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EKG Endlich Verständlich. Alles, was man wissen muss PDF

274 Pages·2008·33.379 MB·German
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Albrecht Ohly EKG endlich verständlich Alles, was man wissen muss 1. Aufl age Mit 104 Abbildungen und über 50 EKG-Übungen Zuschrift en und Kritik an: Elsevier GmbH, Urban & Fischer Verlag, Lektorat Medizinstudium, Karlstr. 45, 80333 München, [email protected] Wichtiger Hinweis für den Benutzer Die Erkenntnisse in der Medizin unterliegen laufendem Wandel durch Forschung und klinische Erfahrungen. He- rausgeber und Autoren dieses Werkes haben große Sorgfalt darauf verwendet, dass die in diesem Werk gemachten therapeutischen Angaben (insbesondere hinsichtlich Indikation, Dosierung und unerwünschter Wirkungen) dem derzeitigen Wissensstand entsprechen. Das entbindet den Nutzer dieses Werkes aber nicht von der Verpfl ichtung, anhand der Beipackzettel zu verschreibender Präparate zu überprüfen, ob die dort gemachten Angaben von denen in diesem Buch abweichen, und seine Verordnung in eigener Verantwortung zu treff en. Bibliografi sche Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografi e; detaillierte bibliografi sche Daten sind im Internet unter http://dnb.ddb.de abrufb ar. Alle Rechte vorbehalten 1. Aufl age 2008 © 2008 Elsevier GmbH, München Der Urban & Fischer Verlag ist ein Imprint der Elsevier GmbH. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafb ar. Das gilt insbesonde- re für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfi lmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektro- nischen Systemen. Programmleitung: Dr. Dorothea Hennessen Planung und Lektorat: Susanne Szczepanek, Inga Dopatka Redaktion: Dr. Dagmar Schneck, München Herstellung: Peter Sutterlitte Satz: abavo GmbH, Buchloe; TnQ, Chennai Druck und Bindung: MKT Print d. d., Ljubljana Umschlaggestaltung: SpieszDesign, Neu-Ulm ISBN 978-3-437-41412-1 Aktuelle Informationen fi nden Sie im Internet unter www.elsevier.de und www.elsevier.com Enderlin hält einen noch feuchten Filmstreifen in der Hand, sein Kardiogramm, das ihm ein freundlicher Arzt unterbreitet hat, anzusehen wie eine arabische Schrift . Schön, aber rätselhaft , es erinnert ihn an einen Wegweiser in der Wüste zwischen Damaskus und Jerusalem, unlesbar, aber schön, so dass auch Enderlin entzückt war über die Kalligraphie seines Herzens, die er sich nicht zugetraut hätte … Max Frisch, Mein Name sei Gantenbein Vorwort Die Elektrokardiographie ist in mehrfacher Hinsicht • I m Gegensatz zu seiner Verbreitung und unbe- eines der erstaunlichsten diagnostischen Verfahren strittenen klinischen Bedeutung stehen die oft der Medizin: Vor über hundert Jahren wurden von nur rudimentären Kenntnisse des EKG – nicht Willem Einthoven (1860–1927) nicht nur die elek- nur bei Berufsanfängern. Dafür gibt es drei Ursa- trophysiologischen Grundlagen erforscht, sondern chen: auch die messtechnischen Probleme gelöst. 1927 • G erade seine allgemeine Verbreitung legt den wurde er dafür mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Trugschluss nahe, dass auch fundierte Kennt- Frank Wilson (1890–1952) und Emanuel Goldberger nisse des EKG eine Selbstverständlichkeit sind. (geb. 1927) brachten auf den Schultern Einthovens „Das EKG, das kann man einfach“. Wer mag sich die Messtechnik auf den heutigen Stand. schon zugeben, dass er diese „banale“ Untersu- • S eitdem haben sich zwar die Geräte in geradezu chungsmethode nicht wirklich beherrscht! unvorstellbarem Tempo verbessert, an den Grund- • D ie Schwierigkeiten, das EKG wirklich zu verste- lagen