ebook img

Felix Hausdorff zum Gedächtnis: Band I: Aspekte seines Werkes PDF

288 Pages·1996·16.7 MB·German
Save to my drive
Quick download
Download
Most books are stored in the elastic cloud where traffic is expensive. For this reason, we have a limit on daily download.

Preview Felix Hausdorff zum Gedächtnis: Band I: Aspekte seines Werkes

Egbert Brieskorn (Hrsg.) Felix Hausdorff zum Gedachtnis Band I Felix Hausdorff im Arbeitszimmer seines Hauses in Bonn, HindenburgstraSe 61, im Juni 1924. Egbert Brieskorn (Hrsg.) Felix Hausdorff zum Gedachtnis Band I Aspekte seines Werkes I I Vleweg Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Felix Hausdorff zum Gediicbtnis I Egbert Brieskom (Hrsg.). - Braunschweig; Wiesbaden: Vieweg. NE: Brieskom, Egbert [Hrsg.] Bd. 1. Aspekte seines Werkes. - 1996 ISBN-13: 978-3-322-80277-4 e-ISBN-13: 978-3-322-80276-7 DOl: 10.1007/978-3-322-80276-7 Bildnachweis: Seite II Photograph: Ludwig Hogrefe Das Original, ein Stereobildpaar, befindet sich im NachlaB von Felix Hausdorff in der Handschriftenabteilung der Universitiits-und Landesbibliothek Bonn. AIle Rechte vorbehalten © Friedr. Vieweg & Sohn VerlagsgeseIlschaft mbH, BraunschweiglWiesbaden, 1996 Softcover reprint of the hardcover 1s t edition 1996 Der Verlag Vieweg ist ein Untemehmen der Bertelsmann Fachinformation GmbH. Das Werk einschlieBlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschtitzt. Jede Verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts gesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzuliissig und strafbar. Das gilt insbesondere flir Vervielfiiltigungen, Ubersetzungen, Mikrover filmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen System en. Gedruckt auf siiurefreiem Papier Inhalt Egbert Brieskorn Einleitung ...................................................................... 1 Hans-Joachim IIgauds Die fruhen Leipziger Arbeiten Felix Hausdorffs .................................... 11 Hans-Joachim Girlich Hausdorffs Beitrage zur Wahrscheinlichkeitstheorie ................................ 31 Peter Koepke Metamathematische Aspekte der Hausdorffschen Mengenlehre ...................... 71 Erhard Scholz Logische Ordnungen im Chaos: Hausdorffs fruhe Beitrage zur Mengenlehre ........ 107 Peter Schreiber Felix Hausdorffs paradoxe Kugelzerlegung im Kontext der Entwicklung von Mengenlehre, MajJtheorie und Grundlagen der Mathematik .................... 135 Christoph Bandt und Hermann Haase Die Wirkungen von Hausdorffs Arbeit uber Dimension und aujJeres MajJ ............ 149 Klaus Steffen Hausdorff-Dimension, regulare Mengen und total irregulare Mengen ............... 185 Hans-Gunther Bothe und Jorg Schmeling Die Hausdorff-Dimension in der Dynamik ....................................... 229 Erwin Neuenschwander Felix Hausdorffs letzte Lebensjahre nach Dokumenten aus dem Bessel-Hagen-NachlajJ ................................................ 253 Gunter Bergmann Die vom Lande NRW 1980 erworbenen Schriftstucke aus dem NachlajJ Felix Hausdorffs .............................................. 271 Claus Hertling Verzeichnis der mathematischen Schriften Felix Hausdorffs ....................... 