zweifel an jeder die Konzeption zu entwickeln. Die wissenschaftliche und fixierenden, den historischen Entwicklungsprozeß eines technische Vorbereitung des Unternehmens lag in den Begriffs gleichsam einfrierenden Definition steht am ersten beiden Jahren (1984-1986) in den Händen von Anfang jedes Artikels eine kurze definitorische Be- Bernd Steinbrink, der bei der Inventarisierung der rhe- schreibung, deren Grundriß meist die antike Rhetorik torischen Terminologie Pionierarbeit leistete und trotz liefert. Darauf aufbauend werden Veränderungen und der unzureichenden Ausstattung des Projekts in der An- Neuentwicklungen eines rhetorischen Fachbegriffs, ei- fangsphase sein Ziel hartnäckig, verantwortungsvoll und ner rhetorischen Textform oder einer Bildungseinrich- unermüdlich verfolgte: auf seiner Grundlegung beruht tung beschrieben. Belege und Beispiele werden in An- die Lexikonarbeit bis heute, und ich danke ihm sehr für merkungen nachgewiesen, die Literaturhinweise ver- seinen außerordentlichen Einsatz. Der Dank von Her- zeichnen über die in den Anmerkungen bereits aufge- ausgeber, Seminar und Redaktion gilt ganz besonders führten Forschungsarbeiten hinaus weitere wichtige Li- der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die das Projekt teratur zum Thema, ohne etwa Vollständigkeit anzustre- den zunehmenden personellen Bedürfnissen und sachli- ben. Jeder Artikel ist eine selbständige monographische chen Notwendigkeiten entsprechend seit der Vorlauf- Einheit, auf Querverweise wurde zugunsten einer Ver- phase finanziell und beratend fördert. Ich danke zudem weisungssequenz am Schluß der Artikel verzichtet, der Universität, die Räume und Geräte zur Verfügung Überschneidungen wurden im Interesse der Lesbarkeit stellte und auch mit Sachmitteln aushalf, wenn das not- und um einer kompakten, schnell zugänglichen Informa- wendig war; der IBM, die uns eine großzügigere compu- tion willen bewußt in Kauf genommen, aber natürlich in tergestützte Redaktionsarbeit ermöglichte; und natür- Grenzen gehalten. Im laufenden Text erscheint das Ti- lich dem Verlag, der sich wagemutig auf unser großes telstichwort abgekürzt mit dem Anfangsbuchstaben. Die Unternehmen eingelassen hat, also besonders dem Ver- Artikel sind in deutscher Sprache geschrieben, um den leger, Herrn Harsch-Niemeyer, der mit Rat und Zu- Adressatenkreis des Lexikons nicht durch fehlende spruch nicht spart und in dem wir einen zuverlässigen, Sprachvoraussetzungen auf ein wissenschaftliches Publi- für alle Nöte offenen Partner gefunden haben. Ein weite- kum einzuengen und terminologische Verwirrung zu rer Dank geht an Redaktion und Herausgeber des hi- vermeiden. Fremdsprachige Artikel wurden übersetzt, storischen Wörterbuchs der Philosophie», die uns über Zitate nur dann, wenn die Bedeutung sich nicht aus dem ihre Erfahrungen freimütig und ausführlich unterrichtet Zusammenhang ergab. Die Übersetzer sind mit ihren haben, weit entfernt von jener Konkurrenz-Vorsicht, die Initialen neben dem Autorennamen ausgewiesen. Auf oftmals wissenschaftliche Arbeit erschwert und uner- die Übersetzung geläufiger lateinischer Fachtermini der freulich macht. Rhetorik wurde verzichtet. Hinter jedem Stichwort sind die entsprechenden Begriffe in deutscher oder lateini- Neben den im Impressum aufgeführten Fachberatern, scher, französischer, englischer und italienischer Spra- Mitarbeitern und Übersetzern gilt mein Dank allen Mit- che verzeichnet, sofern sie in diesen Sprachen existieren. arbeitern