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Die Symbolische Macht Der Apokalypse: Eine Kritisch-materialistische Kulturgeschichte Politischer Endzeit (Cultural History of Apocalyptic Thought / ... Thought / Kulturgeschichte Der Apokalypse, 2) PDF

201 Pages·2016·1.778 MB·German
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Preview Die Symbolische Macht Der Apokalypse: Eine Kritisch-materialistische Kulturgeschichte Politischer Endzeit (Cultural History of Apocalyptic Thought / ... Thought / Kulturgeschichte Der Apokalypse, 2)

Christian Zolles Die symbolische Macht der Apokalypse Cultural History of Apocalyptic Thought Kulturgeschichte der Apokalypse Herausgegeben von Catherine Feik Veronika Wieser Christian Zolles Martin Zolles Band 2 Christian Zolles Die symbolische Macht der Apokalypse Eine kritisch-materialistische Kulturgeschichte politischer Endzeit ISBN 978-3-11-047098-7 e-ISBN [PDF] 978-3-11-047433-6 e-ISBN [EPUB] 978-3-11-047230-1 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Titelbild: Hans Grundig: Das Tausendjährige Reich (Mitteltafel Triptychon), 1936. © Bildrecht, Wien 2016. Foto © bpk | Staatliche Kunstsammlung Dresden Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com Vorwort Die vorliegende Arbeit geht auf ein von der Österreichischen Akademie der Wissen- schaften (ÖAW) von 2009 bis 2012 gefördertes interdisziplinäres DOC-team-Projekt zum Thema Abendländische Apokalyptik zurück, bei dem ein DoktorandInnenteam aus den Bereichen der Geschichts-, Literatur- und Medienwissenschaften die Rezepti- onsformen der biblischen Apokalypsen und insbesondere der Johannes-Offenbarung seit der Spätantike untersuchte. Dabei sollten vor allem auch die Voraussetzungen des gegenwärtigen Blicks auf die Geschichte der europäischen Endzeitvorstellungen nach den aktuellen Prinzipien der Kulturwissenschaften geschichtstheoretisch und methodologisch geprüft werden. Ausgehend von der Annahme, dass die Auseinandersetzung mit apokalyptischen Diskursen über einen derart langen Zeitraum eine Betrachtungsweise erfordert, die sich nicht an traditionellen Begriffskategorien orientieren kann, rückte die histori- sche Kontextualisierung jener Diskurse in den Fokus. Nicht von der Vergangenheit und Gegenwart einer bestimmten Endzeitlichkeit war auszugehen, sondern von den unterschiedlichen Formen ihres Inhalts, ihrer Gestaltung und ihrer Vermittlung. So beschäftigte in erster Linie die Heterogenität und Wandelbarkeit der soziopolitischen, diskursiven und medialen Faktoren, die hinter Untergangsszenarien ausgemacht werden können, und erst auf Detailanalysen aufbauend die Frage, inwieweit diese in ihrer Kontingenz vergleichbar sind. Zieht man als plakative Beispiele die Verkündun- gen des Untergangs des Imperium Romanum in der Spätantike, der römisch-katholi- schen Kirche im Zeitalter der Reformation oder des ‚Abendlandes‘ im ‚Dreißigjährigen Weltkrieg‘ des 20. Jahrhunderts heran, so lässt sich an ihnen ganz deutlich der jewei- lige historische Index erkennen, der ihnen zugrunde liegt, und man könnte einfach behaupten, dass sich in den Endzeitdeutungen die Krisen oder Veränderungen der kulturellen Landschaft spiegelten. Damit wäre aber noch nicht geklärt, in welcher Tradition diese Deutungen zu verstehen sind, in welchem Glauben oder Wissen, mit welcher Intention und mit welchen Auswirkungen sie auftraten und wer als eigentli- cher Akteur hinter den