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Die Methodologie der wissenschaftlichen Forschungsprogramme PDF

264 Pages·1982·6.236 MB·German
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Imre Lakatos Die Methodologie der wissenschaftlichen Forschungsprogramme Imre Lakatos Die Methodologie der~ssenschaftlichen Forschungsprogramme Philosophische Schriften Bandl Herausgegeben von John Worrall und Gregory Currie Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Lakatos, Imre: Philosophische Schriften I Imre Lakatos. Hrsg. von John Worrall u. Gregory Currie. - Braunschweig; Wiesbaden: Vieweg NE: Lakatos, Imre: [Sammlung <dU]; Worrall, John [Hrsg.] Bd. 1.--> Lakatos, Imre: Die Methodologie der wissenschaftlichen Forschungsprogramme Lakatos, Imre: Die Methodologie der wissenschaftlichen Forschungsprogramme I Imre Lakatos. [Die Übers. aus d. Eng!. besorgten Arpad Szab6 (Kap. 1, 2 u. 3); Helmut Vetter (alle übrigen Kap.)]. (Philosophische Schriften I Imre Lakatos; Bd. 1) Einheitssacht.: The methodology of scientific research programmes <dU ISBN 978-3-663-08083-1 ISBN 978-3-663-08082-4 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-08082-4 Titel der englischen Originalausgabe Imre Lakatos, The methodology of scientific research programmes erschienen bei Cambridge University Press © der englischen Ausgabe Imre Lakatos Memorial Appeal Fund and the Estate of lmre Lakatos, 1978 Die Übersetzung aus dem Englischen besorgten Arpad Szab6 (Kapitell, 2 und 3), Helmut Vetter (alle übrigen Kapitel) Alle Rechte an der deutschen Ausgabe vorbehalten © Springer Fachmedien Wiesbaden 1982 Ursprünglich erschienen bei der deutschen Ausgabe Friedr. Vieweg & Sohn Verlagsgesellschaft mbH, Braunschweig/Wiesbaden 1982 Die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte, Zeichnungen oder Bilder, auch flir die Zwecke der Unterrichtsgestaltung, gestattet das Urheberrecht nur, wenn sie mit dem Verlag vorher vereinbart wurden. Im Einzelfall muß über die Zahlung einer Gebühr flir die Nutzung fremden geistigen Eigentums entschieden werden. Das gilt ftir die Vervielfältigung durch alle Verfahren einschließlich Speicherung und jede Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien. ISBN 978-3-663-08083-1 V Inhalt Einführung der Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Einleitung: Wissenschaft und Pseudowissenschaft ...................... . 1 Falsifikation und die Methodologie wissenschaftlicher Forschungs- programme 7 1 Die Wissenschaft: Vernunft oder Religion? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 2 Fallibilismus versus Falsifikationismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 a) Der dogmatische (oder naturalistische) F alsifikationismus. Die empirische Basis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 b) Der methodologische Falsifikationismus. Die ,empirische Basis' . . . . . . 19 c) Raffinierter versus naiver Falsifikationismus. Progressive und degenerative Problemverschiebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 3 Eine Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme . . . . . . . . . . 46 a) Negative Heuristik; der ,harte Kern' der Programme . . . . . . . . . . . . . . 47 b) Positive Heuristik; die Konstruktion des ,Schutzgürtels' und die relative Autonomie der theoretischen Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 c) Zwei Illustrationen: Prout und Bohr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 c1) Prout: Fortschritt eines Forschungsprogramms inmitten eines Ozeans von Anomalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 c2) Bohr: Fortschritt eines Forschungsprogramms aufkontradiktorischer Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 d) Ein neuer Blick auf entscheidende Experimente: das Ende der Sofort rationalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 d1) Das Michelson-Morley-Experirnent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 d2) Die Lummer-Pringsheim-Experimente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 d3) Beta-Zerfall versus Erhaltungssätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 d4) Schluß. Die Bedingung ständigen Wachstums . . . . . . . . . . . . . . . . 85 4 Poppersches versus Kuhnsches Forschungsprogramm . . . . . . . . . . . . . . . 89 Appendix: Popper, der Falsifikationismus und die ,Duhem-Quine-These' . . . . 