meines Seminars und den vielen Kollegen an Als Lemma wurde derjenige Terminus gewählt, unter der Universität Tübingen, die uns gerne, schnell und dem der Begriff gebräuchlich geworden ist, im Zweifels- unkompliziert geholfen haben, wenn wir mit unserem fall entschied sich die Redaktion für die deutsche Be- rhetorischen Latein am Ende waren. zeichnung - in der Tradition der Aufklärung und ihrer Bemühung um eine deutschsprachige Rhetorik. Jeder Band enthält neben einem Autorenverzeichnis ein Arti- Tübi ngen, 1991 Gert Ueding VIII Abnuentia Abominatio A Kunstgriff, durch sprachliche Formulierung den Affekt beim Publikum zu erregen. So ist die A. ein Kennzeichen emotionaler oder gespielt emotionaler Rede, authenti- scher Ausdruck der Empfindung oder ein Trick zur af- Abnuentia (auch depulsio; griech. άπόφασις, apophasis; fektiven Beeinflussung. Sie kann von lauterer Emotiona- dt. Abstreiten, Abwinken) lität oder gezielter Polemik zeugen - oder von einem Α. Unter Α. versteht man das Ablehnen, das Abstrei- Mittelwert zwischen beiden, wie in dem wohl bekannte- ten einer Behauptung, im engeren Sinne das Leugnen sten deutschen literarischen Beispiel für die A. aus einer im Strafprozeß erhobenen Beschuldigung. Als SCHILLERS <Räubern>: «Mir ekelt vor diesem tintenkleck- zweiter Teil einer Fragefigur ist sie zum einen Bestand- senden Säkulum. [...] Pfui! Pfui über das schlappe Ka- teil der intellectio (des Erkennens des Gegenstands), wo stratenjahrhundert.» [2] sie der Ermittlung des status rationalis (Beurteilung einer B. Das Substantiv <A.> ist als rhetorischer Terminus getanen Handlung) dient ; zum anderen gehört sie, inner- nicht nachzuweisen. QUINTILIAN spricht von dem Verb halb der Rede, zur Argumentatio und hier zu den argu- abominare als einem «fast allgemein geläufigen Mittel», menta a re. Gegenüber den bedeutungsverwandten Be- Richter und Publikum emotional zu erregen (commove- griffen negatio (Verneinung), (defensoris) depulsio (Zu- re), damit sie entweder nur aufmerksam oder in der rückweisung), deprecatio (Abbitte) [1] zeichnet sich die Sachfrage schon affektiv voreingenommen werden. [3] A. dadurch aus, daß sie das Ableugnen als sichtbare Die A. wird hier als Kunstgriff des Prooemiums (Rede- Geste meint: «Abnuo idem est ac capite, oculis, vel anfang) gelehrt: Indem sie etwas Gräßliches («res manu significo me nolle, aut non assentiri» (durch ein atrox») ankündigt, soll sie die Hörer neugierig machen ablehnendes Zeichen mit dem Kopf, den Augen oder der und die zu behandelnde Sache schon im voraus verurtei- Hand zu verstehen geben, daß man etwas nicht wolle len. Zur mimischen Unterstützung weist QUINTILIAN auf oder nicht zustimme.) [2] <Abwinken> ist eine passende folgende in seinen Augen konventionelle Geste hin: deutsche Übersetzung. [3] Das bekannteste Beispiel für Man solle «mit nach links gekehrten flachen Händen» eine Α., die der Autor selbst zugleich durch eine Illustra- das Übel abwehren («aversis in sinistrum palmis abomi- tion auch mimisch veranschaulicht, gibt <Die Geschichte namur»). [4] vom Suppen-Kaspar>: «Ich esse meine Suppe nicht! Das Verb, nicht das Substantiv, bildet im Lateinischen Nein, meine Suppe eß ich nicht!» Dazu streckt der ge- auch die gängige Formel, die gleich einer Interjektion malte Kaspar abwehrend die Arme aus und schüttelt den zum Ausdruck des Abscheus in die Rede eingefügt wird: Kopf. [4] «quod abominor». [5] B. Als rhetorischer Terminus ist der Begriff <A.