undurchsichtigen Vermittlungen der Offenbarung ausgemacht werden kann. Die Studie soll als kulturwissenschaftliche Rahmenarbeit zu diesen Fragestellun- gen verstanden werden. Einschlägigen Kulturtheorien des 20. Jahrhunderts folgend, geht sie weniger von diachronen als von synchronen Diskursschnittpunkten aus und operiert mit mehreren Zeitachsen unterschiedlicher Dauer, in der Hoffnung, damit die Komplexität ‚abendländischer Apokalyptik‘ aufzeigen und ihre Historisierung hinterfragen zu können. Es geht also nicht um eine klassische Geschichte europäi- scher Endzeitwahrnehmung, sondern eher im Gegenteil um ihre alternative Darstel- lung. Daran orientiert sich auch die geleistete Quellenkritik, wobei das ursprüngliche Vorhaben, eine komplementär zur Apokalyptik zu lesende Genealogie der Astrolo- gie zu entwerfen, aufgegeben bzw. vertagt werden musste. Die Anknüpfungspunkte hierfür sollten aus der vorliegenden Untersuchung aber hervorgehen. Darüber hinaus Brought to you by | The University of Texas at Austin Authenticated Download Date | 2/18/20 1:23 PM VI   Vorwort seien Leserinnen und Leser, die an weiterem apokalyptischen Material und detaillier- teren historischen Epochenschilderungen interessiert sind, auf die Buch-Reihe Cultu- ral History of Apocalyptic Thought hingewiesen, in der fortlaufende Projektergebnisse erscheinen.1 Für die Zeit und die Mittel, das Dissertationsvorhaben am Institut für Germanistik der Universität Wien entwickeln und ausarbeiten zu können, sei an erster Stelle der Vergabekommission der ÖAW und namentlich Moritz Csáky und Gotthart Wunberg gedankt. Roland Innerhofer stand von Anfang an zuversichtlich hinter dem Projekt- vorhaben und unterstützte es laufend mit wertvollen Hinweisen. Unzählige Impulse bei der Ausarbeitung der Fragestellungen gehen auf die ProjektmitarbeiterInnen Catherine Feik, Leopold Schlöndorff, Veronika Wieser und Martin Zolles zurück. Heiko Hartmann, einstiger Verlagsleiter des Akademie-Verlags, hat die Publikations- reihe zur Abendländischen Apokalyptik initiiert, die derzeit Bettina Neuhoff bei de Gruyter mit viel Einsatz betreut. Auch in diese Richtungen sei herzlich gedankt. Für Anregungen und Hilfestellungen verschiedenster Art bin ich außerdem sehr verbunden: Kurt Appel, über den ich einen beeindruckend offenen, ganz unbedroh- lichen katholischen Umgang mit der Apokalypse kennen lernte und dessen jüngstes Buch über den Preis der Sterblichkeit ich nachträglich als komplementär zu meiner Arbeit begriffen habe; Alessandro Barberi, von dessen rastlosen Kampf für die ‚linke‘ Seite der Apokalypse ich einiges gelernt habe und der die theoretischen Ausführun- gen abschließend noch einmal kritisch überprüfte; Paul Bishop, der mich in Glasgow äußerst freundlich empfing und auf dessen Forschungen zu Ernst Cassirer und C. G. Jung ich an dieser Stelle ausdrücklich hinweisen möchte; Eva Horn, die zeitgleich an der Universität Wien zur Zukunft als Katastrophe forschte und mich in ihr apokalyp- tisches Seminar einlud; Meta Niederkorn-Bruck, die mich auf den Zusammenhang zwischen dem liber vitae und dem Tagebuch aufmerksam machte und mich jederzeit freundlich unterstützte; Martin Treml, mit dem sich sehr unkomplizierte und inspi- rierende Gespräche über Kultur- und Religionswissenschaften führen ließen und der dem Manuskript das Imprimatur erteilte; Joseph Vogl, in dessen Seminar ich einen Grundriss der Arbeit zur