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Der Donnerstein von Ensisheim PDF

39 Pages·1975·1.1 MB·German
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Theodora Von der Mühll Der Donnerstein von Ensisheim Theodora Von der Mühll Der Donnerstein von Ensisheim Springer Basel AG ISBN 978-3-0348-6444-2 ISBN 978-3-0348-6443-5 (eBook) DOI 10.1007/978-3-0348-6443-5 Softcoverreprint ofthe hardcover1st edition 1975 DER DONNERSTEIN VON ENSISHEIM Am St.-Lorenz-Tag, dem 7· November 1492, hütete ein Knabe bei Ensisheim in der Rheinebene die Schafe. Achteinhalb Wegstunden süd lich des elsässischen Städtchens liegt Basel. Dort herrschte an jenem Tag wie an allen anderen der gewohnte Lärm von Wagen, Karren und Pfer den auf dem holprigen Pflaster. In den engen Gassen der Handwerker ertönte weithin der Schmiede Hämmern auf dem Amboß, auf dem Rhein lenkten die Flößer mit schallenden Warnrufen ihre Baumstämme durch das Gedränge der Schiffe, an der Herbstmesse auf dem Münster platz priesen die Marktschreier ihre Ware an. Nurein paar Schritte davon entfernt, in der Augustinergasse, hoch über dem Strom, wohnte Seba stian Brant, in jenem Jahr Dekan der juristischen Fakultät. Schräg gegenüber, am niederen Ufer, bei der östlichen Stadtmauer lebte seit 1487 der in Stein bei Pforzheim geborene Johannes Heynlin de Lapide fern vom Getriebe und der Unrast dieser Welt, wo er als Humanist, erster deutscher Rektor der Sorbonne, Gründer der ersten Druckerei in Paris und später vielbegehrter Prediger im hellen Glanz des Ruhmes 5 TH, VON DER MÜHLL und Erfolges gestanden war. Jetzt führte er, von Büchern umgeben, in einer Klause des Kartäuserklosters ein Gott geweihtes Leben. Der kleine Schäfer, Brant und Heynlin sind die der Nachwelt genann ten Zeugen dessen, was am Vormittag jenes 7· November zwischen elf und zwölf Uhr geschehen ist. Gehört haben es in weitem Umkreis alle Menschen: einen entsetzlichen, unbegreiflichen Knall, anders als der ärgste Donnerschlag und ohne Blitz, ohne Anzeichen eines Gewitters. Als Horaz sagte: <Selbst den Himmel bedräut unsere Vermessenheit>, galt dies den lautlosen Schwingen des Ikarus. Die von Menschenhand bewirkten Detonationen beim Durchbruch der Schallmauer und auf der Bahn weittragender Geschosse blieben späteren Generationen vorbehal ten. 1492 erschauerten die Sterblichen vor dem Unerklärlichen, ihre Angst war Ehrfurcht vor demWalten Gottes. Die Kunde aus Ensisheim, rasch von Mund zu Mund weitergegeben, bestätigte den Glauben an ein Wunderzeichen. Der Hirtenknabe hatte es gesehen, wie unter Getöse eine Art Felsblock vom Himmel herab auf den nahen Acker fiel, sich 6 Einblattdruck mit anonymem Holzschnitt gedruckt bei Bergmann von Olpe in Basel, I492 DER DONNERSTEIN VON ENSISHEIM durch die helle Wintersaat eingrub, tief in die Erde, und ringsum ein Regen von Steinen niederging. Ein Schaf wurde verletzt. Es ist der erste historisch beglaubigte Meteoritenfall im Abendland; er ist beobachtet, kurz nachher beschrieben worden, sein Material blieb er halten und stand dem heute erst wenig über hundertfünfzig Jahre alten Studium dieser kosmischen Körper zur Verfügung. Teile des ursprüng lich über zweieinhalb Zentner schweren Steinmeteoriten finden sich unter anderem im Britischen Museum, in den Mineraliensammlungen von Petersburg und Paris, von Wien, Göttingen, Bonn. Was als Ganzes davon übrig blieb, ist in Ensisheim zu sehen. Noch I 869 hing er an dem ihm nach seinem Eintreffen auf unserem Planeten zugewiesenen Platz in der Kirche, und daneben stand auf einer Tafel nach dem Bericht eines Stadtprotokolls von I 58 9 ausführlich über die Begebenheit zu lesen, von dem Hirten, davon, daß der< K.lapff >anderswo viel größer gewesen sei als im Gebiet des Falles, und weiter: Es werde <seltsam Ding> über den Stein geredet, die Gelehrten sagten, sie wissen nicht, was es sei, denn <es wär 9 TH, VON DER MÜHLL übernatürlich, ein Wunder Gottes, wie es nie zuvor gesehen, gehört noch beschrieben worden wär>. Inzwischen hat die wissenschaftliche Forschung in Angaben antiker Autoren und auch in ägyptischen Gräbern manche Spuren von Meteori ten erkannt. Die Griechen bezeugten <zur Erde gefallenen Sternen> in der Kultstätte des Apoll in Delphi, der Venus in Zypern, der Diana in Ephesus göttliche Verehrung. In Theben soll sich Manto, die Tochter des Teiresias, auf einen solchen Stein gesetzt haben, um zu prophezeien. Mit dem großen Eisenmeteoriten der Kybele hielt die Religion des helle nistischen Orients v. Chr. ihren Einzug in Rom. 205 Als Heynlin de Lapide an der Sorbonne Sallust und Cicero drucken ließ, hatte er schon, bei all seiner Begeisterung für die Wiederentdeckung klassischen Lateins, die Jugend vor unbeschränkter Aufnahme heidni schen Gedankengutes gewarnt. Jetzt, im Kloster, widmete er sich der Herausgabe von Werken der Kirchenväter, verfaßte religiöse und philo logische Schriften. 1492 erschien in Basel, von ihm betreut, bei seinem IO DER DONNERSTEIN VON ENSISHEIM Freund und ehemaligen Schüler an der Artistenfakultät zu Paris, dem Druckerherrn Johann Amerbach, die Gesamtausgabe des heiligen Am brosius. Da drang mitten in des Kartäusers stilles Wirken der Knall des stürzenden <Donnersteins> und lenkte seine Gedanken auf andere Bahn. Aus einem Verzeichnis seiner Werke geht hervor, daß der noch ganz im Dienste des aristotelisch-scholastischen Weltbildes stehende Gelehrte sich mit <c onclusiones aut propositiones physicales >z u dem Ereignis von Ensisheim geäußert hat. Diese Betrachtungen müssen, wie alle seine Aussagen, bei den Zeitgenossen starken Widerhall gefunden haben, denn Heynlin, vom Kreis der elsässischen Humanisten, von seinem engeren Landsmann Reuchlin und von vielen anderen als Lehrer verehrt, war im ganzen alemannischen Raum auch aus der Zeit seines Predigeramtes un vergessen geblieben. Bis nach Schwaben hatte sein Weg eines Kanzel redners ihn geführt, in Urach Graf Eberhard - <der mit dem Barte, Württembergs geliebter Herr> - ihn für Besprechungen über die ge plante und 1477 erfolgte Gründung der Universität Tübingen zugezo- II

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