Forschungen zu Lehr- und Lernkonzepten für die Grundschule Jahrbuch Grundschulforschung Band 4 Hans-Günther RoßbachlKarin N ölle Kurt Czerwenka (Hrsg.) Forschungen zu Lehr und Lernkonzepten für die Grundschule Leske + B udrich, Opladen 2001 Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier. Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz für die Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich ISBN 978-3-8100-2934-8 ISBN 978-3-322-97504-1 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-97504-1 © 2001 Leske + Budrich, Opladen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtIich geschützt. Jede Verwertung außerhaJb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere fUr Vervielfliltigungen, Übersetzungen, Mikro verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Inhalt I. Einleitung 11. Perspektiven der Grundschulentwicklung - Forschungsüberblicke KORNELlA MÖLLER Konstruktivistische Sichtweisen für das Lernen in der Grundschule?.............................................................................. 16 GÜNTER L. HUBER Möglichkeiten des kooperativen Lernens in der Grundschule.... 32 PETRAHANKE Forschungen zur inneren Reform der Grundschule am Beispiel der Öffnung des Unterrichts......................................................... 46 111. Probleme der Didaktik des Grundschulunterrichts 1. Wochenplanunterricht BIRGIT BRANDT Handlungsstränge im Wochenplanunterricht............................... 63 CHRISTINA HUF Zum Umgang mit dem Wochenplan: Alltagspraktiken und Deutungsmuster von Schulanfangern.......................................... 70 NATALIE NAUJOK Schülerkooperation im Wochenplanunterricht - Theoriebildung auf der Grundlage von Interaktionsanalyse und Komparation ...., 78 5 2. Lehr-lLernkonzepte HARTMUT GIEST Lernen und Lehren im entwicklungsfOrdernden Unterricht........ 86 ANDREAS HARTINGER Selbstbestimmung im Unterricht - die Sicht der Schiller/innen.. 93 SUSANNE KOERBER Helfen visuelle Repräsentationen beim Denken?....................... 102 MARLIES HEMPEL "Forschendes Studieren" zum subjektorientierten Lernen und Lehren in der Grundschule.................... ....................................... 108 3. Diagnose und Förderung PETER KROPE, PAUL LORENZ, BIANCA FRIEDRICH, ALEXANDER GRASS Berichtszeugnisse verstehen lernen - Ergebnisse einer empirischen Studie mit Grundschuleltern.................................... 116 IRINA WÜRSCHER, CORINNA SCHMUDE Zeugnisbeurteilungen gestern und heute. Ergebnisse der inhaltsanalytischen Betrachtung ihrer ermutigenden Funktion... 122 IV. Lernbereiche der Grundschule 1. Schriftspracherwerb - Deutschdidaktik ARGYRO PANAGIOTOPOULOU Schriftsprachliche Förderpraxis in Grundschulen am Beispiel Griechenlands.............................................................................. 128 GÜNTHER SCHWEISTHAL, KARIN OLESCH, CORNELIA FORSTER GREß, RENA TE GRITSCHMEIER, UTE ZELLHÖFER Ähnlichkeitsklassen statt vielfach falsch erklärter Rechtschreibregeln - Vorschläge zu einer Neugestaltung der orthografischen Stufe im 3-stufigen Schriftspracherwerb am Beispiel des bayerischen Grundschulversuchs "Phonetisches Schreiben".................................................................................... 136 CLAUDIA OSBURG Begriffliches Lernen bei Grundschulkindern als kognitive Konstruktion. Pädagogische Konsequenzen fiir (deutsch-) didaktisches Handeln............................. ...................................... 144 6 CLAUDIA FUCHS, YVONNE HOFFMANN, MARTINA MILD Ethnomethodologie und Deutschdidaktik: Ein praxisorientiertes Arbeitsvorhaben in der Primarstufenausbildung an der Universität Bremen........... ......... 152 2. Grundschulmathematik UWEGELLERT Grundschulmathematik in der Legitimationskrise?.................... 160 GÖTZ KRUMMHEUER Narratives Argumentieren im Mathematikunterricht der Grundschule.......... ................... ........ .................................... ........ 167 KARLHOLLE Die Genese literaler Konzepte - Merkmale eines Forschungfeldes........................................................................... 174 3. Räumliches Verständnis und soziales Lernen MElKE SCHNIOTALLE Untersuchungen zu Schülervorstellungen von ,gedanklichen' Fernräumen - dargestellt am Beispiel des europäischen Raumes......................................................................................... 182 FRIEDERIKE HEINZEL Lernen im Kreisgespräch......... ....................... ............................. 