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Die Maske der Scham: Die Psychoanalyse von Schamaffekten und Schamkonflikten PDF

606 Pages·1998·17.662 MB·German
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Leon Wurmser: Die Maske der Scham Springer Berlin Heidelberg New York Barcelona Budapest Hongkong London Mailand Paris Santa Clara Singapur Tokio Leon Wurmser Die Maske der Scham Die Psychoanalyse von Schamaffekten und Schamkonflikten Geleitwort von Andre Haynal Dritte, erweiterte Auflage , Springer Leon Wurrnser, M.D., P.A. 904 Crestwick Road, Towson, MD 21 286, USA ISBN -13: 978-3-642-80458-8 Die Deutsche Bibliothek -CIP-Einheitsaufnahme Wunnser, Uon: Die Maske der Scham : die Psychoanalyse von Schamaffekten und Schamkonflikten / Uon Wurmser. Ubers. aus dem Engl. von Ursula Dallmeyer. -3., erw. Auf!. -Berlin; Heidelberg; New York ; Barcelona; Budapest; Hongkong ; London ; Mailand ; Paris ; Santa Clara; Singapur ; Tokio: Springer, 1997 Einheitssacht.: The mask of shame <dt.> ISBN -13: 978-3-642-80458-8 e-ISBN -13: 978-3-642-80457-1 DOl: 10.1007/978-3-642-80457-1 Dieses Werk ist urheberrechtIich geschiitzt. Die dadurch begriindeten Rechte, insbesondere die der Ubersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilrnung oder der Vervielfiiltigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung vor behalten. Eine Vervielfiitigung dieses Werkes oder von Teilen dieses werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepu blik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zuliissig. Sie ist grund satzlich vergiitungspflichtig. Zuwiederhandlungen unterleigen den Strafbestimmungen des Urhe berrechts. © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1990, 1993, 1998 Softcover reprint of the hardcover 3rd edition 1998 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen; Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, daB solche Namen im Sinne der Warenzeichen-und Markenschutz-Gesetzgebung aIs frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt werden diirften. Umschlaggestaltung: de'blik, Konzept und Gestaltung, Berlin Satz: Appl, Wemding SPIN: 10569640 26/3134 -5 4 3 2 1 0 -Gedruckt auf siiurefreiem Papier "Wie konnte etwas aus seinem Gegensatz entstehn? Zum Beispiel die Wahrheit aus dem Irrtume? Oder der Wille zur Wahrheit aus dem Willen zur Tiiuschung? Oder die selbstlose Handlung aus dem Eigennutze? Oder das reine sonnenhafte Schauen des Weisen aus der Begehrlichkeit?" "Alles, was tief ist, liebt die Maske; die allertiefsten Dinge haben sogar einen HaB auf Bild und Gleichnis. Sollte nicht erst der Gegen satz die rechte Verkleidung sein, in der die Scham eines Gottes ein herginge?" (Nietzsche, /enseits von Gut und Bose 2, S. 8; 40, S.50) i1'~1l' Xil1Yt.:l '~t,) i1.ry ~"11 i1'J"T:l (Demiitigung ist schlimmer als korperlicher Schmerz.) (Talmud, Sota 8 b) tJ't.:l, .,~W 1?'X::l tJ':li:l 1i:ln lJ~ P:l?t.:li1 ?::l (Jemanden offentlich beschiimen ist wie BIut vergieBen.) (Talmud, Baba Metzia 58 b) Geleitwort Die wichtigsten psychoanalytischen Entdeckungen wurden aufgrund von "Selbstanalysen durch Fremde" (Freud an Fliess) gemacht. Die ses Vorgehen impliziert die Vberwindung personlicher Widerstande einerseits und "Originalitat" im Sinne von Empfanglichkeit fUr neue Probleme und Perspektiven andererseits. Deswegen sind ja auch wirkliche Neuigkeiten 'in der Psychoanalyse so selten; muB doch das Neue in einer Form dargestellt werden, die den Leser anzieht und ihn die Bedeutung der dargestellten Gedankengange so erfassen laBt, daB er dabei eigene Widerstande iiberwindet. Das vorliegende Buch von U~on Wurmser ist ein solches Doku ment. Es ist dem Autor gelungen, die Bedeutung eines archaischen Affekts - der Scham - im Alltagsleben, in der Pathologie, in der Politik, in der Literatur und in anderen Bereichen umfassend darzu leg en. Trotz straffer Argumentation tut er dies in einem poetischen Stil. Wenn diese Schrift in erster Linie ein klinischer Beitrag ist, so erfaBt sie