283 Einleitung Egbert Brieskorn Es gibt wohl kaum einen Mathematiker, der nicht den Namen Hausdorff kennt. Was ein Hausdorff-Raum ist, weiB wohl jeder, und die meisten kennen vermutlich weitere mit die sem Namen verbundene mathematische Gegenstande, etwa das Hausdorffsche Paradoxon oder die Baker-Campbell-Hausdorff-Formel oder die Hausdorff-MaBe und die Hausdorff Dimension. Andererseits gibt es wohl nur wenige Mathematiker, die das gesamte Werk Fe lix Hausdorffs in seinem Umfang und seinem inneren Zusammenhang tiberblicken konnen. Zum einen umfaBt dieses Werk namlich nicht nur mathematische Arbeiten, sondern auch philosophische und literarische: zwei Bticher, einen Gedichtband, ein Theatersttick und eine Reihe von Essays, die Hausdorff unter dem Pseudonym Paul Mongre verOffentlicht hat. Zu dies em Teil von Hausdorffs Werk haben bisher wohl nur sehr wenige Mathematiker einen Zugang gefunden. Zum andern aber ist es auch bei Beschrankung auf das mathematische Werk zur Zeit kaum moglich, dieses als Ganzes in seinem inneren Zusammenhang, seiner Einbettung in den historischen Kontext und in seiner Wirkung zu tiberschauen. DafUr gibt es mehrere Grtinde. Wer etwa die Wirkungsgeschichte von Hausdorffs Werk untersuchen will, steht vor dem Problem einer kaum zu begrenzenden Ftille von Material. Hausdorff hat durch seine Arbeiten und besonders durch sein 1914 erschienenes Buch "Grundztige der Mengenlehre" wesentlich dazu beigetragen, daB die von Georg Cantor geschaffene Mengenlehre zum Fundament der gesamten Mathematik wurde. Er hat in diesem seinem Hauptwerk insbesondere die mengentheoretische Topologie so entwickeIt, wie es das struktureIIe Denken der modern en Mathematik erfordert. Nicolas Bourbaki stellt dazu fest: ,,Mit Hausdorffbeginnt die mengentheoretische Topologie, so wie wir sie heute verstehen. Auf den Umgebungsbegriffzurtickgreifend verstand er es, unter den Hilbertschen Axiomen tiber Umgebungen in der Ebene diejenigen herauszugreifen, die seiner Theorie gleichzeitig die wtinschenswerte Prazision und die erwtinschte Allgemeinheit gaben. Das Kapitel, in dem er die Folgerungen daraus entwickelt, ist immer noch ein Vorbild fUr eine axiomatische Theorie, die abstrakt, doch von vornherein auf die Anwendungen eingestellt ist." Die gleichzeitig aIIgemeine und prazise auBerordentliche Erweiterung des Raumbegriffs, die durch diese Theorie zur VerfUgung gestellt wurde, hat in den vergangenen achtzig J ahren in allen Gebieten der Mathematik und dartiber hinaus auch in anderen Wissenschaften eine solehe Ftille von Anwendungen hervorgebracht, daB deren Darstellung den Rahmen jeder verntinftig begrenzten Wirkungsgeschichte sprengen wtirde. 2 Egbert Brieskom Jene eigentiimliche Verbindung von groBer Allgemeinheit mit einer Prazision, welche eine feine Abstimmung eines Spektrums von Begriffen bei Anwendungen auf sehr ver schiedenartige komplexe Situationen ermoglicht, kennzeichnet auch eine andere bedeuten de Leistung Hausdorffs, die heute in vielen Zusammenhangen, besonders in der hoheren Analysis, von grundlegender Bedeutung ist. Gemeint ist die Arbeit "Dimension und auBe res MaB" aus dem Jahre 1918. In dieser Arbeit filhrte Hausdorff eine Klasse von MaBen ein, die man heute Hausdorff-MaBe nennt. Implizit erhalt die Arbeit einen vollig neuarti gen Dimensionsbegriff. Die neue, filr Teilmengen metrischer Raume definierte Dimension heiBt heute Hausdorff-Dimension. Sie muB als Werte nicht mehr nattirliche Zahlen haben, sondern kann als Wert jede nichtnegative reelle Zahl annehmen. In seiner Arbeit konstruiert Hausdorff filr jede natiirliche Zahl n und filr jede reelle Zahl p zwischen 0 und n Teilmengen des n-dimensionalen euklidischen Raumes mit der Hausdorff-Dimension p. Die Zeichnung auf dem Umschlag dieses Buches - sie stammt aus Hausdorffs ,,Men genlehre" von 1927 - zeigt ein Beispiel filr eine derartige Konstruktion. Die unendliche Fortsetzung