Arnold Pick Die agrammatischen Sprachst6rungen Studien zur psychologischen Grundlegung der Aphasielehre Reprint Mit einer Einleitung von Dorothea Weniger Springer- Verlag Berlin Heidelberg New York Tokyo ISBN-13: 978-3-642-71070-4 e-ISBN-13: 978-3-642-71069-8 DOl: 10.1007/978-3-642-71069-8 Das Werk ist urheberrechtlich geschiitzt. Die dadurch begriindeten Rechte, insbesondere die der Ubersetzung, des Nachdrucks, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder iihnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen b1eiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Die Vergiitungsanspriiche des §54, Abs. 2 UrhG werden durch die "Verwertungsge- sellschaft Wort" , Miinchen, wahrgenommen. © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1913 Softcover reprint of the hardcover 1s t edition 1913 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Buch berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, daB solche Namen im Sinne der Warenzeichen und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jederrnann benutzt werden diirften. Produkthaftung: Fiir Angaben iiber Dosierungsanweisungen und Applikationsforrnen kann vom Verlag keine Gewlilu: iibemommen werden. Derartige Angaben miissen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit iiberpriift werden. 2125/3130-54321 Einleitung zur Reprintausgabe DOROTHEA WENIGER Es gibt Arbeiten, die nieht nur von historischer Bedeutung sind, sondern auch ihre Giiltigkeit trotz neuerer Untersuchungsmoglichkeiten und -ansatze haben. Arnold Picks Monographie "Die agrammatischen Sprachstorungen", die 1913 erschienen ist, darf wohl zu diesen Arbeiten gezahlt werden. Die Monographie tragt einen Untertitel, namlich "Studien zur psychologischen Grundlegung der Aphasielehre"; und damit ist in knapper Form bereits angedeutet, worum es Pick in seiner Erorterung der agrammatischen SprachstOrungen geht. 1m Mittelpunkt steht keine subtile linguistische Beschreibung jener sprachlichen Symptome, die kennzeichnend sind fUr StOrungen in der syntaktischen Strukturierung einer sprachlichen AuBerung. Piek ist vielmehr darum bemiiht, die neuen sprachpsy chologischen und sprachphilosophischen Auffassungen seiner Zeit darzulegen und ihre Relevanz fUr eine umfassende Betrachtung verschiedener aphasischer StOrungsmerkmale aufzuzeigen. Die zweite Halfte des 19. Jahrhunderts brachte einen Umschwung in den Arbeitsmethoden der Sprachwissenschaft. Die intuitive Erfassung sprachlicher Strukturprinzipien wurde von einem naturwissenschaftlich inspirierten Bestre ben abgelost, empirisch nachweis bare GesetzmaBigkeiten im Aufbau der sprach lichen Ausdrucksmittel aufzufinden. So kam es u. a. zur Aufdeckung von RegelmaBigkeiten in der Entwicklung des indogermanischen Lautsystems. Die Ubertragung naturwissenschaftlicher Denkformen auf die Sprache fUhrte jedoch dazu, daB sprachliche Formen in den Vordergrund traten und die Inhalte, die mit diesen verbunden sind, vernachlassigt wurden. Die Sprache als Mittel der Kommunikation erfuhr damit eine gewisse Isolierung. Diese Isolierung der Sprache von ihrer Funktion rief aber zwangslaufig nach einer Gegenreaktion, einer verstarkten Hervorhebung der Sprache als ein Instrument, das der Vermitt lung individueller Sprechintentionen dient. Die inhaltliche Ausrichtung der Sprachwissenschaft, die einsetzte und die an den Namen Wundts gekniipft war, beruhte dann auch auf der Annahme, daB Satze und nicht Laute oder Worter die primare Einheit der Sprache darstellen. Die Vorrangstellung, die dem Satz eingeraumt wurde, entstammte der Einsicht, daB Gesprochenes sich nieht nur auf eine bestimmte (auBersprachliche) Gegebenheit bezieht, sondern auch die Stellungnahme des Sprechers zu dieser Gegebenheit wiedergibt. Es ging bei VI Einleitung zur Reprintausgabe dieser Neuorientierung urn eine psychologisch begriindete Erfassung des Satzes als Redeeinheit. Das Ziel lag nicht in einer logisch-formalen Abgrenzung