Ellen Meiksins Wood Demokratie contra Kapitalismus Die Autorin Ellen Meiksins Wood gilt als eine der bedeutendsten marxistischen Theoreti- kerInnen der angloamerikanischen Welt. 1942 in New York geboren, studier- te sie in den sechziger Jahren an der University of California. Von 1967 bis 1997 unterrichtete sie Politische Wissenschaften an der York University in Toronto, Kanada, und veröffentlichte in den siebziger Jahren erste Bücher und Aufsätze. In den achtziger Jahren war sie Redakteurin der renommierten britischen Theoriezeitschrift New Left Review, dann von 1997 bis 2000 Her- ausgeberin der US-amerikanischen Zeitschrift Monthly Review. Heute lebt Ellen Meiksins Wood in London. Eine ausführlichere Würdigung ihres Schaffens enthält die Vorbemerkung des Verlages. Ellen Meiksins Wood Demokratie contra Kapitalismus Beiträge zur Erneuerung des historischen Materialismus Aus dem Englischen von Ingrid Scherf und Christoph Jünke Die Originalausgabe erschien 1995 unter dem Titel Democracy against Capi- talism. Renewing historical materialism bei Cambridge University Press. Die deutsche Ausgabe wurde um eine Vorbemerkung des Verlages und ein aktu- elles Nachwort der Autorin ergänzt. Die Übersetzung und Drucklegung dieser Ausgabe erfolgte mit finanzieller Unterstützung der Jakob Moneta Stiftung (Frankfurt/M.) und der Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt (Berlin). Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.ddb.de> abrufbar. ISBN 978-3-89 900-123-5 ISP Neuer ISP Verlag GmbH Köln/Karlsruhe Belfortstraße 7, D-76133 Karlsruhe e-mail: [email protected] Internet: www.neuerispverlag.de Der Neue ISP Verlag ist Mitglied der assoziation Linker Verlage (aLiVe). Deutsche Erstausgabe, August 2010 © Cambridge University Press, 1995 © für die deutsche Ausgabe: Neuer ISP Verlag GmbH Lektorat: Christoph Jünke Satz: Neuer ISP Verlag GmbH Umschlaggestaltung: Druckcooperative, Karlsruhe Gesamtherstellung: Prisma Verlagsdruckerei, Saarbrücken Alle Rechte vorbehalten. Jede Form der Verwertung ohne Zustimmung der Autorin und des Verlags ist unzulässig. 1 2 3 4 5 – 14 13 12 11 10 Inhalt Vorbemerkung des Verlages......................................................................7 Einleitung..................................................................................................11 Teil I: Historischer Materialismus und Eigenart des Kapitalismus 1. Die Trennung von Ökonomie und Politik im Kapitalismus.......29 Ökonomische und politische »Faktoren«................................................................30 Auf dem Weg zu einer theoretischen Alternative: »Basis« und »Überbau« überdenken.......................................................................33 Das »Ökonomische« und das »Politische« im Kapitalismus.................................38 Der historische Differenzierungsprozess zwischen Klassenmacht und Staatsmacht.......................................................................................................41 Feudalismus und Privateigentum............................................................................45 Kapitalismus als Privatisierung politischer Macht..................................................48 Die Lokalisierung des Klassenkampfes....................................................................53 2. Basis und Überbau überdenken.......................................................57 Produktionsweisen und Gesellschaftsformationen.................................................60 Historischer Materialismus versus Ökonomischer Determinismus......................67 Basis und Überbau in der Geschichte......................................................................74 3. Klasse als Prozess und Verhältnis....................................................83 Die strukturelle Klassendefinition: E. P. Thompson und seine Kritiker...............85 Die Entstehung der englischen Arbeiterklasse........................................................90 »Objektive« Determinanten....................................................................................94 Klasse als Verhältnis und Prozess.............................................................................99 Die Politik der Theorie...........................................................................................106 Hegemonie und