Hilbert, Südmersen, Weber Berufsbildungspolitik Josef Hilbert Helmi Südmersen Hajo Weber Berufsbildungspolitik Geschichte - Organisation - Neuordnung + Leske Budrich, Opladen 1990 ISBN 978-3-8100-0746-9 ISBN 978-3-322-92649-4 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-92649-4 © 1990 by Leske + Budrich, Opladen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außer halb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfiiltigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Inhalt - Verzeichnis der Abbildungen 7 - Abkürzungsverzeichnis 8 Kapitell Zum politik-und sozialwissenschaftlichen Hintergrund: Steuerung über Verbände 9 Kapitel 2 Ursachen und Probleme des Engagements von Verbänden in der beruflichen Bildung 14 Kapitel 3 Zur Geschichte der Berufsbildungspolitik im Spannungsverhältnis zwischen Markt, Staat und Intermediären 22 3.1 Staatliche Mittelstandspolitik als Motor der Übertragung von öffentlichen Aufgaen auf Handwerksorganisationen 22 3.2 Die verbandliche Selbsthilfe der Industrie 24 3.3 Vereinheitlichungs-und Verstaatlichungsimpulse durch Krieg und National- sozialismus 25 3.4 Die "Zerfaserung" des Ordnungssystems nach dem Zweiten Weltkrieg 27 3.5 Zwischenresümee I: Die Generierung privater Regierungsfähigkeit 28 3.6 Die Berufsbildungsreform -ein Versuch, das Verhältnis von Staat, Verbänden und Unternehmen neu zu bestimmen 30 3.7 Die staatliche Drohung mit der Berufsbildungsabgabe als Hebel zur Erhöhung des betrieblichen Engagements 34 3.8 Zwischenresümee 11: Die Schlüsselstellung von Arbeitgeberverbänden in der Berufsbildung 38 Kapitel 4 Die Feinstruktur der berufsbildungspolitischen Ordnungsarbeit in der Bundesrepublik Deutschland 41 4.1 Die Durchführung der Berufsausbildung: Das Duale System 41 4.2 Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) 45 4.2.1 Die formale Organisationsstruktur 45 4.2.2 Die Erarbeitung von Ausbildungsordnungen und ihre Abstimmung mit den Rahmenlehrplänen für die Berufsschulen 50 4.3 Zwischenresümee III: Die Stellung und Funktion des BffiB als Forum funktionaler Repräsentation 54 KapitelS Die Praxis der Ordnungsarbeit in ausgewählten Wn1schaftsbranchen 58 5.1 Bauwirtschaft 59 5.2 Ernährungsindustrie 63 5.3 Metallindustrie 77 5.4 Zwischenresümee IV: Die Rolle des BffiB's in der Ordnungsarbeit 97 Kapitel 6 Möglichkeiten und Grenzen der Mobilisierung von Ausbildungsplätzen durch Unternehmerverbände 100 Kapitel 7 Fazit: Steuerungsdefizite neokorporatistischer Arrangements als Quelle ihrer eigenen partiellen Transformation 114 - Literaturverzeichnis 122 Verzeichnis der Abbildungen Abb. 1: Dimensionen der Berufsbildungspolitik Abb. 2: Duales System der Berufsausbildung Abb. 3: Beteiligte an der Berufsausbildung/Angestrebte Ziele im Hinblick auf die Ordnung der Berufsausbildung Abb. 4: Organisationsplan des Bundesinstituts für Berufsbildung Abb. 5: Die Beteiligten bei der Brarbeitung und Abstimmung von Ausbildungsordnungen Abb. 6: Berufsgruppe / Ausbildungsberuf/Industrie /Handwerk(Landwirtschaft Abb. 7: Tabelle der neu zu ordnenden Ausbildungsberufe in der Metallindustrie Abb. 8: Neuordnung der industriellen Metallberufe: Integriertes Bntscheidungsmodell Abb. 9: Zuordnung von Ausbildungsberufen zu 3 Berufsgruppierungen Abb.lD: Industrielle Metallberufe 7 Abkürzungsverzeichnis ANG Arbeitgebervereinigung Nahrung und Genuß BA Bundesanstalt für Arbeit BBF Bundesinstitut für Berufsbildungsforschung (später BmB) BDA Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände BOI Bundesverband der Deutschen Industrie BmB Bundesinstitut für Berufsbildung BBiG Berufsbildungsgesetz BMA Bundesministerium für Arbeit BMBW Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft BMWI Bundesministerium für Wirtschaft DAF Deutsche Arbeitsfront DAG Deutsche Angestellten Gewerkschaft DATSCH Deutscher Ausschuß für technisches Schulwesen DGB Deutscher Gewerkschaftsbund DHKT Deutscher Handwerkskammertag OIHT Deutscher Industrie-und Handelstag FLT Fachkraft für Lebensmitteltechnik GNGG Gewerkschaft Nahrung, Genuß, Gaststätten IG Industriegewerkschaft IGBSE Industriegewerkschaft Bau, Steine, Erden IGM Industriegewerkschaft Metall IHK Industrie-und Handelskammer KMK Kultusministerkonferenz KWB Kuratorium der Deutschen Wirtschaft