des Satzes gegeniiber andern sprachlichen Einheiten. Die Beriicksichtigung des Sprechers, der immer mit seinem subjektiven Standpunkt Form und Inhalt eines Satzes mitbestimmt, driingte die Frage nach dem Verhiiltnis von Denken und Sprechen auf. 1m Hinblick auf ein Sprachproduktionsmodell, wie es den einzel nen Autoren vorschwebte, muBte von einer Trennung zwischen dem Gedanken und seiner sprachlichen Formulierung ausgegangen werden, waren also Denken und Sprechen nieht als parallellaufende Vorgiinge zu betrachten. Pick verfolgte nun aufmerksam und kritisch die verschiedenen Auffassungen iiber die schrittweise Gliederung, die ein ungegliederter Einfall (auch "Gesamt vorstellung", "Totalimpression" oder "Gesamteindrucksgefiihl" genannt) bis zu seiner sprachlichen Formulierung erfiihrt. In der Vorstellung, daB der sprachli chen Formulierung eine logisch-gedankliche Verarbeitung vorausgeht, die ein Gedankenschema erzeugt, aus dem sieh die Satzform ergibt, schien ihm der Schliissel zu einem weiterfiihrenden Verstiindnis aphasischer Sprachstorungen zu stecken. Er war iiberzeugt davon, daB mehr AufschluB iiber die Mechanismen sprachlieher Verarbeitung zu erzielen war durch eine sprachpsychologische Analyse der aphasischen Storungsmerkmale als durch eine anatomisch-physiolo gische Betrachtung der Liisionen, welche die gestorten Sprachfunktionen hervor gerufen haben. Wie er in der Einleitung seiner Monographie argumentiert, reichen die vorliegenden hirnanatomischen Erkenntnisse nieht aus, urn zu einem differenzierten Verstiindnis aphasischer Sprachst6rungen zu gelangen. Mit den heute verfiigbaren Bildverfahren (Computertomographie, Positron-Emissions Tomographie, magnetische Resonanzabbildung) ist es in einem umfangreichen MaBe moglich geworden, die Hirnstrukturen, welche mit einer Funktionsstorung zusammenhiingen, zu identifizieren. Doch ohne eine differenzierte Erfassung der Storungsmerkmale, wie sie Pick anstrebte, k6nnen auch diese Bildverfahren nicht zu groBerer Kenntnis kognitiver Prozesse verhelfen. Pick geht ausfiihrlieh auf die Gesichtspunkte der sprachpsychologischen Neuorientierung ein, die ihm aphasiologisch bedeutsam scheinen. Zu diesen Gesichtspunkten ziihlt das Einbeziehen des Sprechers mitsamt seiner inneren Einstellung, aus der heraus er den Gegenstand seiner AuBerung zuniichst erfaBt und dann sprachlich wiedergibt. DaB die innere Einstellung des Sprechers, die sog. Stellungnahme, bei der Satzformulierung eine elementare Rolle spielt, liiBt sieh an der Beobachtung aufzeigen, daB gerade Patienten, deren Sprachproduk tion vorwiegend aus "recurring utterances" oder Automatismen besteht, oft noch in der Lage sind, ihre Zustimmung oder Ablehnung, Begeisterung oder Enttiiu schung durch eine entsprechende Modulation der Stimme zu iibermitteln. Schon Jackson (1866) hatte hervorgehoben, daB Tonhohenwechsel, Lautstiirke, Rhyth mus und Tempo Ausdrucksmittel der gesprochenen Sprache sind, mit denen ein Sprecher seine subjektiv-emotionale Einstellung einem Sachverhalt gegeniiber zum Ausdruck bringt und daB diese Ausdrucksmittel bei stark gestorter Sprache Ersatzfunktionen erfiillen konnen. Sie wirken aber auch auf den Vorgang der sprachlichen Formulierung ein. Es ist Piek nicht entgangen, daB eine Klangge stalt des sich herausbildenden Satzes schon in einem Stadium vorliegen muB, wo Einieitung zur Reprintausgabe VII die Wortwahl noch nicht erfolgt ist. Die Art, wie ein bestimmter Satz intoniert wird, hangt weitgehend mit seiner syntaktischen Form zusammen. So werden beispielsweise Satze, welche die Form einer Frage haben (Subjekt Verb-Inversion), mit einem steigenden Tonfall am Ende gesprochen. Es ist deshalb anzunehmen, daB mit der Erzeugung eines Satzschemas auch der zugehOrige Tonhohenverlauf vorgezeichnet wird. Der empirische Nachweis dieser Vorstellung ist allerdings erst in jiingerer Zeit von Fromkin (1971) in einer Analyse von Versprechern erbracht worden. Die