UPLOADED BY "What's News" vk.com/wsnws TELEGRAM: t.me/whatsnws DIE ZEIT PREIS DEUTSCHLAND 5,50 € W O C H E N Z E I T U N G F Ü R P O L I T I K W I R T S C H A F T W I S S E N U N D K U L T U R 16. APRIL 2020 No 17 Das neue Normal ENDLICH FREI! Wie sich die Welt am 8. Mai 1945 veränderte – eine neue ZEIT-Serie Dossier, Seite 11 Pinsel raus Kinder malen zu s«) Corona – auf der u en ganzen Welt V er d urt LEO-Kinderseite, S. 40 b e G elli, » c Home-Cooking otti B o dr n a S n o v al Die schrittweise Lockerung der Verbote spaltet das Land: Wer darf jetzt n gi Ori u ( wieder loslegen, und wer muss warten? Werden die Älteren benachteiligt? et Cr n a bild: D Und was wollen nun die Lehrer tun? SEITE 2, 4, 25, 48, 63 el Tit Die besten Rezepte FINANZHILFEN FÜR SÜDEUROPA STRATEGIEN GEGEN CORONA unserer Lieblingsköche Außen kalt Vertrauensfrage zum Selberkochen Magazin Die Deutschen können warm und solidarisch sein – sie müssen Das Virus stellt auch Autokraten vor ungeahnte Probleme – denn es aber auch zeigen, sonst zerbricht Europa VON BERND ULRICH plötzlich schauen die Menschen anders auf die Politik VON JÖRG LAU PROMINENT IGNORIERT W E enn es stimmt, dass diese Küche, seine Eleganz oder seinen Humor wie ine Deutung der Corona-Weltkrise gen in liberalen Demokratien, sie sind konkur- vermaledeite Krise immer andere, richtige Nationen, sondern über seinen: geht so: Es handele sich um einen renzlos handlungsfähig. Das Virus verstärkt eine neue Wahrheiten hervor- Fleiß. Wie so prüde Calvinisten. Dabei gibt es hier- Wettbewerb zwischen autoritären autoritäre Tendenz, die vor seinem Ausbruch da treibt, dann muss das auch zulande kaum Calvinisten. und freiheitlichen Lösungen. Ziem- war, auch in manchen Demokratien, wo sich für Deutschland gelten. Tatsächlich hat sich der Fleiß nicht über die lich oft scheinen die Autoritären in Präsidenten jetzt mit Kriegsrhetorik aufpumpen. Und seine Rolle in Europa. Religion ins Zentrum der deutschen Identität der Vorhand, eher selten die libera- Es lohnt allerdings, auf die Gegenbewegun- Wahr ist zunächst, dass es derzeit viel Corona- gearbeitet, sondern über die Geschichte. Nach len Demokratien. So handlich dieses Beobach- gen zu achten, die in diesen Tagen sichtbar wer- Solidarität unter den Deutschen gibt. Jedenfalls dem letzten Krieg gab es nämlich keine Identität tungsschema auch sein mag: Es führt in die Irre. den. Donald Trump sieht sich mit dem Wider- außerhalb von allzu verführerischen sonnigen mehr, es gab nur Arbeit, Arbeit, Arbeit (und Der politische Kampf gegen die Seuche wird stand zahlreicher Bundesstaaten konfrontiert. Ostertagen. Wahr ist aber leider auch, dass die natürlich: Belohnung, Belohnung, Belohnung), überall auf der Welt mithilfe von drei knappen Der Präsident verfüge keineswegs über »totale Katzenkomet nach innen eher solidarischen Deutschen von die treibende Tugend für den ökonomischen Ressourcen geführt: Kompetenz, Solidarität, Ver- Autorität« (Trump), auch nicht in der aktuellen außen, besonders aber von Süden her als äußerst und moralischen Wiederaufstieg war der Fleiß. trauen. Alle politischen Systeme sind angesichts Notlage, hielt ihm der New Yorker Gouverneur hartherzig wahrgenommen werden. In Rom wird Man könnte das als harmlose Schrulle eines der tödlichen Gefahr für das Überleben ihrer Cuomo entgegen: Erst habe er zu lange gezögert, Der Ende 2019 entdeckte Komet die deutsche Botschaft wohl nur deswegen nicht sonst recht freundlichen Volkes abtun, wenn die Bürger auf diese kostbaren Bestandteile angewie- Richtlinien zum Herunterfahren der Wirtschaft Ce2019 Y4 (»Atlas«) ist das Bruch- attackiert, weil dort niemand gegen die Ausgangs- Deutschen ihr Fleiß-Ding nicht immer mal wieder sen. Sie werden global benötigt, um die beispiel- zu geben, nun wolle er das Land mit einem stück eines Kometen, der vor 5000 sperre verstoßen möchte, bloß um den verhassten auch an anderen ausagieren müssten. Weil der losen Einschränkungen des gesellschaftlichen Federstrich vorzeitig wieder hochfahren. Die Jahren zerbrach. Er wird Ende Mai Deutschen ein paar Scheiben einzuschmeißen. Erfolg der Deutschen sich in ihren Augen aus dem Lebens durchzuhalten. Der Wettbewerb um die- Gouverneure hatten Schulen und Betriebe ge- am Himmel nahe des Sternbildes Innen warm, außen kalt, woran liegt das? Um Fleiß erklärt, muss sich der Misserfolg der anderen se seltenen Erden des Politischen verläuft darum schlossen, als Trump das Virus noch verharmlos- Giraffe zu sehen sein. Man weiß es es vorweg zu sagen: nicht an den undankbaren aus Faulheit ableiten lassen. Darum also: keine quer zu dem Schema Diktatur gegen D emokratie te. Jetzt stellen sie sich gegen den Präsidenten, aber nicht genau, denn Kometen Italienern, Spaniern, Franzosen oder Griechen. Solidarität ohne Tadel, kein Handschlag ohne –und sein Ausgang ist durchaus offen. weil sie um Leib und Leben ihrer Bürger fürch- sind – so der Astronom David Levy Es liegt an ein paar anderen Wahrheiten. Zum Zeigefinger, keine Corona-Rettung ohne ESM. Ja, es gibt derzeit autoritäre Herrscher, die durch ten, wenn Trump den Shutdown zu früh been- – wie Katzen: Sie haben einen Beispiel an der, dass es für eine Exportnation wie Gut, jedes Volk hat unangenehme Eigenschaf- zupackende Daseinsvorsorge Zustimmung gewin- det. Ihre Umfragewerte steigen, seine fallen. Schweif und tun, was sie wollen. Es Deutschland in einem europäischen Währungs- ten, und Identität, zumal nationale, kommt ohne nen. Könnte man in China verlässlich die öffentliche Der Kampf geht mitten durch viele (noch) kommt hinzu, dass nachts viele verbund kein außen gibt. Geht es beispielsweise ein bisschen Borniertheit nun einmal nicht aus. Meinung messen, würde das wahrscheinlich heraus- freie Gesellschaften hindurch: Gegen den brasi- Katzen grau sind. GRN. den Italienern für eine kurze Weile ein bisschen Doch jetzt ist Schluss mit lustig. Diese Corona- kommen. Es gibt auf der anderen Seite demokra- lianischen Präsidenten Jair Bolsonaro, der die schlecht, dann schlägt das kaum auf die deutsche Krise wird das Schicksal der EU entscheiden, es tisch gewählte Regierungen, die durch Inkompetenz Pandemie als »kleine Grippe« verniedlichte, Kleine Bilder (v. o.): Jean-Philippe Charbonnier/ Wirtschaft zurück. Geht es ihnen jedoch für lange geht, man sagt das nicht gern: um alles. Und wenn ihre Legitimation verspielen (und umgekehrt). Aber rebellieren ebenfalls die Gouverneure. Sie rufen Rapho; icon-icons; Silvio Knezevic; Daniel Geb- hart de Koekkoek Zeit sehr schlecht, dann kann die deutsche Export- dies eine so einzigartige Krise ist, dann kann sie die Sache ist komplizierter, als es die zunehmend die Bewohner ihrer Bundesstaaten auf, dem Prä- weltmeisterei einpacken. nur überwunden werden, wenn alle Beteiligten – populäre Idee von einem neuen Kalten Krieg zwi- sidenten nicht zu folgen. Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG, 20079 Hamburg gerade die mächtigsten – etwas machen, was sie schen freien und unfreien Gesellschaften nahelegt. Auch andere eben noch starke Männer sind in Telefon 040 e 32 80 - 0; E-Mail: Sehr merkwürdig, dieses Land. Man kann vorher noch nie gemacht haben. Das wäre im Not: Wladimir Putin wollte über Verfassungsände- [email protected], [email protected] es nur verstehen, wenn man Deutscher ist Falle Deutschlands: das ökonomisch Vernünftige, Die Pandemie bietet eine Gelegenheit für rungen abstimmen lassen, die es ihm ermöglichen ZEIT ONLINE GmbH: www.zeit.de; politisch Gebotene und moralisch Erwünschte tun Tyrannen und solche, die es werden wollen würden, über das Ende seiner Amtszeit hinaus – ZEIT-Stellenmarkt: www.jobs.zeit.de Warum sich die deutsche Regierung trotzdem noch –und dabei auf Fleißkärtchen-Spiele verzichten. vorerst bis 2036 – an der Macht zu bleiben. Nun immer weigert, mit Corona-Bonds für die Schulden Zumal die ach so liederlichen Italiener diesmal Notstandszeiten sind – so lautet ein zutreffendes steigen die Infektionszahlen, die Abstimmung ist ABONNENTENSERVICE: der anderen mit einzustehen und sie dadurch billi- nicht schuld sind. Wirklich nicht. Vorurteil – die Stunde der Exekutive. Das Pri- auf unabsehbare Zeit verschoben, und Putin Tel. 040 e 42 23 70 70, Fax 040 e 42 23 70 90, ger zu machen, hängt mit einer weiteren Wahrheit Dies ist nun die Stelle für den AfD-Einwand. mat der Letzteren ist nicht per se problematisch. kämpft gegen einen Feind, den weder Desinforma- E-Mail: [email protected] zusammen. Um die Südeuropäer vor dem Kollaps Ja, sicher, wenn Deutschland sich von seiner Doch die Corona-Pandemie bietet willkommene tion noch Hyperschallwaffen besiegen können. zu bewahren, besteht Deutschland darauf, den aus Fleiß-Prätention verabschiedet, werden sich eine Gelegenheiten für Tyrannen und solche, die es Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan PREISE IM AUSLAND: der Griechenland-Krise stammenden ESM-Fonds Reihe von Wählerinnen und Wählern um die werden wollen. Reale Gefahren werden zum hatte lange einen Bogen um eine allgemeine Aus- DK 58,00eFIN 8,00eE 6,80e zu nutzen. Der wiederum ist bei den Italienern mit Früchte ihrer Arbeit und ihrer Sparguthaben Vorwand, die Gewaltenteilung zu schwächen, gangssperre gemacht, mit Blick auf die Wirt- CAN 7,30eF 6,80eNL 6,00e A 5,70eCH 7.90eI 6,80eGR 7,30e Spar- und Erziehungsmaßnahmen verknüpft, betrogen fühlen. Nicht ganz zu Unrecht. Aber die Opposition auszuschalten, Minderheiten als schaft. Dann wurde sie angesichts steigender B 6,00eP 7,10eL 6,00eH 2560,00 Schuldenerlass nur gegen Schuldeingeständnis. Mit was hilft es, wenn Europa in wirtschaftliche Sündenböcke zu brandmarken, Medien zu Infektionen urplötzlich am Wochenende ver- o anderen Worten: Deutschland würde zwar helfen, Depression und in politische Wut verfällt? Zah- regulieren und ungeahnte Machtbefugnisse in hängt, worauf sich Tausende zu Hamsterkäufen N 17 aber so, dass es dafür gehasst wird. Sehr merkwür- len tun die Deutschen jedenfalls auch, wenn der Exekutive zu konzentrieren. Beispiele für aufmachten – und genau die Menschentrauben dig, dieses Land, man kann so etwas praktisch nur Deutschland seine guten Taten von der EZB via solche Mitnahmeeffekte gibt es dieser Tage zu- bildeten, die vermieden werden sollten. verstehen, wenn man Deutscher ist. ESM vollbringen lässt. Das ist nämlich noch hauf – in Indien, Brasilien, Ägypten. Aber auch Die Krise wirbelt die geopolitische Konfron- 75. JAHRGANG C 7451 C Deutschland ist nämlich – lang gehütetes eine Wahrheit dieser Krise: Auch auf diesem in unserer Nachbarschaft, in Polen oder Ungarn. tation zwischen Freiheit und Despotie durch- Geheimnis – keine Nation, sondern eine Sekte. Wege werden die Deutschen so lange zahlen, bis In der Not scheinen Staaten ohne (oder mit einan der. Ein neuer Wettbewerb hat begonnen, Jedenfalls in dem Sinne, dass es sich nicht über Italien gerettet ist. eingeschränkter) Gewaltenteilung zunächst im um ein besonders knappes Gut: Vertrauen. 17 seine großartige Geschichte definiert, wegen na, Vorteil. Die Machthabenden dort müssen vom Sie wissen schon, auch nicht über seine einziga rtige A www.zeit.deeaudio Durchregieren nicht nur träumen wie ihre Kolle- A www.zeit.deeaudio 4 190745 105507 UPLOADED BY "What's News" vk.com/wsnws TELEGRAM: t.me/whatsnws 2 POLITIK TITELTHEMA: WEGE AUS DER CORONA-KRISE Die Exitstrategen Zurück zur politischen Routine: Wie die Debatte um das Ende der Corona-Maßnahmen den Machtkampf in der CDU befeuert VON MARIAM LAU E rst mal mehr Masken, mehr NRW nicht eng auf den Rat von Virologen be- Natürlich ist diese Zustimmung von diversen höchst ungeliebte Ober-Exekutor des Regierungs- Tests, mehr Handy-Tracking schränkt (anders als, angeblich, die Bund es regie- Kommentatoren als Lämmergehorsam, als deut- willens Olaf Scholz. Die CDU-Vorsitzende Anne- – der Weg zur Normalität rung), sondern ein großes, offenes Gesellschafts- scher Untertanengeist denunziert worden. Aber der gret Kramp-Karrenbauer blickt auf die aktuellen bleibt auch in Corona-Lock- gespräch führt. Es legte nun erste Vorschläge für Staat, der einem dieser Tage in Gestalt des Corona- Umfragewerte ihrer Partei von 38 bis geradezu down-Woche vier noch weit. eine schrittweise Rückkehr in die »verantwort- Kabinetts praktisch täglich entgegentritt, wirbt sagenhaften 40 Prozent allerdings mit einer gewis- Aber mit dem Ausblick auf bare Normalität« vor, ohne allerdings ein Datum offen, fast bibbernd, um die Kooperation Erwach- sen frohlockenden Grundskepsis. Schön – aber wie den »Exit« springt nun die zu nennen. Zur Geste des offenen Gesprächs sener, ohne die es schlicht nicht geht, statt durch- stabil das ist, werde sich erst zeigen, wenn alles politische Debatte wieder an, wollte aber das von der schwarz-gelben Landes- zuregieren. Er beruft sich nicht auf Macht, sondern vorbei ist. langsam und stotternd, jedoch unüberhörbar. regierung mit heißer Nadel gestrickte Infekti- auf Christ ian Drosten, der keine haben will. Nichts Wie sehr die Corona-Krise die CDU an die Politik in Notstandszeiten – das erinnert an das onsschutzgesetz nicht recht passen, das ihr weit- ist für diese Lage so charakteristisch wie das Coro- eigenen Fehler in der Flüchtlingskrise erinnert, Gesellschaftsspiel »Orangentanz«: Paare sollen gehende Möglichkeiten zur Zwangsverpflich- na-Papier aus dem Bundesinnenministerium, das wird nicht erst durch den Film Die Getriebenen zwischen ihren Stirnen eine Orange balancieren, tung medizinischen Personals geboten hätte und zum Missfallen