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Die Augen der Sphinx. Neue Fragen an das Land am Nil PDF

305 Pages·2004·3.71 MB·German
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scanned by gamma003 INHALT 1. Kapitel Tierfriedhöfe und leere Grüften 7 2. Kapitel Das verschollene Labyrinth 91 3. Kapitel Das namenlose Weltwunder 147 4. Kapitel Die Augen der Sphinx 239 Literaturverzeichnis 305 Bildquellenverzeichnis 311 Register 312 1. KAPITEL TIERFRIEDHÖFE UND LEERE GRÜFTEN »Oh, Ägypten! Ägypten! Von deinem Wissen werden nur Fabeln übrigbleiben, die späteren Geschlechtern unglaublich vorkommen.« Lucius Apuleius, römischer Philosoph, 2. Jh. n. Chr. We lcome to Egypt!« Der schlaksige junge Mann mit dem schwarzen Schnurrbart versperrte den Weg und streckte mir die Hand entgegen. Etwas verdattert ergriff ich sie und dachte, dies sei wohl die neueste Begrüßungsformel für Touristen. Das übliche Fragespielchen hub an, woher ich komme und was ich in Ägypten zu besuchen beabsichtige. Freundlich, wenn auch etwas gekünstelt, schüttelte ich den aufdringlichen Burschen ab. Nicht für lange. Kaum dem Kai- roer Flughafengebäude entronnen, blockierte ein anderer mit: »Welcome to Egypt!« meine Koffer. Erneutes Händeschütteln – ob ich wollte oder nicht. In den kommenden Tagen wiederholte sich die lästige Be- handlung unzählige Male. »Welcome to Egypt« erklang es vor dem Ägyptischen Museum in Kairo, »welcome to Egypt« frohlockte der Papyrus-Verkäufer, »welcome to Egypt« grüßte der Schuhputzjunge an der Straßenecke, der Taxifahrer, der Hotelconcierge, der Souvenirhändler. Da jeder immer wieder wissen wollte, aus welchem Land ich komme und ich die ständige Beantwortung derselben Frage leid war, sagte ich dem zweiundvierzigsten Händeschüttler vor der Stufen-Pyramide von Sakkara mit ernstem Gesicht: »Ich komme vom Mars!« Von meiner Antwort nicht im geringsten beeindruckt, ergriff er sogleich beide Hände und wiederholte lautstark: »Welcome to Egypt!« Soweit haben es die Ägypter gebracht: Selbst Marstouristen verblüffen niemanden mehr. In meinen vierundfünfzig Lebensjahren habe ich das Land am Nil schon oft besucht. Geändert haben sich das Straßenbild, die Verkehrsmittel, die abgasverseuchte Luft, die neuen Hotel- paläste - geblieben ist der Nebel des Geheimnisses, der über diesem Lande liegt, ist die ehrfurchtgebietende Faszination, die Ägypten seit Jahrtausenden ausstrahlt. 1954, als gerade neunzehnjähriges Bürschchen, war ich zum ersten Male unter dem Wüstensand bei Sakkara in unterirdi- sche Gänge gestiegen. Ein ägyptischer Studienfreund und zwei Wächter kletterten voran. Jeder unserer Vierercrew trug bren- nende Kerzen, denn damals, vor fünfunddreißig Jahren, gab es kein elektrisches Licht in den muffigen Gewölben, die Tunnels waren für den Tourismus nicht freigegeben. Ich erinnere mich, als ob es gestern gewesen wäre, wie einer der Wächter mit sei- nem Kerzenlicht einen mannshohen, wuchtigen Sarkophag an- leuchtete. Zitternd huschten die Flämmchen über den Granit- block. »Was ist da drin?« fragte ich stockend. »Heilige Stiere, junger Mann, mumifizierte Stiere!« Einige Schritte weiter wieder eine breite Nische im Ge- wölbe, wieder ein Stier-Sarkophag. Gegenüber in der modri- gen Gruft dasselbe. Gigantische Monster-Sarkophage, soweit das Kerzenlicht reichte. Wie Velours verschluckte ein dicker Staubteppich unsere Schritte. Neue Korridore, neue Nischen, neue Sarkophage. Mir war unheimlich zumute, der feine Staub reizte die Kehle, kein Luftzug milderte die dumpfe, abgestan- dene Luft. Alle Stierbehälter waren geöffnet, die schweren Granitdeckel ruhten etwas verschoben auf den Sarkophagen. Ich wollte eine Stiermumie sehen und bat die beiden Wächter sowie meinen Studienfreund um Hilfestellung. An ihren Kör- pern turnte ich hoch, legte mich mit dem Bauch auf die obere Kante eines Sarkophages und leuchtete mit der Kerze hinein. Das Innere war blitzsauber – und leer! Ich versuchte es bei vier weiteren Sarkophagen, überall mit dem gleichen Resultat. Wo waren die Stiermumien gebheben? Hatte man die schweren Tierkörper entfernt? Lagen die göttlichen Mumien in Museen? Oder – ein unbestimmter Verdacht stieg in mir auf – hatten die Sarkophage überhaupt nie Stiermumien enthalten? Jetzt, fünfunddreißig Jahre später, stand ich wieder in den unterirdischen Gewölben. Elektrisches Licht ist installiert worden, Touristengruppen werden durch zwei nebeneinander verlaufende Gänge gelotst. Man hört das »ahh...« und »ohh...