189 ASTRID KAISER Probleme der Entwicklung von Forschungsmethoden im Projekt "Soziale Integration in einer jungen-und mädchengerechten Grundschule"................................................ 197 v. Probleme der Grundschule als Institution URSULA CARLE Neustrukturierung des Schulanfangs - Inhalte des Konzepts und Stand der Forschung............................................................. 205 KURT CZERWENKA Untersuchung zur ,,vollen Halbtagsschule"................................ 213 BARBARA WEGNER Unterrichten und Lernen in den Klassen 5 und 6 der Grundschule im Land Brandenburg - Erste Auswertungen........ 221 SUSANNE MaLER Frauen und Männer in den Grundschulleitungen - Ein quantitatives Forschungsprojekt............................................ 228 7 I. Einleitung Forschungen zu Lehr- und Lernkonzepten rdr die Grundschule Der vorliegende 4. Band der Reihe der Jahrbücher Grundschulforschung do kumentiert die Arbeiten, die auf der 8. Jahrestagung Grundschulforschung im Oktober 1999 in Lüneburg vorgestellt und diskutiert worden sind. Die noch sehr junge Tradition dieser Tagungen wurde vor nahezu einem Jahrzehnt von einer Arbeitsgruppe zur Grundschulforschung begründet. Sie hatte sich zum Ziel gesetzt, empirisch-quantitative, empirisch-qualitative und historische Grundschulforschung zu stärken und die Grundschularbeit durch diese For schung zu fundieren. Aus dieser Arbeitsgruppe ist inzwischen die Kommissi on "Grundschulforschung und Pädagogik der Primarstufe" in der Sektion Schulpädagogik der Deutschen Gesellschaft fiir Erziehungswissenschaft her vorgegangen. Einer der Arbeitsschwerpunkte in dieser Gruppierung war die Schaffung eines Forums fiir grundschulspezifische Forschungsarbeiten und damit die Sammlung und Bündelung von und der Austausch über existierende For schungsaktivitäten. In der Gründungsphase kam es darauf an, Ansprüche an die ebenfalls noch junge universitäre Disziplin zu formulieren und durch die Außendarstellung zu vertreten, aber auch fiir die bereits vorhandenen For schungsansätze ein Forum zu schaffen. Die alljährlich stattfindenden Tagun gen boten dafiir Gelegenheit. Dies mag man als erste erfolgreiche Schritte auf dem Weg zu einer etablierten Disziplin werten, über die Schwierigkeiten der zu bewältigenden Wegstrecke sollte es freilich keine Illusionen geben. Ein Blick zurück auf die Desiderata im Vorwort zum 1. Jahrbuch mag dies ver deutlichen. Dort wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Forschungsfelder des Bereichs der Primarstufe sehr unterschiedlich bestellt sind. Während es eine längere Tradition von Forschungen zum Schriftspracherwerb gibt, ist fiir die Bereiche des Sachunterrichts und der grundschulspezifischen Mathematikdi daktik erst in jüngerer Zeit eine bedeutende Erweiterung der Forschungsfra gen und -arbeiten zu verzeichnen. Auf der Jahrestagung 1996 wurden diese Bereiche dann auch erstmals systematisch mit einbezogen und durch eine Reihe von einschlägigen Arbeiten in den erschienenen Jahrbüchern dokumentiert. Weitere bereichsspezifische Defizite sind im Gegensatz dazu noch nicht deutlich vermindert; es ist etwa immer noch nicht absehbar, die 9 nicht deutlich vennindert; es ist etwa immer noch nicht absehbar, die Berei che der musisch-ästhetischen sowie der weltanschaulichen Fächer und des Sports im begonnenen Forschungsdiskurs nachhaltig zu verankern. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die noch vennehrt zu berücksichtigende internationale Vernetzung von Forschungstätigkeiten, um die Anschlussfii higkeit deutscher Forschungsansätze zu sichern - freilich ohne innovative Ansätze zu behindern und ohne spezifische Probleme des deutschen bzw. deutschsprachigen Schulwesens zu nivellieren. Gleichwohl sind auch die Forschungsaufgaben im deutschsprachigen Raum unter dem Gesichtspunkt der Verstetigung in den Blick zu nehmen, und zwar sowohl in forschungsmethodischer Hinsicht als auch unter inhaltli chem Aspekt. Dabei wird die Verständigung über Standards qualitativer und quantitativer Forschung nicht zu unterschätzen sein, ebenso wie die Identifi zierung vordringlicher Untersuchungsgegenstände. Der Erkenntnisfortschritt wird wahrscheinlich nicht zuletzt davon abhängen, ob es bei gegebenen knappen Ressourcen gelingt, im grundschulpädagogischen Diskurs ein über schaubares Bild von Forschungsfeldern zu entwerfen, die fiir die Grund schularbeit in