des Kanzleramts und des Gesund- klar, der in dieser Woche ausgestrahlt wurde. ohne die Hände zu benutzen, und dabei gleich- keine zeitliche Befristung der Maßnahmen vor- heitsministers vor zwei Wochen an die Öffentlich- Es sollen Kanzleramtschef Helge Braun und zeitig tanzen. Viel Spielraum für kühne eigene sah. Nach heftigen Protesten im Landtag musste keit drang (»Wie wir Covid-19 unter Kontrolle Kramp-Karrenbauer gewesen sein, die eine zu- Einlagen, für gewagte Ausfallschritte gibt es da Laschet es zurücknehmen. Seinem Interview- bekommen«). Dessen Kernbotschaft war: Erzählt nächst widerstrebende Angela Merkel zu dem nicht. Man muss eng zusammenbleiben, die zwei Satz »Charakterstärke und Seriosität waren noch den Leuten keinen Bull shit. Sagt ihnen, was da auf gedrängt haben, was nun alle paar Tage im Fern- beim Tanzen – wie jetzt die vielen in der Politik. nie so gefragt wie jetzt« könnte eine lange Halb- sie zukommt, nehmt dabei kein Blatt vor den sehen zu sehen ist: die Bundeskanzlerin mit der Und dort erst recht, wenn man in derselben wertszeit beschieden sein. Mund. Redet so ein Nanny-Staat? Viele Bürger seit Jahren erfolglos eingeklagten Blut-Schweiß- Partei ist. Doch bewegen muss und-Tränen-Rede. »Herkules- man sich trotzdem, das hier ist Aufgabe«, »Tag und Nacht nach- schließlich eine freie Gesellschaft. denken«, »Ich kann Ihnen ver- Aber jeder falsche Schritt kann im sprechen« – das wollte sie nie, das Wortsinn lebensgefährlich sein. ist nicht der Merkel-Sound, wie An niemandem wird dieses Di- man ihn kennt. Aber in Merkels lemma derzeit so deutlich wie an Umfeld war man überzeugt: Armin Laschet. Diesmal wird es nicht reichen, Der nordrhein-westfälische sich in der Talk show den Fragen Ministerpräsident möchte CDU- einer Journalistin zu stellen. Wär- Vorsitzender und vor allem Bun- me, Warnung, Wissenschaft – deskanzler werden – darf aber das ist jetzt die Mischung. Keine derzeit nicht drüber reden (»in- Kriegserklärung an das Virus, um teressiert doch keinen«). Er steht die Nation hinter sich zu scharen, Angela Merkel, der Frau, der er sondern ein tastender Verweis, nachfolgen möchte, politisch zuletzt in Merkels Osterbot- nahe, muss sich aber dringend schaft, auf die Experten von der von dem Verdacht freischwim- Leopoldina, die zu Wochen- men, er sei nur einfach mehr beginn erste Hinweise auf die vom Gleichen. Nachdem ihm Bedingungen für eine Lockerung der bayerische Ministerpräsident gaben. Wissenschaft übrigens, Markus Söder in Sachen Lock- die ihre Meinung diverse Male down-Konsequenz in der öf- geändert hat, die mit ein an der fentlichen Wahrnehmung den debattiert, sich hinterfragt und Schneid abgekauft hat, soll es nun dann auch mal revidiert – von die Exitstrategie sein, mit der wegen »Hygiene-Diktatur«. An- Laschet in Vorhand kommen gesprochen auf die »Denkverbo- will. Wiederauferstehung nach te«-Kritik von Laschet, antworte- Ostern, Freiheit, Unverwundbar- te die Kanzlerin knapp: »Natür- keit, Rettung der Einsamen und lich kann man darüber sprechen.« des Einzelhandels – man versteht Aber als Bundeskanzlerin habe sofort, was in dem Thema poli- sie »bei allem Respekt vor jeder tisch so alles steckt. Aber es läuft Meinung, wir sind eine freiheitli- nicht immer rund für Armin La- che Gesellschaft!«, eine »überge- schet. Er sagt: »Denkverbote hel- ordnete Verantwortung«. Die fen nicht weiter«, und deutet einen haben eine Meinung, die damit an, die Bundesregierung anderen eine Verantwortung. unterdrücke das gemeinsame Speak softly and carry a big stick – Grübeln über die Folgen der sprich sanft, aber trage einen massiven Einschränkung von großen Knüppel. Grundrechten. Erinnerungen an Die CDU-Parteispitze beobach- die Flüchtlingskrise werden wach, tet an den Deutschen im Lock- in der man sich zu spät der Kritik down zwar eine gewisse Begeiste- geöffnet habe. Fragt man aber im rung für testosterongesättigte Poli- Kanzleramt, bei Mitgliedern der tik, siehe die außerordentlich guten Ministerpräsidentenkonferenz Werte für den Mann, der »Södern oder im CDU-Präsidium nach, er statt Zögern« zu seinem Marken- kann sich keiner daran erinnern, witt kern gemacht hat. Aber am liebsten T dass Laschet Gesprächsbedarf in o: hätte es das Volk, so wird die ot Sachen gesellschaftliche Kosten F Stimmungslage im Adenauer-Haus von Grundrechtseinschränkun- gelesen, wenn noch eine Frau da gen angemeldet hätte. Laschets wäre, die am Ende des Tages ein Modellprojekt Heinsberg – eine wenig Ruhe reinbringt. Studie auf dem »Ground Zero« der Corona- Die Exitstrategie wird nicht nur von Armin Wie hält man den Abstand? scheinen die unverhohlen geäußerte Hauptangst In verschiedenen Artikeln kann Annegret Pandemie in Deutschland – sollte eigentlich die Laschet politisch aufgeladen. Vorwürfe von der Gesundheitsminister der Bundesregierung zu teilen: dass man zu früh Kramp-Karrenbauer jetzt lesen, mit ein biss- wissenschaftlichen Argumente und Bel ege zur »Hygiene-Diktatur« oder einem angeblich Jens Spahn (hinten links) aufmacht. Dass viele das dann mit dem Leben chen Geduld hätte sie einfach auf ihrem Platz Lockerung liefern, und das stand auch schon durch die Bundesregierung verhängten »Maul- beim Besuch werden bezahlen müssen. Und dass man dann an der Spitze der CDU bleiben können. Wer von Anfang an fest, war quasi der von Laschet korb«, während die Debatte längst in vollem der Uni-Klinik Gießen wieder zurückmüsste in den Lockdown – und das denkt denn jetzt noch an Erfurt, Kramp-Kar- zum Projektstart formulierte Arbeitsauftrag. Gange ist, werden laut, von links und von Vertrauen verspielt hätte. Die Bürger folgen übri- renbauers Problem mit der Thüringer CDU- Aber als das Forscherteam unter Leitung des rechts. Einen »Polizeistaat« gar sehen Autoren gens weder blind noch gehorsam der Regierung. Fraktion? Aber »mein Entschluss steht fest«, Bonner Virologen Hendrik Streeck in halsbre- heraufdämmern, die beim Spaziergang Men- Das verrät die eher zögerliche Bereitschaft, die ei- sagt AKK am Telefon. Sie hat abgeschlossen cherischem Tempo am vergangenen Donnerstag schen in grünen und blauen Uniformen oder genen Daten für ein Handy-Tracking zur Verfü- mit dem Thema Kanzlerkandidatur, mit politi- nach nur zwei Wochen Arbeit einen ersten Zwi- Ermahnungen zum Abstandhalten aus Drohnen gung zu stellen, mit dem es etwa Südkorea gelun- schen Hauptstadt-Manövern. Das wiederum schenstand vorlegte, wurden Stunden später aus zur Kenntnis nehmen müssen. Einen unkon- gen ist, die Pandemie in Schach zu halten. gibt ihr als Vereidigungsministerin – ein Pos- Wissenschaftskreisen heftige Zweifel an der Zu- trollierbaren Anstieg häuslicher Gewalt, eine Für die Union haben die vergangenen Wochen, ten, auf dem sie sich wohl durchaus eine zweite verlässigkeit der verwendeten Tests, der Auswahl Revolution der Mittelschicht – viele verraten in so zynisch das klingt, wie ein Jungbrunnen gewirkt. Runde vorstellen könnte – die Freiheit, zu agie- der Testpersonen und am gesamten Prozedere diesen Tagen, was sie den Nachbarn in ihren Denn es ist ja nicht nur so, dass »die Krise die Exe- ren, ohne dass jeder ihrer Schritte auf Kanzler- laut (siehe auch S. 26; eine gute Übersicht liefert vier Wänden alles so zutrauen. Aber nicht die kutive stärkt«, wie es derzeit immer heißt. Eine tauglichkeit geprüft wird, wie es derzeit Armin zudem die Web site Science Media Center.org, schrillen Töne sind das Bemerkenswerte an der Partei muss das Exekutive auch an sich gut finden Laschet erfährt. Wie der Rest des Kabinetts auf der der Virologe Chris tian Drosten und der aktuellen Stimmung, sie gehören eher zur Rück- – es stößt aber in fast allen Parteien außer CDU wird auch die Bundeswehr im Wesentlichen Epidemiologe Gérard Krause zu Wort kom- kehr der politischen Routine. Überraschend ist und CSU eher auf ein gewisses Grundmisstrauen. aus dem Homeoffice regiert: Quarantäne orga- men). Zur Kritik an der Studie wollte sich die vielmehr das ungeheure Vertrauen, das eine an- »Wir« sagen, wenn man Deutschland meint; in das nisieren für Soldaten, die in Jordanien statio- Staatskanzlei in Düsseldorf auf Nachfrage nicht geblich der Politik entfremdete und mit ein an- gesellschaftliche Regelwerk und den privaten Ha- niert sind. Im Blick haben, dass deutsche Sol- äußern. der in Feindschaft verkeilte Öffentlichkeit in das bitus eingreifen – die Corona-Message mit ihrer daten in Mali in Corona-Zeiten ein Risiko für Ein Expertengremium, in dem der Soziologe derzeitige Regierungshandeln setzt: 90 Prozent geistig-moralischen Wende passt nicht zu den die dortige Bevölkerung darstellen – in Um- Armin Nassehi, der frühere Verfassungsrichter der Deutschen stimmen laut aktuellem Politba- meisten Politprofilen. Kein Wunder, dass in diesen kehrung der Wahrnehmung in der Flüchtlings- Udo Di Fabio, die Medizin-Ethikerin Christiane rometer dem Lockdown zu, eine große Mehr- Tagen derjenige Sozialdemokrat am besten an- krise, wo immer von den aus Afrika lauernden Woopen und andere fachübergreifend nach Lö- heit ist dafür, die Maßnahmen weitgehend auf- kommt, der am wenigsten an seinem großkoalitio- Gefahren für Europa die Rede war. Hilfe im sungen fahnden, sollte zeigen, dass man sich in rechtzuerhalten. nären Dasein leidet: der in den eigenen Reihen Innern organisieren, Nato-Schalten koordinie- UPLOADED BY "What's News" vk.com/wsnws TELEGRAM: t.me/whatsnws POLITIK 3 16. APRIL 2020 DIE ZEIT No 17 Und was ist mit dem Klima? Die Corona-Krise hat die Ökologie vorerst verdrängt. Aber das muss nicht so bleiben VON PETRA PINZLER mKsrceahninre.r inesVnt eoZbrnua n usieaecimrnh, temasmu ezf nu dh dsraepolrüth srEe ensbnede.i ne, nes odE ebnred rVeic ehdrtteeesit d eKiugruraonmpgäpsi--- EsSdle tigeilt hl.We aI tne ltNü sbigeceewhr- nnGwaeeecrld thA,a CnnBksoupernnroad nbceahes weetri enaagimene aen Onr idnsJetozerwgeri sis asecLmihnöse.wt nÄa g hsf:oon Dgrlmiacireh u deWlii ebee reFltdteu r wßüsbecerakindltleee- Agssicenlhrtdeuen.nn , g WSw cdeähilhelzurjeeesrnns ,ida geb erde nisre c thkKrreolefimfimbemnta kitmw rizes usretd emere,nii nt:d eWeimein e hiigloe eudprtte eiVrm eUjruiszmntöig--- KuSbtenlaiidsamp tn,ai eaazlbcisehwelr eed iieensire n d Kheüarnbil stVeeer en zr.web iDäannrea d mhemeönr go wdldiiücsekhnrnusstcet ih veiAerentbl m wGsiaerean lsdc ihkc vephour miätne- uvaRhdBunuuzsTsSSlepgtsKddnzndg»sFwn»mnvd»SnmpksddssGRdmdCnkKhgzwVttzWtldugnSwmegCsprwgMieoiciiewleieoueiuuGsDVenuäeotueöneanniireeaeeceauleleiaaeeceeeueeeceeacenlteognooeohotoicnnoaiu 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APRIL 2020 DIE ZEIT No 17 TITELTHEMA: WEGE AUS DER CORONA-KRISE In der Altersfalle Für gefährdete Bevölkerungsgruppen könnte es noch lange Einschränkungen geben – das wird für Streit sorgen VON HEINRICH WEFING M it bemerkenswerter Gelas- pischer Gedanke des Sozialstaats: Wie sich der Einzel- ihren Familien, in die Einsamkeit gleitend, an der markt einkaufen dürften. Und so weiter. In euro- senheit hat sich Deutsch- ne verhält, hat Folgen für die Gemeinschaft. Deshalb Einsamkeit leidend, womöglich sterbend. päischen Nachbarländern gibt es das bereits, in land in den vergangenen kann die Gemeinschaft auch Erwartungen an den Und nicht zuletzt 17 Millionen Wählerinnen und Polen beispielsweise dürfen jeden Tag zwischen 10 Wochen in einen Ausnah- Einzelnen formulieren. Wähler, eines der stärksten Stimmenreservoirs der und 12 Uhr nur Menschen über 65 Jahren einkaufen. mezustand versetzen lassen. Tatsächlich scheint ja bei aller Ungewissheit über Union. 17 Millionen Bürgerinnen und Bürger, von Das funktioniert alles in allem gut, nur vereinzelt Daraus wieder herauszufin- das Virus festzustehen, dass Menschen über 75 Jahren denen viele zu den »Altachtundsechzigern« zählen, kommt es zu Kritik, aber den Sinn der Regel stellt den, das wird womöglich besonders gefährdet sind. Unter den Covid-19-Toten groß geworden mit Protesten und in einer gewissen kaum jemand in Frage. deutlich komplizierter – sozial, ökonomisch und sind viele im Alter zwischen 80 und 89, das mittlere Widerspenstigkeit. Da könne es erhebliche »Reni- In einem bemerkenswerten Aufruf versprachen am politisch. Weil es noch lange dauern könnte, bis sich Alter der Verstorbenen in Deutschland liegt bei tenzpotentiale« geben, sagt ein Wissenschaftler, Osterwochenende mehrere prominente Senioren in der wieder so etwas wie ein Normalzustand einpendelt. 82 Jahren. Deshalb forderten bis vor Kurzem auch der die Bundesregierung berät. Gegen dieses Bild am Sonntag: »Wir bleiben zu Hause, damit die Und weil das neue Normal mit dem alten bestenfalls noch einflussreiche Politiker, die Isolation von Fünftel, auf Kosten dieser 17 Millionen, wird Jüngeren wieder arbeiten können.