> nur In der Bibel hat die A. eine eigene, religiös-didakti- ein einziges Mal nachzuweisen: im Lehrbuch des AUGU- sche Bedeutung. Der Begriff <A.> steht für die heidni- STINUS. Er erläutert sie durch das Widerspiel von An- schen Kulte und Götter, die - metonymisch wird die schuldigung und Ableugnung in der Gerichtsrede: «Oc- Wirkung für die Ursache gesetzt - beim biblischen Gott cidisti!» «Non occidi!» (Du hast getötet! Ich habe nicht und dessen Bekennern Abscheu erregen («Gentium ido- getötet!) Den ersten Teil, so Augustinus, nennen die la a Scriptoribus Sacris fere semper Abominationes ap- Griechen κατάφασις, katáphasis, die Lateiner (accusato- pellantur, quod illa Deus summa detestatur». Die Göt- ris) intentio (Behauptung des Anklägers), den zweiten zen der Heiden werden von den heiligen Schriftstellern Teil άπόφασις (apophasis) oder Α.: das Abstreiten des fast immer Abominationes genannt, weil Gott sie insge- Verbrechens, das der Kläger behauptet hat: «Quod au- samt verabscheut). [6] Gerade in den Gesetzes- und Re- tem ίIii apophasin, nos abnuentiam criminis eius quod gelbüchern (3. und 5.Buch Moses, Jesus Sirach, i.e. accusator intenderit». [5] <Leviticus>, <Deuteronomium>, <Ecclesiasticus>) sind die Stellen sehr zahlreich [7], an denen die alten heidnischen Anmerkungen: Bräuche als «abominationes» geschmäht werden; sie lvgl. J. Martin: Antike Rhet. (1974) 28. -2E. Forcellini: Lexi- sind zugleich Belege für die rhetorische Α., z.B. «cum con totius latinitatis, Bd. 1 (1940) 14. -3vgl. Art. <abnuo>, in: masculo non commiscearis coitu femíneo, quia abomina- Κ. E. Georges: Ausführl. lat.-dt. Handwtb., Bd. 1 (91954) tio est» (Du darfst einem Manne nicht beiwohnen, wie Sp. 22. - 4H. Hoffmann: Der Struwwelpeter. Die Gesch. vom man einer Frau beiwohnt; das wäre ein Greuel; Lev. Suppen-Kaspar (1845). - 5 Aug. Rhet. § 11, in: Rhet. lat. min. 18,22). Die A. dient als affektrhetorische Stütze der 144. religiösen Erziehung. Sie kann sich zur Ächtung aller 5. Matuschek irdischen Werte ausweiten («quod hominibus altum est, —» Antithese —» Dialektik —* Dialog —* Figurenlehre —> intelleacb-ominatio est ante Deum» (was unter Menschen als tio —» interrogatio —» Status-Lehre hoch gilt, ist ein Greuel vor Gott; Lukas 16,15) oder zum Bann der Ketzer zuspitzen: <A.> kann synonym für An- athema stehen [8], eine Sammlung der ausgesprochenen Anathemata heißt Abominarium[9]: ein Titel, der tref- Abominatio (auch fastidium; griech. βδελύγμια, bdelyg- fend die Rhetorik des Bannspruchs bezeichnet. NIETZ- mia; dt. Abscheu, Überdruß; frz. abomination; ital. abo- SCHE hat in <Also sprach Zarathustra> (1883—85), einer minazione) Kontrafaktur der Bibel und ihrer Rhetorik, auch die Α. <A.> heißt allgemein Ekel, Abscheu, Widerwille. Figur der A. übernommen: «Allzuklein der Größte! - Zum rhetorischen Terminus wird <A.> dort, wo der Aus- Das war mein Überdruß am Menschen! Und ewige Wie- druck dieses Affekts verwendet bzw. auf seine Verwen- derkunft auch des Kleinsten! - Das war mein Überdruß dungsmöglichkeiten, auf seine Arten und seine Wirkung an allem Dasein ! Ach, Ekel ! Ekel ! Ekel ! - - Also sprach untersucht wird: A. ist dann die sprachliche Äußerung Zarathustra [...]». [10] von Abscheu. Deren einfachste Formen sind im Deut- schen die Interjektionen «I», «Igitt», «Pfui». [1] Die Spannweite der A. reicht von der unwillkürlichen, spon- Anmerkungen: tanen Äußerung des eigenen Ekels bis zum rednerischen lvgl. Grimm, Bd. 13, Sp. 1808f. - 2 F. Schiller, Die Räuber, I, 1 2 Abruptus, Abruptio Abruptus, Abruptio 2. -3Quint. IV, 1, 33. - 4Quint. XI, 3, 114. - 5 vgl. Thesaurus ten Stil> behandelt. [14] Im Mittelalter hat ISIDOR VON linguae latinae, Bd. 1 (1900) Sp. 124. -6Du Cange: Glossarium SEVILLA die Reihe der durch den A.