ÖTV Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr VDI Verein Deutscher Ingenieure VDMA Verband Deutscher Maschinen-und Anlagenbau ZVEI Zentralverband der Elektrotechnischen Industrie 8 Kapitell Zum politik- und sozialwissenschaftlichen Hintergrund: Steuerung über Verbände Der vorliegende Beitrag 1 will zur Klärung der Frage beitragen, unter welchen Gege benheiten Interessenverbände, und insbesondere Verbände von Unternehmen im Bereich Berufsbildungspolitik, zu "privaten Regierungen" werden können, die gegenüber ihren Mitgliedern quasi-öffentliche Autorität ausüben und an der Produktion und Implementation bindender gesellschaftlicher Entscheidungen teilhaben (Offe/Streeck 1983). Insofern steht diese Arbeit im Zusammenhang mit der (Neo-)Korporatismusfor schung. Das Verständnis von Neokorporatismus ist keineswegs einheitlich. "Einige wollen jede Zusammenarbeit zwischen Interessenorganisation und Staat korporatistisch nennen; andere möchten dies auf Maßnahmen beschränken, die von Kapitalisten erdacht wur den, um die weitere Unterdrückung der Arbeiterklasse sicherzustellen. Wieder andere tendieren dazu, Korporatismus mit allen Tendenzen in Richtung auf hochgradige Inter essenorganisationen und ausgesprochene vertragliche Vereinbarungen zu identifizieren -mit oder ohne Eingreifen des Staates. Schließlich gibt es jene, die ihn für ein Modell zur Steuerung der Volkswirtschaft auf der Ebene der Unternehmen halten." (Schmitter 1981:65f., zu Korporatismuskonzepten s. Weber 1987a, Kap.7) Der gemeinsame Kern dieser Aussagen liegt darin, daß verschiedene organisierte Teilinteressen - z.T. angehalten durch staatliche Strukturvorgaben - allgemeinverbind liche Entscheidungen aushandeln und durchsetzen (Politikformulierung und -implemen tation). Dabei nehmen sie im Interesse zukünftiger Vorteile aktuelle Selbstbeschrän kungen in Kauf und beachten die Handlungsprobleme und Bedürfnisse konkurrierender Interessen. Eine derartige "Schere im Kopf' (vgl. Vobruba 1983) geWährleistet die Internalisierung externer Effekte und kann -wenn sie staatlicherseits gefördert wird -als Versuch interpretiert werden, "Politik durch Verbände" zu machen. Im Idealfall bedeu tet dies, daß Verbände Folgeprobleme eines Markt- und Staatsversagens durch ein Diese Arbeit ist ein Ergebnis des von der Stiftung Volkswagenwerk geförderten Projekts: "Zur Struktur und Funktion 'privater Regierungen' in der Bundesrepublik Deutschland am Beispiel ausgewählter Politikbereiche". Das Projekt wurde von Claus Offe, inzwischen Universität Bremen, und Wolfgang Streeck, inzwischen University of Wisconsin, Madison, geleitet. 9 Verhalten kompensieren, das sich als verbandlieh vermittelte "gemeinschaftliche Selbst bindung" (Offe 1984:239) bezeichnen läßt. Über Verbände soll eine Orientierung implementiert werden, die Offe (1984:241) mit einem Paradoxon charakterisiert: "Es liegt im höchsten eigenen Interesse, den eigenen Interessen nicht den höchsten Rang einzuräumen". Das Zustandekommen derartig verbandlieh vermittelter Selbstbeschränkungen ist zunächst einmal höchst unwahrscheinlich. An der Schnittstelle Unternehmen/Verband setzt sie Disziplinierungs-und Motivierungsleistungen von Verbänden bei Unternehmen voraus. Hier ist zu befürchten, daß selbst dann, wenn zukünftige Vorteile absehbar sind, Unternehmen den kollektiven Anstrengungen skeptisch gegenüberstehen, oder, falls sie dennoch zustande gekommen sein sollten, sich deren Vorteile als "Trittbrettfahrer", d.h. unter Umgehung der für sie 'eigentlich' fälligen Kosten, zunutze machen (vgl. Olson 1968). An der Schnittstelle Staat/Verbände ist eine Instrumentalisierung von staatlichen Instanzen für die Ziele von privaten Interessenorganisationen -und nicht umgekehrt - zu befürchten. Aus der Sicht der Interessenverbände liegt dies nicht nur insofern auf der Hand, als ihre gesamte Legitimation ja gerade im Durchsetzen von Gruppeninteressen besteht; darüber hinaus steht zu befürchten, daß eine "In-die-Pflichtnahme" durch staat liche Instanzen bei Verbänden die ohnehin schon arg strapazierte Schnittstelle zu ihren (potentiellen) Mitgliedern belastet. Diese Schwierigkeiten für eine staatliche "Politik durch Verbände" bzw. die verband liehe Selbstverpflichtung auf staatliche Ziele können