DIE HEMMKÖRPER= HÄMOPHILIE VON DR. ERWIN DEUTSCH ASSISTENT DER I. MEDIZINISCHEN UNIVERSITATSKLINIK WIEN MIT 8 TEXTABBILDUNGEN Springer-Verlag Wien GmbH 1950 Additional material to this book can be downloaded from http://extras.springer.com ISBN 978-3-662-24100-4 ISBN 978-3-662-26212-2 (eBook) DOI 10.1007/978-3-662-26212-2 Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in f"emde Sprachen, vorbehalten Aus der ersten mediz. Universitätsklinik in Wien (Vorstand: Prof. Dr. Ernst Lauda). (Auszugsweise vorgetragen in der wissenschaftlichen Sitzung der Wiener GeselIs(:haft für innere Medizin am 7. Oktober 1948.) Geleitwort. Mein Assistent, Dr. Deutsch, machte bei einem Patienten der Klinik die Beobachtung einer ungewöhnlichen Form einer hämophilie artigen, hämorrhagischen Diathese. Er konnte in einer muster gültigen systematischen Untersuchung den Beweis führen, daß der Gerinnungsstörung ein Hemmungskörper zugrunde liegt, der im Blute dieses Kranken kreist. Aus der Weltliteratur sammelte Deutsch 16 Einzelbeobachtungen, die er nach kritischer Sichtung zur gleichen Erkrank'llngsgruppe zu rechnen berechtigt war. Auf Grund seiner Einzelkasuistik und auf Grund des Literaturstudiums stellt Deutscll ein neues Krankheitsbild, das der Hemmkörperhämophilie, auf. Eine Einzelkasuistik kann im allgemeinen nicht die Grundlage für die Aufstellung neuer Krankheitsbegriffe geben, ich glaube aber, daß jeder, der die Ausführungen des Kollegen Deutsch studiert, zur über zeugung gelangen muß, daß dieser Grundsatz für Krankheiten so seltenen Vorkommens nicht Geltung haben kann und daß ein beson ders erfahrener Fachmann auf dem einschlägigen Gebiete, der die in der Literatur vorliegenden, offenbar gleichartigen Einzelheobach tungen kritisch zu sichten imstande ist, doch auch die Berechtigung hat, nach genauem Studium auch nur eines solchen seHenen Falles und gestützt auf die Weltliteratur den Versuch zu machen, ein neues Krankheitsbild aufzustellen. Dieser Versuch ist dem besonderen Kenner der Gerinnungsprobleme und dem exakten Bearbeiter seines Einzelfalles, Dr. Deutsch, vollauf gelungen und er war meiner über zeugung nach daher auch berechtigt, zur Darstellung der Hemm körperhämophilie die Buchform zu wählen. Wie n, Ostern 1950. E. Lauda. Vorwort. Die Gerinnungsforschung hat in den letzten zehn Jahren be deutende Fortschritte gemacht. Es wurde eine Reihe neuer Gerin nungsfaktoren beschrieben und ihre Beziehung zueinander erfolg reich untersucht. Dadurch wurden neue Einblicke in die Kinetik dieses komplizierten Geschehens erhalten. Konform mit diesen Fort schritten erfuhren auch unsere Kenntnisse der Ursachen und Abläufe verschiedener hämorrhagischer Diathesen eine wesentHche Erweite rung, die auch zu einzelnen schönen therapeutischen Erfolgen führte. Dennoch ist die Diagnostik und Therapie der hämorrhagi schen Diathesen ein sehr unbefriedigendes Kapitel der inneren Medizin geblieben. Immer wieder stehen wir am Krankenbett und können die erhobenen Befunde der Gerinnungsanalyse unterein ander oder diese mit der Anamnese des Patienten und den dargebotenen Symptomen nicht in übereinstimmung bringen. Sehr oft kommen wir zu keiner (befriedigenden) Abschlußdiagnose. Die Ursache hiefür ist nicht nur in unserem beschränkten Wissen auf diesem Gebiete