Am Ende des realen Sozialismus (4) Die Endzeit der DDR-Wirtschaft - Analysen zur Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik Am Ende des realen Sozialismus Beiträge zu einer Bestandsaufnahme der DDR-Wirklichkeit in den 80er Jahren Herausgegeben von Eberhard Kuhrt in Verbindung mit Hannsjörg F. Buck und Gunter Holzweißig im Auftrag des Bundesministeriums des Innem Band 4 Die Endzeit der DDR-Wirtschaft Analysen zur Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik Herausgegeben von Eberhard Kuhrt in Verbindung mit Hannsjörg F. Buck und Gunter Holzweißig im Auftrag des Bundesministeriums des Innem Leske + Budrich, Opladen 1999 ISBN 978-3-8100-2744-3 ISBN 978-3-322-93229-7 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-93229-7 Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier. © 1999 Leske + Budrich, Opladen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtIich geschützt. Jede Verwertung außer halb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Diese Veröffentlichung stellt keine Meinungsäußerung des Bundesministeriums des Innern dar. Für die inhaltlichen Aussagen tragen die jeweiligen Autoren die Verantwortung. Satz: Leske + Budrich Inhalt Vorwort der Herausgeber .................................................................. .................. VII Gernot Gutmann In der Wirtschaftsordnung der DDR angelegte Blockaden und Effizienzhindemisse für die Prozesse der Modemisierung, des Strukturwandels und des Wirtschaftswachstums ..................................... ........... 1 Gerhard Schürer Planung und Lenkung der Volkswirtschaft in der DDR- Ein Zeitzeugenbericht aus dem Zentrum der DDR-Wirtschaftslenkung ............ 61 Siegfried Kupper Ziele und Folgen des zentralgelenkten sektoralen und regionalen Strukturwandels in der DDR-Planwirtschaft ...................................................... 99 Armin Volze Zur Devisenverschuldung der DDR - Entstehung, Bewältigung und Folgen .......................................................................................................... 151 Wolfg ang Stinglwagner Die Energiepolitik der DDR und ihre wirtschaftlichen und ökologischen Folgen ........................................................................................... 189 AdolfWeber Ursachen und Folgen abnehmender Effizienz in der DDR-Landwirtschaft ....... 225 Manfred G. Schmidt Grundzüge der Sozialpolitik in der DDR............................................................ 273 Uwe Vollmer Vollbeschäftigungspolitik, Arbeitseinsatzplanung und Entlohnung der abhängig Beschäftigten in der DDR-Wirtschaft ........................................... 323 Dierk Hoffmann Rentenversicherung und SED-Rentenpolitik in den achtziger Jahren ................ 375 VI Inhalt Hannsjörg F. Buck Umwelt- und Bodenbelastungen durch eine ökologoisch nicht abgesicherte industriemäßig organisierte Tier- und Pflanzenproduktion............ 425 Hannsjörg F. Buck Umweltbelastungen durch Müllentsorgung und Industrieabfälle in der DDR.......................................................................................................... 455 Anhang Biographische Notizen........................................................................................ 501 Die Autoren und Herausgeber dieses Bandes ................ .................... ...... ........... 517 Bildquellenverzeichnis........................................................................................ 521 Vorwort der Herausgeber Zehn Jahre nach dem Zusammenbruch der SED-Diktatur bleibt die Aufarbeitung ihrer Geschichte und Folgen nach wie vor eine Aufgabe von nicht nur wissen schaftlicher Bedeutung, sondern auch von erheblichem politischem Gewicht für den Prozeß der inneren Einigung Deutschlands. Zu den auch weiterhin orientierenden Impulsen der Aufarbeitung gehört die Resolution, mit der der Deutsche Bundestag im Einvernehmen aller seiner damaligen Fraktionen das Ergebnis der ersten En quete-Kommission resümiert und einige Eckpunkte eines antitotalitären Konsenses benannt hat. Anschließend an die Feststellung, daß der SED-Staat von seinen histo rischen und ideologischen Grundlagen her eine Diktatur war, heißt es dort: "Die