« Zu den Unterzeich- entfernt verwandt sein dürfte. Senioren und Gebrechlichen fortzusetzen, vielleicht keine Bundesregierung Politik machen. nern gehören der ehemalige Innenminister Otto Schily, Von einem »Exit« zu sprechen, sei eine »falsche über Monate, damit die Jungen und Gesunden Die Bundeskanzlerin hat deshalb einstweilen 87, die Merkel-Vertraute Friede Springer, 77, Alt- Perspektive«, warnt der Soziologe Heinz Bude, der möglichst bald wieder ihrer Arbeit nachgehen alle Überlegungen zu einer Differenzierung bischof Wolfgang Huber, 77, der Unternehmer Diet- zu den Beratern der Bundesregierung gehört. Es gehe und ihr Alltagsleben leben könnten. zwischen Alten und Jungen abgeräumt. In mar Hopp, 79, und der Verleger Hubert Burda, 80. vorerst nicht um die Erlösung von Fesseln, es gehe So sagte Bundesgesundheitsminis- einer Pressekonferenz unmittelbar vor Die Gesellschaft habe »Solidarität mit den Schwachen um »Transformation«, um erste Schritte in eine ter Jens Spahn (CDU) in der Ostern erklärte sie, das sei mit »Hu- und Alten« gezeigt. Jetzt sei es an diesen, »etwas von anders organisierte Gesellschaft. Und das dürfte ZEIT, man werde die Älteren manität« und ihren »Vorstellun- dieser Solidarität zurückzugeben«, damit »alle eine schwierig werden. »möglicherweise über meh- gen von unserer Gesellschaft Perspektive für die Zukunft« haben. Das wäre ein Denn mit einer bloß partiellen Öffnung sind viele rere Monate bitten nicht vereinbar«. Ähnlich mögliches Framing: kein Sonderopfer, sondern eine diffizile Gerechtigkeitsfragen verbunden: Warum müssen, ihre Kon- argumentiert die für Lastenteilung. Jeder trägt bei, was er kann. Was natür- müssen Abiturienten noch länger zu Hause bleiben, takte stark ein- Senioren zuständige lich leichter fällt, wenn man einen großen Garten hat. während ältere Grundschüler wieder in die Schule zuschränken Familienminis- Solidarität ist keine Frage des Einkommens, hat aber dürfen? Warum dürfen, willkürlich gewähltes Beispiel: und im terin Franzis- eben auch eine soziale Komponente. Kneipen wieder öffnen, aber Kitas nicht? Warum darf Einen wiederum anderen Weg schlägt der Pots- der Bäcker Brötchen verkaufen, der Buchhändler aber damer Soziologe Hans Bertram vor. Ältere müssten keinen Roman? Warum darf der eine schon wieder womöglich noch weit länger als Jüngere mit Kontakt- Geschäfte machen, während der andere in die Pleite beschränkungen leben, dem stimme er »vollständig« rutscht? Für fast jede Differenzierung lassen sich zu, sagt der renommierte Familienforscher – »obwohl Gründe finden, aber alle Unterscheidungen werden ich selbst ja auch davon betroffen wäre«. Bertram ist auch Spannungen und Streit provozieren. Jahrgang 1946. Aber man könne nicht mit Zwang Mit jeder spezifischen Lockerung geht etwas von operieren und dürfe sich auch nicht auf Appelle allein der groben Gerechtigkeit der allgemeinen Sperren ver- verlassen. Man müsse die Bekämpfung der Pandemie loren. Deren Merkmal ist: Sie treffen im Prinzip alle, möglichst bald »zurück ins Gesundheitswesen« ver- wenn auch nicht gleich hart. Das ist die Grundlage für lagern. Dort seien ja die allermeisten Älteren längst die Erzählung vom Zusammenstehen und Zusam- »präsent«, in den Patientenakten ihrer Hausärzte. menhalten, auch wenn die Solidarität aktuell gerade Bertram schwebt vor, dass die betreuenden Ärzte darin besteht, Abstand zu halten. Einzelnen Gruppen gemeinsam mit ihren Patienten je nach Alter, Vorer- rasch Erleichterungen zu verschaffen, anderen weiter krankungen und Konstitution individuell die Risiken Lasten aufzuerlegen, womöglich über Monate – das bewerten und ein Verhalten empfehlen. In der Regel, bedeutet ein Ende der großen Gemeinsamkeit. Einer so Bertram, hielten sich ja Kranke und besonders der Wissenschaftler, der die Bundesregierung berät, Gefährdete an die Ratschläge ihrer Ärzte. sagt im Hintergrundgespräch, darauf sei die Bevölke- Der Arzt identifiziert und testet in diesem Modell rung diskursiv überhaupt nicht vorbereitet. die besonders Gefährdeten, bespricht mit ihnen, wie Diese Sorge formuliert auch das Papier des Corona- sie sich selbst abschirmen, gibt Handreichungen, wie Beraterkreises von NRW-Ministerpräsident Armin Risiken zu minimieren sind und wie der Alltag in der Laschet: »In den Tagen der Eindämmung ist die Be- selbstbestimmten Vorsicht zu gestalten ist. Eine kern- völkerung zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammen- gesunde 72-Jährige müsse ja nicht denselben Regeln gewachsen. Durch die stufenweise Öffnung dürfen unterliegen wie ein 66-Jähriger mit zwei Herzinfarkten nun nicht neue Konfliktlinien und Brüche entstehen.« oder eine 80-jährige Asthmatikerin. Wie das gehen soll, sagen die Berater nicht. Kaum vorstellbar? Wer Diabetes habe, erwidert Eine der vielleicht heikelsten Konfliktlinien in der Bertram, erlege sich ja in aller Regel auch selbst Debatte über die Lockerung des Shutdowns, die ge- Beschränkungen auf und lebe anders als Gesunde. rade beginnt, ist die zwischen den Alten und den nicht Dasselbe gelte für HIV-Infizierte oder Menschen so Alten. Und sie ist besonders aufschlussreich, weil in Dialyse. Man müsse auf Freiwilligkeit setzen – sich hier Muster zeigen, die für viele andere Bereiche in allen Bevölkerungsgruppen. Das Gefühl der ähnlich gelten. Eine Differenzierung nach Alter und Gängelung löst in einer freien Gesellschaft Wider- Gesundheitszustand liegt durchaus nahe. Sie ent- stand aus, bei Jungen wie bei Alten. Selbstverant- spricht der klassischen Logik der Seuchenbekämpfung: wortung setzt Kräfte frei. »Großeltern«, davon ist die Gefährder und die besonders Gefährdeten werden Bertram überzeugt, »sind bereit, für ihre Enkel voneinander getrennt – um alle anderen zu schützen. Opfer zu bringen.« Das sieht das geltende Infektionsschutzgesetz bis Freilich geht die gesellschaftliche Solidaritätsrech- heute so vor, und auch das Grundgesetz steht dem nung nicht immer ganz so glatt auf. Schon bald wird nicht prinzipiell entgegen. es doch fast unvermeidlich eine Zweiklassengesell- Nach Auffassung der Juristin Gertrude Lübbe- schaft geben, die Probleme aufwirft, über die noch Wolff zum Beispiel, die bis 2014 Richterin am Bun- Zweifel zu Hause zu bleiben«. Und Kanzleramts- ka Giffey (SPD): »Ich bin nicht der Meinung, dass wir kaum nachgedacht wird: dann nämlich, wenn die Zahl desverfassungsgericht war, spricht rechtlich nichts minister Helge Braun spekulierte im Spiegel über eine Zweiklassengesellschaft aufmachen sollten zwi- der Immunisierten merklich steigt. gegen gewisse Separationen und Kontaktbeschränkun- eine »Umkehrisolation«. Die jüngere, gesunde Be- schen denen, die rausdürfen, und denen, die drin- Noch ist unklar, wie viele solche Menschen es in gen. Eine Unterscheidung nach Risikogruppen sei völkerung könne dann wieder zu einem tendenziell bleiben müssen«. Deutschland gibt, Menschen, die krank waren, da- sogar »naheliegend«, eine Diskussion darüber solle normalen Leben übergehen. »Aber die älteren und Allerdings sind im Verlauf der Krise schon viele von vielleicht gar nichts gemerkt haben, mittlerwei- »nicht tabuisiert« werden. Eine Umkehr der Isolation vorerkrankten Patienten werden auch dann weiter Dinge eingetreten, die eben noch undenkbar le jedenfalls wieder gesund sind und Antikörper sei »keine Aufkündigung« von Solidarität, sagt Lübbe- mit Einschränkungen leben müssen. Man muss da- erschienen. Und das gesundheitspolitische Ziel gegen das Virus entwickelt haben. Die, die heil Wolff, die 67 Jahre alt ist. Wer krank werde, mit rechnen, dass diese Maßnahmen bei ihnen sehr einer größeren Distanz zwischen den Altersgruppen durchgekommen sind. womöglich die Behandlung auf einer In- viel länger notwendig sein werden.« kann auch anders als über Gesetze und Verordnun- Noch fehlt es offenbar auch an einem zuverlässigen tensivstation brauche, nehme Kapazitä- Wie diese »Einschränkungen« aussehen könn- gen durchgesetzt werden. Man müsse, sagt der Nachweis der Immunisierung, an einem schnellen, ten in Anspruch, die die Allgemeinheit ten und was genau der Begriff »Schutz« bedeutet, Soziologe Bude, aus der »Anweisungsstruktur« des belastbaren Test. Aber sobald der vorliegt, wird es un- bereitstellt und die auch andere zum blieb dabei offen. Ebenso die Frage, wer eigentlich Staates »übergehen in Teilhabe«. Der Staat würde umgänglich sein, diese Menschen von den allgemeinen Überleben benötigen. Da gehöre zur betroffen sein könnte. Empfehlungen abgeben, seine Bürger zum Mitma- Beschränkungen auszunehmen. Das sei »geradezu Solidarität besondere Vorsicht bei In Deutschland leben gut 17 Millionen Men- chen animieren. Ob das funktionieren kann, ist zwingend«, sagt die Verfassungsrechtlerin Gertrude denen, die auf Intensivbehandlung schen, die älter als 65 Jahre sind. Ein Fünftel der offen. Es gibt keine Erfahrungen damit, keine Lübbe-Wolff. Es gebe schlicht keine Rechtfertigung besonders wahrscheinlich angewie- Bevölkerung. Kann man 17 Millionen Menschen Experten, keine Beispiele, an denen man sich orien- mehr, ihnen Kontaktsperren oder Ausgangsrestriktio- sen sein könnten. auffordern, quasi als Sonderopfer für die Allge- tieren könnte. Es ist ein gewaltiges soziales Experi- nen aufzuerlegen. Wer keinen anderen infizieren kann, Die gegenwärtigen allgemeinen meinheit, über Monate in Isolation zu leben? 17 ment – mit ungewissem Ausgang. muss auch keinen Abstand halten. Dem darf eigentlich Beschränkungen, betont Lübbe- Millionen Menschen, die natürlich kein homoge- Auch die Verfassungsjuristin Lübbe-Wolff plädiert auch nicht untersagt werden, am Wochenende ans T ZEI Wolff, existierten eben nicht zum ner Block sind, sondern 17 Millionen Individuen. für Differenzierungen und »Selbstsorge«. Sonder- Meer zu fahren, in die Kirche zu gehen oder seine E DI Schutz der individuellen Gesundheit 17 Millionen, von denen manche energiegeladen regelungen für Ältere müssten nicht notwendig deren Arbeit zu machen. zi für des Einzelnen, sondern zum Schutz sind, umtriebiger als mancher Mittvierziger. Men- Ausschluss aus der Öffentlichkeit bedeuten. Man Dann stellt sich die Frage nach der Solidarität az aller, denen bei einer Überlastung schen, die Enkel betreuen, in Flüchtlingsinitiativen könne an Sonderöffnungszeiten für Senioren in Mu- noch einmal völlig neu. n o B des Gesundheitssystems nicht ge- oder bei Tafeln mitarbeiten. Oder Menschen, die in seen und Schwimmbädern denken, an ein paar Stun- e d vi holfen werden kann. Das ist ein ty- Alten- und Pflegeheimen leben, abgeschnitten von den am Tag, an denen nur die Gefährdeten im Super- A www.zeit.deeaudio a D n: o ati ustr Ill UPLOADED BY "What's News" vk.com/wsnws TELEGRAM: t.me/whatsnws POLITIK 5 16. APRIL 2020 DIE ZEIT No 17 An diesem Samstag wird in Hannover der Willigen« die Menschen aufnehmen und ver- ein Flugzeug landen. Es wird 50 Kin- teilen. Neben Deutschland zählen zu dieser Koa lit ion der und Jugendliche nach Deutsch- Frankreich, Luxemburg, Portugal, Irland, Finnland, land bringen, die in den vergangenen Kroatien, Litauen, Belgien und Bulgarien. Monaten in Flüchtlingslagern auf »Wir haben nicht mehr allzu viele Chancen, ein den griechischen Inseln leben mussten. Die jungen gemeinsames Asylsystem zu schaffen«, sagt Stephan Menschen werden in Deutschland eine Unterkunft Mayer (CSU), Staatssekretär im Bundesinnenminis- bekommen, ein eigenes Bett, Zugang zu sauberem terium. Entscheidend ist in der Logik der Regierung Wasser, zu medizinischer Versorgung und ein or- deshalb nicht nur, wie viele Menschen aufgenommen dentliches Asylverfahren. Sie werden auch besser werden, sondern auch, wie viele Staaten sich einer geschützt sein vor dem Coronavirus, das sich dem- solchen Koalition anschließen. »Das sind mehr als nächst in den überfüllten Containern und dicht doppelt so viele Staaten, wie im vergangenen Jahr gedrängten Zelten der griechischen Flüchtlings- dem Seenotrettungsmechanismus zugestimmt ha- camps ausbreiten könnte. ben«, sagt Mayer. Damals hatte sich schon einmal ein Während in den vergangenen Tagen die Mit- Bündnis aus willigen EU-Staaten gebildet: um schiff- arbeiter des UNHCR, des Flüchtlingshilfswerks brüchige Migranten und Flüchtlinge aus dem Mittel- der Vereinten Nationen, durch die Lager zogen, meer untereinander zu verteilen. um die Kinder auszuwählen, während sie versuch- Nun soll eine deutlich größere Koalition von auf- ten, unter Tausenden von geschwächten Kindern nahmebereiten Staaten über einen neuen Verteil- die besonders schwachen herauszusuchen, ent- ges mechanismus verhandeln, so die Hoffnung. Aller- a m brannte in Deutschland ein heftiger Streit: Wenn y I dings kam die Corona-Pandemie dazwischen, und die deutsche Regierung beschließt, von den insge- ett fast alle Staaten zogen sich zurück, weil nun anderes G samt rund 40.000 Flüchtlingen und Migranten, FP/ wichtiger schien: die Überwachung von Ausgangs- A die auf den griechischen Inseln leben, lediglich 50 nis/ sperren, die Abriegelung der Grenzen. Übrig blieben zu evakuieren – ist das dann noch eine humanitäre essi genau zwei Länder: Deutschland und Luxemburg. M RetDtuine gsAankttwioonr?t Oscdheire nsc hsocnhn eeinll zayunsigsecmhearc Ahtk: t?A ls o: Aris »dWie isri ee rgwemaratecnh,t dhaasbse dni,e iann ddeenre nnä Scthasatteenn Wdioe cZhuesna guennd, »Schande für Europa« und »Politik des kalten Her- Fot Monaten auch einlösen werden«, sagt Staatssekretär zens« bezeichneten führende deutsche Medien die Geflüchtete Kinder nach der Ankunft auf Lesbos. Ältere Unbegleitete sollen nun ausgeflogen werden Mayer. Jean Asselborn, der luxemburgische Außen- Aktion. Oppositionspolitiker, Kirchen und Hilfs- minister, sieht es ähnlich: »Wichtig ist, dass wir jetzt organisationen lobten zwar die Rettung der 50 Kin- anfangen. Dann kann keiner sagen, dass es unmöglich der, schimpften aber auf die Regierung: Während sei, in der Corona-Krise Flüchtlinge aufzunehmen.