und den unzulänglichen Untersuchungsmethoden ge legen, sondern es besteht tatsächlich eine derartige Vielfalt von Varia tionsmöglichkeiten, daß eine Unzahl ungewöhnlicher Krankheits bilder zustandekommen kann. Ein Patient, bei dem klinisch das typische Symptomenbild der Hämophilie bestand, Verlauf und Anamnese aber damit nicht in Einklang gebracht werden konnten, wurde Anlaß der vorliegenden Untersuchungen. Die genaue Gerin nungsanalyse zeigte, daß tatsächlich ein völlig anderes, noch un bekanntes Krankheitsbild vorlag. Die vorliegende Arbeit wurde im Herbst 1947 begonnen und im April 1948 beendet, knapp bevor der Patient einer septischen Kompli kation seiner Erkrankung erlag. Wir führten diese Untersuchungen aus zeitbedingten Gründen noch unter recht beträchtlichen techni schen Schwierigkeiten und abgeschnitten von der modernen ausländi schen Literatur durch. Wie sich später zeigte, waren wir in zahlreichen Punkten völlig andere Wege gegangen als einzelne amerikanische v Vorwort. Autoren in den wenigen bis zum Zeitpunkt des Abschlusses unserer Untersuchungen beschriebenen ähnlichen Fällen. Gerade dies dürfte jedoch den Wert der vorliegenden Untersuchungen wesentlich er höhen und ihre ausführliche Darstellung rechtfertigen. Bei dem Vergleich der allmählich zugänglich werdenden Krank heitsfälle erkannten wir bald, daß hier eine besondere Gesetzmäßig keit vorlag, die uns berechtigte, diese Fälle zusammenzufassen und von einer neuen Krankheitseinheit zu sprechen. Wir haben uns daher entschlossen, dieses Krankheitsbild, von dem uns bis dahin sieben Fälle aus der Literatur zugänglich geworden waren, unter dem Namen Hemmkörperhämophilie in der wissenschaftlichen Sitzung der Wiener Gesellschaft für innere Medizin am 7. Oktober 1948 vor zustellen und konnten die völlig abgeschlossene Deutung auf der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde vom 26. bis . 28. September 1949 in Düsseldorf vortragen. Nach Abschluß der Korrektur dieser Monographie ist in der Zeit schrift "Blood", Band 4, Heft 1, 1950, von O. M. Dreskin und N. Rosenthai ein weiterer derartiger Fall beschrieben worden. Die Autoren kommen auf Grund des Vergleiches ihres Falles mit den ihnen aus der Literatur zugänglichen zu denselben Schlußfolge mngen wie wir und sind ebenfalls der' Ansicht, daß hier ein genau umschriebenes Krankheitsbild vorliege, für welches sie die Bezeich nung "Hämophiloid" vorschlagen. Wir möchten trotzdem bei der von uns geprägten Bezeichnung des Krankheitsbildes bleiben, da wir der Ansicht sind, daß der von uns vorgeschlagene Name nicht nur die Ähnlichkeit der klinischen Symptome mit denen der Hämophilie zum Ausdruck bringt, sondern auch auf den Charakter der Gerin nungsstörung und die Ursache hinweist. Außerdem wird mit dem Namen HämophiIoid seit 1926 von Mas y Magro ein vaskulär be dingtes Blutungssyndrom bezeichnet, das vorwiegend bei jungen Männern zur Zeit der Pubertät meist familiär, manchmal auch spora disch auftritt, bei dem Abweichungen vom normalen Gerinnungs ablauf fehlen und das zu miHelschweren Schleimhautblutungen ins besondere aus der Nase führt. Die Gleichheit der Bezeichnung für zwei völlig verschiedene hämorrhagische Diathesen würde zu neuen Schwierigkeiten in der ohnedies schon sehr unübersichtlichen Nomen