Hauptverantwortung für das Unrecht, das von diesem System begangen wurde, trägt die SED. Sie hat ihre ,führende Rolle' in Staat, Justiz, Wirtschaft, Gesellschaft, Bildung, Kultur und Wissenschaft und damit ihre Vonnundschaft gegenüber den Ein wohnern ihres Staates mit allen Mitteln durchgesetzt; die tiefreichenden Schäden in der ehemaligen DDR, das menschliche Leid, das aus Unterdrückung, Verweigerung von Menschenrechten und erzwungenem Verzicht auf persönliche Entfaltung erwuchs, sind in der Hauptsache der SED als Partei anzulasten ... "I Die SED hat die Bevölkerung der DDR zu keinem Zeitpunkt ihrer Existenz reprä sentiert: "Das SED-Regime konnte es nie wagen, sich einer freien Wahl zu stellen; der Sicher heitsapparat wurde in den 70er und 80er Jahren geradezu hypertroph ausgebaut, die Grenzabschließung sollte aus der Sicht der Herrschenden noch auf unabsehbare Zeit er halten bleiben .... ,,2 Aus diesem Grund bleibt es - und daran ist auch am Beginn dieses Bandes erneut zu erinnern - bereits vom Ansatz her notwendig, zu unterscheiden zwischen dem System und seinen Trägem und Nutznießern auf der einen, der großen Mehrheit der Bevölkerung auf der anderen Seite: "Die politisch-moralische Verurteilung der SED-Diktatur bedeutet keine Verurteilung der ihr unterworfenen Menschen, im Gegenteil. Die Deutschen in der SBZlDDR haben den schwereren Teil der deutschen Nachkriegsgeschichte zu tragen gehabt. Sie mußten einen Neuanfang leisten unter den Bedingungen eines politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Systems, das sie einengte und unterdrückte und um die Früchte ih rer Leistungen brachte. ,,3 VIII Vorwort der Herausgeber Diese grundsätzliche Unterscheidung - bei aller notwendigen Differenzierung im einzelnen - zwischen denen, die das System trugen, und denen, die es ertrugen, und erst recht natürlich denen, die sich ihm entgegenstellten,4 bleibt für die Analyse ein unverzichtbarer Ansatzpunkt. Ihn zu vernachlässigen, wie es gelegentlich bei Ver tretern oder Apologeten des alten Regimes geschieht, hieße, dem System eine de mokratische Legitimität postum zu unterstellen, die es in der historischen Wirklich keit nicht gehabt hat. Der hiermit vorgelegte Band knüpft vor allem an den zweiten in dieser Reihe erschienenen an.' Die Darstellungsweise ist auch hier eine Kombination von wis senschaftlicher Analyse und Dokumentation. Ergänzend wird ein Zeitzeugenbericht aus der Feder des damaligen Planungschefs der DDR vorgelegt; er weist, wie jedes Zeugnis subjektiver Erinnerung, nicht nur auf die berichteten Fakten, sondern eben sosehr auf die spezifische individuelle - in diesem Fall: begrenzt kritische - Sicht weise des Berichtenden hin, die ihrerseits für die historische Analyse von Interesse sein kann. Den im zweiten Band enthaltenen Beiträgen zur wirtschaftlichen Schluß bilanz der DDR folgen hier weitere sektorale und Längsschnittanalysen. Sie analy sieren die systembedingten Modernisierungs-, Effizienz- und Wachstumshemmnis se der Zentralverwaltungswirtschaft und beschreiben den Versuch der SED insbe sondere seit ihrem VIII. Parteitag, das System durch sozialpolitische Maßnahmen, gewissermaßen als einen "Sozialismus mit konsumfreundlichem Antlitz", zu stabi lisieren. Die Verantwortung für die einzelnen Beiträge liegt bei den jeweiligen Autoren. Anmerkungen Entschließungsantrag zum Bericht der Enquete-Kommission, in: Materialien der Enquete Kommission "Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" (12. Wahlperiode des Deutschen Bundestages), hg. vom Deutschen Bundestag, Baden Baden und FrankfurtlM. 1995, Band I, S. 779-789, hier: S. 782. 2 Ebd. 3 Ebd. 4 Vgl. hierzu den dritten Band dieser Reihe: Opposition in der DDR von den 70er Jahren bis zum Zusammenbruch der SED-Herrschaft, Opladen 1999. 