Substitutionismus........................................................................109 4. Geschichte oder technologischer Determinismus?.....................113 Zwei marxistische Geschichtstheorien...................................................................115 An der Frage der Geschichte vorbei argumentiert...............................................118 Eine allgemeine Theorie historischer Besonderheit..............................................122 Braucht der Marxismus eine lineare Geschichtssauffassung?..............................126 Geschichtliche Universalität oder Besonderheit des Kapitalismus?....................129 »Widerspruch« und Entwicklung der Produktivkräfte.......................................132 Der spezifische Widerspruch des Kapitalismus: Geschichte versus Teleologie....139 Geschichte und »Notwendigkeit« des Sozialismus...............................................144 5. Geschichte oder Teleologie? Marx oder Weber............................151 Fortschritt und Aufstieg des Kapitalismus.............................................................151 Weber über Arbeit und den Geist des Kapitalismus: Die Vermengung von Produktion und Tausch.....................................................158 Die Stadt als Zentrum von Konsumtion oder Produktion..................................163 Der Aufstieg des modernen Kapitalismus.............................................................168 Das »ökonomische Handeln« und die »rein ökonomische« Definition des Kapitalismus......................................................................................................171 Webers Methode: Multikausalität oder tautologischer Umkehrschluss?............177 Geschichte, Fortschritt und Emanzipation............................................................179 Teil II: Demokratie contra Kapitalismus 6. Arbeit und Demokratie in Antike und Moderne........................185 Die Dialektik von Freiheit und Sklaverei.............................................................186 Herrschende und Produzenten..............................................................................191 Platon versus Protagoras über Herrschende und Produzenten..........................196 Die Verdrängung der freien Arbeit.......................................................................198 Arbeit und »Geist des Kapitalismus«.....................................................................202 Antike und moderne Arbeit, antike und moderne Demokratie.........................204 7. Demos oder »Wir, das Volk«: Von antiken zu modernen Bürgerschaftskonzepten.........................................207 Kapitalismus und demokratische Staatsbürgerschaft...........................................210 Die amerikanische Neudefinition der Demokratie..............................................215 Ein »Volk« ohne sozialen Gehalt...........................................................................220 Von der Demokratie zum Liberalismus................................................................228 Liberale Demokratie und Kapitalismus................................................................235 8. Zivilgesellschaft und Identitätspolitik..........................................241 Die Idee der Zivilgesellschaft: ein kurzer historischer Abriss..............................242 Der neue Kult der Zivilgesellschaft.......................................................................244 Kapitalismus, »formale Demokratie« und die Besonderheit des Westens..........250 »Zivilgesellschaft« und Entwertung der Demokratie..........................................255 Der neue Pluralismus und die Identitätspolitik....................................................259 9. Kapitalismus und menschliche Emanzipation: Ethnische Herkunft, Geschlecht und Demokratie.....................267 Kapitalismus und »außerökonomische« Güter.....................................................268 Ethnische Herkunft und Geschlecht......................................................................270 Der Kapitalismus und die Entwertung politischer Güter....................................274 Die Stellung der Frau..............................................................................................279 Der Kapitalismus und das Verschwinden des Bereichs des