92 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 2 Die Geschichte der Wissenschaft und ihre rationalen Rekonstruk- tionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 Einleitung 108 Konkurrierende Methodologien der Wissenschaft; rationale Rekonstruktionen als Wegweiser der Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 A. Der Induktivismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 B. Der Konventionalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 C. Der methodologische Falsifikationismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 D. Die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme . . . . . . . . 116 E. Interne und externe Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 2 Kritischer Vergleich von Methodologien: Die Geschichte als Prüfstein ihrer rationalen Rekonstruktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 A. Der Falsifikationismus als ein Metakriterium: Die Geschichte ,falsifiziert' den Falsifikationismus (und jede andere Methodologie) . . . . . . . . . . . . 129 B. Die Methodologie historiographischer Forschungsprogramme. Die Ge schichte bestätigt - in verschiedenem Ausmaß - ihre rationalen Rekon- struktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 C. Gegen aprioristische und antitheoretische Verfahrensweisen in der Methodologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . ........ ·. . . . . . . . . . . . . 144 D. Schluß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 3 Popper zum Abgrenzungs- und Induktionsproblem . . . . . . . . . . . . . 149 1 Popper und das Problem der Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 a) Poppers Wissenschaftsspiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 b) Wie kann man die Regeln des Wissenschaftsspiel kritisieren? . . . . . . . . . 154 c) Eine quasi-Polanyische ,Falsifizierung' des Poppersehen Abgrenzungs- kriteriums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 7 d) Ein verbessertes Abgrenzungskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 e) Ein verbessertes .Meta-Kriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 2 Negative und positive Lösungen des Induktionsproblems: Skeptizismus und Fallibilismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 a) Das Wissenschaftsspiel und die Suche nach der Wahrheit . . . . . . . . . . . 165 b) Ein Plädoyer an Popper für einen Schuß ,lnduktivismus' . . . . . . . . . . . 1 70 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 4 Warum hat das Kopernikanische Forschungsprogramm das Ptole mäische überrundet? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 Einleitung 182 1 Empiristische Darstellungen der ,Kopernikanischen Revolution' . . . . . . . . 183 2 Einfacheit als Kriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 7 3 Polanyische und Feyerabendsche Darstellung der Kopernikanischen Revolu- tion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 4 Die Kopernikanische Revolution im Lichte der Methodologie der wissen schaftlichen Forschungsprogramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 5 Die Kopernikanische Revolution im Lichte der Zaharschen Neufassung der Methodologie der wissenschaftlichen Forschungsprogramme . . . . . . . . . . 198 6 Nachschrift über die Wissenschaftsgeschichte und ihre rationalen Rekon- struktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Inhalt VII 5 Newtons Wirkung auf die Kriterien der Wissenschaftlichkeit . . . . . . 209 1 Der justifikationistische Königsweg in den Psychologismus und die Mystik . . 209 a) Der Justifikationismus und seine beiden Pole: Dogmatismus und Skepsis . . 209 b) Der psychologistische Justifikationismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 c) Der justifikationistische Fallibilismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 2 Newtonsehe Methodologie und Newtonsehe Methode . . . . . . . . . . . . . . . 217 a) Newtons Problem: die Diskrepanz zwischen den Grundsätzen und den Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 b) Die Newtonianer gegen metaphysische Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 c) Newtons Gedanke des empirischen Beweises und das ,credo quia absur- dum' ............................................. 