Der Einfluß okularer Artefakte auf das Electroencephalogramm Eine Evaluation des Augenkorrekturalgorithmus von Gratton, Coles & Donchin (1983) Diplomarbeit von Sabine Christ Matrikel-Nr. 470193 Betreuer: Prof. Dr. Dieter Bartussek Dr. Ewald Naumann Inhaltsverzeichnis 1 Einführung.................................................................................................................1 2 Der Einfluß okularer Artefakte...................................................................................1 2.1 Die Generierung okularer Artefakte.....................................................................3 2.2 Überblick über Methoden der Augenartefaktkorrektur.........................................5 2.2.1 Ausschluß-Verfahren....................................................................................5 2.2.2 Rechnerische Modelle...................................................................................6 2.2.2.1 Beschreibung der Regressions-Methoden...............................................6 2.2.2.2 Unterscheidung der rechnerischen Modelle.............................................8 2.3 Das Modell von Gratton et al. (1983) bzw. Gratton & Coles (1989)..................14 2.4 Alternative: Eliminierung von Augenartefakten mit Hilfe der Schätzung der Current Source Densitiy (CSD).........................................................................18 3 Methoden.................................................................................................................21 3.1 Planung einer Evaluations-Studie.......................................................................21 3.2 Versuchsaufbau.................................................................................................25 3.3 Datenerhebung..................................................................................................28 3.4 Datenauswertung...............................................................................................30 3.4.1 Datenauswertung für die Evaluation der EMCP..........................................30 3.4.2 Datenauswertung für die Schätzung der Current Source Density (CSD)......32 4 Ergebnisse................................................................................................................34 4.1 Unwillkürliche Blinks........................................................................................34 4.2 Zeitgebundene willkürliche Blinks......................................................................40 4.3 Reizbezogene willkürliche Blinks.......................................................................43 4.4 Cerebrale Potentiale vor willkürlichen Bewegungen...........................................46 4.5 Reizbezogene Reaktionen im Oddball-Paradigma (ereigniskorrelierte Potentiale).........................................................................................................47 4.6 Augenartefaktkorrektur über die komplette Meßstrecke....................................52 4.7 Ergebnisse für die Eliminierung von Augenartefakten mit Hilfe der Schätzung der CSD.............................................................................58 5 Diskussion................................................................................................................60 5.1 Abschließende Bemerkungen zur EMCP............................................................60 5.2 Hinweise für die fehlerhafte Schätzung der CSD................................................61 6 Danksagung.............................................................................................................63 7 Literaturliste.............................................................................................................64 DerEinflußokularer Artefakte auf dasElectroencephalogramm Seite1 1 Einführung Augenbewegungen