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Der Mönch in Weimar - Ein Schauerroman nach alter Mode PDF

406 Pages·2013·1.63 MB·German
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Autor: Alexander Röder Lektorat: Oliver Hoffmann und Thomas Le Blanc Korrektorat: Maran Alsdorf und Solveig Tenckhoff Art Director und Gestaltung: Oliver Graute © Feder&Schwert 2013 E-Book-Ausgabe ISBN 978-3-86762-198-4 ISBN der gedruckten Auflage 978-3-86762-178-6 Der Mönch in Weimar ist ein Produkt der Feder&Schwert GmbH © 2013. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck außer zu Rezensionszwecken nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags. Die in diesem Buch beschriebenen Charaktere und Ereignisse sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit zwischen den Charakteren und lebenden oder toten Personen ist rein zufällig. Die Erwähnung von oder Bezugnahme auf Firmen oder Produkte auf den folgenden Seiten stellt keine Verletzung des Copyrights dar. www.feder-und-schwert.com Prolog U S NTER DER TADT E s rumorte in der Erde unter Weimar. Die Weimarer Bürger aber gingen dessen ungeachtet ihren Geschäften und Vergnügungen nach. Man besuchte Wirtshäuser und Märkte, alte Freunde und neue Bekannte, erfreute sich am beschaulichen Leben der kleinen Residenzstadt, an der thüringischen Luft und den Thüringer Würsten, und sollte dennoch ein feinfühliger Passant die leichten Erschütterungen durch die Sohlen seiner Schnallenschuhe gespürt haben, so erklärte er es sich gewiss damit, dass eine in der Nähe vorbeifahrende Kutsche oder ein Karren den Kitzel verursacht habe, der sich durch das Pflaster über die Schuhsohlen auf seine bestrumpften Zehen übertragen hatte. Des Nachts mochte ein aus dem Schlummer Gefahrener im ersten Moment mit Schrecken lauschen – war da etwas gewesen? Doch nach einem bangen Moment kratzte er sich schläfrig den Kopf unter der Nachtmütze, murmelte vielleicht etwas von Ratten im Gebälk, nächtlichen Zechbrüdern oder tölpelhaften Nachtwächtern und sank wieder in den Schlaf des Gerechten, und der Mond würde wieder unbehelligt sein silbriges Licht über Weimar werfen. Doch selbst wenn sich dem einen oder anderen die wahre Herkunft dieses gelegentlichen dumpfen Polterns erschlossen hätte, wenn er vielleicht in einem unbeobachteten Augenblick des Zweifelns das Ohr auf den Grund gepresst hätte – so wäre das Geheimnis doch gewahrt geblieben. Denn je nach Veranlagung des Lauschers hätte sich die eine oder andere Erklärung gefunden: Entweder war dieses Pochen und Stampfen ein unwiderlegbarer Beweis für die Existenz des Leibhaftigen und seiner höllischen Heerscharen, der in der Erde seine teuflischen Ränke gegen die Menschheit schmiedete und davon schwerlich abzubringen sein würde, weswegen sich jegliches – wie auch immer geartetes – Einschreiten verböte. Oder das Klopfen und Rumpeln wäre ein Hinweis auf neuerliche Bestrebungen Carl Augusts, Herzog zu Sachsen-Weimar und Eisenach, der thüringischen Scholle wertvolles Erz zu entreißen. Warum aber ausgerechnet unter der Stadt? Vielleicht, weil die Bemühungen am Johannisschacht in Ilmenau auch nach acht langen Jahren – und siebenjähriger Vorbereitung – immer noch nicht von Erfolg gekrönt waren? Oder war die Gemengelage der Steine und Erden in diesem Landstrich dergestalt, dass die Arbeitsgeräusche der Bergleute am Kammerberg auch über die sechzig Kilometer Entfernung drangen? Kilometer Entfernung drangen? Oder konnte es nicht doch sein, dass das unterirdische Völklein, von dem