des Prozesses, des sen erste drei Stufen die Zeichnung darstellt, filhrt zu einem ebenen Jordanbogen mit der Hausdorff-Dimension In(2) /In( T). Dabei ist T = (v'5 + 1) /2. Die Arbeit "Dimension und au Beres MaB" hat eine auBerordentliche und immer noch anhaltende Wirkung g.ehabt, und schon die Darstellung aller Wirkungen dieser einen Arbeit ware von einem einzelnen Mathematiker oder Mathematikhistoriker kaum zu bewaltigen. Fragt man, was Hausdorff zu solchen weit in die Zukunft wirkenden Leistungen befahig te, fragt man nach der Entwicklung seines Denkens und dem inneren Zusammenhang seiner Arbeiten sowie nach ihrer Einbettung in den historischen Kontext, dann sieht man sich in mehrfacher Hinsicht vor interessante, aber schwierige Probleme gestellt. Hausdorff war nicht nur ein schopferisch tatiger Mathematiker, sondern er hat auch in der Reflexion tiber seine Wissenschaft bewuBt den Wandel zur mathematischen Moderne mit vollzogen und da zu in der Auseinandersetzung mit anderen Auffassungen eigene wissenschaftstheoretische und erkenntniskritische Positionen entwickelt. Er hat davon manches in mathematischen Vortragen und Vorlesungen, anderes in seinen philosophischen Arbeiten vorgetragen, und es ware sicher keine leichte, wohl aber eine interessante Aufgabe, diese Gedanken Hausdorffs im Zusammenhang darzustellen und in den historischen Kontext einzuordnen. Fragt man nach der Entstehungsgeschichte von Hausdorffs Arbeiten, nach ihrem Zusam menhang untereinander und ihrer Beziehung zu den Arbeiten anderer, dann ist man bei der Suche nach Antworten nicht nur auf das verOffentlichte Werk angewiesen. Es gibt einen umfangreichen wissenschaftlichen NachlaB von weit tiber filnfundzwanzigtausend Seiten. Er umfaBt neben Materialien aus der Schtiler- und Studentenzeit Manuskripte zu Haus dorffs Vorlesungen, Vortragen und Veroffentlichungen sowie viele Studien und Referate und umfangreiche Berichte zu Spezialgebieten. Dieser NachlaB zeigt, mit welcher Sorg faIt Hausdorff in groBem Umfang die Veroffentlichungen anderer Mathematiker kritisch durchgearbeitet hat, wie er deren wesentlichen Kern herausgearbeitet, die Fehler verbessert und die Beweise einfacher und durchsichtiger gestaltet hat. Er zeigt auch, daB Hausdorff Ergebnisse, die heute mit den Namen anderer Mathematiker verbunden sind, gleichzeitig mit diesen gefunden hat oder sogar vor ihnen. So war beispielsweise die lange Gerade, die man heute auch Alexandroffsche Gerade nennt, wei I sie in einer Publikation zuerst von Paul Alexandroff im Jahre 1924 behandelt wurde, Hausdorff schon 1915 bekannt (vgl. NachlaB, Kapsel31, Faszikel 121, Blatt 2). Einleitung 3 Hausdorffs NachlaB ist ein Zeugnis der mathematischen Arbeit eines ganzen Lebens. Felix Hausdorff hat seine Arbeit bis zum Tode fortgefilhrt, auch dann noch, als er wie aIle Juden im nationalsozialistischen Deutschland Demutigungen und Gemeinheiten aIler Art erleben muBte. Seine letzte mathematische Eintragung stammt vom 16. Januar 1942. Zehn Tage spater, als die Einweisung in ein SammeI1ager filr Juden bevorstand, nahm Felix Hausdorff sich zusammen mit seiner Frau und deren Schwester das Leben. N ach der Niederlage des nationalsozialistischen Deutschland hat es mehr als zwanzig Jah re gedauert, bis die deutschen Universitaten und wissenschaftlichen Vereinigungen damit begannen, die dunkelste Zeit ihrer Geschichte offenzulegen. Die Artikelreihe "KoIlegen in einer dunklen Zeit" von Maximilian Pinl, die in den Jahresberichten der Deutschen Mathematiker-Vereinigung der Jahre 