« sich das Innenministerium händeringend bemühe, 50 von 40.000 Die EU müsse handeln, um eine Katastrophe in den 40.000 osteuropäische Erntehelfer mit Sonderflügen Lagern zu verhindern. »Wir müssen jetzt die Inseln nach Deutschland zu holen, um die Spargelernte räumen, in aller Würde«, sagt Asselborn. nicht zu gefährden, weigere es sich, die Bewohner der Dafür müssten die aufnahmebereiten Staaten griechischen Flüchtlingscamps zu evakuieren. Ob- allerdings nicht nur möglichst zügig Tausende wei- wohl diese angesichts der Corona-Pandemie um ihr tere Flüchtlinge auswählen, auf das Virus testen und Leben fürchten müssten. Und obwohl Dutzende So viele Minderjährige will die Bundesregierung aus griechischen Flüchtlingslagern evakuieren. aus Griechenland ausfliegen. Sie müssten auch die deutsche Städte und auch einige Bundesländer längst Entscheidung, wer evakuiert werden soll, an die Ist das eine gute Tat – oder bloß bestürzend wenig? VON C. LOBENSTEIN, P. MIDDELHOFF UND M. THUMANN angeboten haben, Flüchtlinge aus Griechenland auf- Realität in den Lagern anpassen. Die deutsche Re- zunehmen. Hilfsorganisationen wie die Dresdner gierung etwa besteht darauf, vor allem unbegleitete Organisation Mission Lifeline schlugen vor, Flug- Mädchen unter 14 Jahren auszufliegen. Die aber gibt zeuge oder Kreuzfahrtschiffe zu chartern, um die leben und die deshalb für eine Familienzusammen- mächtigen Institutionen innerhalb der EU, die der- ten in bilateralen Gesprächen davon zu überzeugen, es dort kaum. Laut Angaben der griechischen Be- Menschen von den Inseln zu holen und damit der führung infrage kommen. zeit überhaupt noch für humanitäre Mindeststan- junge Flüchtlinge aus Griechenland aufzunehmen. hörden und des UNHCR sind mehr als 90 Prozent vermeintlichen Tatenlosigkeit der deutschen Regie- Trotzdem lohnt es sich, im Fall der 50 Kinder, die dards einstehen – in Zeiten, in denen die gemeinsame Schließlich erklärten sich zehn EU-Mitgliedsstaaten der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge und rung etwas entgegenzusetzen. am Samstag in Hannover landen werden, etwas europäische Asylpolitik faktisch nicht mehr existiert bereit, insgesamt 1600 junge, unbegleitete Flücht- Migranten auf den griechischen Inseln männlich. Tatsächlich ändert die Evakuierung von 50 Kin- genauer hinzuschauen – und die moralische Di men- und das Coronavirus fast alle anderen Themen von linge von den griechischen Inseln zu evakuieren. Eine Und die allermeisten zwischen 15 und 18 Jahren alt. dern und Teenagern nichts an den lebensbedrohli- sion nicht von der politischen Dynamik abzukop- der politischen Agenda verdrängt hat. kleine Zahl, aber ein wichtiger Schritt auf dem Weg Sie seien es, die in den ungeschützten Lagern be- chen Bedingungen, denen die Menschen in den peln, die hinter der Rettungsaktion steckt. Dann Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) zu einer neuen europäischen Asylpolitik. Die Reform sonders häufig Opfer von Gewalt und sexuellen Flüchtlingslagern ausgesetzt sind. Und tatsächlich hat nämlich ergibt sich ein anderes Bild. Dann erscheint hatte sich schon vor Monaten dafür ausgesprochen, des kollabierten EU-Asylsystems ist eines der wich- Übergriffen würden, sagt Philippe Leclerc, Vertreter das Bundesinnenministerium in den vergangenen das Handeln der Bundesregierung nicht mehr als mehrere Tausend minderjährige Flüchtlinge von den tigsten Projekte, das Deutschland während seiner des UNHCR in Griechenland. Und sie seien es, die Jahren viele Flüchtlinge, die auf den griechischen moralische Bankrotterklärung, sondern als politische griechischen Inseln aufzunehmen. Als sich Mitte EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte besonders schnell in Sicherheit gebracht werden Inseln feststecken, nicht nach Deutschland geholt – Kraftanstrengung unter schwierigsten Bedingungen. März die EU-Innenminister in Brüssel trafen, war es anpacken will. Und so wie schon bei der Aufnahme müssten. Erst vor einigen Tagen wurde im Lager obwohl sie ein Recht darauf hätten. Kinder und Und das Bundesinnenministerium nicht mehr als wiederum Seehofer, der, abseits der offiziellen Ver- von Bootsflüchtlingen aus dem Mittelmeer soll nun Moria auf Lesbos ein junger Afghane erstochen. Er Teenager zum Beispiel, deren Eltern in Deutschland kaltherzige Behörde, sondern als eine der wenigen handlungen, versuchte, Amtskollegen anderer Staa- auch im Fall der griechischen Inseln eine »Koalition war 16 Jahre alt. 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APRIL 2020 DIE ZEIT No 17 »Wir müssen die Herzen erreichen« Das politische Objekt Nur wenn die Europäische Union für die Menschen da ist, hat sie eine Zukunft: Ein Gespräch mit dem Außenbeauftragten Josep Borrell über brennende EU-Fahnen, die Konkurrenz mit China und Europas Gewicht in der Welt Der Spanier Josep Borrell, 73, ist Außenbeauf- ZEIT: Trotzdem gibt es heute weniger Koopera- Frankreich und Österreich haben zusammen- Borrell: Es gibt Solidarität im Rahmen der beste- tragter der Europäischen Union und damit de tion als in der Finanzkrise. genommen viel mehr Atemmasken nach Italien henden Möglichkeiten. Aber wir brauchen neue facto ihr Außenminister. Normalerweise sind Borrell: Es stimmt, 2008 haben zunächst die G8- geschickt als China und Russland. Meine Mitar- Möglichkeiten, neue Instrumente. Vor dem Aus- Außenminister ständig auf Reisen, Borrell aber Staaten und dann die G20 sehr schnell reagiert. beiter haben Tag und Nacht gearbeitet, um bruch der Epidemie haben wir endlos über das war zuletzt vor sieben Wochen unterwegs, auf Die Finanzkrise breitete sich in Lichtgeschwin- gemeinsam mit den Mitgliedsstaaten die Rück- künftige EU-Budget gestritten. Wollen wir diese einem EU-Treffen in Kroatien. Seitdem ist er digkeit über die ganze Welt aus, jeder war sofort reise von mittlerweile 420.000 europäischen Diskussion so weiterführen wie bisher? Oder dazu gezwungen, die Welt von seinem Büro in getroffen. Das Virus brauchte im Vergleich recht Touristen zu koordinieren und zu organisieren, brauchen wir jetzt ein größeres Budget? Wir müs- Was tut sich da Brüssel aus im Blick zu behalten. Borrell lange, um von China nach Europa zu kommen. die irgendwo auf der Welt gestrandet waren. Die sen mehr tun als bisher, aber das heißt nicht, dass hinter der Maske? nimmt es gelassen: So spare er »viel Zeit und Und von Europa in die USA. Die Bedrohung EU hat diese Flüge teilweise auch mitfinanziert. die EU bislang nichts getan hätte. viel Geld«. Das Interview mit ihm fand ganz wurde auch deshalb nicht sofort als globale Be- Aber wie viele Menschen wissen das? ZEIT: Glauben Sie, dass es gelingt, diese Krise für Es ist schon lustig in diesen Zeiten, altmodisch statt – am Telefon. drohung wahrgenommen. ZEIT: Sie müssten es ihnen sagen. mehr europäische Gemeinsamkeit zu nutzen? dass es immer weniger lustig wird. ZEIT: Sehen Sie denn überhaupt den Willen zu Borrell: (lacht) Deswegen spreche ich ja mit I hnen. Borrell: Ich bin da weder optimistisch noch Die Dinge kehren sich um. Bald gibt DIE ZEIT: Herr Borrell, als Sie im Dezember ins mehr Kooperation? Aber wir haben heute dieselben Kommunikations- pessimistisch. Ich bin ein Aktivist! Ich arbeite es statt eines Vermummungverbotes Amt kamen, sprachen Sie davon, die EU müsse Borrell: Es hängt davon ab, von wem Sie spre- probleme wie während der Euro-Krise. Um Solida- zehn, zwölf Stunden am Tag, um die EU stär- vielleicht ein Vermummungsgebot – sich dem geopolitischen Wettbewerb stellen. Nun chen. Im Fall der Europäer glaube, erwarte und rität zu organisieren, brauchen wir eine gemeinsa- ker zu machen. die Mundschutzpflicht. Die Men- wird Europa von der Corona-Pandemie beson- hoffe ich, dass diese Krise zu einem neuen Inte- me Erzählung, ein Narrativ. Stattdessen reicht ein ZEIT: Lassen Sie uns zum größeren, geopoliti- schen werden hygienischer, ihre Ge- ders hart getroffen. Welche Folgen hat das für das grationsschub führen wird. Nehmen Sie die Ge- Satz des niederländischen Finanzministers ... schen Bild zurückkommen. Haben wir Sie richtig fühle werden unsichtbar. Gewicht der EU in der Welt? verstanden, dass es im Moment Wo früher ein Lächeln in der Josep Borrell: Es ist klar, dass wir im einfacher ist, mit China zusam- Öffentlichkeit einen Ausgleich zwi- Moment vor allem mit der Pande- menzuarbeiten als mit den USA? schen Fremden schaffte, drängen wir mie beschäftigt sind. Das bedeutet Borrell: Nein, legen Sie mir nichts uns jetzt mit rätselhaftem Blick in der aber nicht, dass wir unsere Verant- in den Mund, was ich nicht ge- Bahn und am Obststand. Was denkt wortung in der Welt vergessen ha- sagt habe. der andere? Keine Ahnung. Einen ben. Wir werden zum Beispiel unse- ZEIT: Sie sagten, der amerikanische anderen Mund sieht man dann höchs- re Entwicklungspolitik völlig um- Präsident verweigere sich jeder Zu- tens noch in einer Videokonferenz. stellen. Wir wollen schwächeren sammenarbeit in multilateralen Der Bildschirm im Homeoffice ist Ländern, besonders jenen in Afrika, Organisationen. neuerdings ein gekacheltes Tableau helfen, die Pandemie zu bekämpfen. Borrell: Vor der Krise war klar, dass voller fragender Gesichter. Habe ich Selbst wenn wir in Europa das Virus die US-Regierung jede Form von das richtig verstanden? Was hat er ge- eindämmen, werden wir in perma- Multilateralismus ablehnt. Aber sagt? Das Feinnervige wird ver- nenter Gefahr sein, wenn wir es ich habe nichts darüber gesagt, wie schluckt. Lost in transition. Dank nicht auch in unserer unmittelbaren die Situation nach dieser Krise sein Zeitverzögerung und hängender Ver- Nachbarschaft und Afrika eindäm- wird. Das hängt auch davon ab, bindung ist man so sehr damit be- men. Die EU ist schon heute welt- wer die nächste Wahl in den USA schäftigt, verstanden zu werden, dass weit der größte Geldgeber in der gewinnen wird. die Zwischentöne im Äther hängen Entwicklungshilfe, und wir werden ZEIT: China hat die Verbreitung bleiben. Einen Witz machen? Keine der größte Geldgeber beim weltwei- des Virus offenbar erfolgreich ein- Chance, wenn man den anderen ten Kampf gegen die Pandemie sein. gedämmt. Ist es für demokratische nicht einschätzen kann. Lacht der ZEIT: Von Ihnen stammt der Satz, Länder schwieriger, mit der not- esüber mich, oder verzieht er nur sein Europa müsse die Sprache der wendigen Härte auf die Corona- g maGesicht? Jede Pointe krepiert beim Macht lernen ... Pandemie zu reagieren, als für au- etty Ifalschen Timing. So werden die Sit- Borrell: Was sich als äußerst schwie- toritäre Regime? nt/Gzungen effektiver, aber auch weniger rig erweist! Borrell: Genau das ist ein Teil des meschön. Oder wir lernen jetzt alle, ZEIT: Warum? Kampfs der Narrative, von dem ich o Mmehr mit den Augen zu lachen. Wie Borrell: Die EU ist kein Staat. Unse- sprach: Wer hat die bessere Aus- o: otin Afghanistan. MALIN SCHULZ re außenpolitischen Entscheidungen rüstung? Wer kann seine Bürger F unterliegen dem Prinzip der Ein- einfacher zur Disziplin anhalten? stimmigkeit. Wir sind auch keine Natürlich sind die Möglichkeiten, Verteidigungsunion. Das macht es, in einer liberalen Demokratie auf um es offen zu sagen, sehr schwer. das Verhalten der Bürger einzuwir- Torten der ZEIT: Was genau meinten Sie, als ken, sehr viel nuancierter als in ei- Sie sagten, Europa müsse die Spra- nem autoritären Regime. Aber che der Macht sprechen? wenn ich in Brüssel aus meinem Wahrheit Borrell: Die Fähigkeit, andere zu be- Fenster schaue, sehe ich nieman- einflussen und aktiv an der Lösung den mehr auf der Straße. Die Men- von Konflikten teilzunehmen. Das schen folgen den Vorgaben ihrer VON KATJA BERLIN war etwa im Syrienkonflikt nicht Regierungen nicht, weil hinter ih- möglich. Dabei hat er enorme geo- nen ein Polizist steht. Sondern weil politische Konsequenzen für Europa. sie verstehen, dass diese Einschrän- Denken Sie nur an die Flucht Hun- kungen notwendig sind, um sich Was wir während der Isolation derttausender Menschen nach Euro- selbst und andere zu schützen. geschafft haben pa. Trotzdem haben die Türkei, ZEIT: Auch innerhalb der EU gibt Russland und die USA dort viel kl.) es Regierungen, die zunehmend größeren Einfluss, weil sie den Wil- go ( autoritär agieren, etwa in Ungarn. a len haben, zu gestalten, und dabei di/im Borrell: Wir müssen aufpassen, dass alle Mittel anwenden, die ihnen zur ula die Demokratie nicht zum Opfer o Verfügung stehen, einschließlich mi- h F der Pandemie wird. Ich bin zutiefst e litärischer Mittel. Wir haben diese zb davon überzeugt, dass l iberale Ge- u Möglichkeit nicht. Aber wir können Ro sellschaften jetzt im Vorteil sind ge- mit den Mitteln, die wir haben, viel gr.); genüber Regimen, die einfach nur mehr machen. va ( Anweisungen erteilen. Vorausge- o n das Wohnzimmer zu renovieren ZEIT: Welche sind das? utyu setzt, wir ziehen die richtigen Borrell: Wir haben die Mittel einer Ar Schlüsse aus der Krise. eine neue Sprache zu lernen zivilen Macht: Handel, Entwick- asha ZEIT: Welche wären das? S viele Romane zu lesen lungshilfe, Migrationspolitik. os: Borrell: Ich gebe Ihnen ein Bei- ZEIT: Kann man denn Konflikte ot spiel. In meinem Land, in Spanien, nicht die Scheidung einzureichen F wie in Syrien oder Libyen überhaupt »Verlangen Sie nicht von einem Apfel, ein Pfirsich zu sein«, haben die Krankenschwestern und ohne Militär lösen? sagt Josep Borrell über die Europäische Union Ärzte in den vergangenen Jahren Borrell: Klar, wir haben nicht die immer wieder gegen die Einspa- Gehaltssteigerungen im Möglichkeit, Soldaten nach Syrien rungen im Gesundheitssystem de- Pflegesektor oder Libyen zu schicken. Wir wollen das auch sundheit, die fiel bisher fast ausschließlich in die ZEIT: ... dieser hatte die spanische und die italie- monstriert. Niemand hat ihnen zugehört. Jetzt nicht. Trotzdem können wir mehr tun. Ein Bei- Kompetenz der