und Blinks kommen während der Messung des Electroencepha- logramm (EEG) sehr häufig vor und verursachen große Augenartefakte. Sie treten prak- tisch bei jeder Aufgabenstellung auf und erscheinen auch als Reaktionen auf bestimmte Reize. Die Größe und Häufigkeit dieser Artefakte ist nicht konstant, sie verändert sich je nach Aufgabenstellung und Population (Gratton, 1998). Oft ist schon die Bestimmung von Blinks irreführend. Neuere Studien bestimmen folgen- de definierende Eigenschaften für Blinks: Regelmäßiges Schließen und nachfolgendes Öffnen des Augenlids, wobei die Dauer, die das Auge beim Blink geschlossen ist, kürzer ist als bei anderen Augenschließungen (bis 300ms) (Kong & Wilson, 1998). Zur Eliminierung von Augenartefakten wurden zahlreiche Korrekturverfahren ent- wickelt. Von Gratton, Coles & Donchin (1983) bzw. Gratton & Coles (1989) liegt ein Modell vor, bei dem die Effekte von Blinks und Augenbewegungen gewichtet und an- schließend von den EEG-Kanälen subtrahiert werden. Dieses Modell wurde in einigen Untersuchungen bestätigt, es gibt allerdings auch Hinweise darauf, daß vor allem an frontopolaren Elektrodenpositionen ungenaue Berechnungen resultieren. Daher soll die- ses Modell einer Überprüfung unterzogen werden. Zunächst wird in Kapitel 2 dargestellt, welchen Einfluß Augenartefakte auf das EEG ausüben und es werden verschiedene Methoden zur Augenartefakt-Korrektur vorgestellt. Anschließend wird detailliert erklärt, wie das Modell von Gratton et al. (1983) bzw. Gratton & Coles (1989) versucht, Augenartefakte zu eliminieren. Zusätzlich wird ein alternatives Verfahren präsentiert, mit dem eine artefaktfreie Schätzung des Potentials an einer bestimmten Position erfolgen soll (Schätzung der Current Source Density). Es wurde eine Experiment durchgeführt, welches die beiden Modelle unter verschiede- nen Gesichtspunkten prüft. Diese Untersuchung wird in Kapitel 3 vorgestellt, nachfol- gend werden die Ergebnisse der Untersuchung präsentiert (Kapitel 4), wobei eine de- skriptive Auswertung im Vordergrund steht und auf eine statistische Auswertung ver- zichtet wurde. In einer abschließenden Diskussion werden schließlich weiterführende Aspekte bezüglich der Ergebnisse erörtert (Kapitel 5). 2 Der Einfluß okularer Artefakte DerEinflußokularer Artefakte auf dasElectroencephalogramm Seite2 Mit dem Electroencephalogramm (EEG) werden Spannungsdifferenzen zwischen jeweils zwei Elektroden gemessen. Potentialveränderungen weisen auf elektrische Aktivität im Gehirn hin. Können solche Potentialveränderungen nicht auf cerebrale Aktivität zurück- geführt werden, spricht man vonArtefakten. Man unterscheidet technische Artefakte, die z. B. aufgrund von polarisierten Elektroden oder Elektrodendrifts auftreten, und biologi- sche Artefakte, d. h. solche, die vom Körper extracranial erzeugt werden. Neben Mus- kelpotentialen, EKG-Einstreuungen und Hautpotentialen (Schandry, 1998), spielen vor allem okulare Artefakte, also Augenbewegungen und Lidschläge (“Blinks”), eine we- sentliche Rolle, da ihre Potentiale diejenigen, die im Gehirn generiert werden, bei weitem überschreiten. Während im Gehirn Potentiale bis zu 200 m V bzw. bei ereigniskorrelierten Potentialen (EKP) unter 50 m V gemessen werden können (Birbaumer & Schmidt, 1991) erreichen die Potentiale im Auge bis zu 800 m V (Brunia et al., 1989). Augenartefakte kommen sehr häufig vor und treten u. a. als Folge bestimmter Reize oder bei der Ausübung von Aufgaben auf. Sie variieren in Größe und Häufigkeit und je nach Population oder Aufgabenstellung, was zu systematischen Veränderungen und Konfun- dierung mit dem EEG oder EKP führen kann (Brunia et al., 1989; Gratton, 1998). So- bald Blinks oder Augenbewegungen reizgebunden auftreten, verzerren ihre Potentiale das gemittelte Skalp-Potential. Auch unregelmäßige Augen-Potentiale sind