SONDERDRUCK AUS MITTEILUNGEN AUS DEN FORSCHUNGSLABORATORIEN DER AGFA LEVERKUSEN -MVNCHEN BAND II SPRINGER FACHMEDIEN WIESBADEN GMBH 1958 Elektronenmikroskopische Untersuchungen an photographischen Schichten Von E. KLEIN ISBN 978-3-662-24499-9 ISBN 978-3-662-26643-4 (eBook) DOI 10.1007/978-3-662-26643-4 Elektronenmikroskopische Untersuchungen an photographischen Schichten Von E. KLEIN I. Die Form des entwickelten Silbers Die heutigen Kenntnisse von der photographischen Entwicklung wurden an läßlich der Tagung für wissenschaftliche Photographie, Köln 1956, von J. EGGERT in einer großen Übersicht zusammengestellt [1]. Man entnimmt für die Anschauung über den Mechanismus der Entwicklung folgendes: Sichergestellt ist, daß die Grundreaktionen der Entwicklung lauten müssen: Ag++ 8--+ Ag, + (Entw.)red ---+ (Entw.)ox 8. Über die Ausbildung von metallischem Silber einerseits und sekundären Oxy dationsprodukten aus der oxydierten Form des Entwicklers andererseits bestehen noch verschiedene Auffassungen. Die genannte Reaktion erfordert zweifellos ein ganz bestimmtes Redoxpotential, dessen Höhe sich nach der gegebenen Konzen tration der Ag+-Ionen richten muß. Diese ist von vielen Faktoren abhängig, jeden falls keineswegs nur von der Konzentration der in Lösung befindlichen Ag+-Ionen, so daß man thermodynamische Angaben nur sehr schwierig machen kann. Anderer seits besteht Einigkeit in der Auffassung (VoLMER [2]), daß es sich bei der prak tischen photographischen Entwicklung in erster Linie um ein kinetisches Problem handelt, eine heterogene Katalyse, wobei durch Belichtung von Silberbromid ent standene Silberteilchen die Reduktion des Korns durch den Entwickler katalysieren. Die Natur des latenten Bildkeimes und damit des Entwicklerkeimes zu klären, ist die Aufgabe von Arbeiten über den photochemischen Primärprozeß; diese Frage läßt sich natürlich nicht vollständig von der theoretischen Betrachtung der Ent wicklung trennen. Die Tatsache, daß man das Halogensilber einer photographischen Schicht vor der Entwicklung auflösen kann und dann mit einem Entwickler, der Silberionen enthält, dennoch ein Bild (an den in der Gelatine zurückgebliebenen Keimen) ent wickeln kann, ist der Beweis dafür, daß die Silberahscheidung aus der Lösungsphase erfolgen kann. Es kann auch Halogensilber der Schicht zunächst aufgelöst und dann am Keim reduziert werden; man bezeichnet allgemein diese Art der Entwicklung über die Lösungsphase als physikalische Entwicklung. (Auch die Entwicklungs substanz selbst kann ein Lösungsvermögen für Halogensilber besitzen.) Im Gegen satz hierzu spricht man von einer chemischen Entwicklung, bei der keine Lösung des Halogensilbers stattfindet; diese Entwicklung ist nur in nicht fixierten aber belichteten Schichten möglich. Hier kann also, wenn überhaupt die Abscheidung der Silberionen über die Lösungsphase erfolgt, nur noch die Löslichkeit von Silber halogeniden in Wasser maßgeblich sein. 44 E. KLEIN Bei den zwei Entwicklungsarten werden noch verschiedene Schwärzungen und verschiedene Farben des abgeschiedenen Silbers beobachtet. Die geschwindigkeitsbestimmende Reaktion ist bei den zwei Entwicklungsarten ebenfalls verschieden. (Über die Einzelprozesse siehe JAENICKE [3]). Bei rein physi kalischer Entwicklung ist eine Erhöhung der Aktivität des Entwicklers (Erhöhung der Konzentration oder des pH-Wertes [4]) ohne Einfluß auf die Kinetik (JAMES [5, 6]), so daß hier die geschwindigkeitsbestimmende Reaktion