Nationalstaaten. Aber Gesund- nische Haushalts- und Gesundheitspolitik wäh- applaudieren wir ihnen jeden Abend. Das zeigt spiel: Bis vor Kurzem schien es unmöglich zu heitsfragen sind auch Sicherheitsfragen, wie wir rend eines der jüngsten Euro-Gruppen-Treffens mir, dass wir die sozialen Sicherungssysteme nicht sein, dass die EU eine neue Militärmission auf jetzt wissen – nichts, was wir nur innerhalb na- kritisiert. Später hat er sich dafür entschuldigt. auf ein Minimum reduzieren können. Die Kos- die Beine stellen könnte, um das Waffenembargo tionalstaatlicher Grenzen behandeln können. Borrell: Wenn in Italien und Spanien in einem ten, die wir jetzt dafür bezahlen, sind viel höher vor der libyschen Küste zu überwachen. Nun ZEIT: Welche Rolle spielt China? Monat mehr als 30.000 Menschen sterben, dann als die vermeintlichen Einsparungen. So müssen haben wir diese Mission. Aber verlangen sie Borrell: China hat sich in den vergangenen Jahren reagiert man dort sensibel auf die Worte, die von wir vieles nach der Krise überprüfen. Wir müssen nicht von einem Apfel, ein Pfirsich zu sein – die anders verhalten als die USA, etwa bei den Dis- außen kommen. Das muss jeder bedenken. neu denken und versuchen, Lösungen zu finden, EU ist kein Staat. kussionen über das Klimaabkommen. Die Chine- ZEIT: Warum reagiert die EU auch in dieser Krise die uns vor einem Monat noch unmöglich ZEIT: Die EU ist ein multilaterales Projekt. sen haben den Multilateralismus unterstützt, so langsam? erschienen. Ob unsere Demokratien hierzu in der Früher Heute Könnte es sein, dass die kurze Zeit des Multilate- während die USA ihn aufgegeben haben. Borrell: Wenn Sie von der EU reden, müssen Sie Lage sind, ist entscheidend für die geopolitische ralismus schon wieder vorbei ist? Gerade jagen ZEIT: Und jetzt liefert China medizinisches Ma- sagen, wen Sie meinen. Die Kommission hat mit Welt von morgen. Gehalt sich die Nationalstaaten auf dem internationalen terial nach Europa. den Instrumenten, die ihr zur Verfügung stehen, ZEIT: Herr Borrell, zum Schluss: Wie schlimm Markt gegenseitig die Atemmasken ab. Borrell: Die EU-Mitgliedstaaten haben 60 Ton- alles getan, was möglich war. Auch die Europäische steht es um die EU? Merci-Schokolade Borrell: Der Multilateralismus war schon vor nen Hilfsmaterial nach China geschickt, als wir Zentralbank hat sehr schnell reagiert, viel schneller Borrell: Dies ist eine existenzielle Krise für die Applaus Ausbruch der Pandemie in der Krise. Einige Leu- noch dachten, es handele sich um ein Problem, als während der Euro-Krise. Frau La garde (die Prä- EU. Ich weiß, das ist ein großes Wort, aber so ist Balkongesänge te lehnten ihn ab ... das uns nicht treffen wird. Nun hilft China uns. sidentin der EZB, Anm. d. Red.) hat innerhalb es. Diese Krise wird entscheiden, für wie nützlich ZEIT: ... wie der amerikanische Präsident. Das ist sehr willkommen. weniger Tage fast eine Billion Euro auf den Tisch die Menschen die EU halten. Wir dürfen deshalb Dankesreden Borrell: Jeder weiß, was Donald Trump über den ZEIT: Sie haben in einem Blog geschrieben, rund gelegt. Jetzt stehen wir vor der Frage, ob wir zu- nicht nur mit Zahlen argumentieren, wir müssen Multilateralismus und die EU denkt. Die EU ist um die Pandemie finde ein »Kampf um die Nar- sätzliche Instrumente brauchen. Und da führen die Herzen der Menschen erreichen. Es schmerzt die höchste Ausformung des Multilateralismus. rative« statt, und es gebe Versuche, die EU zu dis- wir dieselben Diskussionen mit denselben Mit- mich und ich könnte weinen, wenn ich sehe, dass Das Dilemma der Rechtspopulisten Aber diese Pandemie wird gewaltigen Druck auf kreditieren. Wer versucht das: China? gliedsländern wie in der Euro-Krise: Soll sich jedes in Italien eine EU-Fahne verbrannt wird. Wenn die Leute ausüben, die glauben, sie könnten sich Borrell: In den sozialen Medien finden sie sehr Land allein Geld an den Finanzmärkten beschaf- die Menschen das Gefühl haben, dass die EU retten, indem sie ihre Tür als Erste schließen. viele Nachrichten, die die EU diskreditieren wol- fen? Oder machen wir das gemeinsam? ihnen nicht hilft, machen wir etwas verkehrt. Eine solche Reaktion setzt die gesamte Mensch- len. China hingegen präsentiert der Welt, was es ZEIT: Anders als die Euro-Krise trifft diese Krise heit einem erheblichen Risiko aus. Wir müssen tut, um Europa zu helfen. Das ist ihr Narrativ, ein alle Mitgliedsländer. Die Fragen stellten deshalb alle multilateralen Ressourcen mobilisie- Nachweis von Macht, ein Beleg für Soft Power. Borrell: Aber es ist trotzdem keine symmetrische Matthias Krupa und Ulrich Ladurner ren, die wir haben, und wir müssen neue und ZEIT: Und in Italien sieht man auf den Straßen Krise! Die wirtschaftlichen Folgen sind vollkom- bessere schaffen. Vielleicht wird das die große russische Militärlastwagen, die ebenfalls Hilfs- men unterschiedlich. In Italien und Spanien, ich Lehre dieser Krise sein, dass wir mehr Multilate- mittel bringen. Wo bleibt die EU? fürchte, zum Teil auch in Frankreich, ist die Wirt- ralismus brauchen. Vielleicht lernen wir, dass Borrell: Wenn du deine Flagge auf Hilfsgüter schaft vollständig zum Erliegen gekommen. Das Josep Borrell ist Mitglied der kein Staat – auch nicht die USA, China oder pflanzt, wirbst du für dich selbst. Du diskredi- ist in Deutschland oder den Niederlanden anders. regierenden spanischen Sozialisten. den Mainstream verachten Russland, keiner! – groß genug ist, um diese He- tierst damit niemand anderen. Meine Frage ist: ZEIT: Also gibt es doch einen Mangel an Soli- Von 2004 bis 2007 war er Präsident Minderheiten verachten rausforderung zu meistern. Warum tun wir nicht dasselbe? Deutschland, darität? des Europäischen Parlaments UPLOADED BY "What's News" vk.com/wsnws TELEGRAM: t.me/whatsnws POLITIK 7 16. APRIL 2020 DIE ZEIT No 17 es g a m y I ett G P/ F A dt/ ar h n ei M k c atri P o: ot F Patienten im Wartebereich einer Klinik in Nairobi, Kenia Das Ebola der Reichen Afrika wird von der Corona-Krise hart getroffen werden – aber wichtige Erfahrungen hat es Europa voraus VON ANDREA BÖHM F rage: Wie schlimm wird es am Tag 15.000 nachgewiesene Infektionen und 816 To- viele nicht Kurzarbeitergeld, sondern ein leerer Nun kann sich Kenias Oberschicht auch da- Treffen am Wochenende endlich nachkommen des Jüngsten Gerichts auf der Welt desfälle waren am vergangenen Dienstag bei den Magen. »Man hilft sich, soweit es geht«, sagt Erick heim eine weit bessere medizinische Behandlung und gleichzeitig die Mittel für den IWF aufsto- aus sehen? Africa Centres for Dise ase Control and Prevention Otieno, der mit seiner Frau und drei Kindern in leisten als die Bewohner von Mugunda. Aber gerade cken. Das ist ein erster Schritt. Aber was wirklich Antwort: Ziemlich schlimm. registriert, die meisten in Südafrika, gefolgt von Mugunda lebt, einem Slum in der kenianischen weil Afrikas politische Eliten relativ früh drastische nötig wäre, hat bislang nur der Papst, allen welt- Aber die Kongolesen werden ihre Ägypten und Algerien. Im Vergleich zu den USA Hauptstadt Nairobi. Eine Wellblechhütte mit Maßnahmen gegen die Verbreitung des Virus ver- lichen Politikern wie so oft eine Nasenlänge vo- Kneipen und Wechselstuben ge- und Europa ist das wenig. Die niedrigen Zahlen knapp zehn Quadratmetern, zwei Wasserstellen hängt und damit den täglichen Überlebenskampf raus, in seiner Osterbotschaft ausgesprochen: ein öffnet halten. liegen zum einen an der schwachen Kapazität, Ver- und sechs Toiletten für mehrere Hundert Leute. der Ärmeren unterbunden haben, stehen sie jetzt Schuldenerlass. Der Spruch stammt aus Kinshasa – ein ironi- dachtsfälle zu testen. Sie liegen aber auch an der Social Distancing? »Schwierig. Man kann die Kin- vor einem ebenso drastischen Legitimations- 160 Milliarden Dollar, so schätzt die Hilfsor- scher Tribut an eine Gesellschaft, die existenzielle geringeren Mobilität der Afrikaner. Auf den typi- der nicht ständig im Haus festhalten.« Von sieben problem: Ihre junge Bevölkerung rebelliert vieler- ganisation Oxfam, würde ein »globaler Plan für Krisen nicht als Ausnahme kennt, sondern als schen Verbreitungswegen dieses Virus – Flugrei- Uhr abends bis fünf Uhr morgens herrscht wegen orts ohnehin schon gegen Misswirtschaft und Un- öffentliche Gesundheit und Nothilfe« in der Coro- Regel. sen, Skipisten, Kreuzfahrten – sind sie eher selten der Pandemie Ausgangssperre, die Hauptstadt ist gleichheit. Jetzt müssen die Herrschenden die na-Krise kosten – eine überschaubare Summe an- Allerdings sind die meisten Kneipen in der anzutreffen. Und noch etwas hat die Ausbreitung abgeriegelt, die Landesgrenzen sind dicht. »Alles enormen sozialen und ökonomischen Folgen der gesichts der Notfall- und Konjunkturprogramme, kongolesischen Hauptstadt derzeit geschlossen. womöglich verlangsamt: Einige Staaten hatten Corona-Maßnahmen wenigstens ansatzweise mil- die jetzt gerade in den reichen Ländern aufgelegt Die Stadt befindet sich wie viele andere der Welt bereits im Januar Gesundheitskontrollen an ihren dern. Mit Tränengas und Schlagstöcken, die in werden. Damit ließen sich die Gesundheitsbud- im Lockdown – und das Land, wenn man westli- Grenzen und Flughäfen eingerichtet. Corona in Afrika Nairobi und in anderen afrikanischen Städten gets in den 85 ärmsten Staaten der Welt verdop- chen Pro gno sen glauben darf, auf direktem Weg Die ersten Infizierten reisten dann nicht aus schon exzessiv eingesetzt worden sind, lassen sich peln und weltweit zusätzlich zehn Millionen in den Abgrund. Ein Papier des französischen Au- China ein, sondern aus Italien, Großbritannien Bestätigte Infektionen Lockdowns auf Dauer nicht durchsetzen. Und Re- Gesundheitshelfer einsetzen. Also Leute wie Erick ßenministeriums zu Covid-19 in Afrika prophe- und Belgien. Afrikanische Länder schlossen gierungsmacht bewahren kann man so am Ende Otieno in Kenia und Hunderttausende anderer zeit fragilen Staaten – und dazu gehört der Kongo prompt ihre Grenzen für Europa. Auch das ist in auch nicht. Pfleger und Sozialarbeiter, die jetzt schon von – Kollaps und totale Anarchie. Der deutsche Ent- der Geschichte der beiden Kontinente ein Novum. Forderungen wie die von Otieno nach einer all- Johannesburg bis Monrovia eine Basisversorgung wicklungsminister Gerd Müller (CSU) fürchtet Dass viele Regierungen in Afrika auf die Seu- gemeinen, kostenlosen Krankenversicherung klin- aufrechtzuerhalten suchen. Manche sind im Auf- neue Bürgerkriege und Flüchtlingswellen. Hilfs- che so früh reagierten, ist eigenen bitteren Erfah- gen dabei gar nicht mehr so utopisch wie noch vor trag der Gesundheitsbehörden unterwegs, viele organisationen warnen vor Millionen Toten. rungen geschuldet – vor allem den Ebola-Epide- einigen Jahren. Afrikas Gesundheitssysteme sind sind Teil von NGOs und lokalen Komitees. Ohne Die Pandemie wird den globalen Süden und mien 2014 bis 2016 in Guinea, Liberia und Sierra unter den Spardiktaten des Internationalen Wäh- sie geht gar nichts bei der Bekämpfung einer Seu- damit auch Afrika ohne Zweifel ungleich härter Leone und von 2018 an erneut im Osten des Kon- rungsfonds (IWF) zusammengestrichen und pri- che. Das hat man bei HIV/Aids und bei Ebola treffen als China, Europa oder die Vereinigten gos, auch in Goma, Kabirigis Arbeitsplatz. Bloß, vatisiert worden. Dass nun westliche Staats- und gesehen: Von oben befohlene und mit Polizei- Staaten. Womöglich weniger durch das Virus sagt er, nutzt die schnelle Re ak tion wenig ohne Regierungschefs wie Emmanuel Macron oder Pe- gewalt durchgesetzte Maßnahmen machen eine selbst als durch seine Bekämpfung: Die Folgen der ein halbwegs solides Gesundheitswesen und eine dro Sánchez von kostenloser Gesundheitsversor- Epidemie am Ende schlimmer. Erst mit dem mas- weltweiten Schockstarre bedrohen die Ärmsten funktionierende Regierung. DEM. REP. KENIA gung für alle und Verstaatlichung privater Kran- senhaften Einsatz von Gesundheitshelferinnen – mehr als alle anderen – ihr Einkommen ist plötz- Keines der Gesundheitssysteme in Afrika, auch KONGO kenhäuser reden, ist eine Zeitenwende, die man es sind auch in Afrika überwiegend Frauen –, die lich weg, Impfkampagnen werden angehalten, nicht in den wohlhabenderen Ländern wie Süd- auch in Afrika mitbekommen hat. das Vertrauen der lokalen Bevölkerung für Präven- Hilfsflüge eingestellt. afrika, Ghana oder dem Senegal, ist an nähernd so Nur geht das dort eben nicht ohne internatio- tionsmaßnahmen und medizinische Behandlung Doch bevor man die 54 Staaten des Nachbar- ausgestattet wie in den meisten europäischen Staa- 0–500 nale Hilfe. Die ärmeren Länder des Kontinents gewinnen, gelingt eine Eindämmung. kontinents wieder einmal zu einer apokalyptischen ten – und wie wenig selbst das ausreicht, sieht man >500–1000 stehen vor gewaltigen Schuldenbergen, auch die Diese Erkenntnis wandert gerade von Afrika Suppe verrührt, die der Westen dann noch mit täglich in den Nachrichten. Bis Anfang Mai wer- >1000–1500 wohlhabenderen können aus eigener Kraft keine nach Europa. »Das Ebola der Reichen« – so haben auslöffeln muss, sollte man den Blick schärfen: den laut einer Berechnung der London School of >1500–2000 großen medizinischen oder sozialen Schutzschir- Ärzte im italienischen Bergamo das Coronavirus Das Klischee vom ewig hilflosen Süden war immer Hygiene and Tropical Medic ine die meisten afri- >2000–2500 SÜDAFRIKA me aufspannen. Das hat mit Korruption zu tun. genannt und unter dem Eindruck ihrer kollabie- schon ein Trugbild. Erst recht ist das so in der Co- kanischen Länder die Grenze von 10.000 Infizier- Südafrika unter seinem sehr kompetent agieren- renden Krankenhäuser gefordert, dass sich das ZEIT-GRAFIK/Quelle: africanarguments.org rona-Krise, in der sich Afrika und Europa nicht ten überschritten haben. Einige wenige wie Süd- den Präsidenten Cyril Ramaphosa stünde in der Gesundheitssystem auf eine präventive lokale Ver- fremder, sondern ähnlicher werden. afrika konnten in den vergangenen Wochen ihre Pandemie heute sehr viel besser da, hätte die poli- sorgung besinnen muss – als Vorbereitung für die Aus afrikanischer Sicht hat Corona schon jetzt Kapazitäten etwas ausbauen. Doch ansonsten richtige Maßnahmen«, schreibt Otieno per Mail, tische Elite unter seinem Amtsvorgänger Jacob nächste Pandemie. Der britische National H ealth alte Gewissheiten auf den Kopf gestellt. Überfüllte sieht es in der Intensivmedizin düster aus: In Mali »aber wir mussten die Behörden erst einmal dazu Zuma Staat und Wirtschaft nicht in ein Buffet zur Ser vice, jahrzehntelang mürbe gespart, soll jetzt Krankenhausflure in Bergamo, ein Massengrab kommen drei Beatmungsgeräte auf eine Mil lion bringen, die Wasserpumpen wieder anzustellen.