Stellungnahme des Sprechers wird auch bestimmt von den Kenntnissen, welche der Sprecher bei seinem Gesprachspartner iiber den zu verbalisierenden Sachverhalt voraussetzt. Es ist folglich bei einer StOrung der sprachlichen Ausdrucksmittel denkbar, daB der Sprecher das weg- oder auslaBt, was der Gesprachspartner aus seiner Kenntnis des Sachverhaltes erschlieBen kann. Pick spricht in diesem Zusammenhang von einem Gesetz der Okonomie; aus einem intuitiven Streben, sich den verbliebe nen Ausdrucksmoglichkeiten "anzupassen", werden telegrammartig verkiirzte AuBerungen hervorgebracht. Zu einer ahnlichen Erklarung syntaktisch reduzier ter Satzformen gelangten Heeschen et al. (1985), die die sprachlichen AuBerun gen von Broca-Aphasikern in unterschiedlichen Redesituationen untersuchten. Wie Goodglass et al. (1967) experimentell nachgewiesen haben, fehlen Formen, die der syntaktischen Verkniipfung von Wortern dienen ("Funktionsworter") haufig nur dann am Satzanfang, wenn sie keinen Hauptakzent tragen. Urn bei der Initiierung einer sprachlichen AuBerung die erhOhte Reizschwelle zu iiberwin den, richtet der Agrammatiker seine Aufmerksamkeit auf die erste betonte Wortform - was meistens ein Substantiv und kein Artikel oder Pro nomen ist. DaB es sich bei verkiirzten AuBerungen nicht urn eine selektive Storung im Umgang mit Funktionswortern handelt, sondern vielmehr urn ein adaptives Sprachverhalten, schlieBen Gleason et al. (1975) auch aus ihrer Untersuchung zur Fahigkeit von Broca-Aphasikern, vorgegebene Handlungsablaufe sprachlich zu vervollstandigen. Betonungsmerkmale erwiesen sich wiederum entscheidend bei der lautsprachlichen Realisierung von Funktionswortern. Andere Autoren fUhren die differenzielle Auslassung von Funktionswortern auf die unterschied liche satzsemantische Aussagekraft zuriick, welche diesen zukommt (Zurif et al. 1972; Zurif et al. 1976; Friederici 1982). Fiir Pick stellt sich der Agrammatismus als eine Beeintrachtigung im ProzeB der grammatisch-syntaktischen Formulierung dar. Dieser ProzeB umfaBt nicht nur die Erzeugung eines "Satzgeriistes" (einer Abfolge von Satzkonstituenten bzw. grammatischen Kategorien); er wirkt sich auch auf die Wortwahl aus. Damit ein stimmiger Satz entsteht, muB beim "Ausfiillen" des Satzgeriistes auf die Wortart und die Bedeutungsstruktur der Warter geachtet werden. Die einzelnen Verb en setzen auB~rdem eine bestimmte kategoriale Umgebung voraus, d. h. sie lassen sich nur in einer bestimmten Abfolge von grammatischen Kategorien verwenden. Das Verb "offnen" bespielsweise muB von zwei nominalen Wortfor men begleitet werden (z. B. die Frau offn et den Koffer). Dies gilt aber auch fUr das Verb ,frankieren". Die beiden Verben erfordern dieselbe kategoriale Umge bung, stellen aber andere semantische Selektionsbeschrankungen an die beiden Substantive, mit denen sie syntaktisch verkniipft sind. Offnen laBt sich jeder schlieBbare Gegenstand, frankieren nur ein fUr den postalischen Versand vorbe- VIII Einleitung zur Reprintausgabe reiteter Gegenstand. Da bei der Wortwahl syntaktische wie semantische Selek tionsbeschrankungen einzuhalten sind, ist oft nicht auszumachen, ob ein unstim miger Satz ,durch eine gestorte syntaktische oder semantische Verarbeitung zustande kam. Denkbar ist auch, daB ein falsches Satzgerust erzeugt wird, well die erforderlichen Kenntnisse uber die verbalen Ausdrucksmoglichkeiten der Sprache gestort sind. Von solchen Uberlegungen ausgehend, faBt Pick telegram martig verkurzte AuBerungen sowie syntaktisch-semantisch entstellte, die in der heute ublichen Terminologie "paragrammatisch" genannt werden, unter dem Begriff "Agrammatismus" zusammen. Die Verflechtung von syntaktischen und semantischen GesetzmiiBigkeiten bei der Satzbildung, wie sie Pick den zeitgenos sischen sprachpsychologischen Arbeiten entnimmt, macht verstandlich, wieso er immer wieder rur eine Lokalisierung von StOrungen in der Satzbildung im