der Elektrokardiographie hat sich jedoch seit hen, sind jedoch erheblich. Das hat vor allem mit den Pionierarbeiten von Einthoven, Wilson und der außerordentlichen Unanschaulichkeit dessen Goldberger nichts geändert. Es gibt kein anderes zu tun, was da registriert wird. Um „Herr im technisch-diagnostisches Verfahren, das sich seine Haus der Elektrokardiographie“ zu werden, ge- theoretischen Fundamente und seine klinische Be- nügt es nicht, die Kurvenanomalien und deren deutung über nun fast hundert Jahre unvermindert klinische Bedeutung wie unregelmäßige Verben erhalten hat. Aus den ehemals teuren, monströsen zu lernen. Registriergeräten sind preiswerte, handliche Appa- • U nd nicht zuletzt gilt für das EKG, was für viele rate geworden, die ohne weiteres alle zwölf Ablei- anderen Wissensgebiete gilt: Nur das permanente tungen synchron registrieren und auf Wunsch auch Training und die ständige Anwendung des Ge- noch einen Befundvorschlag ausdrucken. Die Prin- lernten schützen vor dem Vergessen. Selbst Kol- zipien der EKG-Registrierung und die Schwierig- legen, die über profunde EKG-Kenntnisse verfü- keiten der Befundung sind jedoch gleich geblieben. gen, verlieren diese, wenn sie ein paar Jahre • D ie mit keinem anderen diagnostischen Verfah- nichts mehr mit EKG-Befundung zu tun haben. ren konkurrierende Bedeutung des EKG, seine Dies also sind die Besonderheiten und Schwierig- schmerz- und risikolose Registrierung in Verbin- keiten, die das EKG von vielen anderen diagnos- dung mit der Miniaturisierung der Aufzeich- tischen Verfahren der Medizin unterscheidet. nungs apparate hat „das EKG“ zur kardiologi- Gleichwohl ist es unverzichtbar und alle Mühe wert, schen Basisuntersuchung schlechthin gemacht. sich dieser faszinierenden Methode im Rahmen der So wird von jedem klinisch tätigen Arzt erwartet, ärztlichen Ausbildung einmal gründlich zuzuwen- dass er ein EKG sicher beurteilen kann. den. Enderlin hält einen noch feuchten Filmstreifen in der Hand, sein Kardiogramm, das ihm ein freundlicher Arzt unterbreitet hat, anzusehen wie eine arabische Schrift. Schön, aber rätselhaft, es erinnert ihn an einen Wegweiser in der Wüste zwischen Damaskus und Jerusalem, unlesbar, aber schön, so dass auch Enderlin entzückt war über die Kalligraphie seines Herzens, die er sich nicht zugetraut hätte … Max Frisch, Mein Name sei Gantenbein Vorwort Die Elektrokardiographie ist in mehrfacher Hinsicht • I m Gegensatz zu seiner Verbreitung und unbe- eines der erstaunlichsten diagnostischen Verfahren strittenen klinischen Bedeutung stehen die oft der Medizin: Vor über hundert Jahren wurden von nur rudimentären Kenntnisse des EKG – nicht Willem Einthoven (1860–1927) nicht nur die elek- nur bei Berufsanfängern. Dafür gibt es drei Ursa- trophysiologischen Grundlagen erforscht, sondern chen: auch die messtechnischen Probleme gelöst. 1927 • G erade seine allgemeine Verbreitung legt den wurde er dafür mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Trugschluss nahe, dass auch fundierte Kennt- Frank Wilson (1890–1952) und Emanuel Goldberger nisse des EKG eine Selbstverständlichkeit sind. (geb. 1927) brachten auf den Schultern Einthovens „Das EKG, das kann man einfach“. Wer mag sich die Messtechnik auf den heutigen Stand. schon zugeben, dass er diese „banale“ Untersu- • S eitdem haben sich zwar die Geräte in geradezu chungsmethode nicht wirklich beherrscht! unvorstellbarem Tempo verbessert, an den Grund- • D ie Schwierigkeiten, das EKG wirklich zu verste- lagen der Elektrokardiographie hat sich jedoch seit hen, sind jedoch erheblich. Das hat vor allem mit den Pionierarbeiten von