unter bestimmten Umständen überwunden werden. Zu denken ist hier vor allem (vgl. Hilbert, Voelzkow 1984) - an die Stützung des Verbandes durch Dritte, etwa durch eine staatlich verordnete "Zwangsmitgliedschaft" oder durch die Übertragung von öffentlichen Aufgaben an Verbände; - an die verbandliehe Produktion selektiver Anreize für die Mitgliedschaft, die dann ein kurzfristiges Hinnehmen von Nachteilen erträglich machen, - an das verbandliehe Generieren bzw. Reaktivieren von Solidarnormen, durch die dann Kosten-Nutzen-Kalküle oder Rentabilitätskriterien partiell außer Kraft gesetzt werden. Hinzu kommt noch eine Überlegung, die sich auf die Alternativlosigkeit kollektiven Handeins in bestimmten Politikfeldern bezieht. Sie wurde im Zusammenhang mit den Vorarbeiten für das vorliegende Projekt 'geboren' und soll im folgenden durch ein Zitat aus dem Projektantrag kurz erläutert werden: 10 "Unsere Hypothese ist ( ... ), daß sich die Regulierungsfähigkeit verbandlicher 'private governments' überall dort als besonders groß und unumstritten erweist, wo die Hand lungssituation der von Regulierung betroffenen Akteure so beschaffen ist, daß es keine - oder keine unter realistischen Voraussetzungen wählbare - nicht-kooperative Hand lungsalternative gibt, da Entscheidungen mit den Maßstäben einzelwirtschaftlicher Rationalität allein nicht getroffen werden können. Um überhaupt handeln zu können, müßte man in derartigen Handlungssituationen wissen, wie die 'relevanten Anderen' handeln, da diese sich indes in der gleichen Situation befinden, ist die entstehende 'Orientierungslücke' aus Erfahrungswerten alleine nicht aufzufüllen. Es ergibt sich also eine Situation, in der das Handeln Dritter, mit denen man selbst nicht in Markt-Inter aktion steht, (weder wegen dessen offensichtlicher Relevanz für den eigenen Hand lungserfolg) ignorierbar ist, andererseits aber auch weder prognostizierbar noch gar kontrollierbar. In anderen Worten, die Akteure stehen vor dem Problem, für sich allein zu einer konsistenten und strategisch legitimierbaren Entscheidung unfähig zu sein (und nicht nur, wie bei Olson, eine suboptimale Versorgung mit Kollektivgütern zu riskieren). Sie können erst dann zu individuell-rationalen Entscheidungen gelangen, wenn es Regeln und Vereinbarungen gibt, deren Beachtung die Beteiligten sich wechselseitig unterstellen können; erst dadurch werden sie in die Lage versetzt, die für sie vordem sozusagen 'unterdeterminierte Problemlage' aufzulösen und mit rationalen Strategien zu bearbeiten. Die zu überprüfende allgemeinere These lautet also: Solange nicht koopera tives Handeln bloß 'Nachteile' gemesen am Maßstab optimaler Kollektivgutversorgung) bringt, rationales Handeln aber durchaus noch erlaubt, ist das Auftreten 'kollektiven' HandeIns durchaus prekär und bleibt von den von Olson spezifizierten Bedingungen abhängig. Sobald aber die Abwesenheit eines kontraktuell gesicherten Rahmens für das Handeln diesem sozusagen seine kalkulatorische Grundlage entzieht und es mithin lähmt, ist zu erwarten, daß (nahezu) jede Vereinbarung dem Fehlen einer Vereinbarung vorgezogen wird. Zumindest ist zu erwarten, daß kollektives Handeln nicht auf die nach Olson zu erwartenden Hindernisse stößt und daß die kollektive Selbstregelung gesell schaftlicher Gruppen durch Verbände hier weitaus größere Wirksamkeitschancen hat als in den Fällen, in denen die einzelnen Akteure erst mit mehr oder weniger großem Aufwand dazu gebracht werden müssen, ihr nicht-kooperatives Verhalten zugunsten einer kollektiven Regelung aufzugeben." (OffejStreeck 1983:3f.) Als ein Ergebnis der Forschungen über die "Organisation von Wirtschaftsinteressen" (vgl. u.a. Hilbert 1988, Weber 1987a, Streeck 1983) in der Bundesrepublik Deutschland kann festgehalten werden, daß die berufliche Bildung zu einem ganz zentralen Betäti gungsfeld von Kammern und Wirtschaftsverbänden gehört. Ihr Engagement reicht von pointierter "Pressure-Politik" für und gegen bestimmte berufsbildungspolitische Reform vorhaben, über die Mitarbeit bei der Konzeption von Ausbildungsordnungen sowie die Beratung und Kontrolle der ausbildenden Betriebe bis hin zu Bemühungen, in ihren Vertretungsbereichen eine Steigerung des Ausbildungsplatzangebots sicherzustellen. 11