Temporallappen eintritt. Die Annahme, daB die Konstituentenstruktureines Satzes von der Bedeutungsstruktur der intendierten Worter vorgegeben wird, liegt auch dem Modell der Satzbildung zugrunde, das Garrett (1976) entwickelt hat und auf das sich manche Autoren in den letzten lahren berufen. In der heute gangigen Terminologie bezieht sich der Begriff "Agrammatismus" auf StOrungen in der Satzbildung, wie sie vorwiegend bei Broca-Aphasikern vorkommen. Da alle Komponenten des Sprachsystems auf die Satzbildung einwirken, lassen sich auch verschiedene Hypothesen uber agrammatisches Sprachverhalten aufstellen, je nach dem, was als das zentraIe StOrungsmerkmal erachtet wird. Manche Autoren gehen von einer spezifischen StOrung in der Verarbeitung von Funktionswortern und Flexionsformen aus. Wie Bradley et al. (1980) ausruhren, sind Broca-Aphasiker durchaus in der Lage, Funktionsworter zu erkennen. Doch im Gegensatz zu hirnorganisch gesunden Sprechern, die bei Worterkennungsaufgaben kurzere Reaktionszeiten rur Funktionsworter als rur Inhaltsworter aufweisen, benotigen Broca-Aphasiker fur das Erkennen der beiden Worttypen durchschnittlich gleich lang. Aus dem experimentellen Befund, daB gesunde Sprecher Funktionsworter schneller erkennen, ziehen die Autoren den SchluB, daB Funktionsworter offenbar zu einem fruhen Stadium im ProzeB der sprachlichen Perzeption eines Satzes verrugbar sein mussen, und zwar um die Gliederung des Satzes in seine Konstituentenstruktur zu sichern. Die Verzogerung, die Broca-Aphasiker im Erkennen von Funktionswortern aufwei sen, mag deshalb ein Hinweis darur sein, daB ihnen Funktionsworter nicht zu jenem Zeitpunkt verfugbar sind, in dem diese funktionell erforderlich sind. Diese Erklarung laBt offen, ob der gestorten Verarbeitung von Funktionswortern eine Beeintrachtigung zugrunde liegt, welche die Kenntnisse syntaktischer oder aber phonologischer GesetzmaBigkeiten betrifft. So haben Broca-Aphasiker fur Kean (1977, 1980) keine gestorte Syntax; wie sie argumentiert, reduzieren Broca Aphasiker die Struktur eines Satzes auf eine Abfolge von Wortformen, deren lautsprachliche Realisation durch Betonungsregeln festgelegt ist. Ungeklart bleibt bei diesem Erklarungsansatz, wieso Broca-Aphasiker auch bei Sortierauf gaben, die keine lautsprachliche Reaktion erfordern, Funktionsworter genauso vernachlassigen wie in ihrer spontanen Sprache (Zurif et aI. 1972). Wiederum andere Autoren sind anhand ihrer experimentellen Untersuchun gen zur Auffassung gelangt, daB Agrammatiker wohl um syntaktische Strukturen wissen, haufig aber versagen, wenn sie Beziehungen zwischen grammatischen Einleitung zur Reprintausgabe IX Kategorien herstellen miissen, urn einen gegebenen Sachverhalt sprachlich "einzufangen". Vor allem ihr Losungsverhalten bei Perzeptionsaufgaben, in denen zu beurteilen ist, ob ein vorgegebener Satz grammatisch wohlgeformt ist, legt nahe, daB sie Schwierigkeiten haben bei der Integration von syntaktischer Struktur und semantischer Information (Linebarger et al. 1983). Daraus folgt aber nicht zwingend, daB die in der Sprachproduktion beobachtete Beeintrachti gung in der Satzbildung auch auf solche Schwierigkeiten zuriickzufiihren ist. Wie in Einzelfallstudien aufgezeigt worden ist, konnen sowohl die Konstituen tenstruktur als auch die Verfiigbarkeit von grammatischen Morphemen (bedeu tungstragende Einheiten, die der Markierung von grammatischen Beziehungen dienen) bei der Sprachproduktion in unterschiedlichem MaBe gestort sein (Tissot et al. 1973; Micelli et al. 1985). Und es ist auch zu erwarten, daB sich StOrungen in diesen beiden Komponenten unterschiedlich auswirken - je nach den Struktur prinzipien, die der betreffenden Sprache zugrunde liegen. Sprachliche Verarbei tungsmodelle, die agrammatisches Sprachverhalten zu erklaren versuchen, soll ten deshalb anhand von entsprechenden Beobachtungen aus verschiedenen, moglichst nicht verwandten Sprachen diskutiert