Diskussion stellen konnte; und Stefan Willer, der die Freund- lichkeit hatte, mich an seinem Publikationsprojekt zu den Futurologien zu beteiligen. Die Zeit, die die Apokalypse gekostet hat, können vermutlich nur Veronika und Victor abschätzen, denen vorliegende Arbeit gewidmet ist. 1 Siehe auch weiterhin http://apokalypse.univie.ac.at sowie http://www.degruyter.com/view/serial/ 235041 (30.04.2016). Brought to you by | The University of Texas at Austin Authenticated Download Date | 2/18/20 1:23 PM Ausblick ‚Die symbolische Macht der Apokalypse‘ lässt sich nicht einfach erschließen. Sie liegt nicht auf der Hand (eher auf der Zunge), lässt sich nicht in einzelnen Begriffen und nicht in einer einzigen Geschichte zusammenfassen. Es ist einiges an Theoriear- beit notwendig, es sind Zeiten und Diskurse schrittweise zu entwirren, um sich ihr methodisch anzunähern, weswegen an dieser Stelle auch keine Einleitung in die The- matik gegeben werden kann (der gesamte erste Teil kann im Grunde als eine solche betrachtet werden), sondern ein kurzer Ausblick auf Aufbau und Inhalt vorliegen- der Arbeit erfolgt. Deren Intention hingegen ist klar: Sie versucht die losen Enden der gegenwärtigen Apokalyptik-Forschung aufzugreifen und aus der Sicht und mit den Mitteln einer interdisziplinär wirkenden Kulturwissenschaft philologisch (und damit nicht: theologisch)2 zusammenzuführen. Sie orientiert sich dabei an einer materialistischen Geschichtsauffassung im Sinne Walter Benjamins, weswegen sie keiner vereinheitlichenden chronologischen Ordnung, sondern den verschiedenen Zeitsträngen, welche die behandelten Textquellen aufgreifen und weiterführen, den Vorzug in der Darstellung gibt. Diese sollen damit auch in Relation zu anderen zeit- genössischen oder vergangenen Endzeiterwartungen und nicht bloß symptomatisch gelesen werden. Welches andere Thema als jenes der Apokalyptik eignet sich schließ- lich besser dafür, einer Geschichte des Fortschritts eine Geschichte der Aktualisierung entgegenzuhalten?3 Konzeptuell wird mit drei Zeitsträngen gearbeitet: Im ersten Teil (‚Methode und Theorie‘) werden die Argumente einer kulturkritischen Geschichtsphilosophie vorge- stellt, die weit in die Vergangenheit, bis in die Zeit der Spätantike und des Frühchris- tentums und darüber hinaus führen. Im zweiten Teil (‚Revolution und Repräsenta- tion‘) wird eine diskurs- und begriffsgeschichtliche Untersuchung der europäischen Untergangsnarrative sowie deren politische Kontextualisierung ab Mitte des 18. Jahr- hunderts angestrebt. Im dritten Teil (‚Eschaton‘) wird anhand zweier konkreter Bei- spiele versucht, der Spur abendländischer Eschatologie bis in das 21. Jahrhundert hinein zu folgen. Umklammert werden diese drei Stränge von dem 1931 posthum 2 Vgl. Benjamin, Walter: Das Passagen-Werk. Erster Band. In: Gesammelte Schriften. Hrsg. von Rolf Tiedemann. Frankfurt a. M. 1983. Bd. 5,1. S. 574 [N 2, 1]: „Sich immer wieder klarmachen, wie der Kom- mentar zu einer Wirklichkeit (denn hier handelt es sich um den Kommentar, Ausdeutung in den Ein- zelheiten) eine ganz andere Methode verlangt als der zu einem Text. Im einen Fall ist Theologie, im andern Philologie die Grundwissenschaft.“ 3 Vgl. Benjamin, Passagen-Werk 1 (wie Anm. 2), S. 574 [N. 2, 2]: „Es kann als eines der methodischen Objekte dieser Arbeit angesehen werden, einen historischen Materialismus zu demonstrieren, der die Idee des Fortschritts in sich annihiliert hat. Gerade hier hat der historische Materialismus alle Ur- sache, sich gegen die bürgerliche Denkgewohnheit scharf abzugrenzen. Sein Grundbegriff ist nicht Fortschritt sondern Aktualisierung.