die Nachlieferung von Silberionen (Lösungsvorgang) sein wird. Für chemische Entwicklung ist nicht allgemein gesichert, welche Reaktion die langsamste und damit geschwindigkeits bestimmend ist. MEES [7], FRIESER [8] und später JAENICKE und Mitarbeiter [3] fassen die Ent wicklung als einen Elektrodenvorgang (kurzgeschlossenes Galvanisches Element) auf, wobei der Teil des Keims, der Kontakt mit der Lösung hat, als Anode auftritt und der Reaktionsort für die Abgabe eines Elektrons vom Entwickler ist, während als Kathode der Teil des Keims anzusehen ist, der mit dem Kristall in Berührung steht und wo der Übergang des Elektrons in den AgBr-Kristall erfolgt. Über den Ort der Silberbildung werden keine Aussagen gemacht. Von mehreren Autoren, u. a. von MITCHELL [9, 10], wird auf Grund von Modell versuchen angenommen, daß Entwicklungskeime und strukturelle Störstellen auf das engste miteinander verknüpft sind (vgl. auch [11]). Die Adsorption von Ag+ Ionen am Silberkeim wird als Primärreaktion der Entwicklung angesehen, wobei mit sinkender Keimgröße die Adsorption geringer werden soll. Die Folge hiervon ist wiederum die schwierige Entwickelbarkeit von kleinen Keimen. In diesem Zu sammenhang seien die Arbeiten von REINDERS [12, 13] und SocHER [14] erwähnt, wonach zunächst angesetzt wird, daß nur eine Potentialdifferenz L1 E zwischen dem Silberpotential und dem Redoxpotential zur Entwicklung führen kann: Der Lösungs druck des Silbers, der bei der Ableitung der theoretischen Gleichung für das elektro chemische Potential implizit in das Normalpotential eingeht, ist nach REINDERS dem Durchmesser des Keims umgekehrt proportional und steigt daher bei kleinen Keimen stark an. Hierdurch sinkt das Silberionenpotential, und das erforderliche Redoxpotential für die Entwicklung muß kleiner gewählt werden. Hiermit wird eine nicht von allen Autoren vollkommen gleich gefundene [15] Potentialdifferenz = L1 E 100 mV erklärt, die unbedingt notwendig sei, um Entwicklung zu bekommen; d. h. über den thermodynamisch notwendigen Betrag muß das Redoxpotential noch ca. 100 mV kleiner sein. Durch die Ag+-Adsorptionstheorie würde man aller dings ebenso zu einer Erklärung gelangen (vgl. auch [16]). Die Adsorption des Entwicklermoleküls an Silber, die wohl für den Übergang des Elektrons auf den Keim notwendig ist, konnte bisher nicht exakt nachgewiesen werden [17]. STAUDE und Mitarbeiter [18, 19] konnten allerdings die Adsorption von Chinon an belichtetem AgBr messen, und sie vermuten, daß der Elektronen übergang über dieses adsorbierte Chinon erfolgt. (An kolloidalem Ag ist bisher keine Chinonadsorption nachgewiesen.) Von wenigen Autoren ist bisher das bei der Entwicklung entstehende Silber selbst untersucht worden. Immerhin ist gut bekannt, daß Fäden [20, 21, 22] auf treten können; in einigen elektronenmikroskopischen Bildern zeigte KüsTER [23] auch kompakte Silberaggregate, die durch Entwicklung nach der Fixage erhalten Elektronenmikroskopische Untersuchungen an photographischen Schichten 45 waren. Es sind auch Ansätze vorhanden [17, 24, 10], die Fadenbildung zu erklären. Es wird dabei im Prinzip mit der Vorstellung argumentiert, daß aus kristallogra phischen Erwägungen das Wachsen in einer Richtung (Faden) erfolgen müsse; die Silberionen werden aus unmittelbarer Nähe an den Fußpunkt des späteren Fadens geführt. Es schien im Rahmen von elektronenmikroskopischen Untersuchungen die Mög lichkeit gegeben, über eine genaue Kenntnis der