Einthoven, Wilson und der außerordentlichen Unanschaulichkeit dessen Goldberger nichts geändert. Es gibt kein anderes zu tun, was da registriert wird. Um „Herr im technisch-diagnostisches Verfahren, das sich seine Haus der Elektrokardiographie“ zu werden, ge- theoretischen Fundamente und seine klinische Be- nügt es nicht, die Kurvenanomalien und deren deutung über nun fast hundert Jahre unvermindert klinische Bedeutung wie unregelmäßige Verben erhalten hat. Aus den ehemals teuren, monströsen zu lernen. Registriergeräten sind preiswerte, handliche Appa- • U nd nicht zuletzt gilt für das EKG, was für viele rate geworden, die ohne weiteres alle zwölf Ablei- anderen Wissensgebiete gilt: Nur das permanente tungen synchron registrieren und auf Wunsch auch Training und die ständige Anwendung des Ge- noch einen Befundvorschlag ausdrucken. Die Prin- lernten schützen vor dem Vergessen. Selbst Kol- zipien der EKG-Registrierung und die Schwierig- legen, die über profunde EKG-Kenntnisse verfü- keiten der Befundung sind jedoch gleich geblieben. gen, verlieren diese, wenn sie ein paar Jahre • D ie mit keinem anderen diagnostischen Verfah- nichts mehr mit EKG-Befundung zu tun haben. ren konkurrierende Bedeutung des EKG, seine Dies also sind die Besonderheiten und Schwierig- schmerz- und risikolose Registrierung in Verbin- keiten, die das EKG von vielen anderen diagnos- dung mit der Miniaturisierung der Aufzeich- tischen Verfahren der Medizin unterscheidet. nungs apparate hat „das EKG“ zur kardiologi- Gleichwohl ist es unverzichtbar und alle Mühe wert, schen Basisuntersuchung schlechthin gemacht. sich dieser faszinierenden Methode im Rahmen der So wird von jedem klinisch tätigen Arzt erwartet, ärztlichen Ausbildung einmal gründlich zuzuwen- dass er ein EKG sicher beurteilen kann. den. VI Vorwort Meine Begeisterung für das EKG hat ihre Wurzeln Kiening und Dr. Jochen Menne haben mich immer in dem legendären Kurs, den Professor Max Halhu- wieder ermuntert, das Projekt zu realisieren und mir ber in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts in bei der Sammlung der EKG-Beispiele geholfen. Innsbruck gehalten hat. Das Buch soll auch ein spä- Dr. Dieter Kronski danke ich herzlich für die ter Dank an diesen wunderbaren Lehrer sein. An Durchsicht des Schrittmacher-Kapitels. dem Zustandekommen des Buches waren viele Ge- Nicht zuletzt möchte ich im Voraus allen Lese- burtshelfer beteiligt: Dem Verlag danke ich für sein rinnen und Lesern für Anregungen und Hinweise großes Engagement für dieses eher ungewöhnliche auf Fehler danken. Gerade die Darstellung einer so EKG-Buch. Insbesondere Inga Dopatka, Susanne komplexen Materie wie der Elektrokardiographie Szczepanek, Dr. Dagmar Schneck und Henriette lebt von ihren Kritikern. Rintelen haben sich alle nur denkbare Mühe gege- Ich widme das Buch meiner Frau Elisabeth, mei- ben, meine Vorstellungen zu realisieren. Sebastian ner Tochter Anna-Katharina und den vielen Stu- Müller, Medizinstudent im letzten Semester, hat das denten und Kollegen, die sich den „Schwabinger Manuskript als „Vorkoster“ gelesen; ihm verdanke EKG-Kurs“ in Buchform gewünscht haben. ich wertvolle Anregungen zur besseren Verständ- lichkeit des Textes und der Zeichnungen. Dr. Marion München, im November 2007 Albrecht Ohly Abkürzungsverzeichnis A Atrium (Vorhof) R hohe R-Zacke Abl. Ableitung r kleine R-Zacke AV atrioventrikulär RA rechter Vorhof (Atrium) CX Ramus circumflexus der LCA RCA rechte Koronararterie EKG Elektrokardiogramm RIVA Ramus interventrikularis anterior der LCA ES Extrasystole RSB Rechtsschenkelblock Fr. Frequenz RTB rechtes Tawara-Bündel HW