5 Die wirtschaftliche und ökologische Situation der DDR in den achtziger Jahren, Opladen 1996. Gemat Gutmann In der Wirtschaftsordnung der DDR angelegte Blockaden und Effizienzhindernisse für die Prozesse der Modemisierung, des Strukturwandels und des Wirtschaftswachstums Gliederung 1. Zur Ordnungsbedingtheit allen Wirtschaftens 2. Funktionsweise und Effizienzblockaden des DDR-Wirtschaftssystems 2.1. Die Entstehungsphase der Wirtschaftsordnung 2.2. Die Wirtschaftsordnung in ihrer Ausreifungsphase 2.2.1. Die Eigentumsordnung 2.2.2. Die Form der Planung des Wirtschaftsprozesses 2.2.2.1. Institutionen der materiellen Planung und Arten der Pläne 2.2.2.2. Institutionen der finanziellen Planung und Regelungen des Zahlungsverkehrs 2.2.3. Der Planungsprozeß 2.2.3.1. Materielle Planung 2.2.3.2. Finanzielle Planung 2.2.3.3. Das Problem der "Einheit von materieller und finanzieller Planung" 2.3. Die Form der Preisbildung 2.4. Die Form der Motivierung 2.5. Die Außenwirtschaftsordnung 3. Zum Ergebnis der DDR-Wirtschaft 3.1. Die politökonomisch geweckten Erwartungen 3.2. Die Fakten 4. Wirkungsweise der in der zentralverwaltungswirtschaftlichen Ordnung grundsätzlich angelegten Blockaden und Effizienzhindernisse für Wachstum, Strukturwandel und Modernisierung 4.1. Entscheidungszentralisation bei staatlichem Eigentum 4.2. Das Informationsproblem 4.3. Das Motivationsproblem 4.4. Die Unüberwindbarkeit des informationellen Dilemmas 5. Aus der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung abgeleitete weitere Dysfunktionen und Belastungen 5.1. Blockierung des Strukturwandels 2 Gemat Gutmann 5.2. Probleme bei der Intensivierung des Wirtschaftswachstums durch Produkt- und Verfahrensinnovationen 5.3. Belastungen der Wirtschaft und der Bevölkerung durch spezifische Regimekosten 5.4. Belastungen durch Flucht und Abwanderung 5.5. Belastungen durch Übertragung produktionsfremder Aufgaben auf die Betriebe 5.6. Belastungen aus der Zerschlagung des ökonomischen Mittelstandes 1. Zur Ordnungsbedingtheit allen Wirtschaftens 1. Entsprechend dem Text der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 6. April 1968 in der Fassung des Gesetzes zur Ergänzung und Änderung der Verfassung vom 7. Oktober 19741 beruhte die Volkswirtschaft der DDR auf dem sozialistischen Eigentum an den Produktionsmitteln und war sozialistische Plan wirtschaft. Mit dieser Formulierung waren zwei Kernelemente einer jeden Wirt schaftsordnung in ihrer grundsätzlichen Ausprägung verfassungsmäßig vorgegeben. Eine Wirtschaftsordnung, also der institutionelle Rahmen, innerhalb dessen sich das wirtschaftliche Geschehen vollzieht, dient dem Zweck, bestimmte Grundpro bleme einer jeglichen Wirtschaftsgesellschaft lösen zu helfen, die miteinander ver zahnt sind, nämlich das Problem der planmäßigen Lenkung des verfügbaren Be standes an personellen und sachlichen Produktionsmitteln in deren alternative pro duktive Verwendungsrichtungen, das Problem der zureichenden Motivierung der wirtschaftenden Menschen zu ökonomischer Leistung im Interesse jener, welche die eigentlichen Subjekte des Wirtschaftens sind, und das Problem der Begrenzung und Kontrolle von wirtschaftlicher Macht, die sich zum Schaden der Subjekte des Wirtschaftens entfalten kann .. 2. Da es Aufgabe einer jeglichen Volkswirtschaft ist, die Individuen, die Gruppen und den Staat mit all jenen Sachgütern und Dienstleistungen zu versorgen, die zur Verwirklichung der vielfältigen Ziele der Lebenserhaltung und Lebensgestaltung notwendig sind, müssen ständig Entscheidungen darüber getroffen werden, für wel che Verwendungszwecke die der Menge und Qualität nach immer nur begrenzt ge gebenen Bestände an Produktionsfaktoren im arbeitsteiligen Prozeß des Wirtschaf tens eingesetzt werden, welche Güter also mit dem verfügbaren menschlichen Ar beitsvermögen, mit dem vorhandenen Kapital (Gebäude und Einrichtungen, Ma schinen, Werkzeuge, Vorräte an Hilfs- und Betriebsstoffen) sowie mit den natürli chen Hilfsquellen (Rohstoffe, natürliche Wachstumskräfte, Boden als Standort der Produktion, Gewässer, Luft) erzeugt werden sollen. Da sich das Wirtschaften arbeitsteilig in und im Verkehr zwischen vielen wirt schaftenden Einheiten vollzieht, ist es dem einzelnen nicht möglich, alle Bedürfnis se und Wünsche der vielen Menschen und den sich daraus ergebenden Bedarf an Gütern qualitativ und quantitativ unmittelbar zu kennen. Ebensowenig ist er in der Lage, alle angewandten oder anwendbaren technischen Möglichkeiten der Produk tion, alle vorhandenen Rohstoffvorkommen oder die Bestände an Kapital zu über-
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