verschiedenen Silberformen und deren Bildungsmechanismen wesentliche Aussagen zur Entwicklung selbst machen zu können. Aus diesem Vorhaben entstand die vorliegende Arbeit. Über die Anwendung des Kohleabdruckverfahrens nach BRADLEY zur Unter suchung photographischer Schichten war in früheren Arbeiten bereits berichtet worden [32, 25, 21], und es zeigte sich, daß sich gerade diese Präparationstechnik für die Untersuchung der Entwicklungsvorgänge besonders eignete. Es gelang dann auch, über die Abhängigkeit der Form des entwickelten Silbers von der Zusammensetzung des Entwicklers durch systematische Veränderung der Entwicklungsbedingungen auf experimentellem Weg eine klare Übersicht zu ge winnen. Die im folgenden angeführten Entwicklungsversuche wurden, wenn nicht anders vermerkt, mit fertigen Schichten, also im Gelatinemedium durchgeführt, so daß die in der Praxis vorkommenden Verhältnisse vorliegen; der enzymatische Abbau der Gelatine wurde erst unmittelbar vor der Kohlebedampfung durchgeführt. Die Tren nung der Enzymlösung von den zu untersuchenden Partikeln erfolgt durch Zentri fugieren. 1. Der Einfluß der Entwicklerzusammensetzung auf die Form des entwickelten Silbers Für die im folgenden beschriebenen Entwicklungsversuche wurden Versuchs emulsionen hergestellt, die aus den reinen Silberhalogeniden in Gelatine ohne be sondere Zusätze (wie sie in technischen Emulsionen üblich sind) bestehen. Damit man leicht einen Größenvergleich zu dem entwickelten Silber hat, sind in der Abb. la und b einige Aufnahmen der AgBr-Kristalle der Versuchsemulsion zusammengestellt. Der Abstand der Körner entspricht keineswegs der Verteilung der Körner in der Schicht, da ja bei der elektronenmikroskopischen Präparation nach Befreiung von Gelatine die Körner sich zufällig auf dem Objektträger zu sammenlagern. Das gleiche gilt selbstverständlich auch für die folgenden Abbildungen von entwickeltem Silber. Wenn bei der Entwicklung ein Halogensilberkristall in Einzelaggregate aus Silber zerfällt, so werden diese Aggregate zueinander eine Lage beibehalten, die durch die umgebende Gelatine mitbestimmt ist; beim Abbau der Gelatine geht dann im allgemeinen diese fixierte Lage verloren, wenn nicht auf an dere Weise (Verknäuelung der Silberfäden) ein Zusammenhalt gegeben ist. In den Abbildungen stammen also in vielen Fällen die einzelnen Silberaggregate von ver schiedenen Halogensilberkörnern. a) Einfluß der Entwicklerkonzentration. Die Konzentration an aktiven Ent wicklerionen bzw. -molekülen kann sowohl durch die vorgegebene Menge an Ent wicklersubstanz wie auch durch Veränderung des pH-Wertes eingestellt werden (vgl. [4]). Bei der Versuchsreihe, die der Abb. 2a bis d zugrunde liegt, wurde bei 46 E. KLEIN a b Abb. 1 a u. b. Kohleabdruck Unentwickelte Halogensilberkörner der für die Entwicklungsversuche verwendeten AgBr-Emulsion. konstantem pH-Wert die Konzentration an Metal-Hydrochinon um etwa zwei Zehner potenzen variiert; eine konstante Sulfitkonzentration von 60 gjltr wurde bei der Ver dünnungsreihe aufrechterhalten. Man entnimmt nun der Abb. 2a bis d, daß mit sinkender Entwicklerkonzentration die Form des entwickelten Silbers vom kurzen dünnen Faden bis zum großen Silberaggregat sich verändert. Wie in Abschn. 