Margarete Jäger · Siegfried Jäger Deutungskämpfe Medien – Kultur – Kommunikation Herausgegeben von Andreas Hepp und Waldemar Vogelgesang Kulturen sind heute nicht mehr jenseits von Medien vorstellbar:Ob wir an unsere eigene Kultur oder ,fremde’ Kulturen denken,diese sind umfassend mit Prozessen der Medienkom- munikation durchdrungen.Doch welchem Wandel sind Kulturen damit ausgesetzt? In wel- cher Beziehung stehen verschiedene Medien wie Film,Fernsehen,das Internet oder die Mobilkommunikation zu unterschiedlichen kulturellen Formen? Wie verändert sich Alltag unter dem Einfluss einer zunehmend globalisierten Medienkommunikation? Welche Medien- kompetenzen sind notwendig,um sich in Gesellschaften zurecht zu finden,die von Medien durchdrungen sind?Es sind solche auf medialen und kulturellen Wandel und damit ver- bundene Herausforderungen und Konflikte bezogene Fragen,mit denen sich die Bände der Reihe „Medien – Kultur – Kommunikation“ auseinander setzen wollen.Dieses Themenfeld überschreitet dabei die Grenzen verschiedener sozial- und kulturwissenschaftlicher Diszi- plinen wie der Kommunikations- und Medienwissenschaft,der Soziologie,der Politikwissen- schaft,der Anthropologie und der Sprach- und Literaturwissenschaften.Die verschiedenen Bände der Reihe zielen darauf,ausgehend von unterschiedlichen theoretischen und empi- rischen Zugängen das komplexe Interdependenzverhältnis von Medien, Kultur und Kommunikation in einer breiten sozialwissenschaftlichen Perspektive zu fassen.Dabei soll die Reihe sowohl aktuelle Forschungen als auch Überblicksdarstellungen in diesem Bereich zugänglich machen. Margarete Jäger · Siegfried Jäger Deutungskämpfe Theorie und Praxis Kritischer Diskursanalyse Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar. . 1.Auflage März 2007 Alle Rechte vorbehalten ©VSVerlag für Sozialwissenschaften | GWVFachverlage GmbH,Wiesbaden 2007 Lektorat:BarbaraEmig-Roller Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werkeinschließlichallerseiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohneZustimmungdes Verlags unzulässig und strafbar.Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen,Übersetzungen,Mikroverfilmungen und die Einspei- cherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen,Handelsnamen,Warenbezeichnungen usw.in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme,dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung:KünkelLopka Medienentwicklung,Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung:Krips b.v.,Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15072-7 Inhalt Einstieg: „Muss das, was selbstverständlich ist, wirklich selbstverständlich sein?“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Grundlagen Kritischer Diskursanalyse Diskurs als „Fluss von Wissen durch die Zeit“. Ein transdisziplinäres politisches Konzept zur Deutung gesellschaftlicher Wirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Das „Sysykoll“. Kollektivsymbolik als diskurstragende Kategorie, am Beispiel von Konfliktdiskursen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Normalität um jeden Preis? Normalismus und Normalisierung als diskurstragende Kategorien in modernen Industriegesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Projekte und Analysen Die Bild-Zeitung als Großregulator. Die Berichterstattung über Einwanderung und Flucht und die Fahndung nach der RAF im Frühjahr 1993 und ihre normalisierenden Effekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Das Dispositiv des Institutionellen Rassismus. Eine diskurstheoretische Annäherung an einen umstrittenen Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Gefährlich fremd? Zur Dynamik des Zusammenwirkens unterschiedlicher Diskursstränge und -ebenen am Beispiel der Kopftuchdebatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Rassisierende Deutungen. Der „Karikaturenstreit“ in deutschen Print-Medien und seine Auswirkungen auf den Einwanderungsdiskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 6 Inhalt „Wir hatten einen Schwarzen...