Hinterwand RV rechter Ventrikel ICR Intercostalraum SA sinuaurikulär LA linker Vorhof (Atrium) S tiefe S-Zacke LAB links-anteriores Bündel s kleine S-Zacke bzw. Sekunde LAH links-anteriorer Hemiblock SR Sinusrhythmus LCA linke Koronararterie SK Sinusknoten LPB links-posteriores Bündel SVES supraventrikuläre Extrasystole LPH links-posteriorer Hemiblock SVT Supraventrikuläre Tachykardie LSB Linksschenkelblock UKG Ultraschall-Kardiographie (= Echo-Kardio- LTB linkes Tawara-Bündel graphie) LV linker Ventrikel V Ventrikel min Minuten V. a. Verdacht auf OUP oberer Umschlagpunkt VES ventrikuläre Extrasystole P Intraatriale Erregungsausbreitung VT ventrikuläre Tachykardie Q tiefe Q-Zacke VW Vorderwand q kleine Q-Zacke WPW Wolf-Parkinson-White QRS Intraventrikuläre Erregungsausbreitung Z. n. Zustand nach Personenregister Ludwig Aschoff, 1866–1942 Pathologe in Freiburg Martin Flack, 1882–1931 Physiologe in London Emanuel Goldberger, geb. 1913 amerikanischer Kardiologe Wilhelm His jr., 1863–1934 Internist und Kardiologe in Berlin Sir Arthur Keith, 1866–1955 Physiologe in London Bernard Lown, geb. 1921 Kardiologe Woldemar Mobitz, 1889–1951 Internist John Parkinson, 1885–1976 Kardiologe in London Johannes Purkinje, 1787–1869 Physiologe in Breslau und Prag Sunao Tawara, 1873–1952 Pathologe in Tokio und Marburg Karel Wenckebach, 1864–1940 Internist Paul D. White, 1886–1973 Kardiologe in Boston Frank Wilson, 1890–1952 amerikanischer Kardiologe Louis Wolff, 1898–1972 Kardiologe in Boston Einführung Meine eigenen Schwierigkeiten, mich mit dem EKG als „normal“ zu befunden. Das sichere Erkennen vertraut zu machen, und meine jahrzehntelange Er- des Normalbefundes ist die Voraussetzung für fahrung mit EKG-Kursen für Studenten begründen das Erkennen pathologischer Veränderungen. das didaktische Credo dieses Buches: Verstehen er- Eine so triviale wie wichtige Feststellung! spart Auswendiglernen. Sie haben also keinen Damit endet bereits der theoretische Teil des „Schnellkurs in EKG“ gekauft, sondern ein Buch, das Buches. Die nun folgende Beschreibung der wich- Ihnen ein fundiertes Verständnis für das EKG ver- tigsten pathologischen EKG-Befunde ist nichts mitteln will. weiter als die Anwendung des bis dahin Verstan- In kleinen Schritten wird zunächst das Allernot- denen auf krankhafte Veränderungen des Herzens. wendigste der elektrophysiologischen Grundla- Mit etwas Phantasie und Vorstellungsvermögen in gen vermittelt. In Verbindung mit der Anatomie Verbindung mit Grundkenntnissen der Pathophy- des Reizbildungs- und Reizleitungssystems des Her- siologie des Herzens sind Sie dann in der Lage, die zens erwächst aus der Kenntnis der Elektrophysiolo- EKG-Veränderungen z. B. eines AV-Blocks 3. Grades gie bereits ein Bild vom räumlichen Verlauf des oder eines Rechtsschenkelblocks zu beschreiben! Als Aktionsstromes. Der nächste Schritt beschreibt Lohn für das konzentrierte Arbeiten am ersten Teil die Ableitungssysteme und deren topographische des Buches verspreche ich Ihnen Sicherheit und Spaß Beziehungen zueinander. Hier ist uns der Cabrera- (!) am Befunden von EKGs. Die Übungsbeispiele im kreis eine große Hilfe. letzten Teil des Buches werden Ihnen das beweisen. Nach diesen fünf Verständnisschritten werden Sie Natürlich erfahren Sie zu jedem pathologischen in der Lage sein, vorherzusagen, welche Ableitung zu EKG-Befund dessen klinische Bewertung. Dabei jedem Zeitpunkt des Erregungsablaufs welche EKG- wird es auch um die Grenzen der Methode gehen, Kurve zeigen wird! Sie verstehen dann bereits, wie denn nur wer die Grenzen einer Methode kennt und das EKG bei ungestörtem Erregunsablauf