absehbarer Zeit eine primäre Fundierung versprechen. Wie ist nun aber die grundschulspezifische Forschungslage aktuell zu be schreiben, hat es inzwischen einen konkreten Zugewinn an Forschungsergeb nissen in der skizzierten Richtung gegeben? Die im vorliegenden Band vor gestellten Arbeiten geben einen Einblick in den gegenwärtigen Stand der Diskussion. Dabei sind die drei ersten Beiträge der Bündelung der Diskussi on übergeordneter Themen gewidmet. Der Beitrag MÖLLERs nimmt die aktuelle wissenschaftstheoretische Dis kussion um den Konstruktivismus zum Anlass, Konsequenzen dieser Position fiir Lehr-Lernprozesse unter die Lupe zu nehmen. Werden damit Subjekti vismus und Beliebigkeit Tür und Tor geöffnet oder gibt es vielversprechende Ansätze, das Unterrichten ganz neu zu denken und zu konzipieren? Erörtert werden einmal problematische Anteile der Diskussion, nicht nur die heiklen Implikationen der Extreme im radikalen Konstruktivismus, sondern auch das Problem der Immunisierung gegen empirische Überprüfung. Die Grundlagen gemäßigt konstruktivistischer Ansätze werden verdeutlicht, etwa des sozialen Konstruktivismus, klassischer Conceptual-Change Theorien und konstrukti vistischer Positionen der Kognitionspsychologie, ebenso wird deren Verbin dung zu neuen Ansätzen diskutiert. Kernfragen sind dabei beispielsweise, ob es sich etwa nur um neuen Wein in alten Schläuchen handelt, wie eine Reihe von Kritikern betont. Sind die verbindenden Ansätze ekklektizistische Fehl konstrukte, die einer systematischen Analyse nicht standhalten oder bereits so weit von konstruktivistischen Ideen entfernt, dass der Begriff dafiir nicht 10 mehr taugt? Oder aber sind sie als fruchtbarer Rahmen fiir die Erforschung von Wissenserwerb zu betrachten? Als Kernidee der modemt konstruktivistischen Positionen wird man den aktiven Lerner in den Mittelpunkt stellen, der Wissen in sozialen Kontexten weitgehend selbstgesteuert konstruiert - unter Einbeziehung authentischer Aufgaben, bedeutungsvoller Kontexte und multipler Perspektiven. Welche Konsequenzen ergeben sich damus jedoch fiir empirische Ansätze der Lehr Lern-Forschung und wie lassen sich vorhandene Befunde in solch ein Kon zept integrieren? Die durch eine Vielzahl von Untersuchungen belegte Ge fahr defizitärer Formen systematischen Wissensaufbaus in hochkomplexen, wenig gesteuerten Lernsituationen lässt sich zumindest nicht leichthin aus blenden. Dabei wird außerordentlich wichtig werden, den Prozess des Aufbaus und der Integration des neu aufgebauten Wissens in bestehendes Wissen und nicht zuletzt die Anwendung und Überprüfung des neuen Wissens genau zu studieren. Nach allem was wir bislang über Lernprozesse wissen, erfordert dieser Konstruktionsprozess jedenfalls auch geeignete Maßnahmen der Stüt zung und Steuerung durch die Lehrperson. Daraus erwachsen anspruchsvolle Aufgaben und neuartige Kompetenzansprüche an die Lehrperson. Diagnosti sche Kompetenzen und subtile Steuerungs-und Aufbauhilfen, etwa des Scaf foldings, und anderer, darauf abgestimmter Strukturierungsformen werden nicht ohne besondere Schulung von Lehrerinnen und Lehrern zu erwarten sein. Auch hierzu sind die Forschungen noch nicht sehr zahlreich. Die Didaktik wird ebenfalls dazu ihre Vorstellungen ausdifferenzieren und weiter empirisch fundieren müssen. Denn Ziel all der Forschungsansätze ist nicht, so MÖLLER, die theoretische Begründung allgemeiner Methoden, sondern die Optimierung von Lehr-Lernumgebungen unter Berücksichtigung individueller Lernwege und multikriterialer Zielerreichung. Die Chance fiir die konstruktivistischen Ansätze der Lehr-Lernforschung und der Lehrerbildung wird darin zu sehen sein, dass sie auf die neueren Sichtweisen des Lernens abgestimmte Lehrkonzepte zu entwickeln helfen. Hier bringen aber quasi deduktive Konzeptionen keinen Fortschritt. Neue di daktische Arrangements haben erst auf der Grundlage solider Forschung eine Realisierungschance, jedoch nur, wenn dabei nicht allein das Lernen, sondern auch die erhöhten Ansprüche an die Lehrtätigkeit hinreichend Beachtung fin den. Gleichwohl - bisherige Modelle konnten das Problem des mangelhaft integrierten, trägen Wissens nicht lösen, hier kann und muss die Forschung ansetzen. Unter dem Vorzeichen der konstruktivistischen Debatte, aber auch unab hängig von ihr hat sich auf der Ebene von praxisorientierten Reformbestre bungen die Öffnung des Unterrichts als außenwirksame Chiffre fiir innere 11