problema- tisch. Sie können zwar durch die Mittelungstechnik eliminiert werden, führen jedoch zu erhöhter Varianz (Gasser, Sroka & Möcks, 1986). Elektrische Felder entstehen also auch im Auge; Bewegungen des Auges und des Au- genlids führen zu Änderungen dieser Felder. Sie beeinflussen ebenso die elektrische Ak- tivität des Skalp, da die elektrischen Augenfelder mit den Feldern, die innerhalb des Schädels erzeugt werden, interagieren. (Gratton et al., 1983). Auch wenn sich die Pro- pagation der Augenfelder über die Skalpelektroden verändert, verformt sich das EEG (Gratton, 1998). Es ist daher notwendig, Augenartefakte aus dem EEG zu eliminieren. Hierfür stehen zahlreiche Korrekturmethoden zur Verfügung, mit deren Hilfe die Verar- beitung und Interpretation artefaktfreier Daten ermöglicht werden soll. DerEinflußokularer Artefakte auf dasElectroencephalogramm Seite3 2.1 Die Generierung okularer Artefakte Die elektrischen Felder des Auges lassen sich durch folgende Ansätze erklären: 1. Zwischen Cornea (am vorderen Teil des Auges) und Retina (am hinteren Teil des Au- ges) existiert ein elektrisches Potential (Dipol), da die Cornea positiv, der hintere Teil des Auges dagegen negativ geladen ist. Das Potential wird innerhalb des Auges er- zeugt und strahlt aus in das umliegende Gewebe. So wird ein Potential-Feld erzeugt, welches bis zu 1mV betragen kann und mit dem Auge rotiert. Ist bei einer Messung das Auge geradeaus nach vorne gerichtet, sind Cornea und Retina gleich weit entfernt von den Elektroden und die Potentialdifferenz ist konstant. Da das Electro- oculogramm (EOG) als Veränderung bezüglich einer Baseline gemessen wird, beträgt das EOG-Potential dann null (bei AC-Aufzeichnung). Eine Rotation des Auges bringt die positiv geladene Cornea näher zu einer der Elektroden und entfernt die negativ geladene Retina weiter von dieser Elektrode, so daß eine elektrische Feldänderung, d.h. eine Potentialverschiebung erfolgt. Diese beträgt 10 µV bis 40 m V pro Grad (Oster & Stern, 1980; Schandry, 1998). Die Potentialverschiebung des Auges resultiert auch in elektrischer Aktivität der Kopf-Oberfläche. Sie breitet sich über den gesamten Skalp aus und beeinflußt die O- berflächen-Ableitung der Aktivität des Gehirns (EEG) (z. B. Gratton et al., 1983; Oster & Stern, 1980). Eine Verzerrung des EEG durch das EOG tritt also dann auf, wenn sich das Auge bewegt oder wenn sich die Ausbreitung des EOG über die Skalp-Elektroden verän- dert. Dabei betrachtet man Augenbewegungen als Kombination von Rotationen über einem vertikalen und einem horizontalen Winkel. Vertikale Bewegungen verursachen dabei hauptsächlich Veränderungen an der sagittalen Achse der Skalpoberfläche, hori- zontale Bewegungen an der coronalen Achse (Gratton, 1998). 2. Blinks werden definiert als regelmäßiges Schließen und nachfolgendes Öffnen des Augenlids. Sie führen in der EOG-Ableitung zu steilen Ausschlägen mit hoher Amp- litude. Ihre Frequenz liegt bei ungefähr 4 Hz bis 10 Hz (Gratton & Coles, 1989). Vor allem an frontalen Skalp-Elektroden, also in der Nähe der Augen, können Blinks die EEG-Aufzeichnung überlagern. Im Unterschied zur Skalp-Haut, deren leitfähigen Ei- genschaften relativ konstant ist, ist die Position der Augenlider bezüglich der Augen nicht fixiert. Bei einem Blink bewegen sich die Augenlider über das Auge. Diese wir- DerEinflußokularer Artefakte auf dasElectroencephalogramm Seite4 ken wie gleitende Elektroden, die ein elektrisches Feld erzeugen, welches sich über den Schädel fortpflanzt (Barry & Jones, 1965; nach Gratton et al., 1983, S. 468). Das Schließen eines Augenlids hat eine Erhöhung der Leitfähigkeit zwischen den Elektro- den und dem Dipol des Augapfels zur Folge. Es kommt daher zu Spannungsänderun- gen zwischen den Elektroden von ca. 0,5 mV (Schandry, 1998). Die elektrischen Felder bei Augenbewegungen und