1969 bis 1974 verOffentlicht wurde, machte das Aus maB des sen deutlich, was manjudischen Mathematikern in Deutschland angetan hatte. Den Mathematiker Felix Hausdorff wurdigte die Deutsche Mathematiker-Vereinigung 1967, ein Jahr vor der hundertsten Wiederkehr seines Geburtstages. Der Band 69 der Jahresberichte enthielt ein Bild vom Leben Hausdorffs, verfaBt von Magda Dierkesmann, einen Bericht iiber das mathematische Werk von G.G. Lorentz, personliche Erinnerungen von H. Bonnet und einen vorlaufigen Bericht iiber den wissenschaftlichen NachlaB von Gunter Bergmann. Es scheint, daB diejenigen, die als Nachfolger der jiidischen Professoren Hausdorff und Toeplitz nach Bonn berufen wurden, kein sonderliches Interesse an diesem NachlaB gehabt haben. Es ist das groBe Verdienst von Giinter Bergmann, den umfangreichen wissenschaftli chen NachlaB Felix Hausdorffs in jahrelanger Arbeit geordnet zu haben. Der ganze NachlaB befindet sich seit 1980 in der Handschriftenabteilung der Universitats- und Landesbiblio thek Bonn. Einen Teil der Studien und Referate hat Giinter Bergmann als "Nachgelassene Schriften" in zwei Faksimile-Banden publiziert. Eine ernsthafte historische Forschung zum Werk Felix Hausdorffs ist jedoch bisher aIlenfaIls in Ansatzen in Gang gekommen. AIle notwendigen Voraussetzungen filr eine solche Forschung sind inzwischen geschaffen wor den. In den vergangenen zwei Jahren ist der NachlaB in einer auBerordentlich sorgfaltigen Arbeit durch Walter Purkert bibliothekarisch erschlossen worden. Mit einem Findbuch und mit elektronisch gespeicherten Daten stehen nunmehr hervorragende Hilfsmittel filr die Arbeit mit dem NachlaB zur Verfilgung. Fur einige Beitrage des hier vorgelegten Bandes, beispielsweise den von Hans-Joachim Girlich, ist diese ErschlieBung des Nachlasses bereits von Nutzen gewesen. Insgesamtjedoch ist eine historisch fundierte DarsteIlung und Wiirdi gung des gesamten Werkes von Felix Hausdorff beim gegenwartigen Stand der Forschung nicht moglich, und auf eine Edition seiner gesammelten Werke kann man einstweilen nur hoffen. Angesichts dieser Lage kann man nur versuchen, der heutigen Generation von Mathe mati kern die Bedeutung Felix Hausdorffs durch Herausarbeiten einzelner Aspekte seines Werkes zu verrnitteln, unter denen dessen Wirkung auf die Entwicklung unserer Wissen schaft oder aktueIl besonders interessante Forschungen sichtbar wird. AniaB zu solchem Bemiihen gab im Jahre 1992 die Erinnerung an den 26. Januar 1942, Hausdorffs Todestag. An verschiendenen Orten fan den Veranstaltungen zu seinem Gedachtnis statt, und daraus sind mehrere Publikationen hervorgegangen, die an Hausdorffs Leben und Werk erinnern und seine Bedeutung filr unsere Zeit verrnitteln wollen. Dazu zahlt auch der hier vorgelegte Band. Die Initiative zu seiner Entstehung ging von meinem KoIlegen Jiirgen Flachsmeyer aus. 4 Egbert Brieskorn Es war geplant, daB wir, er und ich, diesen Band gemeinsam herausgeben wollten, als einen gemeinsamen Beitrag der UniversiUiten Greifswald und Bonn, an den en Hausdorff gelehrt hat. Leider fiihrten gesundheitliche und andere Probleme dazu, daB nicht alles so wie geplant realisiert werden konnte und Herr Flachsmeyer 1992 die Mitarbeit an dem Gedenkband aufgeben muBte. Von den Beitragen dieses Bandes sind aber doch drei auf seine Initiative zurtickzufiihren, und dafiir wie fiir aIle anderen Anregungen darf ich ihm an dieser Stelle meinen Dank aussprechen. Zu den Autoren des Bandes gehoren Mathematiker aller drei Universitaten, an denen Hausdorff