Märchen und Sagen zu berichten wussten, tatsächlich dort unten hauste? Dass Gnome durchs Gestein streiften, dass Heinzelmännlein ihre Gänge anlegten? War dies eine Möglichkeit, eine Verbindung zwischen den beiden anderen Erklärungsversuchen? Nichtmenschliches mit menschlichen Eigenschaften und Arbeitsweisen? Niemand drang tatsächlich auf den Grund der Töne aus der Tiefe, bis im Sommer 1792 ein junger Herr aus England in der Stadt eintraf. Ein junger Herr, der bereits in einigen Jahren weltberühmt, ja gar berüchtigt sein würde, einstweilen aber noch ein Niemand war. Erstes Kapitel I G B V N WELCHEM EISTER AUS ÜCHERN UND AUS DER ERGANGENHEIT AUFTAUCHEN M atthew Gregory Lewis sah mit seinen vor Ermattung tiefliegenden Augen durch einen Spalt im Vorhang aus dem Fenster der rüttelnden Kutsche. Er wischte sich mit einem Tüchlein den Schweiß von der schmalen Stirn unter dem dunklen Haar. Die Julisonne des Kontinents kümmerte sich wenig um die klimatischen Bedürfnisse eines Engländers und brannte auf die dunkel gestrichene Kutsche. Vor die Wahl gestellt, das stickige Wageninnere mit der Kühle des Fahrtwindes auf dem Kutschbock einzutauschen, hatte Lewis sich für die ruhigere Kabine entschieden – der vierschrötige Postillion hatte seit dem Aufbruch nach Weimar ohne Pause auf ihn eingeredet, schlimmer noch als die, die ihn von Berlin nach Leipzig gebracht hatten. Es schien, als würden die Menschen in der Provinz immer redseliger. Der Kutscher war der lebende Beweis dafür, und das, obwohl er doch bemerkt haben musste, dass die meisten seiner Zoten und Anekdoten bei dem jungen Engländer auf unverständige Ohren stießen. Im Zweifelsfall hatte er den nicht besonders hoch aufgeschossenen Siebzehnjährigen für wesentlich jünger gehalten – das geschah Lewis ständig, auch wegen seiner knabenhaften Züge – und eine gewisse Schamhaftigkeit vorausgesetzt. Was ihn nicht daran gehindert hatte, noch anzüglicher zu werden. Als Lewis’ Wortschatz nicht mehr ausreichte, um auch nur annähernd zu folgen – wenngleich sich etwaige Inhalte durch Gesten des Kutschers unmissverständlich erschlossen –, hatte er bei der nächsten Rast Müdigkeit signalisiert, und müde war er allerdings nach dieser Reise quer durch all die deutschen Fürstentümer und Grafschaften, an deren Grenzen er sich wieder und wieder deklarieren musste. Ganz zu schweigen von den beängstigenden Kontingenten blaugewandeter preußischer Soldaten, die nach Westen, in Richtung Frankreich zogen und sich in den Wirtshäusern nicht sonderlich preußisch diszipliniert verhielten. Gottlob hatte er bei solcherlei Begegnungen unmissverständlich klarmachen können, dass er Engländer, nicht Franzose sei, auch wenn seine recht elegante Kleidung dies hätte vermuten lassen können. Eine Verwechslung wäre ihm sicher schlecht bekommen. Bei dieser Erinnerung trat ihm wieder Schweiß auf die Oberlippe, und er musste erneut das Tüchlein gebrauchen. Dann steckte er es mit schwungvoller Bewegung in den Ärmelaufschlag seines Rockes zurück und stutzte. Sicher waren es solche Verhaltensweisen, die ihn in rauerer Umgebung in Bedrängnis brachten. Er seufzte und räusperte sich. Seine Stimme war gar zu hell geraten. Das musste er ändern. Vielleicht würde ihm diese schrecklich harte deutsche Sprache dabei helfen. Herrzzlichchen Dannkk. Er nahm seine Papiere wieder auf und sah auf die wippenden Blätter und tanzenden Schriftzeichen. Einige Zeit zuvor waren die eisenbeschlagenen Räder des Wagens vom Staub der Landstraße auf das Kopfsteinpflaster der Weimarer