werden. Pick verweist in seiner Monographie mehrmals auf den Nutzen, der von einer solchen vergleichenden Betrachtung agrammatischen Sprachverhaltens zu erwarten ist. Aber erst seit ein paar lahren wird dieser Gesichtspunkt ernsthaft verfolgt (Menn u. Obler 1985). Die experimentellen Untersuchungen und Fallstudien, die in den vergangenen lahrzehnten zu agrammatischen SprachstOrungen entstanden sind, befassen sich mit der beeintrachtigten Fahigkeit von Broca-Aphasikern, Satze zu verstehen und zu bilden. Die sprachlichen StOrungsmerkmale, welche die Beeintrachtigung dieser Patienten in der Satzproduktion und der Satzperzeption kennzeichnen, entstammen allerdings nicht einem theoretisch begriindeten Verarbeitungsmo dell, sondern ergeben sich zunachst aus einer klinisch motivierten Gruppierung aphasischer Patienten. Es fragt sich deshalb, ob diese StOrungsmerkmale eine willkiirliche Kombination von sprachlichen Fehlleistungen darstellen oder ob sie funktionell miteinander verkniipft sind. Die Frage, ob die gangige klinisch intuitive Vorstellung des Agrammatismus theoretisch auch haltbar ist, haben jiingst Badecker u. Caramazza (1985) aufgegriffen. Ihre Forderung, daB eine postulierte Kombination von StOrungsmerkmalen anhand eines explizit formu lierten Verarbeitungsmodelles nachpriifbar sein muB, ist sicherlich eine methodi sche Selbstverstandlichkeit. Sie findet aber nicht immer die notwendige Beach tung, wenn yom Sprachverhalten einer klinisch definierten Gruppe von aphasi schen Patienten ausgegangen wird. Pick ist in seiner Monographie urn ein sprachliches Verarbeitungsmodell bemiiht, das aIle Komponenten, die auf die Satzbildung einwirken, umfaBt. Seit der ersten Veroffentlichung von Picks Monographie sind viele Arbeiten entstanden, die sich mit der Fahigkeit aphasi scher Patienten zur Satzbildung befassen. Es geht in diesen Arbeiten stets urn einzelne sprachliche StOrungsmerkmale, die bei Aphasikern beobachtet werden, die klinisch klassifiziert worden sind und folglich auch mit den betreffenden Storungsmerkmakn assoziiert werden. Es ist an der Zeit, Picks Monographie wieder einmal zur Hand zu nehmen. x Einleitung zur Reprintausgabe Literatur Badecker W, Caramazza A (1985) On considerations of method and theory governing the use of clinical categories in neurolinguistics and cognitive neuropsychology. Cognition 20:97-125 Bradley DC, Garett ME, Zurif EB (1980) Syntactic deficits in Broca's aphasia. In: Caplan D (ed) Biological studies of mental processes. MIT Press, Cam bridge Friederici AD (1982) Syntactic and semantic processes in aphasic deficits: the availability of prepositions. Brain Language 15:249-258 Fromkin VA (1971) The non-anomalous nature of anomalous utterances. Language 47:27-52 Garrett MF (1976) Syntactic processes in sentence production. In: Wales RJ, Walker E (eds) New approaches to language mechanisms. North Holland, Amsterdam Gleason BH, Goodglass H. Green E, Akerman N, Hyde MR (1975) The retrieval of syntax in Broca's aphasia. 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Jahrestagung der Academy of Aphasia, Pittsburgh Micelli, G, Mazzucchi A, Menn L, Goodglass H (1983) Contrasting cases of Italian agrammatic aphasia without comprehension disorder. Brain Language 19:65-97 Tissot R, Mounin G, Lhermitte F (1973) L'agrammatisme. Dessart, Paris Zurif EB, Caramazza A, Myerson R (1972) Grammatical judgements of agram matic aphasics, Neuropsychologia 10:405-417 Zurif EB, Green E, Caramazza A, Goodenough C (1976) Grammatical intuitions of aphasic·patients: sensitivity to functors. Cortex 12:183-186 MONOGRAPHIEN AUS DEM GESAMTGEBIETE DER NEUROLOGIE UND PSYCHIATRIE HERAUSGEGEBENVON A.. ALZHEIMER-BRESLAU UND M. LEWANDOWSKY-BERLIN HEFT 7 DIE AGRAMMATISCHEN •• SPRACHSTORUNGEN STUDIEN ZUR PSYCHOLOGISCHEN GRUNDLEGUNG DER APHASIELEHRE VON DR. ARNOLD PICK PROFESSOR AN DER DEUTSCHEN UNIVERSITAT IN PRAG I. TElL BERLIN VERLAG VON JULIUS SPRINGER 1913