« Selbstbereicherung verwandelt. Hilfe von über 700.000 Freiwilligen bekommen, voller Billigsärge in New York? »Die Welt hatte Menschen, Uganda verfügt über 55 Intensiv- Er arbeitet für den Kamukunji Paralegal Trust, Die Hilfsbedürftigkeit hat aber vor allem da- die über das ganze Land verteilt sind. sich daran gewöhnt, dass sie solche Bilder immer betten für eine Bevölkerung von 43 Millionen. In eine lokale Organisation, die Slumbewohnern mit zu tun, dass jedes afrikanische Land mindes- In Südafrika ist unterdessen die tägliche Zahl nur bei uns sieht«, sagt Jean-P ierre Kabirigi, Sozial- Simbabwe streiken immer wieder Krankenhaus- beim Kampf um Wasser- und Gesundheitsversor- tens drei Krisen gleichzeitig managen muss. Ma- der positiv Getesteten nach zwei Wochen Lock- ökonom am Pole-Institut für Sozialforschung und Mitarbeiter, weil es keine Schutzausrüstung gibt. gung Rechtshilfe leistet. Dieser Kampf ist in Kenia laria, Tuberkulose und HIV/Aids sind weitaus down zurückgegangen. Ein Zeichen der Hoffnung Fortbildung im ostkongolesischen Goma. »Und Noch ist nicht klar, wie tödlich sich das Virus wie in allen afrikanischen Ländern hochpolitisch. tödlichere Epidemien als Covid-19. Der Süden oder die »Ruhe vor dem Tsunami«, sagte ein Arzt nun spielt sich so etwas plötzlich auch bei den in Afrika auswirken wird, ob die mehrheitlich junge Armut macht krank, Krankheit macht arm. und der Osten des Kontinents leiden unter einer der BBC. Im Senegal arbeiten Wissenschaftler Mächtigen ab.« Kabirigi, derzeit an der kongole- Bevölkerung also womöglich glimpflicher davon- Derzeit verteilen Otieno und seine Mitarbeiter Dürre, Somalia, Kenia und Äthiopien sind außer- unter Hochdruck an einem Corona-Schnelltest, sisch-ruandischen Grenze im Lockdown, sagt das kommt oder ob die hohen Raten an Man gel er- vor allem Seife und informieren Menschen über dem von der größten Heuschreckenplage ihrer der im Juni auf den Markt kommen und nur einen ohne jede Häme. Er weiß nur zu gut um den Zu- näh rung, Tuberkulose oder HIV/Aids als fatale die Gefahren und Ansteckungswege von Co- Geschichte bedroht – der Klimawandel verschärft Dollar kosten soll. Und im Ostkongo ist Ebola stand seines Landes – und was ihm mit der neuen Beschleuniger dienen. vid-19. Aber sie formulieren auch politische For- diese Krisen noch. Dem Sahel steht aufgrund des zurückgekehrt. Kabirigi und seine Kollegen am Seuche droht: eine Großkrise, die sich auf ein Klar ist jetzt schon, dass Corona Afrikas politi- derungen – kurzfristig nach schneller Lebensmit- Dauerkriegs gegen islamistische Gruppen eine Pole-Institut fahren nun ihr ganzes Programm halbes Dutzend anderer Großkrisen türmt – be- sche Eliten auf ganz neue und radikale Weise mit telhilfe und Schutzmasken für Slumbewohner, neue Hungersnot bevor. Doch so niederschmet- wieder hoch: Radiosendungen zur Aufklärung der waffnete Konflikte, Vertreibungen, Epidemien. der sozialen Frage konfrontiert. Noch immer leben langfristig nach einer Krankenversicherung für ternd diese unvollständige Krisenliste klingt – es Bevölkerung, ein Frühwarnsystem gegen Milizen, »Wir hatten hier gerade Ebola unter Kontrolle über 400 Millionen Menschen in Afrika in extre- alle. Das Gute an der Corona-Krise sei, so Otieno, gibt einigen Handlungsspielraum. die immer wieder Gesundheitsstationen überfal- bekommen. Jetzt ist Covid-19 da.« mer Armut. Zwei Drittel aller Jobs liegen im infor- »dass die Reichen jetzt auch nicht mehr ins Aus- UN-Generalsekretär António Guterres hat ein len, Datensammlung über Infektionen für Behör- Inzwischen hat sich das Coronavirus in fast al- mellen Sektor. Auf Ausgangssperren, Schließung land können, um sich behandeln zu lassen. Die Schuldenmoratorium für die armen Länder ge- den und NGOs. Sie kämpfen jetzt gegen Ebola len 54 afrikanischen Staaten ausgebreitet. Rund von Betrieben, Geschäften und Märkten folgt für sitzen hier mit uns fest.« fordert. Die G20-Staaten wollen dem bei ihrem und Corona gleichzeitig. Aber sie haben ja Übung. UPLOADED BY "What's News" vk.com/wsnws TELEGRAM: t.me/whatsnws STREIT 8 16. APRIL 2020 DIE ZEIT No 17 »Im Grunde schreiben die Kolleginnen eine ganze Wählergruppe ab« Müssen Konservative sich klarer gegen rechts außen abgrenzen – oder sind Deutsche mit Migrationshintergrund zu ungeduldig? Drei ZEIT-Redakteurinnen streiten mit ihrem Chef über die Grenzen des Erträglichen, moderiert von DUNJA HAYALI UND HEINRICH WEFING »Einspruch!« Am 19. März erschien in der ZEIT ein Text wird und damit die Hierarchie nicht durchschlägt, Hayali: Hat er damit nicht recht? Alle AfDler, alle einen Teil der Wähler, die jetzt für die Populisten Migranten auch von Dingen in der Migrationsge-er d von A lice Bota, Khuê Pha․m und Özlem Topçu haben wir die ZDF-Kollegin Dunja Hayali ge- Flüchtlinge, alle Ostdeutschen, alle Polen ... stimmen, zurückzugewinnen. Das ist meines Er- schichte in Deutschland sprechen, die nicht funk-we h mit der Überschrift »Der Präsident und wir«. wonnen, das Gespräch gemeinsam mit mir, dem Topçu: Ich kann seiner These bis zu einem ge- achtens eine der wichtigsten Fragen der Selbstbe- tioniert haben, ohne gleich in die rechte Ecke ge-Ro a Darin kritisieren die drei Redakteurinnen den Co-Politikchef der ZEIT, zu moderieren. Also, wissen Punkt folgen. Aber ich finde, Gauck und hauptung der Demokratie in den nächsten Jahren: stellt zu werden? Mein Eindruck ist, da wurde ari M ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck Giovanni, was hat Sie an dem Text der drei Kolle- andere Politiker sollten die Sorgen und Ängste Donald Trump wird wiedergewählt, wenn es nicht vieles nicht ausreichend thematisiert, was nicht er; dHaafnüar,u d kaesisn e rW noarcth d dese nM Mitgoerfdüehnl sv uonn dH daelrl eS uonlid- Ggiinonveann ngie ädrig Lerotr?enzo: Ich habe mich gar nicht ge- nZiucmhtu btuenstgäetnig einn ,d seor nWdeerltn. sagen: Es gibt einfach gneelnin. gUt,n dei nweenn nT emil asne ivneerrh iWndäehrlner w ziullr,ü dcakszsu Mgeawttieno- gwuatr ulämuf pt,o upnudli sitcihsc hhael tPea rdtaesi efnü rZ euinlaeu df efrin Udersna.chen, Mortsief darität für die Opfer und ärgert, ich war eher ent- Bota: Natürlich muss man die Aus ein an der set zung Salvini bei den nächsten Wahlen in Italien 40 Pro- Wefing: Giovanni, Sie haben vorhin gesagt, die na ihre Angehörigen gefunden täuscht. Warum? Weil ich führen, und wir führen sie. Aber es gibt Wende- zent holt, dann werden seine politischen Gegner Generation, der Özlem, A lice und Khuê angehö-v. l.): I habe. Dieser Artikel wurde mich noch sehr gut an das punkte. Für mich sind die rechtsextremen Morde einen Teil der Wähler davon überzeugen müssen, ren, habe es leichter gehabt als Ihre Ge ne ra tion. os ( in der Redaktion und unter Buch von A lice, Khuê und in Hanau, der Anschlag auf die Synagoge in Halle, dass er der falsche Mann ist für die Lösung der Was meinen Sie damit? Fot den Lesern viel diskutiert. Özlem erinnere, das mich der Mord an Walter Lübcke ... Probleme. Also, ich finde, dass Gauck einen Ver- Di Lorenzo: Ich bin zu einer Zeit nach Deutsch-Kl. Der ZEIT-Artikel hat eine sehr berührt hat. Es zeigte, Wefing: ... dem Kasseler Regierungspräsidenten ... such unternimmt, der lebensnotwendig ist für die land gekommen, in der jeder, der keinen deut- Vorgeschichte: Bota, Pha․m dass eine neue Ge ne ra tion Bota: ... lauter Wendepunkte in sehr kurzer Zeit. politische Zukunft in Deutschland und anderswo. schen Namen trug, den Status eines exotisches und Topçu haben 2012 herangewachsen ist von Und deshalb müssen wir darüber nachdenken, ob Pham: Soll man mit Leuten reden, die Populisten Tiers hatte – freundlich gesagt. Praktisch jede ․ gemeinsam ein Buch ver- Migrantenkindern, die sehr die Ause in an der set zung mit der AfD und ihren wählen? Natürlich. Aber der springende Punkt ist Form der Herabsetzung war erlaubt. Wohlge- öffentlicht, »Wir neuen differenziert auf Deutsch- Wählern erfolgreich war. Meine Meinung ist ganz doch, was man ihnen sagt. Was ist die Botschaft? merkt, ich bin der Sohn einer Deutschen, und Deutschen«, ein, wie der »Das Gefühl, wir land schauen, die es nach klar: nein. Und von jemandem wie Herrn Gauck Es reicht nicht, zu sagen, hey, ich weiß, die Globa- trotzdem stellte sich ein Lehrer vor die Klasse und »Spiegel« schrieb, »Porträt meinem Empfinden auch erwarten wir da eine Haltung, ein Wort. Wir sagen lisierung ist eine wahnsinnige Überforderung. sagte: »Di Lorenzo, diesen Itaker, den sollte man ihrer Generation (...) der sind in Feindesland, in mancher Hinsicht leich- ganz klar, dass wir ihn nicht für einen Rassisten Man muss klarmachen, dass sie sich für eine Partei aufhängen.« Ich war noch ein relativ kleiner Junge jungen, gebildeten, enga- ter gehabt haben als meine oder Populisten halten, aber für ihn, der als mora- entscheiden, die sich immer weiter radikalisiert. und bin komplett erschüttert zu meinem Schullei- gierten Einwandererkinder hilft in keiner Ge ne ra tion. Und ich fand lische Stimme wahrgenommen wird, gelten andere Für eine Partei, von der der Verfassungsschutz ter gegangen. Wissen Sie, was dessen einzige Sorge (...), die auch Ansprüche es wunderbar, dass der Bun- Maßstäbe als für andere Bürger. schätzt, dass jeder Vierte dort mittlerweile eher war? Ob ich den Ruf der Schule beschmutzen an Deutschland stellt«. Weise weiter« despräsident sie eingeladen Topçu: Unser Artikel richtete sich ja nicht gegen dem völkischen Teil angehört. wolle? Wenn heute so etwas an der Schule meiner Nach Erscheinen des Bu- hat. Aber als ich ihren Arti- seine Thesen. Ich habe sogar einmal eine seiner Bota: Wenn ich Zitate von AfD-Funktionären Tochter passieren würde oder an der Kita von ches wurden die drei Jour- kel sah, dachte ich, jetzt Lesungen moderiert. Unsere und -Mitarbeitern lese wie Özlems Tochter, dann wäre die Re ak tion, völlig zu nalistinnen von Gauck zu Giovanni di Lorenzo, wird wieder einer, der es Kritik bezieht sich in aller- »Die Merkel-Nutte lässt Recht, die gesellschaftliche Ächtung des Lehrers einer Lesung ins Schloss ZEIT-Chefredakteur seit 2004, wurde überhaupt nicht verdient, erster Linie darauf, dass er jeden rein«, »Deutschland oder Erziehers. Belle vue eingeladen. Im 1959 in Stockholm geboren und kam in eine Ecke geschoben, in auch nach dem Attentat in den Deutschen«, »Sieg Topçu: Ja, Deutschland ist viel offener geworden. vergangenen Jahr schrieb 1970 von Rom nach Hannover die er nicht gehört. Gauck Hanau weitergemacht hat, Heil«, »Immerhin haben wir Darüber freue ich mich. Während meiner Kind- auch Gauck ein Buch, selbst definiert sich als Li- als wäre nichts passiert. jetzt so viele Ausländer, heit in den Achtzigerjahren war es noch ein kom- Titel: »Toleranz: einfach beraler in der politischen Di Lorenzo: Ich kann nicht dass sich der nächste Holo- plett anderes Land. Aber das zu erreichen war ein schwer«, in dem er nach den Grenzen der Tole- Mitte. So verorte ich ihn auch. Er ist einer der beurteilen, ob er wirklich caust wieder lohnen würde« hartes Stück Arbeit. Und ich würde nicht sagen, ranz in der pluralen Gesellschaft fragt. wenigen, die noch in der Lage sind, zwischen ver- nichts zu Hanau oder zu – dann denke ich: Wer die- dass ich für diese Offenheit besonders dankbar schiedenen Milieus und Lagern zu vermitteln. Halle gesagt hat. Ich be- se Partei wählt, den kann bin. Denn von dieser Offenheit haben nicht nur Heinrich Wefing: Alice, Khuê, Özlem: Was hat Wefing: Warum sprechen Sie von Enttäuschung? zweifle das. »Gegen Rassismus man verantwortlich ma- Migranten etwas – wir alle profitieren davon. Joachim Gauck falsch gemacht? Sind Sie und die drei Kolleginnen nicht einfach Bota: Wir haben das kom- chen für die Unterstützung Pham: Wir mischen uns mehr ein als die Ge ne ra- ․ Khuê Pha․m: Als wir 2014 ins Schloss Bellev ue ein- unterschiedlicher Meinung? plette Archiv durchsucht; es zu kämpfen ist dieser Weltsicht. Die Liste tion vor uns. Meine Eltern mussten einen viel geladen wurden, war das eine große Ehre, wir Di Lorenzo: Vorhin hat Khuê gesagt, der Diskurs findet sich nichts dazu. solcher Äußerungen ist härteren Weg gehen. Und sie waren immer stolz, hatten das Gefühl, wow, der Bundespräsident sei rauer geworden in den letzten Jahren. Dazu Warum ließ er diese C hance keine Aufgabe mittlerweile lang. wenn man uns Komplimente gemacht hat, wie gut hört, was wir zu sagen haben. Aber in den Jahren trägt bei, dass jeder, der etwas sagt, was anderen verstreichen? Di Lorenzo: Mit Leuten, wir Deutsch sprechen. Ich hingegen war etwas danach hat sich viel verändert in Deutschland, nicht passt, sofort in eine Schublade gesteckt wird. Hayali: Da hat Alice doch der Linken« die solche Sätze ausspre- beleidigt. Ich wollte von anderen Deutschen die Debatte ist härter geworden, und wir haben Das ist eine der schlimmsten Entwicklungen in einen Punkt: Hätte Gauck chen, ist jedes Reden sinn- gleichberechtigt behandelt werden – ich glaube, den Eindruck gewonnen, auch Gauck hat seine der politischen Aus ein an der set zung der letzten nicht tatsächlich die Opfer los. Das würde ich verwei- das ist eine sehr deutsche Eigenschaft von mir. Wir Po si tion verschoben. Jahre. Man kann Gauck sicher widersprechen, und die Taten erwähnen Alice Bota, gern, auch in einer privaten drei sind hier aufgewachsen, wir betrachten dieses Wefing: Inwiefern? aber man kann ihm nicht vorwerfen, er distanziere müssen? ZEIT-Korrespondentin in Moskau, Runde. Aber: Es ist nicht Land als unser Land, und wir wollen in dieser Alice Bota: Überrascht und verstört hat uns, dass sich nicht entschieden genug von Rechtsradikalen Di Lorenzo: Ich weiß nicht, wurde 1979 in Polen geboren. 