gelehrthat-Leipzig, Greifswald und Bonn - und auch die anderen Autoren sind in der einen oder anderen Weise mit diesen Universitaten verbunden gewesen. Besonders bei den Beitragen aus Leipzig hat die Kenntnis der Geschichte dieser Universitat dazu beigetragen, auch das Umfeld sichtbar werden zu lassen, in dem die ersten wissenschaftlichen Arbeiten Felix Hausdorffs entstanden sind. Damit sind wir beim Inhalt des hier vorgelegten Bandes, tiber den ich im folgenden einen Uberblick geben mochte. Etwas schematisch kann man die in dies em Band versammelten Arbeiten in vier Gruppen einteilen. Eine erste Gruppe von zwei Arbeiten ist den Beitragen Felix Hausdorffs zur angewand ten Mathematik gewidmet. Der sehr sorgfaltig recherchierte Artikel "Die frtihen Leipziger Arbeiten Felix Hausdorffs" von Hans-Joachim Ilgauds behandelt Hausdorffs Beitrage zur mathematischen Astronomie, die von dem Leipziger Mathematiker und Astronomen Heinrich Bruns angeregt wurden. Dazu gehoren Hausdorffs Dissertation und seine Habilita tionsschrift, deren Themen die astronomische Refraktion und Extinktion sind. Herr Ilgauds stellt sowohl die historischen Wurzeln des Bruns-Hausdorffschen Verfahrens dar wie die Grtinde dafiir, daB dieses Verfahren sich schlieBIich als ftir die Astronomie unzureichend erwies. Diese Grtinde betrafenjedoch nicht die mathematische Seite des Verfahrens. Haus dorff handhabte die mathematischen Probleme des Brunsschen Verfahrens mit virtuoser Geschicklichkeit: "Die drei Hausdorffschen Arbeiten tiber die astronomische Refraktion stellten dem noch am Anfang seiner wissenschaftlichen Laufbahn stehenden Mathermatiker auch ein glanzen des mathematisches Zeugnis aus." Der Artikel "Hausdorffs Beitrage zur Wahrscheinlichkeitstheorie" von Hans-Joachim Girlich spannt einen Bogen von Hausdorffs frtiher Lehrtatigkeit in Leipzig auf dem Ge biet der Wahrscheinlichkeitsrechnung und ihrer Anwendungen bis hin zu seiner groBen Vorlesung tiber Wahrscheinlichkeitsrechnung in Bonn im Sommersemester 1923. Er un tersucht die Hausdorffschen Positionen in ihrer zeitlichen Abfolge sowie die Quellen, aus denen Hausdorff schopfte. Er versucht, die Entwicklungslinien nachzuvollziehen, die auf GauB, Bessel, Bruns, Tschebycheff und Borel zurtickgehen und von Hausdorff zu zwei Strangen gebtindelt wurden: dem GauBschen Fehlergesetz und den damit verbundenen Grenzwertsatzen und Momentenproblemen einerseits und einer maBtheoretischen Behand lung des starken Gesetzes der groBen Zahlen andererseits. Hausdorffs Vorlesung von 1923 "verband erstmalig in einer Gesamtschau die moderne analytische Theorie mit einer tragfahigen axiomatischen Basis" , und sie war anderen zeitgenossischen Darstellungen der Wahrscheinlichkeitstheorie weit voraus. Die Beitrage der zweiten Gruppe sind Hausdorffs Arbeiten zur Mengenlehre und Punkt mengenlehre gewidmet. Sie haben - bei durchaus unterschiedlicher Perspektive - gemein- Einleitung 5 sam, daB sie erkenntnistheoretische Fragen bertihren und dabei auch in sehr interessan ter Weise versuchen, Hausdorffs mathematische Arbeit vor dem Hintergrund von dessen erkenntniskritischen und philosophischen Ansatzen zu sehen. DaB es sich dabei urn In terpretationen handelt, versteht sich von selbst. Soweit dabei auf meinen eigenen, noch ausstehenden Beitrag Bezug genommen wird, muB einstweilen offen bleiben, ob diese Interpretationen und meine sich decken. Der Artikel von Peter Koepke zeigt uns ,,Metamathematische Aspekte der Hausdorff schen Mengenlehre". Bekanntlich ist Felix Hausdorff weder