2 aus führlich diskutiert wird, machen wir für diese Erscheinung den wachsenden Einfluß des Halogensilberlösungsmittels (Sulfit) verantwortlich. Damit die Beschreibung der weiteren Versuchsreihen sich vereinfacht, seien hier auch schon für die zwei Entwicklungsmechanismen, die man aus dem Erscheinungsbild des Silbers ablesen kann, die folgenden Definitionen eingeführt. Entstehen dünne Silberfäden (kurz oder lang) von einer ungefähren Dicke 5 · 10-2 f!, so wird für den zugrunde liegenden Entwicklungsvorgang von "chemischer" Entwicklung gesprochen, entstehen hin gegen größere Silberaggregate, die keine Vorzugsrichtung mehr besitzen, so handelt es sich um rein "physikalische" Entwicklung. Solche runden Silberaggregate wer den weiter unten (vgl. Abb. 7 d) beschrieben. Die Übergänge in die verschiedenen Silberformen sind zweifellos möglich, so daß man von zunehmender oder vorherr schender physikalischer oder chemischer Entwicklung sprechen kann. Die Bezeich nungen "physikalisch" und "chemisch" seien zunächst nur ablesbar aus der Form des Silbers. Über den Mechanismus der Entwicklung selbst vgl. 2. In dieser Ausdrucksweise läßt sich das experimentelle Ergebnis der Abb. 2a bis d wie folgt zusammenfassen (das gleiche Ergebnis wurde bei allen anderen untersuchten Entwicklersubstanzen gefunden): Bei konstantem pH-Wert und konstantem Lösungs- Elektronenmikroskopische Untersuchungen an photographischen Schichten 4 7 , 1-----11 '~ a b c d Abb. 2a-d. Kohleabdruck von entwickeltem Silber; vor der Kohleumhüllung fixiert. Einfluß der Entwicklerkonzentration bei hohem Lösungsvermögen. Durch abnehmende Entwicklerkonzentration (von a nach d) nimmt der Einfluß des Lösungsmittels und damit die physikalische Entwicklung zu. Emulsion: AgBr Entwickler a b d Belichtung: 1500 !uxs., 2900° K (1) (1: 5) (1:25) (1: 125) Metol g/ltr 3 0,6 0,12 0,024 Hydrochinon .. 12 2,4 0,48 0,096 Entw. Zeit Min. 2 10 48 180 Sulfit: konst. 60 g/ltr. pH: konst. 10 48 E. KLEIN a b r c d Abb .3a- d.Kohleabdruck von entwickeltem Silber; vor der Kohleumhüllung fixiert. Einfluß der Entwicklerkonzentration bei Entwicklern ohne Lösungsvermögen. Es trittnur rein chemische Entwicklung auf. Mit abnehmender Entwicklerkonzen tration (von Abb. a nach d) steigt die Fadenlänge, da weniger Keime entwickelt werden können. Emulsion: AgBr Entwickler a b c d Belichtung: 150 luxs. 2900° K g/ltr (1) (1: 5) (1:25) (1: 125) Ascorbinsäure " 12,5 2,5 0,5 0.1 Phenidon 2,5 0,5 0,1 0,02 " Entw. Zeit Min. 3 15 160 360 pH: konst. 9,5 Elektronenmikroskopische Untersuchungen an photographischen Schichten 49 vermögen für Halogensilber nimmt mit sinkender Entwicklerkonzentration die physi kalische Entwicklung zu. Enthält ein Entwickler kein Halogensilberlösungsmittel und besitzen auch die Entwicklungssubstanzen selbst kein Lösungsvermögen, wie das z. B. bei dem As corbinsäure-Phenidon-Entwickler [26] nachgewiesen ist, so kann bei Verdünnung der Entwickler (pH = konstant) keine physikalische Entwicklung auftreten. Man erkennt aber in Abb. 3a bis d, daß sich die Silberform ändert. Mit steigender Ver dünnung wird die Fadenanzahl geringer, die Fadenlänge größer bei unveränderter Fadendicke. a b Abb. 4a-c. Kohleabdruck, entwickelte Halogensilberkörner, unfixiert. Zeitliche Veränderung der Form des ausgeschiedenen Silbers für den Fall der Abb. 2d. Mit steigender Entwicklungszeit (von a nach c) nimmt die Dicke der Silber fäden durch physikalische Entwick lung zu. Gleichzeitig wird Halogen silber in zunehmendem Maße aufgelöst (Ätzfigur). Emulsion: AgBr llelichtung: 150 luxs. 2900° K Entwickler: Metol 0,024 g/ltr Hydrochinon 0,096 " Sulfit 60,0 pH 10 a Entw. Zeit Min. 30 120 c 4 Mitteilungen Agfa II