1988 so, dass der Erfolg der Po- Gesellschaft eine Rolle spielen. Gauck nach den Morden an zehn Menschen in und Menschenfeinden. ob irgendjemand einen ver- emigrierte die Familie nach Deutschland pulisten weltweit nur das Topçu: Was Khuê sagt, stimmt. Wir haben als Hanau keine Worte für die Opfer gefunden hat, Dunja Hayali: Was bedeutet »rechts« konkret? Und nünftigen Zweifel daran hat, Ergebnis einer sich selbst Kinder gehört, wie unsere Eltern von Fremden obwohl er in seinem Buch schreibt, dass die Opfer sind Konservative für Sie rechts oder rechts außen? dass Gauck zu Hanau oder repro du zie ren den Bosheit geduzt wurden, wie mit ihnen gesprochen wurde, diejenigen sind, denen unsere Aufmerksamkeit Özlem Topçu: Gauck sagt, dass man nicht jeden Halle nur die schärfste Abgrenzung und Verurtei- und Blödheit ist. Irgendetwas haben auch die als wären sie schwerhörig. Das hat ihnen nicht viel und unsere Empathie gelten sollten. Stattdessen verteufeln soll, der mit dem Wandel der Gesell- lung finden würde. Aber das ist nicht mein Punkt. eta blier ten Parteien, die Medien, die gesellschaft- ausgemacht. Meinem Bruder und mir aber schon. wiederholte er zehn Tage nach den Anschlägen, schaft, mit der Globalisierung, mit der Mi gra tion Hayali: Was dann? liche Mitte dazu beigetragen, dass Populisten so Das ist eigentlich ein gutes Zeichen, weil man sich man müsse die Toleranz nach rechts erweitern. nicht zurande kommt und AfD wählt. Das könnte Di Lorenzo: Im Grunde schreiben die Kolleginnen stark geworden sind. Und deswegen predige ich in dem Land, zu dem man sich zugehörig fühlt, Wefing: Am Abend, als wir den Artikel der Kolle- man als rechts oder konservativ verorten: Leute, die eine ganze Wählergruppe ab ... immer wieder, dass wir uns diese Fehler genau an- nicht so behandeln lassen will. ginnen produziert haben, kamen Sie, Giovanni, zu eine eher einheitliche Gesellschaft wollen und nicht Pham: ... Einspruch! schauen, weil wir sonst keinen Hebel haben, den Di Lorenzo: Ich empfinde es nicht als Akt der De- ․ mir und sagten: »Wichtiger Text, aber ich bin in so viel Veränderung. Gauck fordert, verkürzt gesagt, Di Lorenzo: Das war jedenfalls mein Leseein- gesellschaftlichen Frieden mittelfristig zurückzu- mut, wenn ich sage, ich bin diesem Land dankbar. fast jedem Punkt anderer Meinung.« So entstand man solle AfD-Wähler nicht pauschal als Faschisten druck. Und das finde ich falsch. Da bin ich bei gewinnen. Ich konstatiere einfach, dass inzwischen etwa die Idee zu diesem Gespräch, einem Novum für bezeichnen, sondern versuchen, sich mit ihnen aus- Gauck, der mit der ganzen Autorität seines ehema- Wefing: Zum Beispiel? 25 Prozent der Bevölkerung einen Migrationshin- die ZEIT. Und damit es dabei nicht zu insider isch ein an der zu set zen und sie zurückzugewinnen. ligen Amtes, mit seiner Lebenserfahrung versucht, Di Lorenzo: Kann man bei aller Solidarität mit tergrund haben. Und Deutschland fährt damit UPLOADED BY "What's News" vk.com/wsnws TELEGRAM: t.me/whatsnws »Eine Demokratie, in der nicht gestritten wird, ist keine.« HELMUT SCHMIDT STREIT 9 16. APRIL 2020 DIE ZEIT No 17 g) n u er gi e esr d n u B er d mt a ns o ati m or nf d I n u e- ess 2014: Unsere Kolleginnen Pr el/ sind zu Gast bei z en Bundespräsident Gauck D o im Schloss Bellevue. c Jes Heute kritisieren sie, o: ot dass er AfD-Wählern nicht F w. genug zumutet er v T ( EI Z E DI ür h f c Nis us e h ot hil P g: n osi p m o C besser als die allermeisten Länder. Ich bleibe nur in reagierte oder dass mich das nicht berührte. Ich die aus Ärger und Enttäuschung ihre eigenen Wefing: Da gab es ja schon Versuche: Özlem hat von hervorragenden Schauspielern. Das löst ja er g einem Punkt pessimistisch: Ich glaube, dass man habe mich erst vor Kurzem an den Bundesinnen- neuen Grenzen zu den ›Almans‹ ziehen. Was ist mit anderen Journalistinnen und Journalisten mit auch Scham aus. Aber die Wirkung auf das Publi-g u L Fremdenfeindlichkeit bekämpfen kann, aber nie minister persönlich gewandt, weil einige von uns mit deren Sorgen?« Migrationshintergrund jahrelang eine antirassisti- kum war ungeheuer. a or abschaffen wird. auf Listen standen. Topçu: Da reden wir nicht über uns, da reden wir sche Lese show veranstaltet, bei der sie auf der Pha․m: Hate Poetry ist ein gutes Beispiel dafür, wie er; C Topçu: Ja, Rassismus gibt es überall und wird es Bota: Darunter auch ich. über Leute, die mindestens zehn Jahre jünger Bühne die übelsten Leserbriefe und Mails vorge- man über das Thema reden kann. Joachim Gauck ed w immer geben. Hayali: Darf ich eine andere Frage stellen? Sie sind ... tragen haben, das Ganze nannte sich »Hate Poe- hat in seinem Buch eine Schriftstellerin zitiert, die oh R Hayali: Muss man im Kampf gegen Rassismus schreiben für die ZEIT, ich arbeite für den öffent- Di Lorenzo: Wenn mir jemand sagt, dass er sich try«. Giovanni hat später eine ähnliche Veranstal- ich sehr mag, Chimamanda Adichie aus Nigeria. Sie aria M nsoiclihdta ariuscfpha msseitn ,d nenic hOt pdfieerjnen siignedn, zwue vnenrp Mreellnesnc,h deine ldicieh M-reecihntulincghsepnl uRraulintdätf udnekr .G Uesnesllesrceh Aafut fagbazbueb iisldt eens,, awuüfrgdreu nicdh veonner gAisnchfe idnadguegnegnehna ltaebnw. eDndase tG, edfüanhnl, t»uCnhgo ro drgesa nHisaiessret,s «,d diea whiuerß- sRcohmreaibnte wuunndd erSbaacrh bwüacrhmere, v. l.): mit Migrationsgeschichte angegriffen werden? Das und dazu gehören auch die AfD-Wähler und ihre wir sind hier in Feindesland und ich muss mich de vorgelesen, welche Be- die es ihren Lesern leicht otos ( F sind ziemlich viele. Und das klingt in Ihrem Arti- »Volks«-Vertreter. Sie sind demokratisch gewählt, entsprechend aggressiv gegenüber den Deutschen schimpfungen Politiker er- machen, zu verstehen, was Kl. kel nicht an. deshalb müssen sie bei uns zu Wort kommen. Sie verhalten, das ist mir auch begegnet. Aber das hilft leiden müssen. Hat das Rassismus ist, ohne sie zu Bota: Das sehe ich anders. Wenn Menschen mit könnten das bei der ZEIT anders handhaben. dem Diskurs in keiner Weise weiter. funktioniert? belehren. Vielleicht ist das Migrationsgeschichte angegriffen werden, dann Di Lorenzo: Wir können über alles schreiben, Topçu: Mir sind diese identitätsbewegten Leute oft Topçu: Am Anfang schon. auch für uns Medienmacher betrifft mich das nicht mehr oder weniger als auch über Rassisten, über Extremisten, über Holo- zu kompromisslos und zu unversöhnlich. Unser Kollege Yassin Mu- eine Chance: einen Ton zu Giovanni oder Heinrich. Es geht uns alle an. Das caustleugner, über Leugner des Klimawandels. Di Lorenzo: Der Mensch ist nie das Produkt nur shar bash hat immer gesagt: wählen oder eine Erzähl- ist mein wichtigster Punkt: Gegen Rassismus zu Aber wir sollten ihnen keine Bühne zur Selbstdar- einer Strömung, einer Prägung. Identität setzt sich Wir schießen den ganzen weise, die deutlich ist, aber kämpfen ist keine Aufgabe der Linken oder der Mi- stellung bieten. Jenseits dessen gibt es ein weites aus verschiedenen sozialen, kulturellen und politi- rassistischen und sexisti- »Wir mischen uns die Leserinnen und Leser granten, es ist eine universelle Aufgabe aller politi- Feld für uns. schen Faktoren zusammen, und die Reduzierung schen Mist in die Umlauf- nicht belehrt oder pauschal schen Kräfte. Auch der Konservativen – und eben Hayali: Und finden Sie es richtig, dass die öffent- allein auf die ethnische Komponente greift zu bahn zurück. Ich habe Hate mehr ein als abstempelt. von Persönlichkeiten wie Joachim Gauck. Deshalb lich-rechtlichen Sender weiterhin Politiker der kurz. Das gilt für die Rechten, aber es gibt auch ein Poetry immer als aufkläre- Di Lorenzo: Die Medien halte ich einen starken Konservatismus in Deutsch- AfD einladen? linkes Pendant, das den Diskurs vergiftet. risch empfunden. Aber ir- die Generation sind ja im Moment in der land für so wichtig. Aber einen, der sich abgrenzt, Di Lorenzo: Die Sender haben einen anderen Auf- Pham: Manche der jüngeren Aktivisten finden gendwann mussten wir auf- Corona-Krise sehr erfolg- ․ statt die Sprache der AfD zu übernehmen. trag. Sie müssen alle politischen Strömungen ab- Dinge rassistisch, die mir gar nicht so auffallen. hören. vor uns« reich, das ist einer der weni- Di Lorenzo: Übrigens gab es in den Neunzigerjah- bilden. Ich habe mit Zustimmung gelesen, dass Die Haltung zu Deutschland unterscheidet sich Wefing: Warum? gen Lichtblicke. Wir wer- ren auch eine Phase, die – bei allen Unterschieden Björn Höcke bei Ihnen von Ge ne ra tion zu Ge ne ra- Topçu: Irgendwann hat es den on line geklickt wie nie, – vergleichbar war mit dem, was in Halle und Ha- nicht mehr eingeladen wer- tion, das sieht man auch nicht mehr nur uns Mi- Khuê Pha․m, auch die gedruckte Auflage nau passiert ist. Da gab es die Morde in Mölln, da den soll. Trotzdem: Wenn bei diesem Gespräch mit granten getroffen, es hat ZEITmagazin-Redakteurin, Jahrgang verkauft sich sehr gut. Ich brannten Asylbewerberheime, es gab pogromartige Landtagswahlen sind, Ihnen, Giovanni. Nach sich ausgebreitet. Es ging 1982, ist in Berlin geboren und habe mich gefragt, woran Übergriffe gegen Ausländer. Aber anders als heute wenn Sie Talk shows haben, meinem Eindruck befinden auch nicht mehr nur um aufgewachsen. Ihre Eltern stammen das liegt. Sicherlich daran, war die Re ak tion der Politik schwach und hilflos. können Sie die Populisten wir uns in einem wahnsin- verbalen Hass, sondern um aus Vietnam dass die Bedrohung so groß Topçu: Ich erinnere mich noch, dass der damalige nicht ausblenden. Es ist nig anstrengenden Kultur- Morddrohungen oder Ver- ist. Aber vielleicht hat es Bundeskanzler Kohl sich weigerte, an der Beerdi- aber ein totaler Irrglaube, kampf, der keine neuen gewaltigungsfantasien. Kol- auch damit zu tun, dass sich gung von Anschlagsopfern teilzunehmen, mit der man könne die AfD oder Argumente zur Einwan- legen wurden bei Pegida-Aufmärschen tätlich an- Journalisten im Moment stark auf das Darstellende Begründung, er mache »keinen Beileidstourismus«. den Populismus kleinkrie- derungsgesellschaft bringt, gegriffen. Außerdem wurde ein Ensemblemitglied, konzentrieren, auf das Analysierende und Erklä- Dass wir da weitergekommen sind, liegt meines Er- gen, indem man bestimmte »Von Offenheit sondern nur alte Argumen- Deniz Yücel, in der Türkei verhaftet, was wiede- rende, und das Kommentierende eher zurückstel- achtens auch daran, dass irgendwann auch migran- Leute nicht mehr ins Fern- te in immer schrilleren rum Anlass für viele AfD-Anhänger war, sich darü- len. Ich finde, nicht zu unserem Schaden. tische Stimmen an der Debatte teilgenommen und sehen einlädt. Genauso haben nicht nur Tonlagen, auf beiden Sei- ber zu freuen. Die Realität hat uns überrollt. Bota: Giovanni, warum organisieren Sie nicht Forderungen an dieses Land gestellt haben. falsch finde ich übrigens ten. Und das verschärft die Di Lorenzo: Als ich zum ersten Mal im Rahmen wieder eine Lichterkette? Di Lorenzo: Mich hat die Schwäche der Politik die Vorstellung, es sei un- Migranten etwas – Radikalisierung. einer ZEIT-Veranstaltung solch einen H ate- Poetry- Di Lorenzo: Weil das ein Rollenkonflikt für mich damals dazu verleitet, für kurze Zeit die Seiten zu sere Aufgabe als Medien, Bota: Mir ist diese Gleich- Slam erlebt habe, war ich richtig stolz auf die Kol- als Chefredakteur der ZEIT wäre. Journalisten wechseln und mit Freunden zusammen zum Akti- AfD-Wähler zu bekehren. wir alle profitieren setzung von links und leginnen und Kollegen, die da auf der Bühne sollten keine Aktivisten sein oder nur in absoluten visten zu werden. Wir haben die erste Lichterkette Wir sind Journalisten. Es rechts gerade zu geschmei- saßen. Es war eine ganz neue Art, mit dem Hass historischen Ausnahmefällen. Davon abgesehen in Deutschland gegründet, um zu zeigen, das ist ist die Aufgabe der Politi- davon« dig. umzugehen. Man hat gemeinsam gelacht über fände ich aber eine Lichterkette ganz gut, um klar- unser Land, die Mehrheit steht gegen den Mob ker, eine der wichtigsten Di Lorenzo: Das habe ich diese Abgründe, und das hatte etwas Befreiendes. zumachen, dass die übergroße Mehrheit