Gassen gewechselt und hatten ein entsetzliches Geklapper veranstaltet. Lewis war es unmöglich, sich seine Notizen einzuprägen, die aus einer auf Deutsch formulierten Begrüßungsansprache für seinen Gastgeber bestanden. Seinem Vater, der ihn im Herbst des vergangenen Jahres auch nach Paris hatte reisen lassen, um dort Französisch zu lernen, war es in den Sinn gekommen, den Sohn bei einer respektierlichen Person der Weimarer Gebildeten unterkommen zu lassen: Karl August Böttiger, der örtliche Gymnasialdirektor, ja gar Oberkonsistorialdirektor für Schulangelegenheiten. Es schien, als wollte der gewissenhafte Sekretär im britischen Kriegsministerium seinen ältesten Sohn zu gewissenhaften Sprachstudien anhalten, indem er ihn ins Haus eines Lehrers gab. Aber hätte es nicht auch Lehrer in Berlin gegeben! Dorthin war er zunächst gereist und hatte einige Zeit verbracht. Der englische Gesandte Sir Norton Eden hatte ihn in die adeligen Kreise eingeführt, und das unbeschwerte Leben mit all den Bällen und Empfängen war äußerst angenehm gewesen. Lewis seufzte erneut und blickte den Bürgern und Mägden hinterher, die teils Spazierstöcke, teils Weidenkörbe mit sich trugen, und ließ den Blick an den niedrigen Fassaden der Häuser emporwandern. Weimar. Was war Weimar gegen Berlin? Oder noch deutlicher: gegen Paris? Dort hatte er wundervolle Konversation betrieben, mit der besten Gesellschaft der Stadt in den Salons Tricktrack gespielt, selbst wenn er sein Glück in derlei Dingen nicht allzu oft beansprucht hatte. Er war im Theater gewesen, hatte Dutzende glanzvoller Opern erlebt. Von Marsollier und Boutet und ... Kaum hatte er sich in Gedanken derart ereifert, kamen ihm auch andere Dinge in den Sinn. Er hatte in Paris beobachten müssen, dass die Revolution an den schönen Künsten nicht spurlos vorübergegangen war. Im aktuellen französischen Theater zeigte sich ein schreckliches Motiv als einer der Favoriten: das des lebendig Begrabenseins. Sicher, das war eine treffende Metapher für die Schändlichkeit der Bastille und in seiner schauerlichen Wirkung auch auf den Bühnenbrettern durchaus publikumsträchtig. Dennoch missfiel Lewis dies ausnehmend. Seine Mutter hatte ihm von klein auf erzählt, wie sehr sie sich genau davor fürchtete. Eingesperrt und vernagelt in der dumpfen Düsternis des hölzernen Sarges. Hinabgelassen in die Erde. Für immer gefangen. Für immer. Für immer ... Lewis fuhr sich mit dem Finger zwischen Kragen und Hals, zerrte am Knoten seines Tuches. Die drückende Hitze im Kutscheninneren war plötzlich noch unerträglicher als zuvor. Konnte das Gefangensein im Sarg schlimmer sein? Statt Erdenkühle das Höllenfeuer zu spüren? Er keuchte. Das Fenster! Er riss hektisch die Vorhänge zur Seite – und starrte ins gehörnte Antlitz des Leibhaftigen. Schwarze Augen glotzten ihn an, und aus den breiten Nüstern schoss Dampf, der sich zu Gewitterwolken formte und schweflig die Fratze des Höllenfürsten umspielte! Lewis schrie auf, und ein infernalisches Brüllen antwortete ihm. Satan lachte ihn aus, fuhr sich gar mit der von Pestbeulen übersäten, ellenlangen Zunge über das garstige Antlitz. Grauenhaft! Lewis schwankte zwischen den Bedürfnissen, die Augen erschreckt aufzureißen oder sie vor Angst zusammenzupressen. Doch noch ehe er sich entscheiden konnte, drehte die Kuh ihren mächtigen Schädel zur Seite, leckte sich erneut mit schwärzlicher Zunge übers Maul und trottete weiter. Andere folgten ihr. Lewis wagte sich näher an die Fensteröffnung und spähte hinaus. Verfluchtes