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Grundbegriffe der Soziologie PDF

408 Pages·2016·4.493 MB·German
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Grundbegriff e der Soziologie Johannes Kopp • Anja Steinbach (Hrsg.) Grundbegriff e der Soziologie 11. Aufl age Herausgeber Johannes Kopp Anja Steinbach Universität Trier Universität Duisburg-Essen Deutschland Duisburg, Deutschland ISBN 978-3-531-19891-0 ISBN 978-3-531-19892-7 (eBook) DOI 10.1007/978-3-531-19892-7 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbi- bliogra(cid:191) e; detaillierte bibliogra(cid:191) sche Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden 1986, 1986, 1992, 1995, 1998, 2000, 2001, 2003, 2006, 2010, 2016 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikrover(cid:191) lmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa- tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Lektorat: Katrin Emmerich, Katharina Gonsior Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer Fachmedien Wiesbaden ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media (www.springer.com) Vorwort zur 11. Auflage Die „Grundbegriffe der Soziologie“ erscheinen inzwischen schon seit etwa 30 Jahren – in der nun vorliegenden 11. Auflage haben sich einige Änderungen ergeben: Bernhard Schäfers, der die Grundbegriffe über diese lange Zeit betreute, hat sich aus dem Herausgeberkreis zurückgezogen; als Autor ist er dankenswerter Weise jedoch noch vertreten. Im Sinne eines Generationenwechsels übernimmt nun Anja Steinbach die Funktion der Mitherausgeberin. Im Rahmen dieses Wech- sels wurden die bisherigen Grundbegriffe gründlich durchgesehen, aktualisiert und überarbeitet. Es ist darüber hinaus gelungen, weitere führende Wissenschaft- lerinnen und Wissenschaftler der einzelnen Gebiete als Autorinnen und Autoren zu gewinnen. Die Grundstruktur des Bandes bleibt jedoch unverändert erhalten. Die Grundbegriffe sollen für die begriffliche und theoretische Grundlegung der Soziologie eine verlässliche Orientierung und Einführung bieten. Darum wurde großer Wert auf Allgemeinverständlichkeit gelegt. Bei den Erläuterungen zu den einzelnen Begriffen hatten inhaltliche Aussagen über den jeweiligen sozialen Tatbestand und sozialgeschichtliche Zusammenhänge Vorrang gegenüber „bin- nen-soziologischen“ Kontroversen. Nach wie vor spiegeln die Grundbegriffe keine einheitliche Lehrmeinung wider. Wichtiger als Einheitlichkeit ist für alle Beteiligten, dass der Stand der Forschung, die Breite soziologischer Perspektiven und damit die Komplexität sozialer Tatbe- stände deutlich werden. Wir hoffen sehr, dies ist gelungen. Trier und Duisburg im Herbst, 2015 Johannes Kopp und Anja Steinbach A Akkulturation Akkulturation Unter Akkulturation versteht man allgemein den Prozess der Übernahme von Elementen einer bis dahin fremden Kultur durch Einzelpersonen, Gruppen oder ganze Gesellschaften. Diese Übernahme betrifft Wissen und Werte, Normen und Institutionen, Fertigkeiten, Techniken und Gewohnheiten, Identifikationen und Überzeugungen, Handlungsbereitschaften und tatsächliches Verhalten, insbeson- dere aber auch die Sprache. Der Begriff entstammt der britischen und nord-ame- rikanischen Kulturanthropologie und wurde zur Beschreibung von Folgen des Kulturkontaktes zwischen einander fremden Kulturen im Verlaufe der Kolonisation zum Ende des 19. Jahrhunderts eingeführt. Der Begriff der Akkulturation ist von dem der Enkulturation zu unterscheiden, bei der es um den Ersterwerb kultureller Elemente im Prozess der frühkindlichen Sozialisation geht (vgl. Berry, 1990; 2003). Die Akkulturation ist wie die Sozialisation und die Enkulturation im Prinzip ein Lernvorgang bzw. ein Vorgang der Übernahme von Dispositionen und Hand- lungsweisen. Akkulturation umfasst damit Prozesse der Internalisierung wie solche der Imitation und des Lernens am Modell. Weil die Akkulturation auf der Basis der Enkulturation stattfindet, ist die Prägung der Personen bei der Akkulturation grund- sätzlich weniger stark als bei der Enkulturation. Voraussetzung für die Akkulturation ist irgendeine Form des Kulturkontaktes. Die wichtigsten Anlässe dafür sind Erobe- rungen und Kolonisationen, Migration und Tourismus sowie Handelsbeziehungen und