doch weit mehr als nur die Extreme der Klinik. Aufgrund seiner therapeutischen Erfahrung und seiner bewundernswert uni versellen Bildung ist der Autor imstande, unverhoffte Aspekte unse rer Denkweisen, GefiihlsauBerungen und sozialen Verhaltensweisen zu beleuchten. Leon Wurmser wirkt iiberzeugend durch die Feinheit und die Scharfe seiner Beobachtungen, die Besonnenheit seiner Methodolo gie und die Reflektiertheit seiner Epistemologie. Man kann dieses Buch nicht aus der Hand legen, ohne durch die Lektiire verandert worden zu sein. Das Studium dieses Werkes - eines beispielhaften Beitrags der modernen Psychoanalyse - bringt eine seltene Berei cherung mit sich. Gent, im Januar 1993 Andre Haynal Vorwort zur 3. Auflage Fur diese Neuauflage entschlossen wir uns, der Verlag und ich, fUr zwei groBere HinzufUgungen: eine Ubersicht uber einige neuerschie nene Werke zum Thema dieses Buches, die ich in diesem Vorwort vorlege, und einem zusatzlichen Kapitel, das mehrere, im urspriingli chen Text ungenugend vertretene Zusammenhange darlegen solI, v. a. mit Hilfe von literarischen Texten. Ich mochte wiederum meine tiefe Dankbarkeit fUr den weiten Leserkreis, der sich fUr meine Arbeiten interessiert, und fUr die Zusammenarbeit mit Frau Dr. Heike Berger yom Springer-Verlag ausdriicken. Nun zur Aufgabe der Ubersicht. In den letzten 20 Jahren ist das In teresse am Affekt der Scham, den damit verbundenen Charakterzu gen und Konflikten, den zugrundeliegenden unbewuBten, psychody namisch relevanten Verbindungen, den kulturellen und philosophi schen Bezugen und schlieBlich den praktischen Folgerungen daraus fUr die Behandlung ganz massiv gestiegen. Dies wird von einer sHin dig wachsenden Reihe wertvoller Bucher bezeugt. Die Ubersicht kann notwendigerweise nur bruchstuckhaft sein und beriicksichtigt lediglich mehrere Werke der letzten paar Jahre, die mich besonders angesprochen haben oder mir zur Rezension vor gelegt wurden. Wichtige andere Bucher, wie die von Michael Lewis oder Donald Nathanson, muBten vorerst, entweder aus Zeitgriinden oder da sie fUr die hier bedeutsamen Zusammenhange weniger wich tig erschienen, beiseite gelegt werden. Vielleicht den nachhaltigsten Eindruck auf mein eigenes Denken hat das 1991 erschienene Werk von Francis Broucek, Shame and the Self (Guilford, New York) ausgeubt. Ich habe daraus einige Kemsatze in Das Riitsel des Masochismus zitiert: "Das Thema, das wie ein roter Faden dieses Buch durchzieht, ist die Beziehung zwi schen Scham und mannigfachen Vergegenstiindlichungen".l Mit "Vergegenstandlichung", "Verdinglichung" oder "Objektivierung" versteht er die Erfahrung, "wenn der eigene Status als Subjekt igno riert, miBachtet, verleugnet oder vemeint wird".2 Er schlagt vor, "die friiheste QueUe des SchamgefUhls bestehe in friihkindlichen Erleb- 1 " ••• the theme that runs like a thread throughout this book is the connec tion between shame and objectifications of various kinds" (S.lsl). 2 " ••• shame as a response to objectification, that is, as a response to having one's status as a subject ignored, disregarded, denied, or negated. Such ob- X Vorwort zur 3. Auflage nissen der eigenen Wirkungslosigkeit, namentlich solchen im Um gang mit anderen, der Erfahrung des scheiternden Versuchs, wir kungsvoll gegenseitig befriedigende Intersubjektivitiit und gemeinsa mes BewuRtsein einzuleiten und aufrechtzuerhalten. Die zweite Quelle in der Entwicklung ist die Selbstobjektivierung [oder Selbst verdinglichung], ein Vorgang, der eine Art der Selbstentfremdung und primaren Dissoziierung herbeifiihrt ... Eine dritte Quelle ist die episodische oder chronische Erfahrung, von wichtigen anderen, v. a. von den Eltern, ungeliebt, verworfen oder als Sundenbock behandelt zu werden. 