Außerökonomischen.........................................................................................282 Zusammenfassung................................................................................287 Nachwort zur deutschen Ausgabe.......................................................297 Personenregister.....................................................................................303 Vorbemerkung des Verlages Dass wir hiermit ein Buch erstmals in deutscher Übersetzung verlegen, des- sen englisches Original bereits vor 15 Jahren erschien, bedarf für manche viel- leicht der Erklärung. Nicht nur, aber vor allem hat unsere Entscheidung damit zu tun, dass es sich bei Ellen Meiksins Woods Werk Democracy against Capitalism. Rene- wing Historical Materialism um einen Beitrag zur neueren internationalen Marxismus-Diskussion handelt, der bereits zum Klassiker geworden ist. Wir haben es hierbei mit einem der wichtigsten und anregendsten Versuche der letzten beiden Jahrzehnte zu tun, den historischen Materialismus zu erneuern und auf die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaftsform in Geschichte und Gegenwart anzuwenden. Ellen Meiksins Wood gilt als eine der bedeutendsten marxistischen Theo- retikerInnen der angloamerikanischen Welt. 1942 in New York geboren, stu- dierte sie in den sechziger Jahren an der University of California. Von 1967 bis 1997 unterrichtete sie Politische Wissenschaften an der York University in Toronto, Kanada, und veröffentlichte in den siebziger Jahren erste Bücher und Aufsätze (u. a. zusammen mit ihrem 2003 gestorbenen Ehemann Neal Wood). Einem größeren Publikum wurde sie aber erst in den achtziger Jah- ren bekannt, als Redakteurin der renommierten britischen Theoriezeitschrift New Left Review und als Autorin des preisgekrönten Werkes The Retreat from Class: A New »True« Socialism (London 1986), in welchem sie sich kri- tisch mit postmarxistischen und postmodernen Theoretikern der internatio- nalen Linken auseinandersetzt. In den dann folgenden Büchern Peasant-Citi- zen and Slave: The Foundations of Athenian Democracy (London 1988), The Pristine Culture of Capitalism (London 1992), Democracy Against Capita- lism: Renewing Historical Materialism (Cambridge 1995) und The Origin of Capitalism: A Longer View (London 2002) widmete sie sich vor allem der Diskussion über die sozialgeschichtliche Herausbildung des modernen Kapi- talismus und die unterschiedlichen Grundlagen antiker wie moderner Demo- kratiekonzeptionen. Der politisch-theoretische Aufbruch der internationalen Linken am Ende der neunziger Jahre sah sie als aktive Herausgeberin der US- amerikanischen Zeitschrift Monthly Review, für die sie von 1997 bis 2000 verantwortlich zeichnete und zahllose Beiträge verfasste. Nachdem ihr Werk bereits in zahllose Sprachen übersetzt war, wurde sie nun auch in Deutsch- land wahrgenommen und übersetzt, nicht nur, aber vor allem in den Zeit- schriften Sozialistische Zeitung (Köln) und Sozialismus (mit ihrem Hambur- 7 ger Verlag VSA). Heute lebt Ellen Meiksins Wood in London, unterstützt das internationale sozialistische Jahrbuch Socialist Register und die US-amerika- nische Zeitschrift Against the Current und schreibt gelegentlich auch für die London Review of Books. 2003 veröffentlichte sie in ihrem Londoner Haus- Verlag Verso ein vielbeachtetes Werk zur neueren Imperialismusdebatte (Em- pire of Capital) und 2008 erschien der erste Band einer ehrgeizigen Sozialge- schichte politischer Theorie (Citizens to Lords: A Social History of Western Political Thought from Antiquity to the Middle Ages). Democracy Against Capitalism nun nimmt in diesem Lebenswerk einen besonderen Platz ein, da es die großen Themen des Wood’schen Œuvres zen- tral verklammert. Die Erstfassungen der dem Buch zugrunde liegenden Bei- träge wurden überwiegend in gerade jenem Jahrzehnt von der Mitte der acht- ziger bis zur Mitte der neunziger Jahre verfasst, das den weitreichenden Zu- sammenbruch linker Praxis und linker Hoffnungen sah, zuerst mit dem Ver- blassen der Neuen Linken und dem Niedergang der Befreiungsbewegungen der Dritten Welt, schließlich mit dem Zusammenbruch des einstmals real existierenden Sozialismus. Doch auch nach dem »Kollaps des Kommunis- mus«, so Meiksins Wood selbstbewusst, ist das theoretische Kernprojekt des Marxismus, die Kapitalismuskritik, von zentraler