“ Brought to you by | provisional account Unauthenticated Download Date | 12/31/19 12:12 PM 2   Ausblick erschienenen Essay Apocalypse des englischen Schriftstellers D. H. Lawrence4 bzw. von einem Kommentar von Gilles Deleuze.5 Das erklärt sich daraus, dass Lawrences Essay nicht nur als Zeugnis des litera- rischen Expressionismus der europäischen Zwischenkriegszeit aufgefasst werden kann, sondern dass sich fast alle relevanten zeitgenössischen Diskurse in ihm gebün- delt wiederfinden, die auch noch im 21. Jahrhundert einiges an Relevanz besitzen: der philosophisch-psychologische Diskurs in Anschluss an Friedrich Nietzsches fun- damentaler Kritik am Christentum und am monumentalen Historismus; jener der ‚religionsgeschichtlichen Schule‘, der die biblischen Schriften in einem neuen Licht orientalischer Quellen erscheinen ließ und zahlreiche neue historische Kontexte offenbarte; jener der Mythosforschung vornehmlich nach Johann Jakob Bachofen, dessen Matriarchatstheorie in Zirkeln der Münchner Bohème um 1900 eifrig rezipiert wurde und damit indirekt (in persona Elsa von Richthofen) auch Lawrence erreichte; damit im Zusammenhang jener der Psychopathologie und frühen Psychoanalyse und ihrer Abwehrhaltung gegenüber radikalen soziopolitischen Rückschlüssen angstneu- rotischer Erkrankungen (Otto Gross und Wilhelm Reich); oder auch der ‚esoterische‘ bzw. ‚theosophische‘ Diskurs, der nicht nur die spirituelle Einheit der Bibel, sondern aller Glaubenskräfte in Form von Geheimlehren und Sprach- und Körpertechniken in sich zu bergen versprach. Indem Lawrence die Radikalität dieser neuen Wissens- formen in einer für ihn typischen rückhaltlosen Weise in seine Kritik der Johannes- Offenbarung münden ließ, die gleichzeitig eine umfassende Kultur- und Zeitkritik darstellt, finden sich darin bereits ‚laienhaft‘ formulierte theoretische Grundsätze des ‚Poststrukturalismus‘ avant la lettre. Die Aktualität, die Nietzsches und Sigmund Freuds Analysen nach wie vor besitzen, kann in gleicher Weise auch Lawrences ‚mys- tischer Pantheismus‘ zuerkannt werden, der im Gemeinschaftswerk von Deleuze und Félix Guattari einen prominenten Platz einnimmt und aus diesem Grund stellenweise auch extensiv zitiert wird.6 Nach dem Aufzeigen der mit der Thematik in Zusammenhang stehenden diskur- siven Verknüpfungen und thematischen Verzweigungen7 wird versucht, die eigene Forschungsposition und Schreibweise zu klären. Schließlich ist die Beschäftigung mit der ‚Apokalypse‘ immer mit der Gefahr verbunden, einen unangemessenen Ton 4 Lawrence, David Herbert: Apocalypse. In: ders.: Apocalypse and the Writings on Revelation. Hrsg. von Mara Kalnins. Cambridge 1980. S. 57–149. 5 Deleuze, Gilles: Nietzsche und Paulus. Lawrence und Johannes von Patmos. In: ders.: Kritik und Klinik. Frankfurt a. M. 2000. S. 52–73. 