1m Verlauf der Entwicklung fiihren diese Quellen der Scham zu einer iiberbesetzung des idealisierten Selbstbildes und ei ner Entwertung des tatsachlichen Selbst. .." .3 Der NarziRt behandelt den anderen nicht als Subjekt, sondern eben als Ding, als Gegen stand lediglich fur seine eigenen Zwecke, nicht, im Kantschen Sinne als Selbstzweck.4 Man sieht den Anderen nicht nur als Instrument, sondern als Bild. So sei die Kamera das Hauptrnittel der Verdingli chung, ein wirkliches Emblem der Moderne; gerade indem die Pho tographie objektiv ist, luge sie.5 Diese zentrale Bedeutung der "objektiven Selbstwahrnehmung - objective self awareness" fiir die Entwicklung des Selbst-und Identi tiitsgefiihls, der Notwendigkeit des Schamgefiihls in dieser Entwick lung und der Entgleisung des Vorganges der objektiven Selbstwahr nehmung bei exzessiver Objektifizierung, in dem, was wir im klini schen Zusammenhang als "Seelenblindheit" und, im Extremfall, als "Seelenmord" kennen, wird auch in beiden folgenden Werken be- jectifications sever what Kaufman (1985) has called ,the interpersonal bridge'" (8.8). 3 ,,1 propose that the earliest source of shame is the infant's experiences of inefficacy, particularly interpersonal inefficacy, the experience of failure to competently initiate and sustain mutually gratifying intersubjectivity or shared consciousness. The second source of shame, developmentally speaking, is self-objectification, a process that brings about a kind of self alienation or primary dissociation ... A third source of shame is the episo dic or chronic experience of being unloved, rejected, or scapegoated by important others (parents, primarily). In the course of development these sources of shame bring about the selfs overinvestment in the idealized self-image and a devaluation ofthe actual self. .." (8.24). 4 "Respect for the true ,otherness' of the other is obviously a developmental achievement and not something we are born with. The other as 8UBJECf object does not exist for the pathological narcissist. He can only treat the other as object, or subject-OBJECf at best. It is not only the other whom the narcissist objectifies, it is himself as well. His own subjectivity is sacri ficed to this object self" (8.53). 5 " ••• the camera is the leading symbol of the triumph of objectification in the modern era. . . ,It used to be said that the camera cannot lie. But in fact it always does lie' ..." (8.117). Vorwort zur 3. Auflage XI tont, einem, das ausgesprochen philosophisch orientiert ist und dem zweiten, das aus tiefer klinisch-psychoanalytischer Erfahrung schopft. Das erste ist G. Seidler's Der Blick des Anderen - Eine Analyse der Scham (Verlag Intemationale Psychoanalyse, Stuttgart, 1995). Was ich seinerzeit im Vorwort zum Buch geschrieben habe, fasse ich hier zusammen: Der Schritt von psychoanalytischer Theorie des inneren Konflikts und der "Objektbeziehungstheorie" zu der von Seidler vorgeschlagenen "Alteritatstheorie", zu einem dreistufigen Modell von "BewuBtsein", "Riickbeziiglichkeit" und "Verinnerli chung", mit ihrem griechisch-mythologischen Pendant von NarziB, Teiresias und Odipus, und alles abgehandelt an der Wandlung des Affektes der Scham, verlangt ein Umdenken und Hinterfragen, das anspruchsvoll, doch lohnend ist. Was Seidler iiber die positive, Identitat und Innerlichkeit schaf fende Bedeutung des Schamaffektes schreibt und zur negativen, Verurteilung ausdriickenden hinzufUgt, scheint mir sehr wichtig zu sein: "Der Scham scheint aber als affektiver Widerschein der Unter scheidung von vertraut und fremd eine zentrale Position zuzukom men bei der Herausbildung des Wissens vom eigenen Selbst als Ge wissen und als SelbstbewuBtheit" (loc. cit. S. 88). Ich versuchte es seinerzeit in der Unterscheidung von depressivem Schamaffekt und Schamangst gegeniiber der schiitzenden Schamhaltung, der dritten Form der Scham, auszudriicken; jener depressive oder angstliche Affekt der Scham erschien mir nahezu antithetisch zur dritten Form zu sein. Diese drei Formen als negativ und positiv zu unter scheiden, erscheint mir sehr zutreffend. Eine viel groBere Bedeu tung dieser dritten Form beizumessen, als ich es seinerzeit getan habe, ist durchaus einleuchtend. Wie Seidler richtig