Wichtigkeit und ausgespro- chen zeitgemäß. Sie grenzt sich damit gegen die in den 1980er und 1990er Jahren dominante intellektuelle Mode ab, die Kritik des kapitalistischen Sys- tems für obsolet zu halten und stattdessen die vermeintlich postmoderne Fragmentierung in den Blick zu nehmen. »Differenz«, »Kontingenz« und »Identitätspolitik« können aber, so Wood, das historische System des Kapita- lismus weder richtig denken noch es einer wirklichen Kritik unterziehen. In Abgrenzung gegen solcherart Postmarxismen und Postmodernismen unternimmt sie es, das kritische Programm des historischen Materialismus zu erneuern. Im ersten Teil des Buches denkt sie die für den historischen Mate- rialismus grundlegenden Theoreme und dessen Geschichtstheorie auf origi- nelle Weise neu und arbeitet dabei die spezifische Eigenart des Kapitalismus als eines Systems sozialer Beziehungen und politischer Macht heraus. Im Zentrum steht dabei ihre Analyse der im Kapitalismus spezifischen und viel- fach falsch verstandenen Trennung von Ökonomie und Politik, die zu einer »Privatisierung« der politischen Macht, ihrer Loslösung von den die Gesell- schaft strukturierenden Sozialverhältnissen führt und strategische Konse- quenzen nicht nur für die Funktionsweise des bürgerlich-kapitalistischen Systems, sondern auch für emanzipative Politik zeitigt. Im hieran an- schließenden zweiten Teil geht sie den konzeptionellen Wandlungen des De- mokratieverständnisses von der Antike zur Moderne nach und entfaltet eine Theorie der Demokratie, die das strukturell widersprüchliche Verhältnis von Demokratie und Kapitalismus herausarbeitet und danach fragt, auf welchen Wegen die Demokratie über die vom Kapitalismus gesetzten Grenzen weiter getrieben werden könnte. Sie greift mit dieser Analyse direkt in zeitgenössi- sche Debatten ein und wendet sich dabei gegen mechanistische und ökono- 8 mistische Traditionen, die sie gerade auch dort ausmacht, wo sich diese selbst gar nicht so verstehen. Die Geschichte ist dabei für Meiksins Wood ein prinzipiell offener, ein umkämpfter Prozess. Der sich in ihm abspielende Kampf zwischen Herr- schenden und Beherrschten, zwischen Arbeitenden und jenen, die sich diese Arbeit untertan und zunutze machen, zwischen Demokratie und Klassenpri- vileg, wird mal offen und mal latent geführt und strukturiert noch immer Ge- schichte und Gegenwart. Indem Meiksins Wood diesen Kampf historisch verfolgt und politisch-theoretisch verarbeitet, geht es ihr, wie sie selbst in der Zusammenfassung schreibt, weniger um fertige Antworten als um die Klä- rung der entscheidenden Fragen und Methoden zur Bearbeitung der vor uns stehenden Aufgaben. Und weil die vergangenen anderthalb Jahrzehnte, so schön und drängend dies auch wäre, keinen wirklichen Fortschritt bei der Klärung dieser Fragen und Methoden erbracht haben, behalten die in diesem Buch vorgelegten Erkenntnisse, Thesen und Theoreme ihre ganze Aktualität und Dringlichkeit. Dass wir uns entschieden haben, diesen modernen Klassiker der neueren marxistischen Debatte zu übersetzen und zu verlegen, hat aber auch damit zu tun, dass sich die Zeichen einer Belebung der marxistischen Diskussion auch in Deutschland wieder mehren. Seit einigen Jahren ist ein neues und tief grei- fendes Interesse an marxistischer Theorie und linker Geschichtswissenschaft festzustellen. Doch nur langsam erholt sich die deutsche Linke (in ihrer gan- zen Heterogenität) von dem tief greifenden Epochenbruch der 1980er und 1990er Jahre. War dieser Bruch auch ein weltweiter, so nahm er doch in Deutschland besondere Formen und Ausmaße an. Der Blick über den natio- nalen Tellerrand ist vor diesem Hintergrund immer auch der Versuch, sich Diskussionstraditionen wieder anzueignen, die anderswo überlebt haben und fortgeführt wurden. Wir verbinden also mit der deutschen Ausgabe dieses Werkes die Hoff- nung, die neuen Bedürfnisse nach Theorie und Geschichte zu befruchten. Nötig scheint uns dies allemal: der Krisencharakter unseres Gesellschaftssys- tems ist deutlicher denn je und die Lösungen, die uns die vorherrschende Po- litik aufzuzwingen versucht, sind dieselben alten Ladenhüter, die schon frü- her nicht zur Lösung systemischer Probleme beigetragen haben. Wer jedoch dieses System zu verändern, gar zu überwinden trachtet, tut gut daran, sich mit dessen Verständnis zu befassen. 9