der Deut- und die Anschläge. Aufgaben überhaupt, we- nicht gesagt, A lice. Natür- Ich habe dann vor anderthalb Jahren den Chor des schen ächtet, was da von rechts kommt an Vergif- Bota: Wenn wir sagen, die Debatte ist in den ver- nigstens einen Teil dieser Özlem Topçu, lich ist die Bedrohung von Hasses initiiert. Vorausgegangen waren viele Ge- tung und Bedrohungen. gangenen Jahren unangenehmer geworden, dann Leute zurückzugewinnen. geboren 1977 in Flensburg, ist seit 2009 rechts im Moment viel grö- spräche mit Politikern und Politikerinnen, die mir Topçu: Auf Twitter schrieb jemand: Es ist gerade meinen wir damit nicht nur die Anschläge, son- Hayali: Absolut d’accord. Politikredakteurin der ZEIT. Ihre Eltern ßer als die von links, wer erzählt haben, was für unfassbare Zuschriften sie nicht die Zeit für Lichterketten, es ist die Zeit für dern auch, dass mittlerweile Kollegen Polizeischutz Daran anknüpfend passt kamen als Arbeiter nach Deutschland wollte das bestreiten? Aber bekommen. Es hat lange gedauert, bis ich die Razzien und Haftbefehle. Ich würde ihm da zu- benötigen, dass wir Leserbriefe mit Klarnamen be- die Frage, die Alice, Khuê ich glaube, dass sich der Menschen zusammenhatte, die bereit waren, das stimmen. kommen, die uns Vergewaltigungen an den Hals und Özlem in ihrem Text Kampf gegen rechts mit öffentlich zu machen ... Di Lorenzo: Ja. Lichterketten sind immer nur Zei- wünschen. stellen: Wer gewinnt eigentlich die Menschen mit den Mitteln der Identitätspolitik nicht erfolgreich Wefing: ... Sie sind aufgetreten mit Ursula von der chen, keine Instrumente, um etwas zu verändern. Hayali: Giovanni, vielleicht nehmen Sie die Wucht Migrationsvordergrund (ich sage immer: Migrati- führen lässt – im Gegenteil, das würde die Rechten Leyen, Heiko Maas, Cem Özdemir und Andreas Aber sie waren damals sehr wirkungsvoll. Weil sie der Angriffe, wie Sie sie damals selber erlebt haben, onsvordergrund) zurück, die sich abwenden, weil nur stärker machen. Hollstein, dem Bürgermeister von Altena. gezeigt haben, dass die Leute, die geschimpft und heute nicht mehr so deutlich wahr, weil Sie sich sie ausgegrenzt werden wegen ihrer Herkunft, Hayali: Wir sind uns einig, dass die Lauten, die Di Lorenzo: Es tut mir immer noch weh, daran gepöbelt haben, nicht die Mehrheit sind. Auch das nicht in den sozialen Medien bewegen? Hautfarbe oder Religion? Sie schreiben: »Längst Gröler von den Rändern, zu viel Aufmerksamkeit zurückzudenken, wie sich Ursula von der Leyen hat wieder zu tun mit der Frage: Wer gibt den Ton Di Lorenzo: Da täuschen Sie sich. Wenn irgend- gibt es neue Generationen von Einwanderkindern bekommen. Aber an wem liegt das? Auch an uns am Vor abend ihres 60. Geburtstages mit ihrem vor? Mein Gefühl sagt mir: Es ist Zeit, dass die eine Kollegin, irgendein Kollege bedroht wird, und -enkeln, gut ausgebildet, selbstbewusst und Journalisten, oder? Also müssen wir uns überlegen: Mann und ihrer Tochter noch einmal diese politische Mitte in Deutschland zu neuem Selbst- dann ist es doch undenkbar, dass ich darauf nicht unversöhnlich, die nicht mehr verhandeln wollen, Wie wird man diesen Wahnsinn wieder los? Beschimpfungen anhören musste – vorgetragen bewusstsein kommt und für ihre Werte kämpft. UPLOADED BY "What's News" vk.com/wsnws TELEGRAM: t.me/whatsnws IN DER ZEIT 10 16. APRIL 2020 DIE ZEIT No 17 TITELTHEMA Das neue Normal – wie finden wir aus dem Krisenmodus? ZEITNAH T POLITIK Interview Der Mathematiker Gerd Antes Literatur Vor 50 Jahren wählte der L über Qualität in der Wissenschaft – und Dichter Paul Celan in Paris den Freitod. A CDU Wie Armin Laschet versucht, mit die Mängel der Heinsberg-Studie Ein Band mit Briefen und weitere Neu- H der Exit-Debatte seine Chancen auf die VON JAN SCHWEITZER 26 erscheinungen geben Einblick in sein N Kanzlerkandidatur zu verbessern zerrissenes Leben I VON MARIAM LAU 2 Schule Funktioniert das Lernen auch in VON IRIS RADISCH 46 der Krise? Eine exklusive Umfrage unter Klimapolitik Ist die Corona-Krise Fluch Roman Lena Dunham Lehrkräften oder Segen für den Umweltschutz? »Verified Strangers« VON MARTIN SPIEWAK UND VON PETRA PINZLER A 3 CHRISTIAN FÜLLER A 27 VON ANTONIA BAUM 46 Solidarität Geht die Lockerung der Der ZEIT-Kultursommer auf zehn Kontaktsperren auf Kosten der Alten? Tiefseeforschung Quastenflosser und Seiten: VON HEINRICH WEFING A 4 Nazischatz – der Biologe Hans Fricke über sein Leben unter Wasser 29 Kunst Ein Gespräch mit der Malerin Geflüchtete Die Bundesregierung eva- Katharina Grosse und der Bildhauerin kuiert 50 Minderjährige aus Griechenland. Infografik Vor 50 Jahren lösten sich Alicja Kwade über das Arbeiten in Zeiten Ist das eine gute Tat oder eine moralische die Beatles auf. Ihre Songs werden EIT Bankrotterklärung? immer noch geliebt der Pandemie 49 Z DIE VON CATERINA LOBENSTEIN, VON SVEN STILLICH 30 Musik Der finnische Dirigent Pietari ür PAUL MIDDELHOFF UND Inkinen, ein Mann für Wagner in Bayreuth n f Öffentlicher Dienst Lange galten Jobs ellman MICHAEL THUMANN 5 beim Staat als langweilig. Doch in der VON WOLFRAM GOERTZ 51 a S EU Josep Borrell, der Außenbeauftragte Krise werden Angestellte und Beamte Stadtporträt Der Regisseur C HRISTIAN Foto: Juli dine rE Kuroompma, idssieio gnl,o übbaleer Kdeono pZeurastaimonm –e n halt VplOöNtz lMicAhN zUu EHLe Jld. eHnA R TUNG, nPäEcThZsOteLnD » M übaenr iMfesatras«e il l e, Schauplatz der5 2 und die Frage, warum China und Russland 4.622 Kilometer im Recherchemobil die bessere Eigenwerbung machen 6 MANUEL STARK UND Jazz Der Berliner Vibrafonist Christopher PETER DAUSEND A 31 Dell und seine unorthodoxen Konzerte Afrika Europas Nachbarkontinent hat Wo schlafen Reporterinnen, wenn die meisten Hotels geschlossen sind? Woher bekommen sie Humor Tom Gauld zeichnet Comics VON ULRICH STOCK 54 Erfahrung mit verheerenden Seuchen ein warmes Essen, wenn die Restaurants zuhaben? Weil sie für alle Situationen gewappnet VON ANDREA BÖHM 7 über das Leben im Labor. Wie witzig kann Tanz Eine Begegnung mit der unver- sein wollten, mieteten die ZEIT-Redakteurin Hannah Knuth (rechts) und die Fotografin Julia Wissenschaft sein? Ein Gespräch 33 gleichlichen Performerin Teresa Vittucci Sellmann ein Wohnmobil, um quer durch Deutschland zu reisen und Mittelständler im STREIT VON ANDREA HEINZ 56 LEO – DIE SEITE FÜR KINDER Krisenmodus zu besuchen. Das Gefährt wurde für zehn Tage ihr »Lebensraum«, sagt Knuth – Festival Die Vorbereitungen zum Mein Einwanderungsland Drei einer, der auch schon mal unter einer Brücke stecken bleiben kann WIRTSCHAFT, SEITE 17 ZEIT-Redakteurinnen streiten mit ihrem Weltweites Kunstprojekt Kinder sind Weimarer Kunstfest Chef über die Grenzen der Toleranz 8 aufgerufen, ihre Erlebnisse in der Corona- VON PETER KÜMMEL 57 Krise in Bildern festzuhalten. Daraus wird Jubiläum Ulm feiert den eine internationale Ausstellung 250. Geburtstag des Flugpioniers DOSSIER VON KATRIN HÖRNLEIN UND Albrecht Ludwig Berblinger 8. Mai 1945 Zum Auftakt einer großen MARIA ROSSBAUER 40 VON JOHANNES SCHWEIKLE 58 ZEIT-Serie 75 Jahre nach Ende des Schulweh Xaver vermisst Lehrer und Rettet Zweiten Weltkriegs: Momentaufnahmen Mitschüler, die Kioskschlange und den GLAUBEN & ZWEIFELN des Tages, an dem die Welt entstand, in Z (l.) der wir heute leben Tafeldienst D Ethik Darf man Seelsorge verbieten? den Trikoz für VHOANU KAEL FICREIE BDORTIACH, S, MALTE HENK, VON ANGELIKA DIETRICH 40 KThlienoiklopgfeanrr eurn udn Cd hKerfaänrzkteen ksrcihtiwsieesrteenr nd,i e na KERSTIN KOHLENBERG UND FEUILLETON Totalabschottung der Schwächsten a Spargel! on: Tati TANJA STELZER 11 Musik Eine Begegnung mit der Jung- VON EVELYN FINGER 48 ati k; Illustr RECHT & UNRECHT VdiOriNg eCnHtiRnI JSoTaInNaE M LEalMlwKiEtz- M ATWEY A 41 Z – ZEIT ZUM ENTDECKEN o Osteuropäische mis/Lo Pmoitl idteismc hCehr eFf rdaegre sbyorigscehne nD Wieesieß Wheolmchee, Computerspiel »Animal Crossing« hilft Spargelernte Eine teilnehmende Enurnnt ehhoellefner d feeuhtlsecnh, e Foto: He Raed Saleh A 16 VgeOgNen S EINinEsMam KkILeiItÇ u nd Langeweile 41 BVOeoNb aJcOhNtuAnSg S aEuUf FdEeRmT A cker 59 Freiwillige das Königs- Kultursommer? Jetzt erst recht! WIRTSCHAFT Corona-Pandemie Verändert das Virus Hausbesuch In einer neuen Serie treffen gemüse vom Feld. die Weltordnung? Ein Gespräch mit Hau- wir Menschen im Videochat in ihren Ein Selbstversuch Noch weiß niemand, welche Konzerte, Festivals, Performances Mittelstand In der Krise zeigt sich ke Brunkhorst, Herfried Münkler und eigenen vier Wänden. Den Anfang macht ENTDECKEN, SEITE 59 die Entfremdung zwischen Wirtschaft und Armin Nassehi 42 Johannes B. Kerner in den nächsten Monaten stattfinden. Wir schauen dennoch Politik. Eine Reise durch Deutschland VON MORITZ HERRMANN 61 voraus – ein Festival der Vorfreude, unter anderem auf die VON HANNA KNUTH A 17 TV-Talkshows Anne Will erzählt über Am Abendbrottisch mit ... einer das Streiten mit Sicherheitsabstand Kunstausstellung Manifesta in Marseille FEUILLETON, S. 49–58 Kapitalismus Wie das Virus die Schauspielerin, einem Politiker, VON MORITZ VON USLAR 43 Wirtschaft verändern wird einer Lehrerin und einem Psychologen der VON UWE JEAN HEUSER 19 Erzählungen Nicole Flattery Generation Ü70. Wie denken die Angehö- »Zeig ihnen, wie man Spaß hat« rigen der Risikogruppe über die zu ihrem Deutsche Bank Vizechef Karl von Rohr IN DEN REGIONALAUSGABEN A ZUM HÖREN im Gespräch über die Nöte der Firmen- VON HARALD JÄHNER 44 Schutz erdachten Maßnahmen? 63 ZEIT im Osten nur so kommen all die politi- Die so gekennzeichneten kunden und die Stabilität der Banken 20 Kolumne Verhaltenslehren Das Dekameron-Projekt (4) Als im Seit Beginn der Corona-Krise schen Fragen zurück, die vom Artikel finden Sie Krankenhäuser Die Rhön-Kliniken VON ANDREAS BERNARD A 44 14. Jahrhundert in Europa die Pest wütete, führt der Schriftsteller LUKAS Virus verdrängt wurden als Audiodatei schrieb Giovanni Boccaccio seine klagen über zu wenig staatliche Unter- RIETZSCHEL für uns Tagebuch aus VON MATTHIAS DAUM UND im »Premiumbereich« Kino: Fünf Filmemacher schreiben Novellensammlung »Das Dekameron«. stützung seiner Heimatstadt Görlitz: Wie SARAH JÄGGI 15 unter www.zeit.de/audio über ihre »guilty pleasures« Wir haben zeitgenössische Schriftsteller verändert sich das Leben, wenn In der Netflix-Serie über den ANZEIGEN IN VON INGO MALCHER 20 um eine Neuauflage gebeten. Diesmal: peers Aesn w dieedr eOr sGtsreeen bzerenc ghiebnt ?a lte 15 Pissty dciheo Sacnhawlyetiikzeerri nS iEgmllau Rndu mFrpefu d DLiInEkStEipRp sA (SUeSitGe A14B)E, Obenwleirntue-nSgheno pfüphinregn KGuenkdauenft ein P droied uIrkrte- »BDenaisg Lnei buennd i sVt isnccheönnz«o vCoenr aRmoib e rto »T DILaMs AKNre RuAz«M zMumST ThEDeTm m a iLt idebere E rzähAlun 6g4 on S Konflikte neu auf: Wohlhabende der Shootingstar. Ihre Spezialität: Museen und Galerien VON FLORIAN HEIDE 22 VON DÉSIRÉE NOSBUSCH 45 o: Land Fdeerri ePnohliazueis bgeesziwtzuenr gweenr,d iehnr ev on Iznun learsese Dn äVmONo nWeInLL vIAoMn SdTeErR LNe ine1 6 ((SSeeiittee 4477)),, SBpilideulpnlägnsaen ge- China Der Ökonom Zhu Ning über die Bud-Spencer-Terence-Hill-Klamauk vWegiaen e zsu w leirbkenli c h ist ... als Metzger Fot Grundstücke zu verlassen. ZEIT Österreich bote und Stellenmarkt Erholung nach der Krise 23 VON ULRICH MATTHES 45 VON MICHAEL SPAHN 66 Alison Roman wird von Manche Einheimischen freuen Wie Österreich nach dem Ende (ab Seite 34) Serie: Die Erste (13) Maria Jepsen war Von vollbusigen Vorwänden und unter- iHhoremne F-Canoso aklisn Kgsö ngeigfeinie rdte. s sViOcNh MdAarRüTbINe rN E JEZCHLEBA 16 dNeesu Zanwfeaintegn w Wagetletk r iegs einen FRÜHER die erste lutherische Bischöfin der Welt schätzten Hitchcocks RUBRIKEN Wir trafen die Köchin in VON JOACHIM RIEDL 15 INFORMIERT! VON WOLFGANG THIELMANN A 24 VON WIM WENDERS 45 Die aktuellen Themen Leserbriefe 15 ihrer Küche in Brooklyn Wie können Krankenhäuser der ZEIT schon am Mit Luc Besson und Jean-Marc Barr im Hoffen auf Heilung 25 ZEIT Schweiz noch Patienten versorgen, die Mittwoch im ZEIT- WISSEN Rausch des Kitsches Die Position 34 Wo verkaufen Buchhand- Die Parteien zanken sich über sich nicht mit Corona infiziert Brief, dem kostenlosen VON EMILY ALEF 45 lungen derzeit noch Bücher? den richtigen Umgang mit dem haben? Newsletter Coronavirus Deutschland hofft auf eine Worum geht’s? 35 Coronavirus. Zum Glück – VON CHRISTINA PAUSACKL 16 www.zeit.de/brief Rückkehr zur Normalität. Doch die wird »Der letzte Tango von Paris« von 3 ½ Fragen 36 nur in kleinen Schritten kommen Bernardo Bertolucci Impressum 44 Die ZEIT inklusive aller Regional- und Wechselseiten finden Sie in der ZEIT-App und im E-Paper. VON ANDREAS SENTKER 25 VON DOMINIK GRAF 45 Was mein Leben reicher macht 66 ANZEIGE Im Psychologie-Seminar der ZEIT Akademie macht Sozialpsychologe Prof. Dr. Jens Förster uns mit Ihr Gratis-Seminar den Grundzügen des menschlichen Verhaltens bekannt. Er zeigt, wie das Gedächtnis als Basis allen Denkens und Fühlens funktioniert. So könne man sich auch im Alter noch verändern – Emotionen »Psychologie – Einführung in die Alltagspsychologie« und das Unterbewusstsein spielen hier eine große Rolle: Freude, Liebe, Hass, Wut und Schuld haben ihre ganz eigenen Funktionen. Anhand faszinierender Beispiele aus der Forschung erfahren Sie, Jetzt bis zum 30.04. downloaden: dass Gefühle viel häufiger im Spiel sind, als wir meinen, und es dennoch der Verstand ist, der uns www.zeitakademie.de/seminar Menschen einzigartig macht ... 108398_ANZ_10839800021749_26165598_X4_ONP26 1 09.04.20 10:16