Blinks unterscheiden sich, daher er- folgt auch die Ausbreitung dieser Potentiale über dem Skalp auf verschiedene Weise: Eine Aufwärtsbewegung des Auges führt zu ungefähr gleich großen Potentialen am Vor- derhirn (positiv) und unter dem Auge (negativ), während bei Blinks das positive Potenti- al am Vorderhirn größer ist als das negative Potential unter dem Auge (Overton & Shag- ass, 1969). Bei Augenbewegungen wird außerdem die Potentialverschiebung länger auf- rechterhalten als bei Blinks (Brunia et al., 1989). Für die Korrektur der Augenartefakte ist es daher sinnvoll, die vertikalen und horizontalen Komponenten des EOG separat zu schätzen sowie zwischen Blinks und Augenbewegungen zu unterscheiden (Gratton & Coles, 1989). Die Ausbreitung des Potentials infolge von Augenbewegungen bei offenen Augen unter- scheidet sich von der bei geschlossenen Augen (Gasser et al., 1986), und willkürliche Blinks haben einen anderen Einfluß auf die Ausbreitung als unwillkürliche Blinks, genau- so unterscheiden sich Aufwärts- und Abwärtsbewegungen des Auges hinsichtlich ihrer Ausbreitung (Elbert, Lutzenberger, Rockstroh & Birbaumer, 1985). DerEinflußokularer Artefakte auf dasElectroencephalogramm Seite5 2.2 Überblick über Methoden der Augenartefaktkorrektur Grundsätzlich unterscheidet man zwei Möglichkeiten, ein EEG oder EKP von Augenar- tefakten zu befreien. Entweder man schließt diejenigen Epochen, die Augenartefakte aufweisen, von der Datenanalyse aus oder man bedient sich mathematischer Algorith- men, d. h. die Augenartefakte werden rechnerisch reduziert oder eliminiert. Im übrigen hat man auch die Möglichkeit, Augenartefakte bereits während der Untersu- chung einzuschränken, indem man die Versuchspersonen (Vpn) bittet, einen Punkt mit den Augen zu fixieren (Brunia et al., 1989). Augenartefakte lassen sich jedoch nicht voll- ständig vermeiden. 2.2.1 Ausschluß-Verfahren Beim Ausschluß-Verfahren werden einzelne Trials, Meßstrecken oder Vpn, die zu viele Augenartefakte aufweisen, eliminiert. Man bestimmt sie zunächst, indem aufgrund visu- eller Inspektion oder anhand eines festgelegten Kriteriums diejenigen Meßstrecken aus- gewählt werden, die eine bestimmte Amplitude (z.B. Aktivität über 50 m V ausgehend von einer Baseline), Varianz oder Steigung überschreiten. Diese Strecken werden dann verworfen. Diese Prozedur, die keine komplexen Rechenoperationen erfordert, wird nach wie vor sehr häufig angewandt (z. B. Gratton, 1998). Kommt eine subjektive Identifikation der Artefakte aufgrund visueller Inspektion zur Anwendung, bleibt die Gefahr bestehen, daß teilweise artefakt-befallene Meßstrecken angenommen werden (Brunia et al., 1989). Eine zum Teil automatisierte Unterstützung ist bei der Bestimmung der Artefakte möglich. Die Festlegung des Kriteriums für Arte- fakte muß sorgfältig abgewägt werden. Es muß so beschaffen sein, daß zu großer Daten- verlust vermieden wird, jedoch trotzdem alle artefakt-befallenen Epochen eliminiert wer- den. Insbesondere bei Augenbewegungen ist die Wahl eines solchen Kriteriums proble- matisch, dagegen kann die Methode zur Eliminierung von Blinks eher zur Anwendung kommen (Gasser et al., 1986). Unmöglich ist die Ausschluß-Methode dann, wenn Au- genbewegungen oder Lidschluß Teil der experimentellen Aufgabe sind. Soll beispielswei- se ein sich bewegendes Objekt mit den Augen auf dem Bildschirm verfolgt werden oder ist der Blink-Reflex Gegenstand der Untersuchung, können Unregelmäßigkeiten im EOG nicht als Augenartefakte definiert werden. Es müssen rechnerische Methoden zur An- wendung kommen (Brunia et al., 1989; Gratton, 1998). Eine weitere Einschränkung ergibt sich, wenn die verschiedenen experimentellen Bedin- gungen oder Vpn-Populationen unterschiedliche Augenbewegungs- oder Blink- Ge- DerEinflußokularer Artefakte auf dasElectroencephalogramm Seite6 wohnheiten (z. B. Blink-Häufigkeiten o. ä.) mit sich bringen, da dann diejenigen Prozesse beeinflußt werden, die untersucht werden sollen. Treten Augenbewegungen in Abhän- gigkeit von psychologischen Prozessen auf, wie dies z. B. bei Aufmerksamkeitsprozessen oder Ermüdung der Fall ist (Brunia et al., 1989), bestünden die artefakt-freien Meßstre- cken hauptsächlich aus unrepräsentativen Trials. Genauso wären bei einer Untersuchung, bei der die Augenaktivität Teil des Experimentes ist, gerade die artefakt-freien Epochen nicht von Bedeutung. Außerdem kann es bei bestimmten Vpn-Gruppen zu übermäßigem Datenverlust bei Anwendung der Ausschluß-Methode kommen. Insbesondere Kinder sowie psychiatrische bzw. neurologische Patienten tendieren dazu, häufiger zu blinzeln und Augenbewegungen zu vermeiden (Gratton et al., 1983, Gratton, 1998). Oft ist die Anwendung des Ausschluß-Verfahrens mit der Instruktion kombiniert, Au- genbewegungen und Blinks möglichst zu vermeiden. Diese Instruktion stellt in den meisten Fällen eine zusätzliche Aufgabe dar (“additional task” bzw. “secondary task”), die aus experimenteller Aufgabe sowie Selbstkontrolle der Augenaktivität besteht. Sie kann unabhängig von der eigentlichen Untersuchung zu unterschiedlichen Effekten bei verschiedenen Populationen führen (Croft & Barry, 1998 (1)) und stört möglicherweise diejenigen Prozesse im Gehirn, die Gegenstand der Untersuchung sind (Brunia et al. 1989; Gratton, 1998). Verleger (1991; nach Gratton, 1998, S. 46) konnte nachweisen, daß diese zweite Aufgabe eine Amplituden-Veränderung bei evozierten Potentialen (z. B. N1, P3) mit sich bringt. Außerdem berichten Berg & Davies (1988) von Bereitschafts- potentialen vor willkürlichen Sakkaden und Blinks, welche evtl. vor bzw. nach der Re- aktion auftreten können und noch innerhalb der interessierenden Meßstrecke liegen. 2.2.2 Rechnerische Modelle 2.2.2.1 Beschreibung der Regressions-Methoden Die Modelle der Augenartefakt-Korrektur mit Hilfe von rechnerischen Methoden versu- chen, den Datenverlust, der aus der Eliminierung von Meßstrecken resultiert, zu vermei- den. Man geht dabei von einer linearen Addition der Gehirn-Aktivität und der Augenar- tefakte aus (Regressions-Modelle): Das gemessene EEG (EEG ) setzt sich demnach zu- g sammen aus dem wahren, nicht meßbaren EEG (EEG ) und den Effekten der horizonta- w len und vertikalen EOG-Artefakte an diesen Elektroden (hEOG bzw. vEOG). Das Mo- dell läßt sich also durch folgende Parameter charakterisieren: DerEinflußokularer Artefakte auf dasElectroencephalogramm Seite7 EEG = EEG + hEOG + vEOG g w Nach diesem Modell ist das wahre EEG an einer bestimmten Elektrodenposition schätz- bar durch eine Subtraktion der horizontalen und vertikalen Augenpotentiale vom gemes- senen EEG. Dabei müssen die EOG-Potentiale gewichtet werden, da sich das EOG- Signal nicht gleichmäßig über den Skalp fortpflanzt. Es wird daher ein separater Propa- gationsfaktor für jede Elektrodenposition gesucht, mit dem das EOG-Signal vor der Subtraktion multipliziert wird. Die unterschiedlichen rechnerischen Verfahren zur Au- genartefakt-Korrektur unterscheiden sich vor allem hinsichtlich dieser Schätzung der Propagationsfaktoren. Generell nehmen diese Faktoren als Funktion der Entfernung vom Auge ab, d. h. an frontopolaren bzw. frontalen Skalpelektroden sind sie größer als an parietalen oder occipitalen, da die Augenartefakte auf die vorderen Skalpelektroden ei- nen größeren Einfluß ausüben. Eine Abweichung dieses Prinzips ergibt sich, wenn sich die Richtung der Augenbewegung ändert: Die Midline-Elektroden werden eher von ver- tikalen, laterale Elektroden stärker von horizontalen Augenbewegungen beeinflußt (Gratton, 1998). Dieses Modell setzt voraus, daß der Effekt von Augenbewegungen auf verschiedene Elektrodenpaare linear ist. D. h. das Verhältnis der Potentialveränderung durch