6 Vgl. Schérer, René: Atheismus und Mystik. In: Nancy, Jean-Luc u. René Schérer: Ouvertüren. Texte zu Gilles Deleuze. Zürich/Berlin 2008. S. 51–79, hier insbes. S. 75 f. 7 Eine dem Methoden- und Theorieteil vorangestellte Skizze demonstriert das Scheitern des nord- amerikanischen Schriftstellers Henry Miller, den rhizomatischen Kosmos von Lawrence in angemes- sene Buchform zu bringen. Brought to you by | provisional account Unauthenticated Download Date | 12/31/19 12:12 PM Ausblick   3 anzuschlagen („jede Sprache über die Apokalypse [ist] auch apokalyptisch“),8 was vielleicht weniger dem Inhalt als der unbewussten Übernahme der Rhetorik der zugrundeliegenden Quellen anzulasten ist. Lassen sich aber ‚apokalyptische‘ oder am ‚Messianischen‘ orientierte Texte überhaupt neutralisieren, ohne ihren Impuls zu verkennen? Um Missverständnisse auszuschließen, sei vorab versichert, dass sich die Arbeit auf jeden Fall als Fortsetzung der aufklärerischen Begriffsarbeit für den „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“9 versteht, ist die Frage nach der Freiheit doch das „Urthema der Apokalyptik“.10 Um sich dieser Geschichte des ‚apokalyptischen Freiheitskampfs‘ zuwenden zu können, wird zunächst versucht, Klarheit in die Problematik der Gattungszuord- nung und der Begrifflichkeiten innerhalb der Forschung zu bringen. Stellt sich dabei heraus, dass mit herkömmlichen historischen und philologischen Methoden kaum auf eine definitorische Einigkeit zu hoffen ist, wird anschließend über die Wissens- und Machtanalytik nach Michel Foucault sowie über die politische Theologie nach Jacob Taubes eine alternative historiografische Zugangsweise erarbeitet, die wohl im Grunde als kritisch-materialistische Methode bezeichnet werden kann. Darin rückt die Frage nach den Produktionsweisen ‚apokalyptischer‘ Vorstellungen ins Zentrum, die Individuen mit einem totalisierenden Horizont konfrontieren und dadurch an gesell- schaftliche Normen binden (‚repräsentative Apokalyptik‘); aber auch die Frage nach den aufbegehrenden Bewegungen, die eben jenen Horizont ‚heranzuziehen‘ oder zu ‚zerreißen‘ versuchen (‚revolutionäre Apokalyptik‘). Lassen sich hinter diesen Vor- gängen seit dem Frühmittelalter auf einzelne ‚Seelen‘ einwirkende Regulierungsbe- strebungen ausmachen, so ist es essenziell, diese vor dem Hintergrund einer ‚Pas- toralmacht‘ und eines wirkmächtigen Zeitgefüges zu betrachten, das sich bereits im frühen Christentum als labiles Gleichgewicht herausbildete und institutionalisiert wurde. Zur adäquaten Beschreibung des Zeitgefüges kann in Anlehnung an Giorgio Agamben auf bestimmte Begrifflichkeiten zurückgegriffen werden, die allerdings nicht kategorial, sondern in ihrer chronologischen, ‚weltzeitlichen‘ Funktionalität zu verstehen sind:11 ‚Offenbarung‘ kann in Zusammenhang gesehen werden mit der 8 Derrida, Jacques: Von einem neuerdings erhobenen apokalyptischen Ton in der Philosophie. In: ders.: Apokalypse. Hrsg. von Peter Engelmann. 2. Aufl. Wien 2000. S. 11–79, hier S. 69. 9 Kant, Immanuel: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? In: Werkausgabe. Hrsg. von Wil- helm Weischedel. Frankfurt a. M. 1977. Bd. 11: Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik 1. S. 53–61, hier S. 53. Vgl. die Bestimmung aufklärerischer Philosophie als mü- hevolle intellektuelle Arbeit am Begriff in Abgrenzung zum arbeitsscheuen ‚vornehmen‘ Denken in Kant, Immanuel: Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie. In: Werkaus- gabe (wie Anm. 9), Bd. 6: Schriften zur Metaphysik und Logik, S. 377–397. 10 Taubes, Jacob: Abendländische Eschatologie. 3. Aufl. München 2007 (Batterien 45). S. 19. 