wissenschaftliche Kontakte. Wichtigster aktueller struktureller Hintergrund sind ökonomische und institutionelle Interdependenzen, wie sie insbesondere im Zuge der zunehmenden Globalisierung entstehen, ebenso wie die Neubildung und Veränderung der Nationalstaaten und die Entstehung transnationaler Regime. Die Akkulturation findet auf unterschiedliche Weise und mit unterschiedli- chen Ergebnissen statt. Es ist eine unilaterale von einer reziproken Akkulturation und eine partielle von einer vollständigen Akkulturation zu unterscheiden. Bei J. Kopp, A. Steinbach (Hrsg.), Grundbegriffe der Soziologie, DOI 10.1007/978-3-531-19892-7_1, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2016 2 Akkulturation der unilateralen Akkulturation erfolgt die Übernahme der fremden Kultur nur von einer Seite, bei der reziproken Akkulturation ist die Übernahme beidseitig. Vollständige Akkulturation liegt dann vor, wenn eine Kultur alle Elemente der jeweils anderen Kultur übernimmt, bei der partiellen Akkulturation ist diese Übernahme nur ausschnittsweise und selektiv. Meist findet irgendeine Form der Kompartmentalisation statt, bei der die Übernahme der fremden Kultur nur in speziellen Bereichen und Sphären erfolgt. Das Ergebnis von Prozessen der Akkul- turation kann auch ein Synkretismus sein: Ein bis dahin nicht gekanntes kulturelles Gebilde, das aus einer Vermischung der alten Kulturen und der Entstehung neuer, bis dahin unbekannter kultureller Elemente besteht. Welche Form der Akkulturation stattfindet, hängt von Faktoren ab, die sich im Prinzip aus der lern- und verhaltenstheoretischen Grundlage des Vorgangs ableiten lassen. Die wichtigsten Faktoren sind die kulturelle (Un-)Ähnlichkeit, die Brauchbarkeit der neuen Elemente für die Alltagsgestaltung, die Passung der neuen Elemente in die alte Lebensweise, die Attraktivität der neuen Elemente und der Aufwand und die Kosten der Übernahme der neuen Elemente, nicht zuletzt für das eigene Selbstwertgefühl und den sozialen Status. Der Vorgang kann unter gewissen Umständen die Züge eines Diffusionsprozesses annehmen, wobei die latenten Bereitschaften zur Übernahme und die Chancen der Kontaktnahme und Beobachtung der neuen kulturellen Muster von Bedeutung sind. Der Begriff der Akkulturation ist insbesondere im Zusammenhang mit dem Problem der Eingliederung von Migranten und ethnischen Minderheiten und der Entstehung multi-ethnischer Gesellschaften bedeutsam geworden (vgl. Esser, 1980; Heckmann, 1992; Esser, 2006). Das Ergebnis einer vollständigen Akkulturation wird auch als Assimilation bezeichnet. Der Gegenbegriff ist der der Segmentati- on – die vollständige kulturelle Eigenständigkeit und Absonderung der in einer Gesellschaft etablierten Kulturen. Akkulturation ist in diesem Zusammenhang der Prozess der Auflösung ethnisch-kultureller Segmentationen und der Entstehung kultureller Angleichungen zwischen Aufnahmegesellschaft und Migranten bzw. ethnischen Minderheiten. Es hat sich für die Assimilation eingebürgert, die Di- mensionen der kognitiven, der sozialen, der strukturellen und der identifikativen Assimilation zu unterscheiden. Die Akkulturation bezieht sich dabei nur auf die kognitive Dimension des Erwerbs von Wissen und Fertigkeiten, auf die soziale Dimension der Aufnahme sozialer Beziehungen zwischen den Kulturen und auf die identifikative Dimension der Übernahme von Werten und Identifikationen, nicht aber auf die strukturelle Dimension der Einnahme von Positionen. Von der Assimilation und den sie begleitenden Prozessen der Akkulturation ist die Integration der Migranten und ethnischen Minderheiten zu unterscheiden. Unter Integration wird allgemein die Entstehung von gleichgewichtigen Interdependenzen Akkulturation 3 zwischen Personen und Gruppen verstanden. Dies kann bei Assimilation wie bei Segregation geschehen. Entsprechend lassen sich integrierte und nicht integrierte Gesellschaften unterscheiden, die jeweils kulturell ethnisch homogen oder heterogen sein können. Eine multikulturelle Gesellschaft wäre dann jener Typ, bei dem sich die Integration mit der Nicht-Assimilation und dem Fehlen von Akkulturation verbindet. Empirisch treten derartige multikulturelle Gesellschaften meist in der Form der kulturellen Arbeitsteilung