“ Konstanz und Konjunkturen des alltäglichen Rassismus seit Beginn der 90er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Der „konservative Revolutionär“ bei der Schreibtisch-Arbeit. Feinanalyse eines typischen Artikels aus der extrem rechten Jungen Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .183 Die zahnlose Kritik der Medien am NATO-Krieg in Jugoslawien . . . . . . . .215 Zwischen Antisemitismus, Rassismus und Solidarität. Die Berichterstattung zur Zweiten Intifada in deutschen Printmedien . . . . .235 Ein Puzzle, das sich zu einem Gesamtbild zusammensetzen lässt. Biopolitik in deutschen Printmedien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .253 Ansätze zu einer Dispositivanalyse anhand eines „Stadtteils mit besonderem Erneuerungsbedarf“. Ein Arbeitsbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .275 Die Wahrheit zu sagen. Ausstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .293 Anhang Handreichung zur Diskursanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .303 Nachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .319 Über die Autorin und den Autor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .320 Einstieg: „Muss das, was selbstverständlich ist, wirklich selbstverständlich sein?“1 Michel Foucault hat sich immer wieder die Frage gestellt, ob das, was selbstver- ständlich ist, wirklich selbstverständlich sein muss. Diese Frage ist eine Art Leit- linie für das gesamte Schaffen dieses anregenden und teilweise aufregenden Phi- losophen gewesen. Aber wie macht man das: Evidenzen aufheben, Selbstver- ständliches in Frage stellen? Gibt es dafür eine Methode, ein Verfahren, das man an die Wirklichkeit heranträgt und mit dem man sie zwingt, ihre Wahrheit preis- zugeben? Foucault selbst hat sich dazu weitgehend ausgeschwiegen, sich sogar von seinen eigenen Versuchen, etwa seiner „Archäologie des Wissens“ distan- ziert. Er hat jedoch eine Fülle von Anregungen hinterlassen, eine methodologi- sche „Werkzeugkiste“ zu entwickeln, die dazu geeignet ist, Diskurse als Ketten von Aussagen zu analysieren und damit erst eigentlich kritisierbar und problema- tisierbar werden zu lassen, also das zu tun, was ihn sein ganzes Leben lang umge- trieben hat, sich immer wieder „aufs Neue diese Frage zu stellen“. Foucault ging es um „Wahrheit“, und er betonte: „Die Wahrheit ist von dieser Welt; in dieser wird sie aufgrund vielfältiger Zwänge produziert, verfügt sie über geregelte Machtwirkungen. Jede Gesellschaft hat ihre eigene Ordnung der Wahrheit, ihre ‚allgemeine Politik’ der Wahrheit: d.h. sie akzeptiert bestimmte Diskurse, die sie als wahre Diskurse funktionieren lässt; es gibt Mechanismen und Instanzen, die eine Unterscheidung von wahren und fal- schen Aussagen ermöglichen und den Modus festlegen, in dem die einen oder anderen sanktioniert werden; es gibt bevorzugte Techniken und Verfahren zur Wahrheitsfindung; es gibt einen Status für jene, die darüber zu befinden haben, was wahr ist und was nicht.“ (Foucault 1978: 51) Genau an dieser Aussage setzt Kritische Diskursanalyse an. Wahrheiten werden somit der Wirklichkeit zugewiesen. Wirklichkeit wird gedeutet, nicht „erkannt“. Und sie wird unterschiedlich gedeutet, je nach Interessenlage, nach Zielvorstel- 1 Foucault 2005b: 928 8 Einstieg lungen, Traditionen und unterschiedlicher Geschichte. Daher gibt es immer einen Streit um Wahrheit, um die Geltung von Normen, Werten, Gültigkeiten. So ver- standen mischt sich Diskursanalyse immer auch in diese politischen Deutungs- Kämpfe ein. Sie hinterfragt Selbstverständlichkeiten und problematisiert sie und ermöglicht Kritik an den herrschenden Diskursen. Sie kann Vorschläge zur Ver- änderung von Seh- und Deutungsgewohnheiten erarbeiten und zur Diskussion stellen. Insofern ist Diskursanalyse auch ein politisches Projekt, das sich der Fik- tion wissenschaftlicher Wertfreiheit radikal widersetzt.2 Dazu haben wir eine Methode entwickelt, die wir als Kritische Diskursanalyse bezeichnen.3 In diesem Band stellen wir, orientiert an Michel Foucault und in Auseinan- dersetzung mit anderen Ansätzen kulturwissenschaftlicher Sozialforschung, die- ses Verfahren vor, seine theoretischen