-Stil charakterisier- mediae et infimae latinitatis, Bd. 1 (1883) 27, §2. - 7vgl. The- ten Personenbeschreibungen erweitert. Er erwähnt als saurus linguae latinae, Bd. 1 [5] Sp. 121f. - 8Du Cange [6] § 3. - Beispiel für sermocinano bzw. ethopoeia (Personendar- 9LThK2, Bd. 1 (1957) Sp.56. - 10F.Nietzsche: Also sprach stellung) den Piraten mit einer «kühnen, abgehackten Zarathustra, in: Werke, hg. v. G.Colli und M.Montinari, und ungestümen Rede» (audax abrupta temeraria ora- 6. Abt., Bd. 1(1968) 270f. tio). [15] Die dem A. zugeordnete antike Darstellungsto- 5. Matuschek pik scheint sich also erhalten zu haben. Dem Humanis- mus wird der A. als Verstoß gegen die elegantia nicht —» Affektenlehre —* Attentum parare, facere —> Bibelrhetorik unbekannt gewesen sein, wenn der Begriff auch - soweit —» Figurenlehre ersichtlich - nicht nachzuweisen ist. Der Neuhumanis- mus des 18. und 19. Jh. schließlich wurde erneut auf den Abruptus, Abruptio (dt. abgehackter Rede-Anfang; A. aufmerksam. Die Lexika von ERNESTI und PETRI füh- wörtl. das Abreißen, der Bruch) ren den Begriff an. [16] Ernesti umschreibt A. als «af- fectvoller Eingang». Petri gibt einige deutsche Beispiele: Rhetorik. A. Das Wort <Abruptus>, ursprünglich ein «Soll ich gehen? Aber wie? Ich bleibe! Er winkt mir! Adjektiv (vom lat. Verb <abrumpere>:abreißen, abbre- Wohin? Nein, ich gehe!» Auch die klassische französi- chen), ist ein Stilphänomen der brevitas (Kürze) und sche Rhetorik kennt den Α.: als <style coupé> (Stil in kann als solches positiv im Sinne einer Stilqualität und negativ im Sinne eines Stilfehlers gewertet werden. kurzen Sätzen). LITTRÉ definiert: «[Das ist] ein Stil, in dem der Redner, wenn er von der Leidenschaft fortgeris- In der Rede, genauer in der narratio, liegt dieses Stil- sen zu sein scheint, nicht immer vollständige Sätze merkmal vor, wenn die brevitas übertrieben wird. «Kurz spricht, Verbindungen ausläßt, seine Gedanken nicht wird die Erzählung vor allem», schreibt QUINTILIAN, immer zu Ende führt und sie teilweise erraten läßt.» [17] «wenn wir beginnen, den Sachverhalt von dem Punkt an Dieser Satz definiert den <style coupé> und beschreibt darzustellen, wo sie den Richter angeht, zweitens, wenn zugleich die Sprechweise der Protagonisten in den dra- wir nichts sagen, was außerhalb des Falles liegt [...].» [1] matischsten Momenten der französischen Tragödie. In Ein Verstoß gegen den Sinn der Kürze, nämlich den dieser Form ist der A. ein Merkmal der europäischen, Sachverhalt in der narratio ohne Umschweife darzustel- nicht nur der französischen Literatur geworden. len, liegt vor, wenn man zuwenig sagt: dann bleibt die Sachlage unklar, der Redner verfällt dem Fehler der obscuritas (Dunkelheit). Quintilian fährt fort: «Deshalb Anmerkungen: hat man auch die sprichwörtliche Kürze des Sallust [illa 1 Quint.IV,2,40. - 2Quint.IV,2,45. - 3vgl. M. v. Albrecht: Sallustiana brevitas] - obwohl sie bei ihm selbst zu seinen Meister römischer Prosa von Cato bis Apuleius (21983) Kap. Vorzügen gehört - und die abgerissene Art zu reden IV. - 4Quint. IV,2,45. - 5Fortunatian,2,20, in: Rhet. Lat. [abruptum sermonis genus] zu meiden [...].» [2] Quinti- min. 113,15. - 6H. Lausberg: Hb. der lit. Rhet. (31990) lian unterscheidet hier also literarische und rednerische § 343,288. Unsere gesamte Darstellung der A. orientiert sich an Funktion des Α.: was als Stilmittel der sallustianischen Lausberg. -7Lausberg[6] §939,1. -8Quint. IX,4,123. -9vgl. Lausberg[6] §930,925. - lOQuint. 