in jeder respektiert, kann sie gewissenhaft anwenden. Wo der zwölf Ableitungen aussehen muss. Dass dies kein immer es gesicherte therapeutische Empfeh- leeres Versprechen ist, können Sie selbst an einem lungen gibt, werden sie erwähnt. „normalen“ EKG überprüfen. Das heißt umgekehrt, Ich wünsche Ihnen viel Freude bei der Arbeit mit dass Sie dann bereits wissen, welche morpholo- diesem Buch! gischen Kriterien erfüllt sein müssen, um ein EKG Kapitel 1 Elektrophysiologische Grundlagen Um die Elektrokardiographie wirklich zu verstehen, tes wird aus der Null-Position in eine Richtung aus- muss man sich zunächst an ein paar Erkenntnisse schlagen (›Abb. 1.1 b–d). der Elektrophysiologie erinnern, die Sie alle einmal Potentialdifferenz hat Elektronenfluss zur Folge. in den vorklinischen Semestern gelernt haben. Da- Wo Elektronen fließen, spricht man von „Strom“. bei können wir uns auf die Rekapitulation einiger Anstatt von einer Potentialdifferenz zu sprechen, die weniger Grundphänomene beschränken. Wir tun mit Beginn der Zellerregung messbar wird, kann dies am Modell einer einzelnen Herzmuskelzelle. man also auch von einem Strom sprechen, der wäh- Wie jede vitale Zelle, so trägt auch die Herzmus- rend der Erregung fließt. Der gebräuchliche Aus- kelzelle im Ruhezustand an der Außenseite ihrer druck, da er ja nur bei „Aktion“ der Zelle fließt, ist Zellmembran positive Ladung in gleichmäßiger Ver- „Aktionsstrom“. Um Ihr Interesse wachzuhalten, teilung. Dieser steht intrazellulär die gleiche Menge greife ich etwas vor: Der Aktionsstrom bzw. die Po- negativer Ladung gegenüber. Dieses Ladungsun- tentialdifferenz, die bei jeder Herzaktion auftritt, ist gleichgewicht zwischen extra- und intrazellulär wird das, was wir mit der Elektrokardiographie messen durch komplexe Mechanismen der Zellmembran und registrieren wollen. Es wird sich also lohnen, die aufrechterhalten. Wir sagen, die Zellmembran sei Charakteristika des Aktionsstroms näher zu be- im Zustand der Ruhe polarisiert. trachten. Wir können unsere weiteren Überlegungen auf die Außenseite der Zellmembran beschränken; intrazellu- lär läuft das elektrische Geschehen spiegelbildlich ab. Charakteristika des Aktionsstroms Stellen wir uns vor, wir könnten an den Punkten A und B der Zelloberfläche Elektroden anbringen, Betrag des Aktionsstroms die wir mit einem Gerät verbinden, das kleinste Po- tentialdifferenzen zwischen A und B registrieren Der Betrag des Aktionsstroms, seine „Größe“ (in kann. Die in Ruhe gleichmäßige Ladungsverteilung den Abbildungen durch die Länge eines Pfeils sym- hat zur Folge, dass zwischen A und B in Ruhe keine bolisiert) hängt ab vom jeweiligen Verhältnis von Potentialdifferenz besteht, unser Messgerät also in erregtem und noch nicht erregtem Zellbezirk. Er der Null-Position steht (›Abb. 1.1 a). wird sich also während des Erregungsablaufs stän- Wird diese Zelle nun an einer Stelle, wodurch dig ändern: Er wird am größten sein, wenn gerade auch immer, erregt, dann bedeutet das elektrophy- so viel Elektronegativität wie Elektropositivität auf siologisch, dass an dieser Stelle die „Ruhepositivität“ der Zellmembran vorhanden ist, die Zelle also gera- in „Erregungsnegativität“ umschlägt. de zur Hälfte erregt ist (›Abb. 1.1 c). Schreitet die Erregung weiter fort, ist also mehr Elektronegativi- MerKe tät als Elektropositivität auf der Zelloberfläche, dann Wir merken uns das sog. bioelektrische Grundgesetz: Be- sinkt die Potentialdifferenz zwischen unseren Mess- reits erregter Muskelbezirk verhält sich gegenüber noch punkten und damit auch der Betrag des Aktions- nicht erregtem Muskelbezirk elektronegativ. stroms. Der Zeiger unseres Messgerätes wird sich wieder zurück in Richtung der Null-Position bewe- Zwischen den Messpunkten A und B besteht nun ei- gen. Der Pfeil als Symbol des Aktionsstroms wird ne Potentialdifferenz. Der Zeiger unseres Messgerä- immer kleiner werden. 