223 d) Die Newtonianer und die Tatsachenkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 e) Newtons zweifaches Erbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 Verzeichnis der Schriften von Lakatos 241 Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 IX Einführung der Herausgeber Als Imre Lakatos 197 4 starb, äußerten viele Freunde und Kollegen die Hoffnung, daß seine unveröffentlichten Arbeiten zugänglich gemacht würden. Manche waren auch daran interessiert, daß seine Zeitschriftenaufsätze und Kongreßbeiträge in einem Buch gesammelt werden sollten. Im Auftrage des geschäftsführenden Ausschusses des Imre Lakatos Appeal Fund haben wir zwei Bände ausgewählter Arbeiten zusammengestellt, die, wie wir hoffen, die sen Wünschen entgegenkommen. Keine hier der zum erstenmal veröffentlichten Arbeiten wurde von Lakatos als völlig befriedigend angesehen. Einige sind frühe Entwürfe, andere scheinen gar nicht für eine Veröffentlichung gedacht gewesen zu sein. Wir sind ziemlich großzügig vorgegangen und ha ben auch Arbeiten aufgenommen, die Lakatos jedenfalls in ihrer jetzigen Form nicht hätte in Druck gehen lassen. Die bereits veröffentlichten Arbeiten haben wir sämtlich aufgenommen, außer 'The RoJe of Crucial Experiments in Science' und 'Criticism and the Methodology of Scientific Research Programmes', die zu unangebrachten Wiederholungen geführt hätten, und außer 'Beweise und Widerlegungen', das kürzlich in Buchform erschienen ist. Band 1 ist eine Sammlung der bekanntesten Aufsätze von Lakatos, die die Me thodologie der wissenschaftlichen Forschungsprogramme entwickeln; hinzu kommt ein bisher unveröffentlichter Aufsatz über die Wirkung von Newtons wissenschaftlichen Leistungen, und eine neue 'Nachschrift' zu dem bereits veröffentlichten Aufsatz über die Kopernikanische Re volution. Obwohl Lakatos vielleicht durch seine Arbeit in der Philosophie der Naturwissen schaften bekannter geworden ist, betrachtete er sich in erster Linie als Philosophen der Ma thematik. Band 2 enthält Arbeiten zur Philosophie der Mathematik, ferner einige kritische Es says über zeitgenössische Philosophen und ein paar kurze polemische Äußerungen, die sein In teresse an Fragen der Politik und des Bildungswesens widerspiegeln und unter anderem auch einen Eindruck von seiner starken Persönlichkeit vermitteln. Mitteilungen über die Vorgeschichte des hier veröffentlichten Materials sind den einzelnen Arbeiten als einleitende Fußnoten beigegeben. Diese und andere Anmerkungen der Herausgeber sind durch einen Stern gekennzeichnet. (Wir haben vor allem bei den unveröf fentlichten Arbeiten versucht, sie möglichst zu beschränken.) Sonderdrucke einiger der veröffentlichten Arbeiten, die sich in Lakatos' Biblio thek fanden, enthielten handschriftliche Verbesserungen, die wir überall berücksichtigt haben, wo es möglich war. Bei der Aufbereitung der noch unveröffentlichten Arbeiten zum Druck haben wir uns die Freiheit genommen, einige Änderungen der Darstellung vorzunehmen, wo der Originaltext unvollständig war oder Mißverständnisse befürchten ließ, oder wo durch ge ringfügige Änderungen die Lesbarkeit wesentlich zu gewinnen schien. Dazu fühlten wir uns berechtigt, weil Lakatos jeder zur Veröffentlichung bestimmten Darstellung stets große Sorg falt widmete und sie stets vorher vielen Kollegen und Freunden mit der Bitte um Kritik und Verbesserungsvorschläge vorlegte. Die jetzt zum erstenmal veröffentlichten Arbeiten wären ohne Zweifel diesen Weg gegangen und hätten sehr viel weiterreichende Änderungen erfah ren, als wir vorzunehmen gewagt haben. Wir haben unsere Änderungen überall da in eckige Klammern gesetzt, wo dies zwanglos seinen Zweck erfüllte. (Doch in Zitaten bezeichnen die eckigen Klammern Einfügungen von Lakatos.) X Einführung der Herausgeber Wo Lakatos eine in den beiden vorliegenden Bänden wiedergegebene Arbeit an zieht, haben wir z. B. statt 'Lakatos ( 1970a)' geschrieJ?en: 'Kap. 1 des vorliegenden Bandes', oder statt 'Lakatos (1968b)': 'Bd. 2, Kap. 8'. Kapitel 3 ('Popper zum Abgrenzungs-und Induktionsproblem') wird mit freund licher Genehmigung von P. A. Schilpp und der Open Court Publishing Company wiedergege ben, Kapitel 4 ('Warum hat das Kopernikanische Forschungsprogramm das Ptolemäische überrundet?') mit freundlicher Genehmigung von Robert Westman und den Regents von Ca lifornia University Press. Eine großzügige Unterstützung durch die Fritz-Thyssen-Stiftung ermöglichte die Schaffung eines Archivs der Papiere Lakatos'-eine wesentliche Vorbedingung für die Her ausgabe der vorliegenden Bände. Wir danken Nicholas Krasso, C. W. Kilmister und W. Your grau für ihre Hilfe bei der Ermittlung einiger fehlender Literaturverweise und Alex Bellamy und Allison Quick für die Herstellung des Personen-und Sachverzeichnisses. Ferner danken wir Sandra Mitchell für ihre Hilfe, vor allem ihre Forschungsarbeit im Zusammenhang mit Ka pitel 5 des vorliegenden Bandes. Mehrere unserer editorischen Probleme wurden in wertvol len Gesprächen mit John Watkins gelöst. Besonders danken möchten wir Gillian Page für ihre freundliche Hilfe bei der Beschaffung der Lakatosschen Papiere und ihren stets nützlichen Rat. Die Herausgabe dieser beiden Bände war in vieler Hinsicht etwas Trauriges und Unbefriedigendes. 