111,8,58. - llQuint. Geschichtsschreibung von hohem Wert ist [3], bringt in XII,10,80. - 12Lausberg[6] §1079,3,g. - 13Demetrius, Peri der Alltagspraxis etwa der Gerichtsrede dem Redner nur hermeneias 7. - 14Hermog. Dein. 2,9,354. - 15Isid. Nachteile. [4] Auch in der Überleitung (transitus) von Etym. 2,14,1—2. - 16J.C.T. Ernesti: Lex. Technologiae Lati- einem Redeteil zum andern ist der A. verfehlt. Wechselt norum Rhetoricae (1797; ND 1962) lf. unter <Abruptus>. F.E. der Redner plötzlich von der narratio zur argumentatio Petri: Rhet. Wörter-Büchlein (1831) 1, unter <Abgebrochen- anstatt, wie FORTUNATIAN anmerkt, einen sublimen und heit; abruption - 17E. Littré: Diet, de la langue française, Bd. 2 glatt anschließenden Übergang zu suchen [5], verstößt er (Paris 1961) 982 unter <coupé>. gegen Harmonie und Eleganz der Rede. [6] Musik. In der Kompositionslehre des 16. bis 18. Jh. spielt Literarisch kann der A. als Spielart der brevitas, wie die < Abruptio> - so heißt der dem Abruptus entsprechen- bemerkt, durchaus sinnvoll sein, und zwar nicht nur als de musikalische Terminus - eine gewisse Rolle als klang- Manier eines Autors, sondern auch zur Charakterisie- liches Ausdrucksmittel. KIRCHERS <Musurgia universalis) rung von Personen. So galt in der Antike die Kürze als (1650) und JANOWSKAS <Clavis ad Thesaurum magnae Merkmal der Befehlssprache etwa des Militärs oder des artis musicae> (1701) verstehen darunter «das plötzliche Sprachstils der Spartaner. [7] Der A. kommt hier als Abbrechen aller Stimmen, um eine schnell vollzogene kurzer Satzteil vor (Komma: membrum a toto corpore Handlung auszudrücken». (Unger) [1] Unger führt die abruptus, Quintilian [8]) im Gegensatz zum längeren A. als rein musikalische Figur ohne Bezug zur Rhetorik Satzteil (Kolon) der Periode. [9] Außerdem findet der auf. Doch wenn er sie als <wort-ausdeutende> und <af- A. Verwendung im pathetischen Stil als abrupter Rede- fekthaltige> Figur klassifiziert [2], muß man zumindest eingang (principium abruptum). [10] Der A. wird dabei eine unübersehbare Ähnlichkeit zwischen musikali- neben Asyndeton, Aposiopese, Ellipse oder Anakoluth schem und rhetorischem Ausdrucksverhalten konstatie- als Stilmittel der leidenschaftlichen Erregung eingesetzt. ren, das auf verwandte Wirkungen zielt. Als Beispiel für Quintilian weist aber auf eine Gefahr hin: daß die «subli- das Vorkommen einer musikalischen A. führt Unger die mia» zu bloßen «abrupta» werden können [11], wenn sie <Sinfonia nona> des J. ROSENMÜLLER an, ein der venezia- allzu einseitig angewandt, also ohne Wechsel auch mit nischen Opernsinfonie verwandtes Musikstück mit vie- sprachlichen Mitteln des genus subtile und genus medium len Fermaten, häufigen Pausen und starker Gegensätz- vorkommen. [12] lichkeit der einzelnen Abschnitte. [3] B. Geschichtlich gesehen wird der A. bzw. die abrupte Rede- und Schreibweise in der antiken Stiltheorie abge- Anmerkungen: handelt. Das zeigen neben Quintilian etwa DEMETRIUS, 1H.-H. Unger: Die Beziehungen zwischen Musik und Rhet. im der die Sprache der Spartaner wie des Militärs er- 16.-18. Jh. (1941; ND 1969)96.-2ebd. 92.-3ebd. 143f. wähnt [13], und auch HERMOGENES, der den abgehack- F.-H. Rohling 3 4

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