11 In Anlehnung an Agamben, Giorgio: Die Zeit, die bleibt. Ein Kommentar zum Römerbrief. Frank- furt a. M. 2006. S. 75–82. Brought to you by | provisional account Unauthenticated Download Date | 12/31/19 12:12 PM 4   Ausblick individualistischen Dimension der Weltzeit (die jeweils für ein Individuum gegebene soziopolitische Voraussetzung, selbst zum Apokalyptiker zu werden); ‚Eschatologie‘ mit der endlichen Dimension der Weltzeit (die Erwartung des Endes bzw. der Erfüllung der gesamten Weltzeit); das ‚Apokalyptische‘ mit der repräsentativen Dimension der Weltzeit (die bildhafte Vorstellung vom Ende der gesamten Weltzeit, das Ausmalen und Verkünden des Jüngsten Gerichts); ‚Apokalyptik‘ mit der historischen Dimen- sion der Weltzeit (der Bezug auf eine Tradition der Weltendzeiterwartung); und das ‚Messianische‘ mit einer möglichen operativen Dimension in der Weltzeit (das höchst individuelle Erleben der Zeit des Endes, das nicht mit der Vorstellung vom Ende der gesamten Weltzeit zu verwechseln ist). Nach Überlegungen zur christlichen Fixierung dieser Dimensionen der Weltzeit wird in den folgenden beiden Teilen versucht, deren historischen Index in der ‚säkularisierten‘ Moderne aufzuspüren. Aus den geschichtsphilosophischen Vorüberlegungen und der Klärung der methodischen Zeitbegriffe soll schließlich hervorgehen, dass die ‚Apokalypse‘ durch- gängig politisch zu lesen ist. Dieser Umstand wird verdeckt durch die nach den euro- päischen Glaubenskämpfen des 17. Jahrhunderts vorgenommenen Neutralisierungen der Offenbarungsschriften und der Ersetzung alter ‚pastoraler‘ durch neue ‚gouverne- mentale‘ Staats- und Marktregulierungsweisen. Es wird sich zeigen, dass die Johan- nes-Offenbarung nach längerer Zeit im rationalistisch-empirischen und pietistischen Untergrund als Referenzschrift der Revolte und im Zusammenhang mit neuartigen Massenerfahrungen wiederentdeckt wird. Die ‚Apokalypse‘, jetzt als historisch ver- bürgter Begriff, wird zur geheimen Kraft in der Politik und in der Psychiatrie, während an der Oberfläche (der Panorama- und schließlich Kinoleinwände) der naturwissen- schaftlich plausibilisierte Weltuntergang biopolitische Züge annimmt, indem darin Überlebensszenarios der Weltbevölkerung und der Wert des ‚letzten Menschen‘ ver- handelt werden. Diese Verschiebung endzeitlicher Vorstellungen ins rein Imaginäre sowie die Massenerfahrungen im Realen lassen nicht einfach nur eine ‚kupierte‘,12 sondern eine ‚verdrängte Apokalypse‘ in der Moderne annehmen, was durch Günther Anders’ Diagnose einer vollkommenen ‚Apokalypse-Blindheit‘13 angesichts der nuk- learen Bedrohungslage im ‚Kalten Krieg‘ wohl bestätigt wird. Die Grenzfigur des ‚Messianischen‘ soll nicht hermeneutisch überstrapaziert werden, wenn es im letzten Teil der Arbeit darum geht aufzuzeigen, was es tatsächlich bedeuten könnte, nicht das apokalyptische Ende der Zeit, sondern die paulinische Zeit des Endes zu erfahren. Anhand von Edgar Allan Poes Dialog The Conversation of Eiros and Charmion (1839) und Lars von Triers Kinofilm Melancholia (2011) sollen die Grenzen apokalyptischer Repräsentation aufgezeigt und überlegt werden, was 12 Vondung, Klaus: Die Apokalypse in Deutschland. München 1988. S. 12. 13 Anders, Günther: Die Antiquiertheit des Menschen. Bd. 1: Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution. 7. Aufl. München 1987. S. 233–308 (Kap. ‚Über die Bombe und die Wurzeln unserer Apokalypse-Blindheit‘). Brought to you by | provisional account Unauthenticated Download Date | 12/31/19 12:12 PM

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