Grundlagen und seine methodologischen Voraussetzungen. Um die Bandbreite der Anwendungsmöglichkeiten Kritischer Diskursanalyse zu verdeutlichen, dokumentieren wir die Ergebnisse einiger em- pirischer Diskursanalysen, die wir im Duisburger Institut für Sprach- und Sozial- forschung (DISS) seit Anfang der 1990er Jahre bis in die Gegenwart durchge- führt haben. Das gibt uns an dieser Stelle zugleich die Gelegenheit, uns bei den Mitarbei- terinnen des DISS zu bedanken, die an diesen Projekten maßgeblich mitgearbei- tet haben, so bei Iris Bünger-Tonks, Gabriele Cleve, Martin Dietzsch, Helmut Kellershohn, Jobst Paul, Ina Ruth, Alfred Schobert, Ernst Schulte-Holtey und Frank Wichert. Die hier vorgenommene Auswahl von Artikeln verfolgt somit ein doppeltes Ziel: 1. Sie führt in Theorie, Methode und Praxis Kritischer Diskursanalyse ein. 2. Sie dokumentiert exemplarische Anwendungsmöglichkeiten Kritischer Dis- kursanalyse, wobei diese sich insbesondere auf gesellschaftliche Konflikt- diskurse konzentriert (wie Einwanderung/Rassismus, Rechtsextremismus/ Neo-Konservatismus, Krieg und Frieden, Biopolitik/Biomacht und Soziale Brennpunkte).4 2 Vgl. dazu Peter 2006, bes. 591ff. 3 Vgl. dazu z.B. M. Jäger 1996, S. Jäger 1993a, 2004a. 4 Weitere Projektthemen der letzten Jahre waren im DISS: Gender-Studies, Arbeitslo- sigkeit und die sogenannte ,Ausländerkriminalität’. Zu allen Projekten sind Buchpu- blikationen entstanden: siehe dazu die Kurzdarstellungen und Buchvorstellungen unter www.diss-duisburg.de. Einstieg 9 Zu den Artikeln Die im Folgenden vorgestellten Artikel sind alle in gemeinsamer Autorinnen- schaft entstanden und gemeinschaftlich verfasst, wobei die Federführung durch- aus variierte.5 Es handelt sich dabei größtenteils um bisher nicht veröffentlichte Texte und/oder solche, die andererorts erschienen und für diesen Band überarbei- tet und aktualisiert worden sind. Im ersten Teil „Grundlagen Kritischer Diskursanalyse“ stellen wir die theore- tischen und, darauf aufbauend, die methodologischen Grundlagen Kritischer Dis- kursanalyse sowie zwei wichtige diskurstragende Kategorien, die Kollektivsym- bolik und das Konzept des Normalismus dar. Der zweite Teil des Bandes „Projekte und Analysen“ beginnt mit dem The- menkomplex Einwanderung und Rassismus. Das Kapitel „Die BILD-Zeitung als Großregulator“ enthält eine Analyse von 70 aufeinander folgenden Ausgaben der BILD-Zeitung und zeigt, auf welche Wei- se 1993 ein drohender Notstand medial zu bewältigen versucht wurde, der sich nach massenhaften Brandanschlägen und nach der faktischen Abschaffung des Asyl-Artikels 16 GG abzuzeichnen begann. Unterschiedliche Diskursstränge, der der Einwanderung und der eines linken Terrorismus, wurden gegeneinander gesetzt, was dazu führte, dass Normalisierungseffekte entstehen konnten. In dem folgenden Kapitel „Das Dispositiv des Institutionellen Rassismus“ wird der Versuch unternommen, die immer noch umstrittenen Begriffe Rassis- mus und Institutioneller Rassismus auf dem Hintergrund des Foucaultschen Dis- positivbegriffs zu klären. Es zeigt sich, dass die Ablehnung dieser Begriffe mit der Leugnung der damit bezeichneten Handlungen und Vorgänge korrespondiert. Die sich daran anschließende Analyse der Auseinandersetzungen um das muslimische Kopftuch mit dem Titel „Gefährlich fremd?“ kann zeigen, wie durch das Zusammenwirken unterschiedlicher Diskursstränge und -ebenen rassi- stische Effekte im Diskurs der Einwanderung erzeugt werden. Besonderes Aufsehen erregte die mediale Befassung mit dem Karikaturen- streit, der von der dänischen Zeitung JYLLANDS-POSTEN im Frühjahr 2006 provo- ziert wurde und weltweite Proteste unter Muslimen hervorrief. Die Analyse die- ses diskursiven Ereignisses in den Print-Medien unter der Überschrift „Rassisie- rende Deutungen“ kann zeigen, dass dieser Streit den deutschen Einwanderungs- diskurs zusätzlich rassistisch aufgeladen hat. Das Thema Einwanderung betrifft aber nicht nur den medio-politischen Dis- kurs, sondern auch das alltägliche Sprechen und Handeln ‚eingeborener’ Bür- 5 Vgl. dazu die Angaben bei den „Nachweisen“.