und der ethnischen Schichtung auf: Bestimmte kulturelle und ethnische Gruppen übernehmen systematisch bestimmte Funktionen und Ränge in der Gesellschaft. Solche gesellschaftlichen Systeme gleichen Stände- und Kastengesellschaften. Die Integration ohne ethnische Schichtung und ohne ethnische Arbeitsteilung setzt stets eine gewisse strukturelle Assimilation und damit zusammenhängend auch Prozesse der Akkulturation in anderen Bereichen voraus. Eine häufige Folge von Kulturkontakten ist die Entstehung von Unsicherheiten, Anomie und Marginalisierungen. Hintergrund ist die Verunsicherung in den mit der Enkulturation aufgebauten Selbstverständlichkeiten der Alltagsgestaltung. Diese Verunsicherung, die sich immer bei einer Konfrontation mit Neuerungen ergibt, kann gelegentlich die Form eines Kulturschocks annehmen. Von Robert E. Park (1928) stammt in diesem Zusammenhang der Begriff des „marginal man“, von Georg Simmel (1858–1918) und Alfred Schütz (1899–1959) das Konzept des „Fremden“. Kennzeichen des Fremden bzw. des marginal man sind das Fehlen traditionaler Eingebundenheiten, die Erkenntnis der Relativität aller Regeln und der Zwang zur „Konstruktion“ einer eigenen Handlungslinie einerseits und eine gewisse Objektivität, Distanz, „zweifelhafte Loyalität“ (Schütz, 1972) bzw. die gleichzeitige „Nähe und Ferne, Gleichgültigkeit und Engagiertheit“ (Simmel, 2006) andererseits. Sofern die Gelegenheiten es zulassen, entstehen als Folge von Migrationen meist neue kulturelle und ethnische Segmentationen, oftmals institutionell ausgebaut und verfestigt in den sog. ethnischen Gemeinden. Es ist eine rationale defensive Reaktion zur Vermeidung von Marginalisierung, Anomie und Deklassierung. Andere Reaktionen können die bewusste Abwehr der neuen und die fundamentalistische Pflege der hergebrachten Kultur, aber auch die oben beschriebene Kompartmentalisation, die Isolierung der neuen Elemente in spezielle Bereiche, sein. Gelegentlich führt die Kontaktnahme zwischen einander fremden Kulturen aber auch zu offensiv abwehrenden Reaktionen, etwa als regelrechte soziale Bewegun- gen zur Abwehr von als Bedrohung erlebter Überfremdung, wie der Cargo-Kult in Polynesien, die Mau-Mau-Bewegung in Kenia oder der sog. Ghost Dance bei einigen Indianerstämmen in Nordamerika in der Vergangenheit. Einige der frem- denfeindlichen Aktionen in der Gegenwart können auch zu solchen Reaktionen gezählt werden. Der Hintergrund ist der Versuch, der drohenden Abwertung der 4 Alltag eigenen Kultur und Lebensweise zu begegnen. Auch die neuerdings weltweit zu beobachtenden ethnischen Konflikte in Afrika, in der ehemaligen Sowjetunion und in einigen Ländern Westeuropas sind als Versuche zu werten, gewisse Traditionen und Lebensweisen in ihrem Wert als spezifisches, an die eigenständige Existenz der Gruppe gebundenes, kulturelles Kapital zu erhalten oder auszubauen (vgl. Horowitz, 2001; Hardin, 1997). Die Tendenzen zu ethnischen Konflikten als Reaktion auf Kulturkontakte sind dann besonders hoch, wenn die Verwendbarkeit und Hochwertung der Elemente einer bestimmten Kultur von der Existenz einer ganz bestimmten sozialen Organisation abhängig ist und wenn mit der Akkultura- tion das gesamte (kulturelle) Kapital der Gruppe oder Gesellschaft verfallen würde. ▶ Gesellschaft; Individuum; Kultur; Migration; Minderheiten; Sozialisation (cid:9)(cid:3)Boas, F. (1896). The Growth of Indian Mythologies. Journal of American Folklore, 9, 1-11 (cid:116) Berry, J. W. (1990): Psychology of Acculturation. Understanding Individuals Moving between Cultures. In: Brislin, Richard W. (Hg.): Applied Cross-Cultural Psychology. London: Sage: 232-253 (cid:116) Berry, J. W. (2003). Conceptual approaches to acculturation. In K. Chun, P. Balls-Organista & G. Marin (Eds.), Acculturation: Advances in theory, measurement and applied research (pp. 17–37). Washington, DC: APA Press (cid:116) Esser, H. (1980). Aspekte der Wanderungssoziologie. Darmstadt/Neuwied: Luchterhand (cid:116) Esser, H. (2006). Sprache und Integration. Frankfurt a. M./New York: Campus (cid:116) Hardin, R. (1997). One for All. The Logic of Group Conflict, Princeton. N.J.: Princeton UP (cid:116) Heckmann, F. (1992). Ethnische Minderheiten. Volk und Nation. Stuttgart: Enke (cid:116) Herskovits, M. J. (Hg.) (1958). Acculturation. The Study of Culture Contact. New York/Gloucester: Smith (cid:116) Horowitz, D. L. (2001): Ethnic Groups in Conflict. Berkeley, 2. Auflage. Los Angeles/London: University of California Press (cid:116) Park, R. E. (1928). Human Migration and Marginal Man. American Journal of Sociology, 33, 881-893 (cid:116) Redfield, R., Linton, R. & Herskovits, M. J. (1936): Outline of the Study of Acculturation. American Anthropologist New Series 38, 149-152 (cid:116) Schütz, A. (1972): Der Fremde. Ein sozialpsychologischer Versuch. In: A. Schütz: Gesammelte Aufsätze Band. 2: Studien zur soziologischen Theorie (S. 53-69). Den Haag: Nijhof (cid:116) Simmel, G. (2006) (zuerst 1908). Exkurs über den Fremden. In: G. Simmel: Soziologie. 5. Auflage (S. 764-771). Frankfurt a. M.: Suhrkamp (cid:116) Thurnwald, R. (1932). The Psychology of Acculturation. American Anthropologist, 34, 557-569 Hartmut Esser Alltag Als Alltag bezeichnet man den Handlungsbereich, der Menschen fraglos als ihr gewohntes Umfeld gegeben erscheint. Der Alltag ist maßgeblich für die Ausbildung von sozialen Orientierungen bei Individuen. Die meisten Handlungen sind wieder- Alltag 5 kehrender Art, so dass sie sich zu einer individuell habitualisierten und kollektiv jedermann verständlich erscheinenden, organisierten Lebenswelt zusammensetzen. Dieser sowohl intersubjektive als auch unmittelbar vertraute Charakter des Alltags und seine Stellung als vornehmliche Wirklichkeit jedes Menschen lassen den Alltag zu dem unmittelbaren Anpassungs-, Handlungs-, Planungs- und Erlebnisraum des Menschen werden. Anders als bei den zusammengesetzten Begriffen Alltagsbewusstsein, Alltags- leben, Alltagstheorie oder Alltagswissen ist es strittig, ob die Bezeichnung Alltag überhaupt als soziologischer Terminus im engeren Sinne anzusehen ist. Wenn man Alltag als eine unmittelbare sozialräumliche Erlebenssphäre auffasst, nähert man sich damit dem von Edmund Husserl (1859–1938) geprägten Begriff der „Lebenswelt“ an – als einer praktisch-subjektiven, vortheoretischen Deutung von selbsterfahrener Welt. Diese philosophische Perspektive wurde von Alfred Schütz (1899–1959) aufgegriffen und in seinem phänomenologisch orientierten Ansatz in die soziologische Theorie übernommen. Demnach besteht die Aufgabe einer verstehenden Soziologie in der wissenschaftlich-theoretischen Reflexion der von Menschen geschaffenen sinnhaften Strukturen ihrer alltäglichen Lebenswelt. An diese phänomenologische Soziologie anschließend haben sich in der soziologischen Theorie Denkrichtungen herausgebildet, die sich der Erforschung von Alltagsphä- nomenen zuwenden: Zu ihnen sind der Symbolische Interaktionismus (Herbert Blumer), die Ethnomethodologie (Harold Garfinkel, Aaron Cicourel) oder das Theorieprogramm der Interaktionsordnung von Erving Goffman (1922–1982) zu rechnen. Was sich bei den genannten Denkrichtungen bereits abzeichnete, wird vollends deutlich bei den Vertretern einer sozialwissenschaftlichen Hermeneutik (Roland Hitzler, Hans-Georg Soeffner, Ulrich Oevermann, Hubert A. Knoblauch). Nicht Alltag selbst wird untersucht, sondern das dokumentierte Alltagswissen, wobei von einem erweiterten Textbegriff („Die Welt als Text“) ausgegangen wird. Durch die Fokussierung auf diese spezielle Wissensart kommt es auch zu einer Erneuerung der Wissenssoziologie, die sich nicht zuletzt institutionell in der Neugründung der DGS-Sektion Wissenssoziologie bemerkbar gemacht hat. Eine ähnliche Erneuerung durch die Beschäftigung mit Alltagsphänomen hat auch die Kultursoziologie in den 1970er Jahren erfahren. Der Begriff der Alltags- kultur steht hierbei Pate für die in westlichen Gesellschaften sich abzeichnende Heterogenisierung der Lebensstile, sozialer Milieus und Lebenslagen. Die kultur- soziologische Alltagsperspektive bemüht sich, die Eigenständigkeit der Formen des normalen Lebens und Denkens jedermanns aufzudecken und zu ihren Wurzeln zurückzuführen. Dies geschieht teilweise in thematisch zentrierten Studien, die an Exkurse Simmels erinnern, etwa über Essgewohnheiten, Familienfeiern oder andere innerhäusliche Aktivitäten, über Kneipen- und Vereinsbesuche, Cliquen

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