'Könnten wir das doch mit Imre besprechen'-dieser Gedanke stellte sich immer wieder ein. Trotzdem sind wir als Menschen, deren Gedanken von der Kraft seines Gei stes und seiner Persönlichkeit tiefgehend beeinflußt worden sind, sehr glücklich, daß wir daran mitwirken konnten, Lakatos' Werk in größerem Maße zugänglich zu machen. J.W. G.C. Vorbemerkung des Übersetzers Zusätze des Übersetzers erscheinen in doppelten eckigen Klammern. 1 Einleitung: Wissenschaft und Pseudowissenschaft*) Die Achtung des Menschen vor der Erkenntnis ist eine seiner kennzeichnendsten Eigenschaften. Erkenntnis oder Wissen heißt auf Lateinisch 'scientia', und im Englischen er hielt die Wissenschaft, die achtunggebietendste Art der Erkenntnis, den Namen 'science'. Doch wodurch unterscheidet sich Erkenntnis von Aberglauben, Ideologie oder Pseudowissen schaft? Die katholische Kirche hat Kopernikaner exkommuniziert, die kommunistische Partei Mendelianer verfolgt, weil ihre Lehren pseudowissenschaftlich seien. Die Abgrenzung zwi schen Wissenschaft und Pseudowissenschaft ist nicht bloß eine Frage der Philosophie am grü nen Tisch, sondern von brennender gesellschaftlicher und politischer Bedeutung. Viele Philosophen versuchten das Abgrenzungsproblem folgendermaßen zu lö sen: eine Aussage ist dann eine Erkenntnis, wenn hinreichend viele Menschen hinreichend stark von ihr überzeugt sind. Doch die Geistesgeschichte zeigt, daß viele Menschen völlig überzeugt von Absurditäten waren. Wäre die Stärke des Überzeugtseins ein Kennzeichen der Erkenntnis, so müßte man einige Geschichten von Geistern, Teufeln, von Himmel und Hölle als Erkenntnis einstufen. Die Wissenschaftler wiederum sind auch gegenüber ihren besten Theorien sehr skeptisch. Die Newtonsehe Theorie ist die leistungsfähigste, die die Wissen schaft bisher hervorgebracht hat, doch Newton selbst glaubte nie, daß die Körper in die Ferne eine Anziehung aufeinander ausübten. Man kann also von etwas noch so überzeugt sein, es wird dadurch nicht zur Erkenntnis. Ja, das Kennzeichen der wissenschaftlichen Haltung ist eine gewisse Skepsis auch gegenüber den geschätztesten Theorien. Blinde Überzeugtheit von einer Theorie ist keine geistige Tugend, sondern ein geistiges Vergehen. Eine Aussage kann also pseudowissenschaftlich sein, auch wenn sie ungeheuer 'einleuchtend' ist und jedermann sie für richtig hält, und sie kann andererseits wissenschaftlich wertvoll sein, auch wenn sie unglaublich anmutet und niemand sie für richtig hält. Eine Theorie kann sogar von höchstem wissenschaftlichem Wert sein, wenn niemand sie versteht, ge schweige denn für richtig hält. Der Erkenntniswert einer Theorie hat nichts mit ihrem psychologischen Einfluß auf die Menschen zu tun. Für-richtig-Halten, Überzeugtsein, Verstehen sind Zustände des menschlichen Bewußtseins. Doch der objektive wissenschaftliche Wert einer Theorie ist un abhängig von menschlichem Bewußtsein, das sie erschafft oder versteht. Ihr wissenschaftlicher Wert hängt allein davon ab, welche objektive Stütze diese Vermutungen in den Tatsachen ha ben. Hume drückte es so aus: 'Nehmen wir irgendein Buch zur Hand, etwa Theologie oder Schulmetaphysik; fragen wir: enthält es irgendwelche abstrakten Gedankengänge über Quan tität oder Zahl? Nein. Enthält es irgendwelche empirischen Gedankengänge über Tatsachen und Existenz? Nein. Dann werfe man es ins Feuer. Denn es kann nur Spiegelfechterei enthal ten.' Doch was ist 'empirisches' Denken? Sieht man sich die Literatur des 17. Jahrhunderts über die Hexerei an, so ist sie voll von Berichten über sorgfältige Beobachtungen und von be schworenem Beweismaterial-ja selbst von Experimenten. Glanvill, der Hausphilosoph der *) Diese Arbeit entstand Anfang 1973 und wurde zuerst von der Open University am 30. 6. 1973 als Rundfunkvortrag gesendet. (D. Hrsgg.). Im Druck erschienen als Lakatos [1974h] (d. Üb.).

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