klatur der hämorrhagischen Diathesen führen. Ich möchte hier allen jenen danken, die durch ihren Rat und ihre verständnisvolle Förderung den Erfolg dieser Untersuchungen er möglicht haben, vor allem Seiner Spektabilität, Herrn Prof. Doktor E. Lauda, Vorstand der I. Medizinischen Universitätsklinik in Wien, sowie Herrn Prof. Dr. F. Th. Brücke, Vorstand des Pharmakologi- VI Vorwort. sehen Institutes der Universität Wien, Herrn Prof. Dr. Schwarz Wendel, Vorstand des Physiologischen Institutes der Universität Wien, Herrn Prof. Wessely, damaligem Vorstand des Medizinisch chemischen Institutes der Universität Wien, sowie Herrn Dozenten Dr. Auerswald und Herrn Dr. Werner. In diesem Zusammenhang sei auch der Firma Hoffmann La Rüche, Basel, für die Beschaffung eines großen Teiles der mir nicht zugänglichen OriginaIliteratur bestens gedankt. Besonderer Dank gebührt jedoch dem Springer-Verlag, Wien, und seinem Inhaber, Herrn Otto Lange, der zu einem Zeitpunkt, in dem eine ausführliche Veröffentlichung der vorliegenden Untersuchungen nahezu unmöglich schien, sie doch in dieser schönen Ausführung ermöglichte. Wie n, im April 1950. Dr. Erwin Deutsch. Inhaltsverzeichnis. Seite 1. Die Theorien der Blutgerinnung unter besonderer Berücksichtigung der Vorphase H. Die Gerinnungsstörung der hämorrhagischen Diathesen unter beson- derer Berücksichtigung der Hämophilie 15 1. Allgemeine übersicht 15 2. Die Natur der Gerinnungsstörung bei Hämophilie 21 a) Ausschluß von Veränderungen an den klassischen Gerinnungs- faktoren 21 b) Das Verhalten der Thrombozyten bei Hämophilie 22 c) Die plasmatische Genese der Gerinnungs.störung bei Hämophilie 24 III. Die Hämophilie . 31 1. Symptomatologie der Hämophilie 31 2. Erblichkeit der Hämophilie 35 3. Die sporadische Hämophilie 37 IV. Ein Fall von atypischer hämophiler Gerinnungsstörung 37 Anamnese und klinische Befunde 37 V. Experimentelle Untersuchungen 42 A. Methodik 42 1. Blutungszeit 42 2. Gerinnungsszeit 42 3. Bestimmung der Recalcifikationszeit nach DyckerllOff, Goossens und Schwandtke 42 4. Prothrombinbestimmung 43 5. Bestimmung des Antithrombins 44 6. Bestimmung des Prothrombinverbrauches 44 7. Darstellung der Thrombokinase nach Quick, Stanley-Brown und Bancroft 45 8. Darstellung der Thrombozytenaufschwemmung 46 9. Darstellung der Thrombozytenthrombokinaselösullg 46 10. Darstellung des Faktors V nach Owren . 4(; 11. Darstellung eines gereinigten faktor-V-freien Pro thrombins nach Owren 47 12. Darstellung des Fibrinogens nach Mellanby, modifiziert nach Owren 48 VIII Inhaltsverzeichnis. Seite B. Ergebnisse 49 1. Nachweis eines im Blute kreisenden Hemmkörpers als Ursache der Gerinnungsstörung 49 2. Untersuchungen über die Identität des Hemmkörpers mit dem physiologischen Antithrombin 5i.i a. Untersnchungen über die Identität des Hemmkörpers mit Heparin 53 4. Untersuchungen über die Identität des Hemmkörpers mit Anticephalin 58 5. Das chemische Verhalten des Hemmkörpers 58 a) Fällungsmethoden . . 58 b) Elektrophoretische Untersuchung der Hemmkörperfraktion, gemeinsam mit Dr. G. Werner . 61 c) Die Wirkung von Lipoidextraktion auf den Hemmkörper . 65 d) Widerstandsfähigkeit des Hemmkörpers gegen Lagerung und Hitzeeinwirkung 66 e) Einfluß der Inkubationszeit 67 f) Zusammenfassung 67 6. Untersuchungen über den Angriffspunkt im Gerinnungsablauf . 