in seinen verOffentlichten Ar beiten noch in seinem Buch "Grundztige der Mengenlehre" von einem Axiomensystem der Mengenlehre ausgegangen, obwohl er die axiomatische Methode - etwa bei der Entwick lung der mengentheoretischen Topologie - in vorbildlicher Weise zu handhaben wuBte. Peter Koepke interpretiert nun Hausdorffs Beitrage zur Mengenlehre und seine Position zum Problem der Grundlagen der Mengenlehre, also zur Frage nach den Fundamenten des Fundaments, aus der Sicht des heute erreichten Standes metamathematischen Wissens tiber die Axiome der Mengenlehre. Am Beispiel der Cantorschen Kontinuumshypothese, die ein wichtiges Motiv fUr Hausdorffs mengentheoretische Arbeiten war, vermittelt der Autor auch dem nicht mathematisch gebildeten Leser in gut versHindlicher Weise einen Eindruck von Unabhangigkeitsbeweisen mit inneren Modellen und der Erzwingungsmethode. Peter Koepke zeigt, daB Hausdorff in seinen Arbeiten zur Mengenlehre bis an die Grenzen ge gangen ist, wo eine axiomatische Behandlung unumganglich wird. Ein auf den ersten Blick erstaunliches Ergebnis dieser Sicht auf die nichtaxiomatische Hausdorffsche Mengenlehre aus metamathematischer Perspektive ist, daB so der inhaltliche Zusammenhang von zeitlich weit getrennten Teilen von Hausdorffs Werk sichtbar wird: "Damit sind, auf "metamatematische Weise", die exorbitanten Kardinalzahlen der Haus dorffschen Kardinalzahltheorie mit solchen Fragen der deskriptiven Mengenlehre und der MaBtheorie verbunden, tiber die Hausdorff gearbeitet hat." Hochinteressant ist schlieBlich auch die folgende These von Peter Koepke: "Unabhangigkeitsresultate konnen als Absage an ein absolutes mengentheoretisches Uni versum interpretiert werden, in erstaunlicher Analogie zur Hausdorffschen Erkenntnistheo rie des Chaos in kosmischer Auslese." Der Beitrag "Logische Ordnungen im Chaos: Hausdorffs frtihe Beitrage zur Mengenleh re" von Erhard Scholz diskutiert Hausdorffs Arbeiten zur Mengenlehre auf dem Hinter grund von dessen philosophischen Auffassungen und versucht bei dieser Durchmusterung mit einfUhlsamem historischem Blick die Entwicklung von Einstellungen und Denkformen zu erkennen. Er behandelt dabei Hausdorffs Axiomatisierung des Zeitbegriffs in seiner Vorlesung vom Wintersemester 190311904 als Beispiel fUr die Vorgehensweise des von Hausdorff vorgeschlagenen "besonnenen Empirismus". Es folgt ein Blick auf Hausdorffs Untersuchungen zur Struktur geordneter Mengen, insbesondere seine Ergebnisse zur Klas sifikation von Ordnungstypen und zur Erzeugung der zerstreuten Ordnungstypen aus den regularen Anfangszahlen als "Uratomen der Typenwelt". In diesem Zusammenhang ent stand Hausdorffs Frage nach der Existenz regularer Anfangszahlen mit Limesindex, die Hausdorff selbst als "exorbitant groB" charakterisiert hat. Die weitere Entwicklung dieser Frage ist in dem Artikel von Peter Koepke behandeIt. 1m Beitrag von Erhard Scholz folgt dann eine Diskussion der Herausbildung der Axiome des Hausdorff-Raumes und der Frage ihrer Beziehung zu Hilberts Axiomatisierung der topologischen Ebene aus dem Jahre 1902,

Description:
Egbert Brieskorn ist ordentlicher Professor am Mathema- tischen Institut in Bonn; er hat bei Vieweg bereits LineareAlgebra und Analytische Geometrie in 2 Bänden veröffentlicht. Jürgen Flachsmeyer ist ordentlicher Professor am Mathematischen Institut in Greifswald.
See more

The list of books you might like

Most books are stored in the elastic cloud where traffic is expensive. For this reason, we have a limit on daily download.