betont, stellt sich diese Akzentverschiebung dann ein, wenn wir von einem vor wiegend klinischen zu einem viel allgemeineren, das Kulturelle wie Normalpsychologische starker mit-beriicksichtigenden Gesichts punkt voranschreiten. Dasselbe gilt fUr die von Seidler ganz ins Zentrum des Betrachtens geriickten Begriffe des "objektivierenden" und des "subjektivieren den" Blickes. Seidler stimmt mit Broucek darin iiberein, daB einer solchen teilweisen, momentanen Objektivierung und "Objektifizie rung" (eben Vergegenstandlichung) wahrend der Entwicklung an sich eine positive Wertung zukommt, da sie die Identitat konstituiert. Es ist die Entdeckung des fremden Standpunkts, und damit auch die Erkennung und Anerkennung des Fremden. 1m Extremen wird es zum radikalen Verwerfen des Fremden, des Anderen, damit des als beschamend-verachtet Erlebten im Selbst und im Anderen. Wir haben eine lange Geschichte, die sich auch jetzt von neuem drohend zusammenballt, wie das Fremde als bose, feindselig und teuflisch er- XII Vorwort zur 3. Auflage lebt wird und vemichtet werden muG. Es verbindet sich aber auch mit dem alten Begriff der "Idolatrie", der volligen Verwerfung des Anbetens anderer Gotter oder auch nur der als falsch angesehenen Verehrungsweise des gleichen Gottes. Das Befremdende und das Be schamende gehoren innig zusammen. Die von Seidler herausgearbeitete ontogenetische, vielleicht auch psychodynamisch weiterwirkende Sequenz von drei Stufen laBt sich in seinen Worten so zusammenfassen (loc. cit. S.256-258): Die als erste beschriebene "Position NarziB" ist hinsichtlich des Gegenubers durch die zuniichst stabil ausgearbeitete "epistemologische UnbewuBtheit des sexuell differenten Gegenubers" gekennzeichnet. Damit ist verdichtend zum Ausdruck gebracht, daB eine Differenzierung der eigenen Person von anderen Personen uber die Wahrnehmung von Differenzen im Prinzip im Ansatz zuniichst moglich ist. Die Wahrnehmung der eigenen Person ge schieht aber nicht auf Grundlage einer internen reflexiven Schleife, son dern das Gegenuber ist Substitut der Selbstwahrnehmung. Bei der zweiten Position, der des Teiresias, sind Subjekt-und Objektrepriisentanz ... gegeneinander austauschbar. Die in tentionale Ausrichtung ist auf der ganzen priiodipalen Spanne durch die Suche nach einem "Ursprung", einer "causa" auBerhalb der eigenen Person gekennzeichnet. Klinisch entspricht dem das Phiinomen der Schuldexter nalisierung. Da das Gegenuber zuniichst Substitut der eigenen, extern loka lisierten Wahrnehmung des eigenen Selbstes ist, ist es plausibel, wenn der Schamaffekt hier, auf der Objekt-Seite, erlebt wird. Der Mythos driickt es im Bilde der Blendung des Teiresias durch Hera aus .... Erst die Position des Odipus bringt eine Eindeutigkeit hinsichtlich der Identifizier barkeit des Subjektes. Sie wird dadurch gewonnen, daB das Kind uber die Wahrnehmung einer ganz-personalen Beziehung der Eltern untereinander seinerseits aus der Urszene ausgeschlossen wird und damit zum Fremden, Storenden fiir die idealisierte Elternbeziehung wird. Es hat damit die Mog lichkeit, sich seinerseits ganz-personal zum Objekt zu nehmen, wobei die se Passage durch die ,odipale Umschlagfalte' als Selbstentfremdung zur Fii higkeit von Leibesscham fiihrt .... 1m Akt des Erkennens blendet er [Odi pus] sich. In diesem Akt eroffnet er sich gleichzeitig seinen eigenen seeli schen Binnenraum, der ihm die affektive Fiihigkeit zur Schuld verleiht. (S.253) AbschlieBend (im zusammenfassenden Passus auf S. 258) bemerkt Seidler: Wiihrend die klassische 'lli.ebtheorie sehr gut geeignet war, in ihrer objek tivierenden Wahrnehmungseinstellung die von ihr immer wieder heraus gestellten odipalen Konfigurationen zu erkennen, gelang es der her kommlichen Objektbeziehungstheorie, subjektivierend den Standpunkt des jeweiligen Subjektes einnehmend, insbesondere solche Beziehungs episoden zu erfassen, die durch einen alternierenden Subjekt-Objekt-

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