Weimar! Eine Residenzstadt, in der man Kuhherden durch die Gassen trieb. Lewis war schlagartig ernüchtert, und die furchtbaren Gedanken waren zunächst verflogen. Zumindest hatten sie sich in einen der hinteren Winkel seines Geistes zurückgezogen, um dort zu lauern und auf eine neuerliche Gelegenheit zu warten, hervorzuschießen. Lewis hustete nervös. Kein Zweifel. Weiter entfernt von Paris könnte er kaum sein. Zumal, wie er erfahren hatte, Herzog Carl August nicht bei Hofe war, sondern sich seit dem vorigen Monat auf dem Feldzug gegen Frankreich befand. Wie strahlend mochte es dann hier in Weimar wohl zugehen? Seit einigen Jahren war es beim englischen Adel beliebt, seine Söhne nach Weimar zu senden, damit sie sich am dortigen Hof den letzten Schliff ihrer gesellschaftlichen Formen erwarben. Aber ohne den Herzog? Lewis schüttelte den Kopf und atmete tief ein. Es war wohl besser so. So würde er sich auf seine Studien konzentrieren können. Deutsch lernen. Das Französische war ihm rasch von der Hand gegangen, zweifellos, warum sollte es sich also hier anders verhalten? Zudem war er hier auf höchst edlem literarischen Grund und Boden. Christoph Martin Wieland lebte hier, dessen erste Werke man schon vor dreißig Jahren ins Englische übersetzt hatte. Lewis hatte sie gelesen, den Agathon, den Don Sylvio und natürlich den großen, gewaltigen Oberon. Diese grazile Heiterkeit, dieser gepflegte Witz! Lewis hatte sich vorgenommen, selbst in diesem Feld zu reüssieren, ja, nicht allein zu schreiben, sondern auch das Werk deutscher Dichter in seinem englischen Heimatland bekannt zu machen. Natürlich hieß es da, fleißig zu sein und die Sprache zu erfassen, ja zu meistern. Da halfen nur unermüdlichstes Üben und viel Lektüre. In den vergangenen Tagen hatte er ein schmales Bändchen zu lesen begonnen und beendet. Ein Erfolg in seiner Heimat wie auch in Deutschland. Die Leiden des jungen Werthers. Von Goethe, der auch dieses und jenes geschrieben hatte. Möglicherweise boten sich ein Besuch, ein Gespräch an. Aber Wieland lag ihm mehr an Herzen. Lewis war hoffnungsvoll. Ein beschauliches Leben im Hause dieses Schulmeisters, ohne weitreichenden gesellschaftlichen Kontakt, das würde die richtige Grundlage sein, die ihn zu raschem Studienerfolg führen würde, und nebenbei konnte er wohl das verwirklichen, was ihm seit dem letzten Jahr in Oxford im Kopf herum … Ja, herumspukte wäre wohl das rechte Wort hierfür. Er hatte seit jener Zeit eine Idee im Kopf, eine schauerliche Romanze im Stile des Schlosses von Otranto seines Landsmanns Horace Walpole. Eine Geschichte voller Gespenster und Grüfte. Was bot sich besser an, als diese Mär hier zu schreiben, in Deutschland, dem Land der Geister und der Schauerromane? Hier, wo sich das, was sich bislang nur in seinem Kopf befand, wirklich ereignen konnte. Lewis klopfte auf die pralle Reisetasche neben sich, die die Ausbeute eines halben Tages in den Buchhändlerläden Leipzigs enthielt. So gerüstet würden ihm weder das Lernen noch das Schreiben schwerfallen. Lewis wischte sich erneut den Schweiß von der Stirn. Er merkte, wie seine Gedanken sich beständig im Kreis drehten; die Hitze machte ihm doch einiges zu schaffen. Langsam wünschte er sich, die Reise möge bald ein Ende nehmen. Er wollte gerade den Kopf aus dem Fenster stecken – vorsichtig, denn wer wusste schon, was da draußen auf den Gassen Weimars lauerte –, um den Kutscher zu fragen, als das Gefährt auch schon zu einem Halt kam.

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