hori- zontale und vertikale Augenbewegungen bzw. durch Blinks sollte bei verschiedenen E- lektrodenpaaren konstant sein. Diese Linearitäts-Annahme konnte in zahlreichen Unter- suchungen für horizontale und für vertikale Abwärts-Augenbewegungen nachgewiesen werden (z. B. Corby & Kopell, 1972; Overton & Shagass, 1969). Eine geringe Abwei- chung der Linearität wurde für vertikale Aufwärts-Augenbewegungen gefunden. Ver- mutlich spielt hier die gleichzeitige Augenlid-Bewegung eine Rolle (Hillyard & Galam- bos, 1972). Außerdem ist das Verhältnis dieser Effekte okularer Artefakte auf verschie- dene Elektrodenpaare auch nur dann konstant, wenn Augenbewegungen bzw. Blinks bei beiden Augen gleichartig sind, d. h. keine Konvergenz bzw. Divergenz vorliegt. Beide Augen werden also jeweils mit dem selben Faktor gewichtet; leistet ein Auge einen ande- ren Beitrag zum Gesamtergebnis als das andere, ist die Linearitäts-Annahme verletzt. Ein Problem der Regressions-Modelle liegt darin, daß das korrigierte EEG aufgrund des mathematischen Modells zwangsläufig unkorreliert ist mit dem EOG. Dies widerspricht jedoch der Annahme, daß an den EOG-Kanälen immer auch Gehirn-Aktivität sowie an- dere Potentiale, wie z. B. Hautpotentiale und Muskelartefakte vorhanden sind (Möcks, DerEinflußokularer Artefakte auf dasElectroencephalogramm Seite8 Gasser & Sroka, 1989; van den Berg-Lenssen & Brunia, 1989). Im Allgemeinen geht man jedoch davon aus, daß diese Abweichungen vernachlässigt werden können. 2.2.2.2 Unterscheidung der rechnerischen Modelle Rechnerische Modelle können nach den im Folgenden aufgeführten Kriterien unterschie- den werden: Zunächst unterscheidet manon-line- und off-line-Korrekturen. Beioff-line Methoden (z. B. Modelle von Verleger, Gasser & Möcks, 1982; Gratton et al., 1983; Jervis, Ifeachor & Coelho, 1989; Elbert et al., 1985; Berg & Scherg, 1994) erfolgt die Augenartefaktkor- rektur nach der Beendigung der Messung. Es konnte nachgewiesen werden, daß diese reliabler sind als on-line Korrekturen (Gratton, 1998). Die on-line Technik (z. B. bei Girton & Kamiya, 1973; Hillyard & Galambos, 1972), d. h. die Korrektur während der Messung, hat den Vorteil, daß artefakt-behaftete Meß-Epochen, die nicht zur weiteren Datenanalyse benutzt und daher eliminiert werden, im Anschluß an die regulären Meß- durchgänge wiederholt werden können, so daß zu großer Datenverlust vermieden wird. Dies setzt allerdings voraus, daß die Wiederholung dieser Epochen keine zusätzlichen Konsequenzen mit sich bringt. On-line Korrekturen haben den Nachteil, daß vor der Messung eine prä-experimentelle Eichung stattfinden muß. Dabei werden die Vpn gebe- ten, die Augen zu bewegen; die so erhaltenen Effekte dienen als Schätzung der Propaga- tionsfaktoren. Records (1979; nach Gratton et al., 1983, S. 469) fand allerdings, daß sich die elektrischen Felder bei willkürlichen Augenbewegungen (in der Kalibra-tionsphase) und unwillkürlichen Augenbewegungen (in der experimentellen Phase) unterscheiden und die Propagationsfaktoren daher über- bzw. unterschätzt werden. Eine andere Möglich- keit besteht darin, die Eichstichprobe unter identischen experimentellen Bedingungen zu erheben. Jedoch findet sich dann auch EKP-Aktivität in den Kalibra-tions-Trials. (Grat- ton et al., 1983; Gratton, 1998). Als nächstes unterscheidet man Korrekturen in der Time Domain (z. B. Modelle von Elbert et al., 1985; Gratton et al., 1983; Verleger et al., 1982; Berg & Scherg, 1994) von Korrekturen in der Frequency Domain (z. B. Modelle von Gasser et al., 1986; van Driel, Woestenburg & van Blokland-Vogelesang, 1989). Beim “Time Domain Approach (TDA)” geht man von der Annahme aus, daß alle Frequenzen der EOG-Aktivität gleich- mäßig auf die Skalp-Elektroden übertragen werden (“assumption of constant gain func-
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