« aus den Menschenknäueln, sieht die erstaunten Ge- sichter, vernimmt die dozierende Stimme des Reiseleiters, der erklärt, in jedem Monster-Sarkophag habe einst eine Mumie des göttlichen Apis-Stieres gelegen. Ich mag dem Reiseleiter nicht widersprechen, obschon ich es inzwischen besser weiß: In den gewaltigen Granit-Sarkopha- gen ist nie eine Stiermumie gefunden worden! Es begann mit Auguste Mariette Paris 1850. Im Louvre arbeitet der achtundzwanzigjährige Au- guste Mariette als wissenschaftlicher Assistent. Der kleine, quirlige Mann, der fluchen konnte wie ein Roßknecht, hatte sich in den vergangenen sieben Jahren ein umfangreiches Wis- sen über Ägypten angeeignet. Er sprach fließend englisch, fran- zösisch und arabisch, konnte die Hieroglyphen lesen und ar- beitete wie ein Besessener an der Übersetzung von altägypti- schen Texten. Den Franzosen war zu Ohren gekommen, ihre großen Konkurrenten auf dem Felde der Archäologie, die Eng- länder, würden in Ägypten alte Schriften aufkaufen. Dem konnte »la Grande Nation« nicht tatenlos zusehen. Die Pariser Akademie der Wissenschaften beschloß, den Wissenschaftsas- sistenten Auguste Mariette nach Ägypten zu schicken. Ausge- rüstet mit sechstausend Francs, sollte er den Engländern die be- sten Papyri wegschnappen. Auguste Mariette Am 2. Oktober 1850 kam Auguste Mariette in Kairo an. Gleich am nächsten Tage besuchte er das koptische Patriarchat, denn er hoffte, über koptische Klöster an altägyptische Papyri zu gelangen. Bei einem Spaziergang durch Kairos Antiquitä- tenläden fiel ihm auf, daß jeder Ladenbesitzer echte Sphingen (Sphinxe) feilbot, die allesamt aus Sakkara stammten. Mariette kam ins Grübeln. Als das koptische Patriarchat ihm am 17. Ok- tober mitteilte, man brauche längere Zeit, um über seinen Wunsch nach alten Papyri zu entscheiden, stieg Mariette ent- täuscht zur Zitadelle hinauf und setzte sich gedankenverloren auf eine Stufe. Unter ihm lag Kairo im Abenddunst. »Wie die Masten einer versunkenen Flotte«, schrieb Mariette, »ragten dreihundert Minarette aus diesem tiefen Nebelmeer. Gegen Westen ragten – gebadet in den goldenen Flammenstaub des Sonnenunterganges – die Pyramiden empor. Der Anblick war überwältigend. Er ergriff mich und schlug mich mit fast schmerzender Gewalt in seinen Bann... Der Traum meines Lebens erfüllte sich. Dort drüben, praktisch in meiner Reichweite, lag eine ganze Welt von Gräbern, Stelen, Inschriften, Statuen. Was gab es da noch? Am nächsten Tag mietete ich zwei, drei Maultiere für mein Ge- päck, ein bis zwei Esel für mich selbst. Ich hatte ein Zelt ge- kauft, ein paar Kisten mit dem Nötigsten, das man für eine Wü- stenreise brauchte, und am 20. Oktober 1850 schlug ich am Fuß der großen Pyramide mein Zelt auf...« [1] Nach sieben Tagen hatte der unruhige Mariette genug vom Rummel um die Pyramiden. Mit seiner kleinen Karawane zog er einen halben Tagesritt in südlicher Richtung und kampierte in Sakkara zwischen herumliegenden Mauerresten und umge- stürzten Säulen. Das Wahrzeichen des heutigen Sakkara, die Stufenpyramide des Pharao Djoser (2630-2611 v. Chr.) steckte damals noch unerkannt im Erdreich. Nichtstun war nicht Au- guste Mariettes Art. Er stocherte in der Umgebung herum und stieß auf den Kopf einer Sphinx, die aus dem Sand herausragte. Augenblicklich dachte er an die Sphingen in den Antiquitäten- läden, die ebenfalls aus Sakkara stammten. Einige Meter weiter stolperte er über eine zerbrochene Steintafel, auf der er das Die Zitadelle von Kairo. Wort »Apis« entziffern konnte. Jetzt war der achtundzwanzig- jährige Gast aus Paris hellwach. Auch andere Besucher vor Au- guste Mariette hatten den Sphinx-Kopf und die Schrifttafel ge- sehen, aber keinem war ein Zusammenhang aufgefallen. Ma- riette erinnerte sich an die alten Schriftsteller Herodot, Diodor von Sizilien und Strabon, die alle über einen geheimnisvollen Apis-Kult im Alten Ägypten berichtet hatten. Im ersten Kapitel seiner »Erdbeschreibung« schreibt Strabon (63 v. Chr.-26 n. Chr.): »Nahe ist auch Memphis selbst, der Königssitz der Ägypter; denn vom Delta bis zu ihr sind drei Schoinen (16,648 km). Sie enthält an Tempeln zuerst den des Apis, welcher derselbe ist mit Osiris. Hier wird, wie ich schon sagte, der für einen Gott gehaltene Stier Apis... in einer Tempelhalle unterhalten. Auch ein Serapis-Tempel ist daselbst an einem sehr sandigen Orte, so daß vom Winde Sandhügel aufgeworfen werden, von welchen wir die Sphingen teils bis zum Kopfe verschüttet, teils halb be- deckt sahen...« Da war die Rede von teilweise verschütteten Sphingen, von Die Stufen-Pyramide von Sakkara, davor das noch unberührte Gra- bungsfeld – welche Überraschungen mag es noch verbergen?

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