2 1 Elektrophysiologische Grundlagen SpecialChar_Roman_8pt Ist die Zelle vollständig erregt, vollständig depola- Depolarisation Repolarisation SpecialCar_Roman_6pt risiert, finden wir auf der Zelloberfläche ausschließ- lich gleichmäßig verteilte Elektronegativität. Folg- SpecialChar_Bold_8pt 1 lich besteht auch keine Potentialdifferenz zwischen ++++++ –––––– SpecialChar_Bold_6pt den Punkten A und B, und es fließt auch kein Akti- A B A B onsstrom mehr. Unser Messgerät ist in die Null- a f Position zurückgekehrt (›Abb. 1.1 e). Wir spre- chen von vollständiger Depolarisation. Das klingt merkwürdig: Zum Zeitpunkt der maximalen, gleich- ––++++ +–––– – A B A B mäßigen Erregung herrscht die gleiche „elektrische Ruhe“ wie vor Beginn der Erregung. b g Dieser Augenblick im ungestörten Ablauf der Herzmuskelerregung spielt in der Elektrokardiogra- –––+++ +++––– A B A B phie eine große Rolle: Im EKG ist es die isoelektri- sche ST-Strecke, die diesen kurzen Augenblick re- c h präsentiert. Das ST-Segment werden Sie als emp- findlichen Indikator für fast alle Störungen des Erre- gungsablaufs kennenlernen. A –––––+ B A +++++– B d i Richtung des Aktionsstroms Die Richtung, in die der Aktionsstrom fließt (in den –––––– ++++++ A B A B Abbildungen durch die Pfeilspitze gekennzeichnet), ist sein zweites Charakteristikum. Hier gilt die strik- e j te Regel: Er fließt immer von bereits erregtem (schon elektronegativem) Muskelbezirk zu noch nicht er- = kein Stromfluss regtem (elektropositivem) Muskelbezirk. Abb. 1.1 Depolarisation und Repolarisation. a Vor Beginn der Depolarisation. b Beginn der Depolarisation. MerKe c Hier ist die Zelle bereits zur Hälfte erregt, zur Hälfte noch Der Aktionsstrom fließt immer von erregtem (elektrone- unerregt. gativen) zu nicht erregtem (elektropositivem) Muskelbe- d Die Zelle ist jetzt nahezu vollständig depolarisiert. zirk. e Zeitpunkt der vollständigen Depolarisation. f Zustand der vollständigen Depolarisation. Es ist von entscheidender Bedeutung für das Ver- g Beginn der Repolarisation. h Der Augenblick, in dem die Hälfte der Zelle repolarisiert ist. ständnis der EKG-Kurven, sich das Wechselspiel i Mit fortschreitender Repolarisation nimmt der Betrag des von Betrag und Richtung des Aktionsstroms wäh- Aktionsstroms weiter ab. rend des Erregungsablaufs klarzumachen. Am Mo- j Vollständige Repolarisation. dell der Einzelzelle wollen wir an fünf Abbildungen zunächst den ersten Teil des Erregungsablaufs, die Depolarisation, darstellen (›Abb. 1.1 a–e). Wir sind damit an den Ausgangspunkt zurückge- Eine vitale Zelle kann und darf nicht depolarisiert kehrt, ein neuer Depolarisations-Repolarisations- bleiben. Sie ist in der Lage, sich zu „repolarisieren“, zyklus kann beginnen. Welche Ionenverschiebungen das heißt, nach und nach auf der Außenseite dabei eine Rolle spielen, ist für das grundsätzliche der Zellmembran wieder Elektropositivität her- EKG-Verständnis zunächst unwichtig. zustellen, bis die Ausgangssituation wieder er- Einen wichtigen Unterschied zwischen De- und reicht ist. In ›Abbildung 1.1 f–j ist die Repolarisa- Repolarisation können wir uns aber schon jetzt mer- tion analog zur Depolarisation schematisch darge- ken: Während die Depolarisation sehr rasch nach stellt. dem „Alles-oder-nichts-Prinizip“ abläuft, einer La-

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