68 a) Beeinflussung der II. Phase 68 b) Beeinflussung der I. Phase 69 a) Beeinflussung des Faktors V 69 ß) Beeinflussung der Gewebs-Thrombokinase 69 r) Beeinflussung der Thrombozytenthrombokinase 72 c) Beeinflussung der Vorphase der Blutgerinnung 75 d) Beeinflussung des Prothrombinverbrauches während der Gerinnung 76 e) Zusammenfassung 77 7. Beeinflussung der Gerinnung durch Kulturfiltrate 77 VI. Vergleich der eigenen Untersuchungsergebnisse mit denen anderer Autoren an ähnlichen Fällen 78 1. Bisher beobachtete, durch Hemmkörper bedingte Formen hämor- rhagischer Diathesen . 78 2. Besprechung der Ergebnisse 84 3. Die Ursachen der Hemmkörperbildung 89 VII. Das Krankheitsbild der Hemmkörperhämophilie 92 1. Klinische Symptomatologie 92 2. Die Gerinnungsstörung 94 3. Das Wesen der Gerinnungsstörung 95 4. Die Ätiologie 96 5. Differentialdiagnose 97 6. Verlauf, Prognose, Therapie 98 VIII. Zusammenfassung . 99 Literaturverzeichnis 102 Namenverzeichnis. 109 ·Sachverzeichnis. ltl I. Die Theorien der Blutgerinnung unter besonderer Berücksichtigung der Vorphase. Sobald das Blut das Gefäßsystem verläßt, geht es aus dem flüssigen in den festen Zustand über, es gerinnt. Dieser an sich so einfach an mutende und so leicht zu beobachtende Vorgang ist das Ergebnis einer Vielfalt von Reaktionen, die teils hintereinander, teils aber auch nebeneinander und ineinander eingreifend ablaufen. Zur Deutung dieses komplizierten Geschehens sind eine große Anzahl von Theorien aufgestellt worden, die sich zum Teil in grundlegenden Punkten widersprechen. Mit der Deutung des Ablaufes der Gerinnung ist aber die Aufgabe einer Gerinnungstheorie noch nicht erschöpft. Sie muß vielmehr darüber hinaus gleichzeitig das Flüssigbleiben des Blutes im Gefäßsystem erklären, was oft noch größere Schwierigkeiten be reitet und es erforderlich macht, neue Faktoren oder Vorstufen von Gerinnungsfaktoren zu postulieren. Gestaltet schon diese Vielfalt der Theorien, die zum Teil in den vielfachen Verunreinigungen der von den einzelnen Autoren nach verschiedenen Methoden hergestellten und als gereinigt bezeichneten Präparate der einzelnen Gerinnungs faktoren ihre Ursache haben, die Beschäftigung mit den Problemen der Blutgerinnung schwierig und unübersichtlich, so machen die nomenklatorischen Differenzen oft die Verständigung unmöglich. Es erscheint daher notwendig, die verschiedenen Theorien einleitend kurz zu besprechen, da es bei der Deutung einzelner Befunde erfor derlich sein wird, auf die verschiedenen Theorien einzugehen. 'Vir wollen im folgenden an der Nomenklatur der klassischen Gerin nungstheorie fest halten und bei der Besprechung der übrigen Theo rien die Nomenklatur der einzelnen Autoren in Klammern hinzufügen. Wo jedoch in der Diskussion verschiedene Theorien gegeneinander abgewogen werden müssen, wollen wir jeweils die für die betreffende Theorie charakteristische Nomenklatur anwenden, um komplizierte Umschreibungen zu vermeiden. Morawitz hat bereits 1905 an Hand der wichtigsten Ergebnisse namhafter Gerinnungsforscher seine nunmehr klassisch gewordene Gerinnungstheorie aufgestellt, deren Grundlage die Anerkennung des Fermentcharaklers des Thrombins bildet, der b{'rt'its von Alexand{'r D e u t s c h, Hemmkörperhämophilie.